Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache

 

Leitsatz (NV)

1. Eine Rechtsfrage hat grundsätzliche Bedeutung, wenn ihre Beantwortung durch den BFH aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Es muß sich um eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage handeln.

2. Die Rechtsfrage, ob eine gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung nach Ablauf der für sie geltenden Feststellungsfrist nicht mehr durchgeführt werden kann, wenn für einen oder mehrere Feststellungsbeteiligte(n) die Festsetzungsfrist(en) für die Folgesteuern bereits abgelaufen ist (sind), hat grundsätzliche Bedeutung.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 3; AO 1977 § 181 Abs. 5

 

Gründe

Die Beschwerde ist insoweit zulässig und begründet, als sie das Streitjahr 1977 betrifft. Sie hat dagegen keinen Erfolg, soweit sie sich auf das Streitjahr 1976 bezieht.

1. a) Eine Rechtsfrage hat grundsätzliche Bedeutung, wenn ihre Beantwortung durch den Bundesfinanzhof (BFH) aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt (vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 27. Juni 1985 I B 27/85, BFHE 144, 137, BStBl II 1985, 625). Es muß sich um eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage handeln (Herrmann, Die Zulassung der Revision und die Nichtzulassungsbeschwerde im Steuerprozeß, Rdnr. 141 ff.).

b) Die grundsätzliche Bedeutung muß schlüssig dargelegt werden. Hat der BFH die vom Beschwerdeführer für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Rechtsfrage schon früher entschieden, so muß der Beschwerdeführer begründen, warum er gleichwohl eine erneute Entscheidung des BFH zu der betreffenden Frage im Interesse der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung für erforderlich hält (vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479). Hierzu muß er substantiiert darlegen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die bereits höchstrichterlich beantwortete Frage umstritten ist, insbesondere welche gewichtigen, vom BFH bislang nicht geprüften Einwände in der Literatur und/oder in der Rechtsprechung der Instanzgerichte gegen die höchstrichterliche Auffassung erhoben werden (vgl. BFH-Beschluß vom 23. Januar 1992 II B 64/91, BFH/NV 1992, 676, m. w. N.; ständige Rechtsprechung).

2. Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung des Beklagten und Beschwerdeführers (das Finanzamt -- FA --), soweit sie das Streitjahr 1977 betrifft.

a) Das FA hat darauf hingewiesen, daß das vom Finanzgericht (FG) zur Stützung seiner Ansicht, eine gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung könne nach Ablauf der für sie geltenden Feststellungsfrist nicht mehr durchgeführt werden, wenn für eine oder mehrere Feststellungsbeteiligte die Festsetzungsfrist(en) für die Folgesteuern bereits abgelaufen ist (sind), herangezogene BFH-Urteil vom 10. Dezember 1992 IV R 118/90 (BFHE 170, 336, BStBl II 1994, 381) von mehreren Seiten Kritik erfahren habe. So sei dieses Urteil von der Finanzverwaltung mit einem Nichtanwendungserlaß belegt worden (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen -- BMF -- vom 24. Mai 1994, BStBl I 1994, 302). Ebenso wie in diesem Erlaß seien auch vom Niedersächsischen FG (Urteil vom 5. Juni 1996 II 390/95, Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1996, 1144) gewichtige Einwände gegen die von der Vorinstanz und vom BFH in BFHE 170, 336, BStBl II 1994, 381 vertretene Rechtsauffassung erhoben worden.

