Entscheidungsstichwort (Thema)
Unvereinbarkeit mit rechtsstaatlichen Grundsätzen
Leitsatz (NV)
"Unvereinbar mit rechtsstaatlichen Grundsätzen" i.S. von Art. 19 Satz 2 EinigVtr sind Verwaltungsakte, die einen Bezug zu einer alltäglichen sozialistischen "Gesetzlichkeit" nicht mehr erkennen lassen, weil sie in verfahrens- wie materiell-rechtlicher Hinsicht das Willkürverbot verletzen und/oder gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit verstoßen (Anschluss an BFH-Urteil vom 25. Januar 1995 X R 146/93, BFHE 177, 317, BStBl II 1995, 686).
Normenkette
EinigVtr Art. 19; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
Sächsisches FG (Urteil vom 19.12.2007; Aktenzeichen 2 K 1511/05) |
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) machen geltend, die Zulassung der Revision sei zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erforderlich. Sie bringen vor, das angefochtene Urteil des Finanzgerichts (FG) weiche vom Senatsurteil vom 25. Januar 1995 X R 146/93 (BFHE 177, 317, BStBl II 1995, 686) ab. Außerdem sind die Kläger der Auffassung, eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei im Streitfall zur Fortbildung des Rechts erforderlich.
1. Die behauptete Abweichung vom Senatsurteil in BFHE 177, 317, BStBl II 1995, 686 liegt nicht vor. Das FG hat seiner Entscheidung die in diesem Urteil entwickelten Grundsätze zugrunde gelegt, in welchen Fällen ein vor dem Wirksamwerden des Beitritts der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) zur Bundesrepublik Deutschland ergangener Steuerbescheid i.S. von Art. 19 Satz 2 des Einigungsvertrags (EinigVtr) "mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar" ist. Daher kann der beschließende Senat dahingestellt sein lassen, ob die Kläger in der Beschwerdebegründung (einschließlich des Schriftsatzes vom 6. Mai 2008) --wie es den Anforderungen an die Darlegung des geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes entsprechen würde-- abstrakte und die jeweiligen Entscheidungen tragende Rechtssätze aus der behaupteten Divergenzentscheidung und dem angefochtenen Urteil herausgearbeitet haben.
a) Nach dem Senatsurteil in BFHE 177, 317, BStBl II 1995, 686, ist bei der Auslegung von Art. 19 Satz 2 EinigVtr zum einen dem in Satz 1 zum Ausdruck kommenden Ziel Rechnung zu tragen, wonach "vorrechtsstaatliche" Entscheidungen der öffentlichen Verwaltung grundsätzlich wirksam bleiben sollen. Zum anderen sei erforderlich, die Generalklausel des Art. 19 Satz 2 EinigVtr in ein Gesamtsystem einer Bewältigung des vielfältigen und vielgestaltigen DDR-Unrechts (BRDrucks 92/93, S. 40; Haft, Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht 1994, 170, 171, m.w.N.) einzuordnen und darüber hinaus zur besseren Handhabbarkeit rechtstechnisch zu präzisieren. "Unvereinbar mit rechtsstaatlichen Grundsätzen" seien Verwaltungsakte, die einen Bezug zu einer alltäglichen sozialistischen "Gesetzlichkeit" nicht mehr erkennen ließen, weil sie in verfahrens- wie materiell-rechtlicher Hinsicht das Willkürverbot verletzten und/oder gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit verstießen. Solches sei vor allem dann anzunehmen, wenn ein Verwaltungsakt an schwerwiegenden Rechtsfehlern leide und konkrete Umstände des Einzelfalles die Annahme einer politisch-sachwidrigen Motivation der DDR-Behörden, mithin einen Missbrauch des Steuerrechts zu sachwidrigen Zwecken, nahelegen würden. Unter dieser Voraussetzung könne es nicht dem Steuerpflichtigen obliegen, nachzuweisen, dass eine vor allem politisch motivierte Willkür tatsächlich ursächlich für eine gesetzwidrige Besteuerung gewesen sei.
b) Das FG hat sich in dem angefochtenen Urteil mit den vom beschließenden Senat im Urteil in BFHE 177, 317, BStBl II 1995, 686, herausgearbeiteten Grundsätzen ausdrücklich befasst und den Streitfall daran gemessen. Es hat das klägerische Vorbringen daraufhin geprüft, ob die Steuerbescheide für die Jahre 1948 und 1949 einen Bezug zu einer alltäglichen sozialistischen Gesetzlichkeit nicht mehr erkennen ließen, weil sie in verfahrens- wie in materiell-rechtlicher Hinsicht das Willkürverbot verletzten und/oder gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit verstießen. Dass es diese Voraussetzungen im Gegensatz zu der Auffassung der Kläger verneint hat, stellt keine Abweichung des angefochtenen Urteils vom Senatsurteil in BFHE 177, 317, BStBl II 1995, 686, im Grundsätzlichen dar; allein auf eine solche kann die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO gestützt werden (Senatsbeschluss vom 16. April 2002 X B 140/01, BFH/NV 2002, 1046).
2. Auch die Zulassung der Revision wegen Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) kommt nicht in Betracht.
a) Bezüglich der Anforderungen an die schlüssige Darlegung dieses Zulassungsgrundes gelten die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) entwickelten Grundsätze sinngemäß (vgl. auch Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 38). Danach muss der Beschwerdeführer zur gebotenen Darlegung der Klärungsbedürftigkeit der von ihm herausgestellten (abstrakten) Rechtsfrage substantiiert ausführen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage zweifelhaft und streitig ist (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 3. April 2000 VIII B 99/99, BFH/NV 2000, 985; Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 32, m.w.N.).
b) Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung der Kläger nicht. Sie haben es unterlassen, in ihrer Beschwerdebegründung eine (abstrakte) Rechtsfrage herauszuarbeiten und sich mit der dazu vorhandenen Rechtsprechung und Literatur auseinanderzusetzen. Mit dem bloßen Hinweis, steuerliche Maßnahmen auf der Grundlage von Besatzungsrecht seien in der Vergangenheit noch nicht höchstrichterlich an Art. 19 Satz 2 EinigVtr gemessen worden und das Gleiche gelte für Steuerverwaltungsakte aus der Zeit unmittelbar nach der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 wird die grundsätzliche Bedeutung der Angelegenheit nicht schlüssig dargetan.
3. Im Kern erschöpfen sich die Ausführungen der Kläger --nach Art einer Revisionsbegründung-- in kritischen Äußerungen darüber, dass und warum das FG den Streitfall in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht unzutreffend gewürdigt habe. Die Rüge solcher Fehler rechtfertigt indessen grundsätzlich die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO nicht (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 55, m.w.N.).
Fundstellen
Haufe-Index 2029697 |
BFH/NV 2008, 1656 |