Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung von Nichtzulassungsbeschwerden; Arrest während des Strafverfahrens; Zuständigkeit der Finanzgerichte bei gleichzeitig anhängigem Strafverfahren
Leitsatz (NV)
- Bei der Auslegung prozessualer Willenserklärungen ist auf den Empfängerhorizont abzustellen. Für den BFH als "Empfänger" einer Nichtzulassungsbeschwerde kann nach der Neufassung der FGO nicht mehr zweifelhaft sein, dass eine Entscheidung über die Beschwerde auch dann gewollt war, wenn sie "hilfsweise" gegenüber einer ‐ nicht mehr statthaften ‐ zulassungsfreien Revision eingelegt wurde.
- Die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK schließt es nicht aus, dass vor Abschluss der Hauptverhandlung vorläufige Maßnahmen aufgrund von Wahrscheinlichkeitserwägungen getroffen werden, zu denen auch Arrestanordnungen des FA zu zählen sind.
- Ob es gegen das Verfahrensbeschleunigungsgebot des Art. 6 Abs. 1 EMRK verstößt, wenn das Strafgericht das Verfahren nach § 396 AO 1977 aussetzt, ist nicht im Besteuerungsverfahren zu beurteilen.
Normenkette
EMRK Art. 6 Abs. 1-2; AO 1977 §§ 324, 396; FGO § 115 Abs. 2; StPO § 111d
Nachgehend
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) war in den Streitjahren (1987 bis 1994) als …ärztin selbständig tätig. Im Rahmen von Ermittlungen bei der X-Bank gelangten die Finanzbehörden zu der Auffassung, dass die Klägerin in den Jahren 1992 und 1993 Geldbeträge in einer Gesamthöhe von 2,8 Mio. DM in Luxemburg angelegt habe, deren Herkunft aus den eingereichten Steuererklärungen nicht nachvollziehbar sei. Am 15. März 1996 wurde gegen die Klägerin das Steuerstrafverfahren eingeleitet. Der Aufenthaltsort der Klägerin war damals ―und ist bis heute― unbekannt. Am 19. Dezember 1996 erging gegen sie ein Haftbefehl, am 27. Januar 1997 ein internationaler Haftbefehl.
Am 4. Oktober 1996 ordnete der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) zur Sicherung von erwarteten Steuernachforderungen (Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag) für die Jahre 1987 bis 1994 den dinglichen Arrest in das Vermögen der Klägerin an. Den Arrestanspruch bezifferte das FA auf insgesamt 1 190 485 DM. Es vollzog die Arrestanordnung durch die Eintragung einer Sicherungshypothek zu Lasten von zwei Grundstücken der Klägerin.
Zur Begründung der Arrestanordnung führte das FA Folgendes aus:
Ermittlungen bei der X-Bank hätten ergeben, dass unter der Referenznummer Y für die Klägerin ein Konto bei der Z-Bank geführt werde, auf welchem in den Jahren 1992 und 1993 Geldbeträge in der bislang bekannten Gesamthöhe von 2 808 407 DM angelegt worden seien. Diese Beträge seien eindeutig auch zu Lasten inländischer Konten der Klägerin nach Luxemburg transferiert worden. Bei der am 25. Juni 1996 erfolgten Durchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume der Kläge-rin seien keine Buchhaltungs- oder Kontrollunterlagen für die Jahre 1987, 1988, 1992 und 1993 sichergestellt worden. Es stehe jedoch fest, dass die Klägerin über die Vorermittlungen bei den Banken informiert worden sei. Es sei deshalb davon auszugehen, dass insbesondere die Unterlagen für die Jahre 1992 und 1993 gezielt beiseite geschafft worden seien bzw. an einem bislang unbekannten Ort aufbewahrt würden.
Die Klägerin sei bei den erwähnten Durchsuchungen nicht angetroffen worden. Sie habe ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr an ihrem melderechtlichen Wohnsitz. Alle Angaben zum derzeitigen Aufenthaltsort seien verweigert worden. Es gebe Hinweise dafür, dass sie sich im Ausland aufhalte.