Mit diesen Ausführungen hat das FA die grundsätzliche Bedeutung der von ihm herausgestellten Rechtsfrage, insbesondere deren Klärungsbedürftigkeit, hinreichend dargelegt. Selbst wenn eine Rechtsfrage bereits höchstrichterlich beantwortet wurde, besteht weiterer Klärungsbedarf, wenn einzelne Finanzgerichte dieser Rechtsprechung nicht gefolgt sind und/oder die Finanzverwaltung nicht nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung verfährt (vgl. z. B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §115 Rdnr. 9, m. w. N. aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung).

b) Die grundsätzliche Bedeutung der vom FA aufgeworfenen Rechtsfrage ist nicht nur deshalb zu bejahen, weil die von der Finanzverwaltung und einem Teil der Finanzgerichte gegen die im Urteil in BFHE 170, 336, BStBl II 1994, 381 erhobenen Einwände nicht von vornherein (als abseitig) von der Hand zu weisen sind. Auch in der Literatur werden gegen die im zitierten Urteil des BFH und in der angefochtenen Vorentscheidung vertretene Auffassung Bedenken erhoben (vgl. z. B. M. Baum in Koch/Scholtz, Abgabenordnung, 5. Aufl., §181 Rdnr. 11; Kühn/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 17. Aufl., §181 AO 1977 Anm. 4). Mit dieser Kritik hat sich der BFH bislang noch nicht auseinandergesetzt.

c) Ist deshalb die Revision in bezug auf das Streitjahr 1977 bereits wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, kommt es nicht mehr darauf an, ob die Revision auch wegen nachträglicher Divergenz der Vorentscheidung zu dem erst nach Ablauf der Beschwerdefrist erlassenen BFH-Urteil vom 27. August 1997 XI R 72/96 (BFHE 183, 376, BStBl II 1997, 750) zuzulassen wäre. Zweifel an der für eine Abweichung i. S. von §115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gebotenen Identität der Rechtsfrage könnten sich daraus ergeben, daß im letztgenannten Urteil (vgl. auch schon BFH-Urteil vom 8. Juni 1995 V R 20/94, BFHE 178, 297, BStBl II 1995, 822) anders als im hier vorliegenden Streitfall und in dem der BFH-Entscheidung in BFHE 170, 336, BStBl II 1994, 381 zugrundeliegenden Sachverhalt Probleme des formellen Bilanzenzusammenhangs keine Rolle spielen.

3. Die Beschwerde hat indessen keinen Erfolg, soweit sie sich auf das Streitjahr 1976 bezieht. Denn insoweit fehlt es an der Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) der vom FA aufgeworfenen Rechtsfrage, die allein die Auslegung der Vorschriften über die Feststellungs- und Festsetzungsverjährung (insbesondere §181 Abs. 5 der Abgabenordnung -- AO 1977 --) nach dem Recht der AO 1977 betrifft und deren Beantwortung deshalb für die Lösung des Streitfalles, soweit dieser die Gewinnfeststellung 1976 betrifft, nichts hergibt. In bezug auf das Streitjahr 1976 gelten nämlich -- was das FA und ebenso das FG offenbar übersehen haben -- gemäß Art. 97 §10 Abs. 1 und 2 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EG AO 1977) noch die Verjährungsbestimmungen der Reichsabgabenordnung (AO).

Eine Feststellungsverjährung war dem Recht der AO unbekannt. Nach ständiger, gefestigter Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) und des BFH war unter Geltung der AO eine gesonderte (und einheitliche) Feststellung nur dann nicht (mehr) zulässig, wenn hinsichtlich sämtlicher Folgesteuern bei allen Feststellungsbeteiligten die Verjährung eingetreten war (vgl. z. B. RFH-Urteil vom 20. Oktober 1937 VI 341/37, RStBl 1937, 1209; Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung, 7. Aufl., §143 Tz. 2, m. w. N. aus der Rechtsprechung; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Reichsabgabenordnung, 6. Aufl., §143 Rdnr. 2, m. w. N.).

Mit dieser Rechtsprechung zum alten Recht steht die Vorentscheidung nicht in Einklang. Dennoch vermag dies für sich allein die Zulassung der Revision nicht zu rechtfertigen (vgl. z. B. Gräber/Ruban, a.a.O., §115 Rdnr. 62, m. w. N.). Das FA hätte dazu eine Abweichung der Vorentscheidung zu der einschlägigen BFH-Rechtsprechung zum alten Recht rügen müssen, woran es fehlt.

4. Von einer weiteren Begründung wird gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs abgesehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 67481

BFH/NV 1998, 1066

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