Entscheidungsstichwort (Thema)
Tatbestandsberichtigung bei einem ohne mündliche Verhandlung ergangenen Urteil
Leitsatz (NV)
Die Berichtigung des Tatbestands eines finanzgerichtlichen Urteils, das ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren ergangen ist, kann nicht verlangt werden.
Normenkette
FGO § 90 Abs. 2, § 108
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten haben im finanzgerichtlichen Verfahren auf mündliche Verhandlung verzichtet. Das Finanzgericht (FG) hat daraufhin über die Klage ohne mündliche Verhandlung entschieden, die angefochtenen Einkommensteuerbescheide 1984 und 1985 sowie die Einspruchsentscheidung aufgehoben und die Kosten des Verfahrens den Klägern und Beschwerdeführern (Beschwerdeführer) auferlegt. Ihren Antrag, den Tatbestand des Urteils zu berichtigen, lehnte das FG mit dem angefochtenen Beschluß mit der Begründung ab, eine Tatbestandsberichtigung sei nicht zulässig, weil die Beschwerdeführer im Klageverfahren auf mündliche Verhandlung verzichtet hätten. Dagegen richtet sich die Beschwerde, mit der die Beschwerdeführer geltend machen, § 314 der Zivilprozeßordnung (ZPO) sei im finanzgerichtlichen Verfahren nicht entsprechend anwendbar. Der Tatbestand des Urteils der Vorinstanz widerspreche dem Akteninhalt. Da der unzutreffende Tatbestand die Entscheidung der Vorinstanz, insbesondere die Kostenfolge, ganz wesentlich trage, müsse ihnen die Möglichkeit der Tatbestandsberichtigung eingeräumt werden, zumal dies Voraussetzung für die beantragte Urteilsergänzung gemäß § 109 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sei. Es sei mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar, wenn das FG seine Entscheidung auf einen Tatbestand stütze, der sich so nicht aus den Akten ergebe und der Steuerpflichtige dies hinnehmen müsse, weil das Urteil nicht revisibel sei.
Gleichzeitig werde gebeten, das FG anzuweisen, nicht nur den Tatbestand, sondern auch das Urteil zu berichtigen, da die Revision nicht für zulässig erklärt wurde; denn mit der Tatbestandsberichtigung werde dem Urteil die Grundlage entzogen.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig. Nach § 108 Abs. 2 Satz 2 FGO ist der Beschluß über den Antrag auf Berichtigung des Tatbestandes eines finanzgerichtlichen Urteils grundsätzlich unanfechtbar. Nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung (zuletzt Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 19. April 1989 II B 178/88, BFH/NV 1990, 575, m.w.N.) ist die Beschwerde jedoch ausnahmsweise dann zulässig, wenn das FG - wie im Streitfall - den Berichtigungsantrag ohne Sachprüfung als unzulässig abgewiesen hat.
2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das FG hat den Berichtigungsantrag zu Recht abgelehnt, weil den Beschwerdeführern das Rechtsschutzbedürfnis für eine Berichtigung des Tatbestandes der Vorentscheidung fehlt. Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit einer Tatbestandsberichtigung nach § 108 FGO (§ 320 ZPO) mit Rücksicht auf die urkundliche Beweiskraft, die der Tatbestand eines Urteils hat, zugelassen. Sie ist nicht Selbstzweck, sondern soll es den Beteiligten ermöglichen, ein Rechtsmittel einzulegen oder eine Urteilsergänzung zu beantragen, ohne durch die Beweiskraft des unrichtigen Tatbestandes eingeschränkt zu sein. Liefert der Urteilstatbestand nicht Beweis für das Vorbringen der Beteiligten, so besteht kein Bedürfnis einer Tatbestandsberichtigung. Deshalb hat es der Bundesgerichtshof abgelehnt, den Tatbestand eines Revisionsurteils zu berichtigen, soweit er keine urkundliche Beweiskraft hat (Beschluß vom 27. Juni 1956 IV ZR 317/55, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1956, 1480; ähnlich Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Mai 1960 III ER 404.60, Deutsches Verwaltungsblatt 1960, 519).
Der Tatbestand eines im schriftlichen Verfahren ergangenen finanzgerichtlichen Urteils liefert keinen Beweis für das schriftsätzliche Vorbringen einschließlich der in den Schriftsätzen gestellten Anträge sowie des sonstigen Akteninhalts (BFH-Urteil vom 1. Dezember 1982 I R 75/82, BFHE 137, 212, BStBl II 1983, 227). Die Beteiligten sind nicht gehindert, im Rechtsmittelverfahren oder im Verfahren auf Urteilsergänzung (§ 109 FGO) geltend zu machen, der Tatbestand des finanzgerichtlichen Urteils sei unzutreffend. Es besteht deshalb auch kein Bedürfnis, ihn zur Vorbereitung der Urteilsergänzung oder eines Revisionsverfahrens zu berichtigen (Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, Zivilprozeßordnung, 49. Aufl., § 320 Anm. 2 B, unter Hinweis auf den Beschluß des Kammergerichts vom 22. November 1965 - 16 U 1081/64, NJW 1966, 601; anderer Ansicht FG des Saarlandes, Beschluß vom 17. Juli 1989 1 K 196/88, Entscheidungen der Finanzgerichte 1989, 590; Tipke / Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 108 FGO Tz. 1; Gräber / von Groll, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 108 Anm. 1; Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 8. Aufl., § 119 Anm. 2; Ziemer / Haarmann / Lohse / Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Tz. 9064/1).
Der Streitfall bietet keinen Anlaß, von diesen Rechtsgrundsätzen abzuweichen. Die Beschwerdeführer gehen davon aus, daß sie die Berichtigung des Tatbestandes zur Vorbereitung ihres Antrages, den Urteilstenor zu ändern, benötigen. Sie wollen im Wege der Urteilsergänzung erreichen, daß das FG statt der Aufhebung der angefochtenen Bescheide die Einkommensteuer für die Streitjahre auf einen bestimmten Betrag festsetzt und die Kostenentscheidung dahin ändert, daß die Kosten des Verfahrens nicht ihnen, sondern dem FA auferlegt werden. Eine solche Abänderung des finanzgerichtlichen Urteils ist nicht statthaft. § 109 Abs. 1 FGO sieht lediglich eine Urteilsergänzung vor, wenn das Gericht einen Antrag oder die Kostenfolge ganz oder zum Teil übergangen hat. Die Vorinstanz hat die Anträge der Beschwerdeführer indes nicht übergangen, sondern über sie lediglich nicht so entschieden, wie die Beschwerdeführer es für zutreffend halten.
Die Tatbestandsberichtigung ist im Streitfall auch nicht zur Vorbereitung eines Revisionsverfahrens erforderlich. Das FG hat die Revision nicht zugelassen; Gründe für eine zulassungsfreie Revision nach § 116 FGO sind nicht ersichtlich. Unter diesen Umständen kann auch nicht davon gesprochen werden, es sei mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar, wenn das FG seine Kostenentscheidung auf einen unzutreffenden Tatbestand stütze.
Fundstellen