Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung wegen Untätigkeit
Leitsatz (NV)
Das Unterlassen von prozeßleitenden Maßnahmen kann nur dann die Besorgnis der Befangenheit begründen, wenn es zu einer eindeutig unvertretbaren und vorwerfbaren Verfahrensverzögerung führt oder eine völlige Untätigkeit des abgelehnten Richters vorliegt. Aus dem Umstand, daß ein Einzelrichter der an eine Prozeßpartei gerichteten Aufforderung zur Vorlage von bestimmten Unterlagen nicht durch weitere Maßnahmen Nachdruck verleiht, kann für sich allein nicht auf eine Benachteiligungsabsicht oder sonstige Haltung geschlossen werden, die Zweifel an der Unparteilichkeit aufwirft.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1; ZPO § 42
Tatbestand
Die Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) sind Eheleute, die beim Finanzgericht (FG) mehrere Klagen wegen der Erteilung von Abrechnungsbescheiden und der Erstattung von Steuern erhoben hatten.
In der mündlichen Verhandlung stellte der Kläger gegen den als Einzelrichter tätigen Richter am Finanzgericht (RiFG) M einen Befangenheitsantrag, den er u. a. damit begründete, daß M es ohne jede Rüge zugelassen habe, daß der Vertreter des Beklagten, Antragsgegners und Beschwerdegegners (das Finanzamt -- FA --) sich nachhaltig weigere, die Kontoauszüge mit den Buchungen für die Besteuerungszeiträume 1983 bis 1988 offenzulegen, obwohl das FG das FA schriftlich hierzu aufgefordert habe. Außerdem habe das FG es zugelassen, daß das FA erst am 9. Oktober 1995 einen Aktenvermerk über die genannten Buchungsvorgänge vorgelegt habe.
Das FG wies die Klagen und das Richterablehnungsgesuch durch den RiFG M als Einzelrichter ab. In der Urteilsbegründung wurde ausgeführt, das Ablehnungsgesuch sei offensichtlich unzulässig, weil mit ihm nicht das Verhalten des abgelehnten Richters, sondern die Untätigkeit des FA gerügt werde. Im übrigen habe das FG den Kläger darauf hingewiesen, daß aus dem Verhalten des FA nachteilige Schlüsse gezogen werden könnten.
Mit ihrer gegen die Zurückweisung des Befangenheitsantrages gerichteten Beschwerde begehren die Kläger unter Aufhebung der Vorentscheidung festzustellen, daß das Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit des RiFG M begründet gewesen sei. Sie machen geltend, das Ablehnungs gesuch hätte nicht als unzulässig zurückgewiesen werden dürfen, weil der Kläger den seiner Ansicht nach bestehenden Ablehnungsgrund substantiiert dargelegt habe. Auch habe das FG es verabsäumt, nach § 139 der Zivilprozeßordnung (ZPO) i. V. m. § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) einen richterlichen Hinweis auf die Möglichkeit einer dienstlichen Äußerung des Richters nach § 44 Abs. 2 ZPO als Mittel zur Glaubhaftmachung zu geben. Darüber hinaus sei sehr wohl das Verhalten des abgelehnten Richters gerügt worden, da dieser ein nicht zu akzeptierendes Prozeßverhalten des FA geduldet habe. Da das Ablehnungsgesuch somit zulässig gewesen sei, hätte der Einzelrichter die ablehnende Entscheidung nicht selbst treffen dürfen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde der Kläger hat keinen Erfolg.
Es kann dahingestellt bleiben, ob das von den Klägern eingelegte Rechtsmittel überhaupt statthaft ist (vgl. hierzu Beschlüsse des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 7. September 1995 III B 158/93, BFH/NV 1996, 229 einerseits und vom 23. November 1994 X B 170/93, BFH/NV 1995, 793 andererseits) und ob sonstige Gründe vorliegen, die einer Zulässigkeit der Beschwerde entgegenstehen könnten (z. B. Einhaltung der Beschwerdefrist, § 129 Abs. 1 FGO). Jedenfalls ist die Beschwerde unbegründet.
1. Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. § 42 FGO findet die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Dabei kommt es nach ständiger Rechtsprechung darauf an, ob der betroffene Beteiligte von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger objektiver Betrachtung Anlaß hat, die Voreingenommenheit des abgelehnten Richters zu befürchten (BFH-Beschluß vom 27. September 1994 VIII B 64--76/94, BFH/NV 1995, 526). Gemäß § 44 Abs. 2 ZPO sind die das Mißtrauen in die Unparteilichkeit rechtfertigenden Umstände im Ablehnungsgesuch substantiiert darzulegen und glaubhaft zu machen.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das FG den Befangenheitsantrag des Klägers zu Unrecht als nicht zulässig erachtet. Insbesondere vermag sich der Senat der Würdigung der Vorinstanz nicht anzuschließen, der Kläger habe mit seinem Vorbringen nicht das Verhalten des abgelehnten Richters, sondern die Untätigkeit des FA gerügt. Ausdrücklich beanstandet der Kläger in der Begründung seines Ablehnungsgesuchs, daß der Berichterstatter seiner schriftlichen Aufforderung an das FA zur Vorlage der Kontoauszüge nicht durch prozeßleitende Maßnahmen (Rügen) Nachdruck verliehen und die Nichtvorlage der Unterlagen untätig hingenommen habe. Das Vorbringen des Klägers läßt es zumindest schlüssig erscheinen, es habe infolge der seiner Ansicht nach unsachgemäßen Verfahrensleitung des abgelehnten Richters Anlaß gehabt, an dessen Unvoreingenommenheit zu zweifeln. Da auch ein offensichtlicher Mißbrauch des Ablehnungsrechtes nicht ersichtlich ist (vgl. hierzu Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 51 FGO Tz. 10), hätte das FG den Befangenheitsantrag nicht als unzulässig zurückweisen dürfen.
2. Da die höchstrichterliche Rechtsprechung eine Mitwirkung des abgelehnten Richters bei der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch nur in den Ausnahmefällen der offensichtlichen Unzulässigkeit zuläßt (vgl. BFH-Beschluß vom 2. Juli 1976 III R 24/74, BFHE 119, 227, BStBl II 1976, 627, und Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 51 Anm. 55, m. w. N. aus der Rechtsprechung der Obersten Gerichtshöfe des Bundes) und eine solche im Streitfall nicht vorliegt, hätte der abgelehnte RiFG M über das Ablehnungsgesuch auch nicht selbst entscheiden dürfen. Der Umstand, daß das FG bei der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch nicht ordnungsgemäß besetzt war, kann der Beschwerde der Kläger jedoch nicht zum Erfolg verhelfen, weil der geltend gemachte Ablehnungsgrund nicht vorliegt und die Beschwerde daher jedenfalls unbegründet ist.
Als Beschwerdegericht ist der BFH -- trotz Mitwirkung eines kraft Gesetzes ausgeschlossenen Richters in der Vorinstanz -- nicht daran gehindert, hinsichtlich des Ablehnungsgesuchs in der Sache selbst zu entscheiden (vgl. Gräber/Koch, a. a. O., § 51 Anm. 67, m. w. N.).
Ein Ablehnungsgrund ist deshalb nicht ersichtlich, weil sich das prozessuale Vor gehen des abgelehnten Richters im Rahmen einer zulässigen Prozeßführung hält und nicht geeignet ist, in den Augen eines idealen Prozeßbeobachters den Eindruck einer sachwidrigen, auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung der Kläger entstehen zu lassen. In Rechtsprechung und Literatur wird das Unterlassen von prozeßleitenden Maßnahmen nur dann als Ablehnungsgrund anerkannt, wenn eine eindeutige unvertretbare und vorwerfbare Verfahrensverzögerung oder eine völlige Untätigkeit vorliegt (vgl. Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 54. Aufl., § 42 Rdnr. 52, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung). Eine völlige Untätigkeit des FG liegt im Streitfall schon deshalb nicht vor, weil das FA schriftlich zur Vorlage der Kontoauszüge aufgefordert und auf die nachteiligen Folgen im Falle einer Nichtbeachtung der richterlichen Anordnung hingewiesen worden ist. Auch aus dem Umstand, daß der RiFG M keine weiteren Maßnahmen zur Erlangung der angeforderten Unterlagen getroffen hat, kann -- für sich allein -- nicht auf eine Benachteiligungsabsicht oder sonstige Haltung geschlossen werden, die Zweifel an der Unparteilichkeit aufwirft.
Fundstellen
Haufe-Index 421837 |
BFH/NV 1997, 357 |