Leitsatz (amtlich)
Die Rechtsprechung des BFH über die Verneinung der Bindung bei offensichtlich gesetzwidriger Zulassung der Revision (Beschluß vom 30. Juni 1971 I R 31/69, BFHE 102, 461) gilt auch für die offensichtlich gesetzwidrige Zulassung der Beschwerde nach Art. 1 Nr. 3 BFH-EntlastG vom 8. Juli 1975 (BGBl I 1975, 1861, BStBl I 1975, 932).
Normenkette
BFH-EntlastG Art. 1 Nr. 3; FGO § 115 Abs. 2
Gründe
Die Beschwerde ist trotz der gemäß Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vom 8. Juli 1975 BFH-EntlastG (BGBl I 1975, 1861, BStBl I 1975, 932) erfolgten Zulassung durch das FG unzulässig, weil die Zulassung offensichtlich gesetzwidrig ist.
Das FG hat die Beschwerde wegen der "grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache" zugelassen, ohne dies jedoch näher auszuführen. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache ist in jedem Fall unabhängig vom Interesse des einzelnen Beteiligten zu beurteilen. Von grundsätzlicher Bedeutung sind insbesondere solche Fragen, die Grundsätze des Steuerrechts betreffen und von deren Klärung das Interesse eines größeren Kreises von Steuerpflichtigen an der einheitlichen Handhabung und Entwicklung des Rechts berührt wird. Die angefochtene Entscheidung wirft keine derartigen grundsätzlichen Fragen auf. Vielmehr entspricht die Anwendung der §§ 109, 103 AO der Rechtsprechung des BFH. Auch die formelle Ausgestaltung des Haftungsbescheids und die Anwendung der §§ 13 Abs. 1 Nr. 1 a, 18 Abs. 2 UStG 1967 wirft keine Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf.
Das FG weicht in dem angefochtenen Beschluß auch nicht von einer Entscheidung des BFH ab (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).
Es ist daher nicht ersichtlich, worauf das FG die Zulassung der Beschwerde gemäß Art. 1 Nr. 3 BFH-EntlastG i. V. m. § 115 Abs. 2 FGO gestützt hat. Damit ist die Zulassung offensichtlich gesetzwidrig.
Für die Zulassung der Revision hat sich der BFH zwar auf den Standpunkt gestellt, daß er als Revisionsgericht nicht nachzuprüfen habe, ob das FG die Revision zu Recht zugelassen hat (Urteil vom 7. August 1967 VI R 297/66, BFHE 90, 29, BStBl III 1967, 789; Beschluß vom 13. Oktober 1967 VI B 56/67, BFHE 90, 335, BStBl II 1968, 94). Etwas anderes gilt aber dann, wenn die Zulassung offensichtlich gesetzwidrig ist. Eine solche Zulassung bindet das Revisionsgericht nach der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes nicht (BFHBeschlüsse VI B 56/67, und vom 27. März 1969 IV 241/64, BFHE 95, 214, BStBl II 1969, 353; vgl. auch Urteil des BGH vom 8. Januar 1959 III ZR 6/58, NJW 1959, 725; Urteil des BAG vom 4. Juli 1968 5 AZR 403/67, NJW 1968, 1980; Urteil des BSG vom 30. Juli 1959 10 RV 139/59, BSGE 10, 240; Beschluß des BVerwG vom 26. März 1963 VIII C 12/63, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, § 132 VwGO Nr. 41). An dieser Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes hat der BFH auch im Beschluß vom 30. Juni 1971 I R 31/69 (BFHE 102, 461, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Finanzgerichtsordnung, § 115, Rechtsspruch 98) festgehalten.
Diese Rechtsprechung zur fehlenden Bindung des Revisionsgerichts an eine offensichtlich gesetzwidrige Revisionszulassung ist im Anwendungsbereich des Art. 1 Nr. 3 BFH-EntlastG auch auf die Bindung des BFH an Beschlüsse der FG zu übertragen, mit denen die ansonsten nach dem Entlastungsgesetz unstatthafte Beschwerde gegen eine Entscheidung des FG nach § 69 Abs. 3 und 4 FGO zugelassen wird. Denn Art. 1 Nr. 3 Satz 2 BFH-EntlastG erklärt für die Zulassung ausdrücklich § 115 Abs. 2 FGO für entsprechend anwendbar. Dies rechtfertigt es, die Rechtsprechung zu § 115 Abs. 2 FGO bezüglich der Bindung des Revisionsgerichts an die Zulassung der Revision auch auf die Zulassung der Beschwerde gegen die bezeichneten Beschlüsse anzuwenden. Dafür spricht auch der Zweck des Entlastungsgesetzes, der auf eine wirksame Entlastung des BFH abzielt. In einer derartigen Beschränkung der Bindung des BFH an Zulassungsbeschlüsse von FG liegt auch keine unzumutbare, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigende Erschwerung des Rechtsweges (vgl. Beschluß des BVerfG vom 29. Oktober 1975 2 BvR 630/73, BStBl II 1976, 271 unter II 2 a am Ende).
Da die Zulassung der Beschwerde den BFH im vorliegenden Fall ausnahmsweise nicht bindet, kann in eine Überprüfung der Begründetheit nicht eingetreten werden.
Fundstellen
BStBl II 1976, 774 |
BFHE 1977, 26 |