Entscheidungsstichwort (Thema)
Büroversehen als Wiedereinsetzungsgrund
Leitsatz (NV)
Der auf einem mit Büroklammern der Mandantenakte angehefteten Zettel angebrachte Hinweis auf die Dauer der Revisionsfrist entspricht nicht den Grundsätzen ordnungsmäßigen Fristenkontrolle.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1
Tatbestand
Die Revision wurde durch Beschluß des Senats vom 24. April 1991 zugelassen. Der Beschluß wurde am 17. Mai 1991 zugestellt. Die Revisionsfrist lief am 17. Juni 1991 ab. Mit Schriftsatz vom 21. Juni 1991, der am 24. Juni 1991 bei Gericht einging, legte der Kläger Revision ein.
Wegen der Versäumung der Revisionsfrist macht der Prozeßbevollmächtigte des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) ein Büroversehen geltend: Am Tage der Zustellung der Revisionszulassung, dem 17. Mai 1991, sei ein Postbote in der Kanzlei erschienen und habe den zuzustellenden Beschluß übergeben. Seine Frau, die Bürovorsteherin in seiner Kanzlei sei, habe ihm persönlich den Umschlag - zusammen mit der dazugehörigen Akte des Klägers - überreicht. Nachdem er den Inhalt des Beschlusses zur Kenntnis genommen und den Kläger vorab telefonisch hierüber unterrichtet habe, habe er seiner Frau die Akte zurückgegeben. Auf den Aktendeckel habe er mit zwei Büroklammern den blauen Umschlag, auf dem das Zustellungsdatum vermerkt gewesen sei, und einen Zettel mit dem Hinweis: ,,Revisionsfrist: 1 Monat" festgeheftet. Als Wiedervorlagedatum habe er seiner Erinnerung nach den 7. Juni verfügt. Ferner sei ein Diktatband auf die obere Kante des Aktendeckels geklemmt gewesen, das je ein Schreiben an den Beklagten und Revisionsbeklagten (das Finanzamt - FA -) und das Stadtsteueramt mit Anträgen auf Aufhebung der Vollziehung enthalten habe. Hieran könne sich seine Frau ganz genau erinnern. Es seien noch kurz einige Bemerkungen zu dem Teilerfolg gewechselt worden, an deren Ende er, der Prozeßbevollmächtigte, auch mündlich noch einmal auf die ab Zustellung laufende Revisionseinlegungsfrist hingewiesen habe.
Aus Gründen, die seine Frau heute nicht mehr nachvollziehen könne, sei es weder hinsichtlich der Wiedervorlagefrist noch bezüglich der Revisionseinlegungsfrist zu irgendeiner Eintragung im Fristenkalender gekommen. Er selbst habe die Akte nicht mehr vorgelegt bekommen.
Erst am 20. Juni 1991, also drei Tage nach Ablauf der Revisionseinlegungsfrist, sei ihm auf seine Frage, ausgelöst durch das vage Empfinden, der Fristablauf müsse demnächst bevorstehen,die Akte von seiner Frau vorgelegt worden. Die Akte sei in der Hängeregistratur einsortiert gewesen. Der Zustellungsumschlag habe sich in der hinteren Aktentasche befunden; der Zettel mit der Fristverfügung sei nicht mehr vorhanden gewesen.
Nunmehr habe sich herausgestellt, daß entgegen der Verfügung weder Revisionseinlegungsfrist noch Vorfrist im Fristenkalender vermerkt gewesen seien.
Seine Frau, die als Beamtin des Mittleren Dienstes der Justizverwaltung ausgebildet sei, sei von Beginn seiner Anwaltstätigkeit an seit nunmehr ca. 10 Jahren als Bürovorsteherin tätig. Ihr habe stets die Führung des Fristenkalenders und - nach anfänglicher Begleitung - die selbständige Eintragung und Überwachung der genauen Fristen oblegen.
Noch niemals sei seiner Frau im Rahmen der Fristenüberwachung ein Versehen unterlaufen. Sämtliche Fristsachen seien ihm stets pünktlich zu den notierten Vorfristen zur Bearbeitung vorgelegt worden und hätten ebenso pünktlich das Büro verlassen. Noch nie habe er, weder außergerichtlich noch gerichtlich, wegen einer von seinem Büro verursachten Fristüberschreitung einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellen müssen.
Zur Glaubhaftmachung des Vorstehenden hat der Prozeßbevollmächtigte je eine eidesstattliche Versicherung seiner Ehefrau und seiner selbst sowie beglaubigte Ablichtungen aus dem Fristenkalender der Tage 7. Juni und 17. Juni 1991 und mit Schriftsatz vom 2. Oktober 1991 auch Ablichtungen der übrigen Tage vom 17. Mai bis 18. Juni 1991 vorgelegt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig; sie ist nicht gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision eingelegt worden.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 Abs. 1 FGO kann nicht gewährt werden. Der Prozeßbevollmächtigte, dessen Verschulden dem Kläger zuzurechnen ist (§ 155 FGO i. V. m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung), war nicht ohne Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten.
Ein Prozeßbevollmächtigter muß seinen Bürobetrieb so organisieren, daß Fristsachen als solche erkannt, die Fristen ordnungsgemäß berechnet und notiert werden, die Aktenstücke ggf. zeitgerecht wieder vorgelegt werden und der fristwahrende Schriftsatz dem Adressaten rechtzeitig zugeleitet wird.
Die Berechnung einfacher und in dem Büro geläufiger Fristen kann einem gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Angestellten durch ordnungsgemäße Weisung übertragen werden. Der Prozeßbevollmächtigte muß aber durch geeignete Anordnungen dafür sorgen, daß er selbst die Fristberechnung in ungewöhnlichen oder zweifelhaften Fällen kontrolliert (vgl. zum vorstehenden Beschluß die Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 1. März 1989 X R 198/87, BFH/NV 1989, 711).
Im Streitfall sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Die Übertragung der Fristberechnung mittels eines der Akte durch Büroklammern angehefteten Zettels entspricht nicht den Grundsätzen ordnungsmäßiger Betriebsorganisation (vgl. Beschluß des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 4. Oktober 1988 VI ZB 12/88, Versicherungsrecht - VersR - 1989, 104). Wie der Streitfall zeigt, besteht die Gefahr, daß sich solche Zettel von der Akte lösen und verlorengehen und die entsprechenden Weisungen nicht ausgeführt werden. Ebensowenig genügt der am Ende eines Gespräches eher beiläufig ausgesprochene Hinweis auf die ab Zustellung laufende Revisionsfrist (vgl. BGH-Beschluß vom 30. März 1983 VIII ZB 11/83, VersR 1983, 660).
Im Streitfall kommt hinzu, daß der Prozeßbevollmächtigte die Fristberechnung und -notierung hätte kontrollieren müssen. Dem Sachvortrag des Klägers ist nicht zu entnehmen, daß die Berechnung und Einhaltung von Revisionsfristen zu den üblichen Geschäften der Bürovorsteherin des Prozeßbevollmächtigten gehörte. Der Inhalt des auszugsweise vorgelegten Terminkalenders spricht eher für das Gegenteil.
Fundstellen
Haufe-Index 418226 |
BFH/NV 1992, 533 |