Entscheidungsstichwort (Thema)
Rüge nicht vorschriftsmäßiger Besetzung des Gerichts; Anforderungen an Nichtzulassungsbeschwerde; Aussetzung des Verfahrens
Leitsatz (NV)
1. Es läßt sich aus keiner Vorschrift des geltenden Rechts herleiten, daß der Berichterstatter von vornherein bestimmt sein muß.
2. Für die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache muß eine Rechtsfrage eindeutig herausgearbeitet und bezeichnet werden, deren Klärung im Interesse der Allgemeinheit liegt.
Zur Bezeichnung einer Divergenz muß dargetan werden, daß das FG seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der mit einem abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung des BFH nicht übereinstimmt.
4. Ein Verfahren darf nur dann in direkter oder entsprechender Anwendung des § 74 FGO ausgesetzt werden, wenn es zu einer Sachprüfung führen kann.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2, § 74; GVG § 21g Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) haben gegen den Einkommensteuerbescheid 1989 Einspruch eingelegt. Zur Begründung verweisen sie auf verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Höhe des Grund- und des Kinderfreibetrags sowie die beschränkte Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) teilte den Klägern mit Schreiben vom 3. Mai 1991 mit, daß der Einspruch bzw. das Verfahren bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ruhe.
Hiergegen legten die Kläger am 16. Mai 1991 wegen "Einkommensteuer-/Lohnsteuer-Jahresausgleichsbescheid 1989 -- Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer klagefähigen Entscheidung" Beschwerde ein.
Die Oberfinanzdirektion (OFD) hat die Beschwerde "in der Einkommensteuer-/Lohnsteuer-Jahresausgleichs-Sache" am 30. September 1991 zurückgewiesen.
Nach § 349 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) sei eine Untätigkeitsbeschwerde nicht statthaft. Die Zulässigkeit der Beschwerde könne jedoch dahinstehen, da sie jedenfalls unbegründet sei. Soweit die Mitteilung des FA, der Erlaß einer Einspruchsentscheidung sei derzeit nicht möglich, überhaupt einen Regelungsgehalt aufweise, könne sie allenfalls als eine Aussetzungsentscheidung analog § 363 Abs. 1 AO 1977 verstanden werden. Über den Wortlaut dieser Vorschrift hinaus sei ein Verfahren auch dann auszusetzen, wenn wegen der streitentscheidenden Rechtsfrage ein Verfahren vor dem BVerfG anhängig sei.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die Kläger rügen, die Vorschriften über den gesetzlichen Richter beim Bundesfinanzhof (BFH) seien verletzt.
Entscheidungsgründe
I. Der Senat entscheidet über die Beschwerde durch Beschluß (§ 132 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) außerhalb der mündlichen Verhandlung in der Besetzung von drei Richtern (§ 10 Abs. 3 FGO). Die Besetzung des Spruchkörpers richtet sich gemäß I. 3. b) des senatsinternen Geschäftsverteilungsplans vom 21. Dezember 1993 nach der letzten Zahl des Aktenzeichens. Es läßt sich aus keiner Vorschrift des geltenden Rechts ernsthaft herleiten, daß der Berichterstatter von vornherein bestimmt werden muß (BFH-Urteil vom 2. Dezember 1992 I R 54/91, BFHE 170, 119, BStBl II 1993, 311 unter II. A; Kissel, Gerichtsverfassungsgesetz, § 21 g Rdnr. 14). Der entgegengesetzten Mindermeinung folgt der Senat nicht. Sie verkennt die Befugnisse des Berichterstatters insbesondere im Verfahren vor dem BFH. Seine Funktion besteht ausschließlich darin, Entscheidungen vorzubereiten. Eine selbständige Entscheidungsbefugnis außerhalb des Spruchkörpers -- ähnlich etwa dem Einzelrichter beim FG -- gibt es beim BFH nicht. Den gesetzlichen Vorschriften ist jedenfalls dann genügt, wenn Berichterstatter und Mitberichterstatter wie nach IV. des senatsinternen Geschäftsverteilungsplanes vorgesehen, aus dem Kreis der von vornherein zur Mitwirkung berufenen Mitglieder bestimmt werden.
II. Die Beschwerde ist unzulässig.
1. Die Kläger haben nicht innerhalb der Beschwerdefrist des § 115 Abs. 3 Satz 1 FGO die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO). Sie hätten hierfür eine bestimmte klärungsbedürftige Rechtsfrage von allgemeinem Interesse bezeichnen müssen, über die in einem Revisionsverfahren eine Entscheidung herbeigeführt werden soll. Statt dessen haben die Kläger in diesem Zusammenhang lediglich gerügt, das FG-Urteil und die Beschwerdeentscheidung der OFD seien fehlerhaft.
Die Kläger beanstanden, die Beschwerdeentscheidung lasse nicht erkennen, ob sie eine Einkommensteuer- oder eine Lohnsteuer-Jahresausgleichs-Sache betreffe. Damit wird ein Verstoß gegen § 119 Abs. 1 AO 1977 gerügt, wonach ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein muß.
