Leitsatz (amtlich)
Die Bezugnahme eines Prozeßbevollmächtigten auf ein von einer nicht vor dem BFH postulationsbefugten Person gefertigtes Rechtsgutachten entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen einer Revisionsbegründung, und zwar selbst dann nicht, wenn der postulationsbefugte Prozeßbevollmächtigte sie sich ausdrücklich zu eigen macht.
Normenkette
FGO § 120
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) ordnete am 27. Februar 1980 gegen acht verschiedene Ersterwerbergemeinschaften "zHd X GmbH & Co. KG" Außenprüfungen an.
Gegen die Prüfungsanordnungen legte die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) am 3. März 1980 im eigenen Namen Beschwerden ein. Am 26. November 1982 wies die Oberfinanzdirektion (OFD) die Beschwerden als unzulässig zurück. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.
Hiergegen richtet sich die Revision.
Zur Begründung verweist die Klägerin "auf die in Ablichtung beigefügte gutachtliche Stellungnahme - und zwar auf die Ausführungen unter I. und II. - von Prof. Dr. jur. ... vom ...".
Die Klägerin beantragt, die Prüfungsanordnungen vom 27. Februar 1980 sowie die Beschwerdeentscheidungen der OFD vom 26. November 1982 und das Urteil des FG vom 25. August 1983 ersatzlos aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Revision ist nicht zulässig. Denn sie ist nicht in der gemäß § 120 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFH-EntlG) erforderlichen Weise begründet worden. Die ordnungsgemäße Begründung der Revision gehört zu deren Zulässigkeitsvoraussetzungen. Der in § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO verwendete Ausdruck "zu begründen" bedarf der Auslegung aus dem Zusammenhang, in dem er gebraucht wird.
Der Gesetzgeber hat den Zwang, die Revision zu begründen, aus verschiedenen Gesichtspunkten eingeführt.
Das Revisionsgericht soll im Interesse seiner Entlastung das angefochtene Urteil nicht von Amts wegen auf alle denkbaren Fehler hin überprüfen müssen (vgl. dazu Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 20. Aufl., 1977, § 554 Rdnr. 1).
Das Erfordernis, die Revision zu begründen, dient außerdem u. a. dazu, den Revisionskläger zu zwingen, sein Vorbringen und seine Rechtsansicht insbesondere im Hinblick auf die abweichenden Auffassungen, die ihm durch die angefochtene Entscheidung bekanntgeworden sind, zu prüfen und dem Revisionsgericht so zu unterbreiten, daß die Revisionsinstanz sich darüber unterrichten kann, wie der Revisionskläger den Streitfall beurteilt wissen will, ohne daß über Inhalt, Umfang und Zweck des Revisionsangriffs Zweifel entstehen (vgl. dazu auch §§ 554, 519 der Zivilprozeßordnung - ZPO -; Urteil des Reichsgerichts - RG - vom 27. Mai 1927 III 390/26, RGZ 117, 168; RG-Beschlüsse vom 6. November 1928 VII 514/28, RGZ 123, 38; vom 15. Januar 1935 III B 2/35, RGZ 146, 250, und vom 15. Mai 1936 GSZ 2/36 - V 62/35, RGZ 151, 82; Beschluß des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 21. Mai 1954 IV ZB 28/54, Lindenmaier/Möhring (LM), Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, ZPO, § 519 Nr. 16 = Juristische Rundschau - JR - 1954, 463; BGH-Urteile vom 14. November 1955 III ZR 116/54, LM, a. a. O., ZPO, § 519 Nr. 24; vom 11. Juli 1957 VII ZB 13/57, Versicherungsrecht - VersR - 1957, 642; BGH-Beschluß vom 22. April 1959 IV ZR 42/59, LM, a. a. O., ZPO, § 554 Nr. 22; BGH-Urteil vom 11. Juli 1974 IX ZR 24/73, LM, a. a. O., ZPO, § 554 Nr. 37 = Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht - RzW - 1974, 314 = Monatsschrift für Deutsches Recht - MDR - 1974, 1015; BGH-Beschluß vom 18. Februar 1981 IVb ZB 505/81, LM, a. a. O., ZPO, § 519 Nr. 73 = Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1981, 1620 = MDR 1981, 656).
Entscheidungsgründe
Der Revisionskläger muß zu jedem einzelnen Streitpunkt mit selbständigem Streitstoff eine Begründung geben, die über Inhalt, Umfang und Zweck des Revisionsangriffs keinen Zweifel läßt (RG-Urteil in RGZ 117, 168, 170, und BGH-Beschluß in LM, a. a. O., ZPO, § 554 Nr. 22; vgl. zur Revisionsbegründung im finanzgerichtlichen Verfahren Gräber, Finanzgerichtsordnung, München 1977, § 120 Rz. 11 unter D; anderer Ansicht Hermstädt, Die Mindestanforderungen an die Begründung einer Revision, Betriebs-Berater - BB - 1977, 885).