Des Weiteren hätten Ermittlungen ergeben, dass zeitgleich mit einem ersten Besprechungstermin mit dem damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin Grundbuchauszüge für die im Eigentum der Klägerin befindlichen Grundstücke, bei denen es sich um die letzten bekannten inländischen Vermögensgegenstände handle, angefordert worden seien. Hierbei bezog sich das FA auf zwei Schreiben des Notars A vom 29. Juli 1996, in denen dieser die Grundbuchämter um die Grundbuchauszüge "zur Vorbereitung einer notariellen Urkunde" gebeten hatte. In zwei Urkunden dieses Notars vom … März 1997 wurden zu Lasten der beiden Grundstücke der Klägerin Eigentümergrundschulden über jeweils 3 Mio. DM bestellt.
Unter dem Datum vom 21. Oktober 1996 erhob die Klägerin Anfechtungsklage gegen die Arrestanordnung.
Am 3. Dezember 1996 erließ das FA Einkommensteueränderungsbescheide für die Jahre 1987 bis 1993 und einen erstmaligen Einkommensteuerbescheid 1994. Die Klägerin stellte daraufhin ihre Anfechtungsklage gegen die Arrestanordnung auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage um und beantragte nunmehr festzustellen, dass die Arrestanordnung rechtswidrig gewesen sei. Mit Schriftsatz vom 28. Juni 1998 beantragte die Klägerin festzustellen, dass die Arrestanordnung nichtig sei.
Gegen die Einkommensteuerbescheide 1987 bis 1994 legte die Klägerin Einsprüche ein, über die noch nicht entschieden ist. Außerdem erhob die Klägerin mit Schriftsatz vom 28. Februar 1998 Klage mit dem Antrag, die Nichtigkeit der Bescheide festzustellen (Az. 4 K 75/98). Unter dem Datum vom 7. September 1999 erließ das FA Einkommensteueränderungsbescheide für die Jahre 1987 bis 1994. Dabei legte das FA den Steuerfestsetzungen die Feststellungen im Bericht des Steuerfahndungsprüfers vom 25. März 1999 zugrunde. In diesem Bericht war der Prüfer zu der Auffassung gelangt, dass die Klägerin infolge einer manipulierten Additionsformel Betriebseinnahmen nicht vollständig erklärt habe. Des Weiteren habe sie in mehreren Fällen Betriebsausgaben fingiert. Die Höhe der Kapitaleinkünfte schätzte der Fahndungsprüfer. Dabei setzte er das am 1. Januar 1987 vorhandene Kapital mit 800 000 DM an. Die Klägerin hatte den Prüfungsfeststellungen zufolge im Zusammenhang mit einem Kreditantrag der Bank gegenüber erklärt, per 6. April 1987 über ein (im Einzelnen aufgeschlüsseltes) Spar- und Geldvermögen in Höhe von 1 364 000 DM zu verfügen.
Die Klägerin machte diese Bescheide zum Gegenstand des Verfahrens 4 K 75/98.
Im Laufe der beiden Klageverfahren trug die Klägerin u.a. vor, das Finanzgericht (FG) sei nach § 33 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) für die Entscheidung über die von ihr erhobenen Klagen nicht zuständig. Sie beantragte daher, das FG möge durch Beschluss gemäß § 17a des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) seine Unzuständigkeit feststellen und das Verfahren an das zuständige Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit, nach ihrer Auffassung das Oberlandesgericht (OLG) …, verweisen.
Das FG erließ am 26. Januar 1999 den Beschluss, dass der Finanzrechtsweg zulässig sei. Die hiergegen gerichtete "außerordentliche Beschwerde" verwarf der beschließende Senat mit Beschluss vom 7. Dezember 1999 IV B 146/99 (BFH/NV 2000, 413) als unzulässig.
Das FG hat in einem Zwischen-Gerichtsbescheid erkannt, dass die Klagen zulässig seien, obwohl die Klägerin eine ladungsfähige eigene Anschrift nicht angegeben habe. Die hiergegen gerichtete Revision des FA wies der beschließende Senat als unbegründet zurück, die Anschlussrevision der Klägerin verwarf er als unzulässig (Urteil vom 19. Oktober 2000 IV R 25/00, BFHE 193, 52, BStBl II 2001, 112).