Das FG hat den Antrag auf isolierte Aufhebung der Beschwerdeentscheidung mit der Begründung zurückgewiesen, der Verfahrensgegenstand und der Regelungsgehalt der Beschwerdeentscheidung ergäben sich eindeutig durch Bezugnahme auf die Mitteilung des FA vom 3. Mai 1991, daß der Erlaß einer Einspruchsentscheidung zur Zeit nicht möglich sei. Es bedeute einen eklatanten Widerspruch zu ihrem eigenen Verhalten, wenn die Kläger rügten, die Beschwerdeentscheidung sei inhaltlich unbestimmt, obwohl sie selbst unter dem Betreff "Einkommensteuer-/Lohnsteuer-Jahresausgleichs-Sache des Jahres 1989" den Erlaß einer Einspruchsentscheidung beantragt und unter demselben Betreff Beschwerde eingelegt hätten.
Da das FG seine Entscheidung wesentlich auf die Besonderheiten des zu entscheidenden Sachverhalts gestützt hat, hätten die Kläger um so mehr in der Beschwerdeschrift eine Rechtsfrage eindeutig herausarbeiten und bezeichnen müssen, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt. Der Hinweis darauf, daß der Prozeßbevollmächtigte der Kläger auch andere Steuerpflichtige in Verfahren vertritt, in denen er dieselben Verfahrensfragen aufgeworfen hat, reicht allein nicht aus, um ein Interesse der Allgemeinheit an der Klärung dieser Fragen zu begründen.
Gleiches gilt, soweit die Kläger rügen, die angegriffene Entscheidung sei ermessensfehlerhaft bzw. eine Aussetzung des Verwaltungsverfahrens habe weder nach § 363 Abs. 1 AO 1977 noch nach § 363 Abs. 2 AO 1977 erfolgen dürfen. Damit wird lediglich geltend gemacht, die Vorentscheidung sei fehlerhaft. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache wird damit nicht dargetan.
2. Die Kläger haben eine Divergenz i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO nicht ausreichend bezeichnet (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO).
Sie machen zwar geltend, das FG-Urteil weiche von dem BFH-Urteil vom 18. Juli 1990 I R 12/90 (BFHE 161, 409, BStBl II 1990, 986) ab, da das FG das Verfahren nicht nach § 74 FGO ausgesetzt habe. Zur Darlegung einer Divergenz ist jedoch die Anführung eines abstrakten Rechtssatzes erforderlich, den das FG seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat und der in Widerspruch zu einer Entscheidung des BFH steht. In der Beschwerdebegründung müssen die miteinander unvereinbaren Rechtssätze so genau herausgearbeitet werden, daß die Abweichung erkennbar wird (BFH- Beschluß vom 30. März 1983 I B 9/83, BFHE 138, 152, BStBl II 1983, 479). Dem wird die Beschwerde nicht gerecht.
Im übrigen ist das FG ersichtlich von den Rechtsgrundsätzen des BFH ausgegangen. Es hat ausgeführt, daß es an einer rechtslogischen Vorgreiflichkeit fehle und deshalb das Verfahren nicht ausgesetzt werden könne.
3. Die Kläger haben keinen Verfahrensmangel i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO bezeichnet. Bezeichnet ist ein Verfahrensmangel nur, wenn in der Beschwerdeschrift die Tatsachen, aus denen sich der behauptete Mangel ergeben soll, genau und substantiiert angegeben werden. Die Rüge muß schlüssig erhoben werden, d. h., der als richtig unterstellte Tatsachenvortrag muß für sich gesehen einen Verfahrensmangel ergeben.
a) Soweit die Kläger geltend machen, das FG hätte das Verfahren gemäß § 74 FGO aussetzen müssen, ist ein Verfahrensmangel nicht schlüssig gerügt.
Für die Frage, ob das FG Vorschriften über das Verfahren verletzt hat, ist von dem materiell-rechtlichen Standpunkt des FG auszugehen (BFH-Urteil vom 7. Juli 1976 I R 218/74, BFHE 119, 274, BStBl II 1976, 621). Nach der Beurteilung des FG war der Hilfsantrag der Kläger, das FA zu verpflichten, "in der Einspruchssache eine abschließende Entscheidung zu fällen", bereits deshalb unzulässig, weil mit ihm ein Rechtsschutz begehrt wurde, der über den vom Gesetzgeber in § 46 FGO abgesteckten Rahmen hinausgeht.
Ein Verfahren darf aber nur dann in direkter oder entsprechender Anwendung des § 74 FGO ausgesetzt werden, wenn es zu einer Sachprüfung führen kann. Die Entscheidung, daß ein Antrag unzulässig ist, kann unabhängig vom Ausgang eines anderen, für die materielle Rechtsfrage möglicherweise vorgreiflichen Verfahrens ergehen (vgl. BFH-Urteil vom 20. September 1989 X R 8/86, BFHE 158, 205, 207, BStBl II 1990, 177).
Im übrigen ist mit der nicht näher substantiierten Bezugnahme auf die Ausführungen zur Divergenzrüge der Verfahrensmangel nicht ausreichend dargelegt.
b) Mit der Rüge, das FG sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, behaupten die Kläger einen Mangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO. Mängel im Sinne dieser Vorschrift können jedoch nur mit der zulassungsfreien Revision geltend gemacht werden. Für eine Nichtzulassungsbeschwerde fehlt insoweit das Rechtsschutzbedürfnis.
Fundstellen
Haufe-Index 419775 |
BFH/NV 1995, 120 |