Der Revisionskläger muß dartun, welche Ausführungen der Vorinstanz aus welchen Gründen unrichtig sein sollen, welche Punkte des angefochtenen Urteils für änderungsbedürftig angesehen werden und aus welchen Gründen im einzelnen die Änderung für geboten erachtet wird.
Der Vertretungszwang schließlich bezweckt u. a. , daß ein sachkundiger Prozeßbevollmächtigter selbständig und persönlich (vgl. dazu auch Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags, 190. Sitzung - Dienstag, 23. Mai 1905 - betreffend ZPO-Novelle von 1905, dort Abgeordneter Dr. Spahn, S. 6090) diese verschiedenen Erfordernisse bei der Revisionsbegründung im Interesse des rechtsuchenden Bürgers sachgerecht vorbringt und daß durch den sachgerechten Vortrag eines sachkundigen Prozeßbevollmächtigten das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, sich schnell und einfach über den Streitstoff zu unterrichten; dadurch soll u. a. auch ein Entlastungseffekt im Interesse einer Beschleunigung der Rechtsprechung erreicht werden.
Gegenüber der strengen Rechtsprechung, daß eine Bezugnahme auf andere Schriftstücke nicht zulässig ist (ständige Rechtsprechung des RG, an der vom BGH festgehalten worden ist, vgl. RG-Beschluß vom 20. August 1940 VII B 12/40, RGZ 164, 390; BGH-Beschluß vom 22. September 1952 IV ZB 69/52, BGHZ 7, 170), ist "in letzter Zeit eine Abschwächung" eingetreten (vgl. Grunsky in Stein/Jonas, a. a. O., § 519 Rdnr. 29). Die Abschwächung der formellen Sicht hat sich dahin ausgewirkt, daß Bezugnahmen für zulässig erachtet werden, wenn Parallelprozesse geführt werden oder wenn auf den Inhalt eines Armenrechtsgesuchs Bezug genommen wird, sofern das Armenrechtsgesuch die Anforderungen einer Berufungsbegründungsschrift erfüllt, wobei allerdings die Bezugnahme wiederum nicht ausreicht, wenn das Gesuch von der Partei, vom erstinstanzlichen Anwalt oder von einem nicht beim Berufungsgericht zugelassenen Anwalt verfaßt ist. Die Revisionsbegründung muß - wie sich daraus ergibt - in jedem Fall von dem Prozeßbevollmächtigten selbst stammen. Eine Bezugnahme auf ein fremdes Schriftstück reicht daher nicht aus, selbst wenn das in Bezug genommene Schriftstück ein Rechtsgutachten ist und für sich genommen den Anforderungen von § 120 FGO - hier i. V. m. Art. 1 Nr. 1 BFH-EntlG - genügen würde. Denn die Bezugnahme auf das schriftliche Gutachten eines privaten Sachverständigen kann die eigene verantwortliche Stellungnahme des postulationsbefugten Prozeßbevollmächtigten zur Würdigung des Streitstoffes in dem angefochtenen finanzgerichtlichen Urteil in der Revisionsinstanz nicht ersetzen (§ 120 Abs. 1 und 2 FGO); die Einreichung einer fremden Begründung ist unzureichend, selbst wenn der Prozeßbevollmächtigte sie sich zu eigen macht (vgl. dazu Beschluß in RGZ 164, 390; Beschluß in BGHZ 7, 170, sowie BGH-Urteile in VersR 1957, 642, und vom 13. Februar 1963 IV ZR 259/62, VersR 1963, 565). Verweist der postulationsbefugte Prozeßbevollmächtigte auf ein Gutachten, kommt er nicht seiner Verpflichtung nach, die Revisionsinstanz in der oben beschriebenen Weise in die Lage zu versetzen, sich möglichst schnell, sicher und umfassend über die Streitsache zu unterrichten.
Da der postulationsbefugte Prozeßbevollmächtigte sich im vorliegenden Fall in seinem Revisionsbegründungsschriftsatz damit begnügt hat, auf die Ausführungen unter I. und II. der von ihm vorgelegten gutachtlichen Stellungnahme zu verweisen, ist die Revision demzufolge nicht in der nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO erforderlichen Weise begründet worden.
Fundstellen
Haufe-Index 426021 |
BStBl II 1985, 470 |
BFHE 1985, 196 |