Nach mündlicher Verhandlung vom 20. Februar 2001 wies das FG die die Arrestanordnung betreffende Klage ab.
Die Revision gegen sein am 26. März 2001 zugestelltes Urteil ließ das FG nicht zu.
Die Klägerin reichte unter dem Datum vom 11. April 2001 beim Bundesfinanzhof (BFH) einen Schriftsatz ein, dessen S. 2 wie folgt überschrieben ist:
"I. Zulassungsfreie Revision gemäß § 119 1; 4 und 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und § 16 GVG
…
und hilfsweise
II. Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 115 FGO".
Die Nichtzulassungsbeschwerde wird auf die Abweichung von "allen Entscheidungen des BFH zu diesem Sachverhalt", auf Verfahrensmängel und grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützt.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
Die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde richtet sich nach den Vorschriften der FGO i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 (FGO n.F.).
I. Die Beschwerde ist nicht etwa deswegen unzulässig, weil sie nach dem Wortlaut des Schriftsatzes vom 11. April 2001 "hilfsweise" für den Fall eingelegt wurde, dass die "zulassungsfreie Revision" keinen Erfolg habe. Allerdings geht die Rechtsprechung des BFH davon aus, dass eine lediglich bedingt eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde unzulässig sei (vgl. Senatsbeschluss vom 3. August 2000 IV B 61/00, BFH/NV 2001, 59). Es ist jedoch stets im Wege der Auslegung zu prüfen, ob mit der Verwendung des Wortes "hilfsweise" durch einen Nichtjuristen (der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ist Steuerberater) der eindeutige und unbedingte Ausdruck des Willens zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde wirklich in Frage gestellt werden soll (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― vom 29. Oktober 1975 2 BvR 630/73, BVerfGE 40, 272). Bei der Auslegung prozessualer Erklärungen ist auf den Empfängerhorizont abzustellen (Senatsurteil vom 8. Juni 2000 IV R 37/99, BFHE 193, 85, BStBl II 2001, 162). Für den Senat steht jedoch fest, dass nach der Neufassung der FGO die "zulassungsfreie Revision" nicht mehr statthaft ist. Eine Ungewissheit darüber, dass die Nichtzulassungsbeschwerde wirklich gewollt war, kann demnach nicht bestehen.
II. Nach § 115 Abs. 2 FGO n.F. ist die Revision nur zuzulassen, wenn
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert oder
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
1. Grundsätzliche Bedeutung/Fortbildung des Rechts
Der Senat lässt dahinstehen, ob die Rechtssache schon deshalb keine grundsätzliche Bedeutung hat, weil die Klage nach Ergehen der Steuerbescheide möglicherweise unzulässig geworden ist (vgl. hierzu BFH-Beschluss vom 27. Januar 1982 II B 38/81, BFHE 135, 156, BStBl II 1982, 326). Es erscheint zweifelhaft, ob ein Rechtsschutzbedürfnis für die Fortsetzungsfeststellungsklage besteht (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 20. September 2000 VII B 33/00, BFH/NV 2001, 458, m.w.N.). Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist indessen bereits aus anderen Gründen zu verneinen.
Unabhängig davon, ob der bisher in § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO a.F. enthaltene Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung weiterhin in § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO n.F. enthalten ist, oder ob er nunmehr unter Abs. 2 Nr. 2 der neuen Vorschrift (Er-forderlichkeit der Rechtsfortbildung) zu fassen ist (so Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 115 FGO Tz. 64), macht es die in § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO geforderte Darlegung der Zulassungsvoraussetzungen notwendig, dass der Beschwerdeführer konkret auf die Rechtsfrage, ihre Klärungsbedürftigkeit und ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung 4. Aufl., § 115 Anm. 61, m.w.N.; Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 116 FGO Tz. 49).
