Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Beschwerde gegen Streitwertfestsetzung; „außerordentliche“ Beschwerde; Jahresbetrag des Kindergeldes als Streitwert
Leitsatz (NV)
- Gegen die Streitwertfestsetzung des FG ist auch eine kraft eigenen Rechts eingelegte Beschwerde des bevollmächtigten Rechtsanwalts nicht statthaft.
- Zu den Voraussetzungen einer sog. außerordentlichen Beschwerde.
- In Verfahren betreffend die Festsetzung von Kindergeld richtet sich der Streitwert grundsätzlich nach dem Jahresbetrag des Kindergeldes.
Normenkette
GKG § 25 Abs. 3 S. 2, § 5 Abs. 2 S. 3, § 17 Abs. 1; BRAGO § 9 Abs. 2 S. 1
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) hatte mit Urteil vom 2. Dezember 1998 die Klage des Klägers wegen Kindergeld abgewiesen. Auf Antrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers setzte das FG mit Beschluss vom 11. Februar 1999 den Streitwert auf 12 600 DM fest. Während des anschließenden Revisionsverfahrens half die beklagte Familienkasse dem Klagebegehren des Klägers ab, worauf die Beteiligten die Hauptsache für erledigt erklärten. Der Bundesfinanzhof (BFH) legte mit Beschluss vom 29. Juni 2001 die Kosten des gesamten Verfahrens der Familienkasse auf.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragte nunmehr unter dem 17. September 2001 beim FG, den Streitwertbeschluss vom 11. Februar 1999 aufzuheben und den Streitwert auf mindestens 116 820 DM festzusetzen. Diesen Betrag errechnete er aus der festgesetzten Nachzahlung des Kindergeldes zuzüglich der Zahlungen bis zum Antragszeitpunkt sowie der entsprechend § 17 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes (GKG) mit dem dreifachen Jahresbetrag angesetzten zukünftigen Kindergeldzahlungen. Die Geschäftsstelle des FG teilte dem Prozessbevollmächtigten mit, dass eine Änderung der Streitwertfestsetzung nicht beabsichtigt sei. Mit Beschluss vom 29. Oktober 2001 erhöhte das FG "auf die Gegenvorstellungen" des Prozessbevollmächtigten den Streitwert auf 12 800 DM (Jahresbetrag des Kindergeldes von Juni 1996 bis Mai 1997), wobei es sich auf den Beschluss des BFH vom 24. Mai 2000 VI S 4/00 (BFHE 192, 19, BStBl II 2000, 544) stützte.
Hiergegen hat der Prozessbevollmächtigte im eigenen Namen "gemäß § 10 Abs. 3" der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) Beschwerde eingelegt. Er trägt vor, der angefochtene Beschluss des FG sei rechtswidrig und verfassungswidrig. Die Streitwertfestsetzung erfasse nicht den wahren Streitwert der Sache. Sie greife unangemessen und unerträglich in die Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes ―GG―) und in unverhältnismäßiger Weise in die Berufsfreiheit des Anwalts (Art. 12 Abs. 1 GG) ein. In verfassungskonformer Auslegung des § 10 Abs. 3 Satz 2 BRAGO müsse auch eine Streitwertbeschwerde des Anwalts zu einem oberen Bundesgericht zulässig sein, denn bei nur zwei Instanzen in einem Gerichtszweig könne es nicht angehen, dass eine Beschwerde gegen die Entscheidung der ersten Instanz nicht zulässig sein solle. Die Beschwerde sei ausnahmsweise in Fällen greifbarer Gesetzwidrigkeit statthaft. Ein solcher Fall liege hier vor.
Der Prozessbevollmächtigte beantragt sinngemäß, unter Änderung des angefochtenen Beschlusses des FG den Streitwert auf 116 820 DM festzusetzen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unzulässig.
1. Gegen eine Streitwertfestsetzung des FG ist eine Beschwerde an den BFH nicht statthaft. Gemäß § 25 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 5 Abs. 2 Satz 3 GKG können Streitwertbeschlüsse nicht mit der Beschwerde an einen obersten Gerichtshof des Bundes angefochten werden. Dies gilt nicht nur für Beschwerden der Prozessbeteiligten, sondern auch für die kraft eigenen Rechts nach § 9 Abs. 2 Satz 1 BRAGO eingelegte Beschwerde des mit der Prozessvertretung beauftragten Rechtsanwalts (BFH-Beschluss vom 10. September 1999 VII B 182/99, BFH/NV 2000, 219). Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Gesetzeslage des GKG bestehen nicht.
2. Die Beschwerde ist nicht unter dem Gesichtspunkt der sog. außerordentlichen Beschwerde zulässig. Nach der Rechtsprechung des BFH kann in besonderen Ausnahmefällen die Beschwerde gegen einen unanfechtbaren Beschluss des FG statthaft sein, wenn die Vorentscheidung auf einer "greifbaren Gesetzesverletzung" beruht. Das wird z.B. dann angenommen, wenn die Entscheidung auf einer Gesetzesauslegung beruht, die offensichtlich dem Wortlaut und dem Zweck des Gesetzes widerspricht und die eine Gesetzesanwendung zur Folge hat, die durch das Gesetz ersichtlich ausgeschlossen werden sollte, oder wenn die angefochtene Entscheidung jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und inhaltlich dem Gesetz fremd ist bzw. mit der Rechtsordnung schlechthin unvereinbar ist (vgl. BFH-Beschluss vom 7. Dezember 1999 IV B 146/99, BFH/NV 2000, 413; Dürr, in Schwarz, Finanzgerichtsordnung, § 128 Rz. 31, jeweils m.w.N.).
Im Streitfall liegt, gleich welche dieser Umschreibungen man heranzieht, eine greifbare Gesetzesverletzung nicht vor. Die angefochtene Streitwertfestsetzung entspricht dem Gesetz in der Auslegung, die der Senat in dem Beschluss in BFHE 192, 19, BStBl II 2000, 544 mit Hinweis auf die überwiegende Rechtsprechung der FG vertreten hat. Danach richtet sich bei Verfahren um die Festsetzung von Kindergeld der Streitwert in entsprechender Anwendung von § 17 Abs. 1 GKG grundsätzlich nach dem Jahresbetrag des Kindergeldes; bis zur Erhebung der Klage zu zahlende, d.h. bereits fällige Kindergeldbeträge sind dem Streitwert hinzuzurechnen. Letzteres kam im Streitfall deshalb nicht in Betracht, weil der Kindergeldantrag abgelehnt worden war und um die Festsetzung von Kindergeld erst gestritten wurde. Der angefochtene Streitwertfestsetzungsbeschluss entspricht damit der Rechtslage. Die Annahme des Beschwerdeführers, die Wertfestsetzung sei greifbar rechtswidrig und verfassungswidrig, trifft offensichtlich nicht zu.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung. Die Gebührenfreiheit des Verfahrens über die Beschwerde in Streitwertsachen (§ 25 Abs. 4 GKG) gilt nicht für unstatthafte Beschwerden (BFH-Beschluss in BFH/NV 2000, 219, m.w.N.).
Fundstellen
Haufe-Index 679296 |
BFH/NV 2002, 534 |