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Die Klägerin macht lediglich geltend, dass das finanzgerichtliche Urteil wegen Verstoßes gegen die Unschuldsvermutung, gegen das Gebot eines fairen Verfahrens und gegen das Gebot der Beschleunigung des Verfahrens aufzuheben sei. Die grundsätzliche Bedeutung der von der Klägerin angesprochenen Rechtsfragen ist auch nicht offenkundig, so dass auf ihre Darlegung verzichtet werden könnte. Vielmehr liegt es auf der Hand, dass die von der Klägerin angeführten Rechtsgrundsätze durch die von ihr gerügte Verhaltensweise des FG nicht verletzt werden.
a) So stellt es offenkundig keinen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung dar, wenn das FG die Auffassung vertreten hat, Arrestanspruch und Arrestgrund müssten nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen, sondern lediglich mit einem hinreichenden Maße an Wahrscheinlichkeit vorliegen. Diese Auffassung entspricht der Rechtsprechung des BFH (vgl. etwa Beschlüs-se vom 8. April 1986 VII R 187/83, BFH/NV 1986, 508, und vom 26. Februar 2001 VII B 265/00, BFHE 194, 40, BStBl II 2001, 464 Abschnitt II vor a). Die Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte ―EMRK―) schließt es nicht aus, dass vor Abschluss der Hauptverhandlung vorläufige Maßnahmen aufgrund von Wahrscheinlichkeitserwägungen getroffen werden (so BVerfG-Beschluss vom 29. Mai 1990 2 BvR 254, 1343/88, BVerfGE 82, 106, 115, zu Maßnahmen der Strafverfolgungsorgane). Auch der Steueranspruch kann durch Maßnahmen gesichert werden, deren Vorläufigkeit es rechtfertigt, dass sie lediglich auf Wahrscheinlichkeitserwägungen gestützt werden (vgl. zur Zurückweisung von Anträgen auf Aussetzung der Vollziehung von Steuerbescheiden, deren Rechtmäßigkeit davon abhängt, ob der Steuerpflichtige eine Steuerhinterziehung begangen hat, die BFH-Beschlüsse vom 5. März 1979 GrS 5/77, BFHE 127, 140, BStBl II 1979, 570, und vom 9. Oktober 2000 IV B 48/00, BFH/NV 2001, 202).
b) Die Auffassung der Klägerin, nach Einleitung eines Strafverfahrens dürften Arrestanordnungen lediglich nach Maßgabe der ―im Streitfall offenkundig nicht einschlägigen― §§ 111d und 111e der Strafprozeßordnung (StPO) ergehen, weswegen Arrestanordnungen nach § 324 der Abgabenordnung (AO 1977) gegen das Gebot eines fairen Verfahrens verstießen, ist nicht nachvollziehbar. Das Gebot eines fairen Verfahrens, das in Art. 6 Abs. 3 EMRK für den Bereich des Strafverfahrens durch einige Verfahrensgarantien konkretisiert wird, hat im Wesentlichen zum Inhalt, dass keine Partei gegenüber der anderen benachteiligt wird und dass sie rechtliches Gehör erhält (Frowein/ Peukert Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl., 1996, Art. 6 Rdnr. 72). Diese Erfordernisse sind im Arrestverfahren nach § 324 AO 1977 dadurch gewahrt, dass der Steuerpflichtige die Möglichkeit hat, die Arrestanordnung des FA mit der Klage anzufechten und beim FG vorläufigen Rechtsschutz zu beantragen.
c) Der BFH hat die Klägerin mit Beschlüssen in BFH/NV 2000, 413 und vom 7. Januar 2000 VII B 292/99 (BFH/NV 2000, 481) darauf hingewiesen, dass es den FÄ auch in der Zeit zwischen Einleitung eines Steuerstrafverfahrens und strafrechtlicher Verurteilung nicht verwehrt ist, Steuern festzusetzen und zu erheben, und dass deshalb für die Anfechtung der zu diesem Zweck ergangenen Verwaltungsakte die FG zuständig sind. Die von der Klägerin gegen diese Beschlüsse eingelegten Verfassungsbeschwerden sind nicht zur Entscheidung angenommen worden (BVerfG-Beschlüsse vom 24. März 2000 2 BvR 12/00 und 2 BvR 431/00, nicht veröffentlicht).
Die Auffassung der Klägerin, dass die ordentlichen Gerichte wegen der vom FG für sich beanspruchten Zuständigkeit für die Anfechtung von nach Einleitung des Strafverfahrens ergangenen Steuerverwaltungsakten nicht tätig werden könnten, entbehrt jeder Grundlage. Nach § 396 AO 1977 kann ―nicht muss― das Strafverfahren bis zum Abschluss des Besteuerungsverfahren ausgesetzt werden. Ob es gegen das (Verfahrens-)Beschleunigungsgebot des Art. 6 Abs. 1 EMRK verstößt, wenn das Strafgericht das Verfahren aussetzt, ist nicht im Besteuerungsverfahren zu beurteilen. Zudem kann nicht ernstlich in Betracht gezogen werden, dass es gegen das Beschleunigungsgebot verstößt, wenn die Finanzbehörde ihren ―wahrscheinlichen― Steueranspruch durch Arrestanordnung zu sichern sucht.
2. Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung/Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative FGO n.F.)
Der in § 115 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative FGO n.F. vorgesehene Revisionszulassungsgrund umfasst die bisherige Divergenz i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO a.F., geht aber auch darüber hinaus (Beermann, Deutsche Steuer-Zeitung ―DStZ― 2000, 773, 776; Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 115 FGO Tz. 76 ff.). Insbesondere kommt es nicht darauf an, welches Gericht die Entscheidung, von der abgewichen wird, getroffen hat (so zu § 73 Abs. 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ―GWB― a.F.; Kleier, in Frankfurter Kommentar zum GWB Rdnr. 59; zu § 80 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten ―OWiG―, z.B. Steindorf in Karlsruher Kommentar zum OWiG, § 80 Rdnr. 15; zu § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO n.F. Gesetzesbegründung, BTDrucks 14/4061).
Darüber hinausgehend wird eine Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auch dann für erforderlich gehalten, wenn das FG einen vom BFH aufgestellten Rechtssatz im Ergebnis falsch auslegt oder anwendet, ohne einen abweichenden Rechtssatz zu bilden (Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 115 FGO Tz. 76, § 116 FGO Tz. 53). Der Streitfall bietet keinen Anlass zu entscheiden, ob der Senat dieser Auffassung zu folgen vermag, soweit sie über die schon bisher in derartigen Fällen unter dem Gesichtspunkt der grundsätzlichen Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO a.F. für möglich gehaltene Revisionszulassung (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Anm. 69) hinausgeht.
Jedenfalls ist nicht erkennbar, dass die von der Klägerin aufgeführten BFH-Urteile einen Rechtssatz enthielten, den das FG falsch ausgelegt oder angewandt hätte.
a) BFH-Entscheidungen vom 20. April 1983 VII R 2/82 (BFHE 138, 164, BStBl II 1983, 482) und vom 25. Juni 1991 VII B 136, 137/90 (BFH/NV 1992, 254):
Nach dem Urteil in BFHE 138, 164, BStBl II 1983, 482 sind die FG gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO zuständig in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten über Abgabenangelegenheiten. Diese Vorschrift finde aber auf Straf- und Bußgeldverfahren keine Anwendung (§ 33 Abs. 2 Satz 2, nun Abs. 3 FGO). Bei der Prüfung der Frage, ob die jeweilige Streitigkeit zu einem Strafverfahren gehört, sei auf die Rechtsnatur des Klagebegehrens abzustellen, wie sie sich aus dem dem Antrag zugrunde liegenden Sachverhalt ergebe. Dementsprechend hielt der BFH im genannten Urteil für eine Klage gegen ein Auskunftsersuchen der Steuerfahndung den Finanzrechtsweg nicht für gegeben.
Ähnlich entschied der BFH in seinem Beschluss in BFH/NV 1992, 254. Danach ist der Finanzrechtsweg nicht eröffnet zur Erlangung vorläufigen Rechtsschutzes gegen solche Maßnahmen zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen, die nach Einleitung eines steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen den Steuerpflichtigen oder seine Vertreter von der Steuerfahndung oder auf deren Veranlassung von den Wohnsitz-FÄ durchgeführt werden.
Im Streitfall ist Gegenstand des Klageverfahrens jedoch nicht eine Ermittlungshandlung der Steuerfahndung oder des FA, sondern ein Arrest i.S. des § 324 AO 1977, also ein Verwaltungsakt des Steuererhebungsverfahrens. Dass sich mit den beiden Entscheidungen des VII. Senats des BFH in BFHE 138, 164, BStBl II 1983, 482 und in BFH/NV 1992, 254 die von der Klägerin vertretene Ansicht nicht stützen lässt, ergibt sich bereits aus dem gegenüber der Klägerin ergangenen Beschluss des selben Senats in BFH/NV 2000, 481, in dem es heißt, die Klägerin irre, wenn sie meine, sie befinde sich im Steuerstrafverfahren.
b) BFH-Entscheidungen vom 2. Dezember 1976 IV R 2/76 (BFHE 120, 571, BStBl II 1977, 318), vom 29. Oktober 1986 I B 28/86 (BFHE 147, 492, BStBl II 1987, 440) und vom 21. August 1990 V B 46/90 (BFH/NV 1991, 142):
In diesen Entscheidungen hat der BFH den Finanzrechtsweg jeweils als gegeben angesehen. Schon deswegen kann sich die Klägerin nicht auf sie berufen.
c) BFH-Urteil vom 14. August 1991 X R 86/88 (BFHE 165, 458, BStBl II 1992, 128):
Diese Entscheidung betrifft nicht etwa ein Arrestverfahren, das wie vorstehend (unter II. 1. a) dargestellt den Regeln über das summarische Verfahren unterliegt, sondern eine Steuerfestsetzung, die einer gerichtlichen Prüfung nur dann standhält, wenn das Gericht vom Vorliegen der Besteuerungsmerkmale überzeugt ist. Schon deswegen lassen sich aus diesem Urteil keine Schlussfolgerungen für den Streitfall ziehen.
3. Verfahrensfehler
a) Es ist nicht nachvollziehbar, inwiefern es dem FG verwehrt sein soll, zur Bestätigung der Höhe des Arrestanspruchs auf den Steufa-Bericht vom 25. März 1999 zurückzugreifen. Aufgabe der Steuerfahndung ist nicht nur die Erforschung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten, sondern auch die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen (§ 208 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977). Diese Ermittlungen schlagen sich im Steufa-Bericht nieder. Der Arrest dient der Sicherung der auf den festgestellten Besteuerungsgrundlagen beruhenden Steuerforderung.
b) Da das FG zutreffend davon ausgegangen ist, dass die Frage, ob die objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung vorliegen, hier nach den Vorschriften der AO 1977 und der FGO zu prüfen ist (BFH-Beschluss in BFHE 127, 140, BStBl II 1979, 570), kann darin kein Verfahrensfehler liegen.
c) Es ist nicht erkennbar, weshalb die Vorentscheidung auf einer "Aussageerpressung" beruhen soll. Das FG hielt es aufgrund von Beweisanzeichen für hinlänglich wahrscheinlich, dass die Klägerin Geld nach Luxemburg transferiert hat. Es hatte u.a. zu prüfen, ob die Behauptung der Klägerin, sie habe den am 25. November 1993 abgehobenen Betrag in Höhe von 185 000 DM zum Kauf einer Uhr verwendet, geeignet war, die durch die Beweisanzeichen begründete Wahrscheinlichkeit zu erschüttern, oder ob es sich um eine reine Schutzbehauptung handelte (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 17. Februar 1999 IV B 66/98, BFH/NV 1999, 1188). Daher lag es im Interesse der Klägerin, wenn das FG sie darauf hinwies, dass nach seiner Auffassung die Benennung des Verkäufers der Uhr notwendig sei, um ihre Behauptung zu stützen.
Mit dem Vortrag, das FG habe eine falsche Beweiswürdigung vorgenommen, wird kein Verfahrensmangel, sondern unzutreffende Anwendung materiellen Rechts gerügt (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Anm. 28). Gleiches gilt für den Vortrag, das FG habe den Grundsatz "in dubio pro reo" nicht beachtet.
d) Es stellt keinen Verfahrensmangel dar, wenn das FG den "Haftordner" nicht beigezogen hat. Es gibt ―abgesehen von einem offensichtlichen Schreibfehler in der staatsanwaltlichen Verfügung vom 26. Juni 1998― keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass ―wie die Klägerin meint― außer dem (nationalen) Haftbefehl vom 19. Dezember ("19. 12.") 1996 und dem (internationalen) Haftbefehl vom 27. Januar 1997 noch ein weiterer Haftbefehl vom 19. Februar ("19. 02.") 1996 ergangen ist. Vielmehr nimmt die staatsanwaltliche Verfügung ausdrücklich auf denjenigen Haftbefehl Bezug, der durch den internationalen Haftbefehl vom 27. Januar 1997 abgelöst wurde. Das war jedoch, wie sich aus dem dem finanzgerichtlichen Urteil als Anlage beigefügten Beschluss des Amtsgerichts ergibt, der Haftbefehl vom 19. Dezember 1996. Abgesehen davon ist zur Beantwortung der Frage, ob dem FG ein Verfahrensmangel unterlaufen ist, auf dessen materiell-rechtliche Auffassung abzustellen (Gräber/Ruban a.a.O., § 115 Anm. 34). Das FG war jedoch der Auffassung, dass auch dann kein Verwertungsverbot für die am 25. Juni 1996 beschlagnahmten Unterlagen bestand, wenn der Haftbefehl bereits vorher ergangen sein sollte.
e) Ein Verfahrensfehler liegt auch nicht darin, dass das FG die zwei Leitzordner mit der Aufschrift "1. Quartal 95" und "1. Halbjahr 1995" nicht beigezogen hat. Das FA hat bestritten, dass sich diese Unterlagen in seinem Besitz befinden. Demnach war eine Beiziehung insoweit nicht möglich. Welche Schlussfolgerung das FG daraus zu ziehen hatte, dass beide Prozessbeteiligte bestritten, im Besitz der Ordner zu sein, gehört nicht in den Bereich der Sachverhaltsermittlung, sondern in den dem materiellen Recht zuzurechnenden Bereich der Sachverhaltswürdigung.
f) Entgegen der Darstellung der Klägerin ist das FG im Tatbestand des Urteils und bei der Wiedergabe der Anträge darauf eingegangen, dass die Klägerin die Arrestanordnung für nichtig hielt. In den Urteilsgründen bedurfte dieser Punkt keiner besonderen Erwähnung, weil das FG die Arrestanordnung ―wie es ausführlich dargelegt hat― nicht einmal als rechtswidrig ansah.
g) Die Frage, ob das FG zu Recht das Vorliegen eines Arrestgrundes für ausreichend wahrscheinlich hielt, gehört in den Bereich des materiellen Rechts. Ein Verfahrensfehler kann mit dem entsprechenden Vortrag der Klägerin nicht geltend gemacht werden.
4. Fehler von besonderem Gewicht
Nach der Gesetzesbegründung zu § 115 Abs. 2 FGO n.F. beschränkt sich die Grundsatzrevision nicht auf Fälle der Rechtsfortbildung und-vereinheitlichung, sondern bezieht alle Tatbestände ein, in denen über den Einzelfall hinaus ein allgemeines Interesse an einer korrigierenden Entscheidung des Revisionsgerichts besteht. Fehler bei der Auslegung revisiblen Rechts könnten ―so die Gesetzesbegründung weiter― über den Einzelfall hinaus auch dann das allgemeine Interesse nachhaltig berühren, wenn sie z.B. von erheblichem Gewicht und geeignet sind, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen. In diesem Falle könne es geboten sein, der Rechtspraxis auch dann eine höchstrichterliche Orientierungshilfe zu geben, wenn die engen Zulassungsgründe des bisherigen Rechts nicht vorlägen (BTDrucks 14/4061).
Solche Fehler vermag der Senat in der Entscheidung des FG nicht zu erkennen. Abgesehen von den vorstehend im Einzelnen behandelten Rügen der Klägerin wendet diese sich durchweg gegen die Beweiswürdigung des FG. Die Beweiswürdigung betrifft indessen nur den entschiedenen Einzelfall und berührt das allgemeine Interesse nicht.
5. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO n.F. abgesehen.
Fundstellen