Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensmangel bei Rüge des Unterlassens der Beweisaufnahme; Berücksichtigung von Verschulden des Arbeitgebers bei Haftung nach § 42d EStG
Leitsatz (NV)
1. Stützt das Finanzgericht seine Entscheidung auf den von Beteiligten als Beweismittel vorgelegte Protokolle eines Amtsgerichts über die Vernehmung von Zeugen in einem gegen den Steuerpflichtigen geführten Strafverfahren und hat der Steuerpflichtige in der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht ein Unterlassen der Zeugenvernehmung nicht gerügt, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre, liegt kein Verfahrensfehler einer unterlassenen Sachaufklärung oder eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme vor.
2. Die Rechtsfrage, ob im Rahmen der Vorschrift des § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG ein Verschulden des Arbeitgebers im Wege verfassungskonformer Auslegung als (ungeschriebenes) Tatbestandsmerkmal zu berücksichtigen ist, hat keine grundsätzliche Bedeutung. Bei Anwendung des § 42d EStG ist ein Arbeitgeberverschulden im Rahmen der Ermessensausübung zu prüfen.
Normenkette
EStG § 42d Abs. 1 Nr. 1; FGO § 76 Abs. 1, § 81 Abs. 1, § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3, § 116 Abs. 5 S. 1
Verfahrensgang
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Es kann offen bleiben, ob die geltend gemachten Zulassungsgründe in einer den gesetzlichen Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) genügenden Weise dargelegt sind. Denn die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet.
1. Die von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) gerügten Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) einer vom Finanzgericht (FG) unterlassenen Sachverhaltsaufklärung (§ 76 Abs. 1 FGO) sowie --sinngemäß-- eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 81 Abs. 1 FGO) liegen nicht vor. Beide im finanzgerichtlichen Verfahren geltenden Verfahrensgrundsätze betreffen Vorschriften, auf deren Einhaltung ein Beteiligter --ausdrücklich oder durch Unterlassen einer Rüge-- verzichten kann (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung; vgl. auch z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 100 f., m.w.N.); eine unterlassene rechtzeitige Rüge hat den endgültigen Rügeverlust zur Folge (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19. Januar 2005 VII B 61/04, BFH/NV 2005, 921; vom 21. Dezember 2006 VI B 84/06, BFH/NV 2007, 717, und vom 18. Februar 2009 XI B 90-92/08, juris). Das FG hat seiner angefochtenen Entscheidung die von den Beteiligten als Beweismittel vorgelegten Protokolle des Amtsgerichts (AG) zugrunde gelegt, soweit sie die Einvernahme der Prostituierten zum Strafverfahren gegen die Klägerin betrafen; das FG hat darauf verwiesen, dass es von der Einvernahme der Prostituierten habe absehen können, zumal eine solche nicht beantragt gewesen und der entscheidungsrelevante Sachverhalt im Wesentlichen unstreitig sei. Ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung vor dem FG wurden gegen die Richtigkeit und Vollständigkeit des vorgetragenen Sachverhalts keine Einwendungen erhoben; Beweisanträge hat die Klägerin nicht gestellt. Demgegenüber legt die Klägerin mit ihrem Einwand, dass die unterlassene Zeugenvernehmung der Prostituierten nicht habe gerügt werden können, weil eine weitere mündliche Verhandlung nicht stattgefunden habe, nicht schlüssig dar, dass ihr die Rüge des Unterlassens einer Beweisaufnahme nicht möglich gewesen ist. Auch hat sich das FG in seiner Entscheidung ausdrücklich auf die Vernehmungen durch das AG berufen, deren Ergebnisse in den von der Klägerin dem FG vorgelegten Protokollen des Strafverfahrens enthalten sind. Deshalb findet sich in dem angegriffenen Urteil auch keine Grundlage für die Behauptung der Klägerin, dass sich das FG für die Klägerin überraschend an den "Aussagen anlässlich des ersten Zugriffs der Steuerfahndung" orientiert habe und deshalb die Klägerin nicht die Einvernahme der angebotenen Zeuginnen habe beantragen können.
2. Auch soweit die Klägerin dem FG einen "Verstoß gegen Logik und Denkgesetze" zum Vorwurf macht, ist kein Verfahrensmangel ersichtlich. Mit diesem Vorbringen rügt die Klägerin die vom FG vorgenommene Tatsachen- und Beweiswürdigung und damit einen die Zulassung der Revision grundsätzlich nicht rechtfertigenden vermeintlichen materiell-rechtlichen Mangel der Vorentscheidung (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 25. Januar 2000 VI B 384/98, BFH/NV 2000, 868; vom 29. Januar 2008 V B 201/06, BFH/NV 2008, 827; vom 14. März 2008 VI B 122/07, juris, und vom 11. Dezember 2008 XI B 42/08, juris).
3. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung kommt gleichfalls nicht in Betracht. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Rechtsfrage muss im konkreten Fall klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 10. Oktober 2007 VI B 33/07, BFH/NV 2008, 44; vom 12. Oktober 2007 VI B 161/06, BFH/NV 2008, 45; vom 24. Juli 2008 VI B 7/08, BFH/NV 2008, 1838). Eine Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, wenn sie bereits durch die Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH erforderlich machen (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 28).
Die Klägerin hält die Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam, ob im Rahmen der Vorschrift des § 42d Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ein Verschulden des Arbeitgebers im Wege verfassungskonformer Auslegung als (ungeschriebenes) Tatbestandsmerkmal zu berücksichtigen sei. Die Klägerin geht insoweit mit dem BFH (Beschluss vom 22. Februar 2007 VI B 29/06, BFH/NV 2007, 969) davon aus, dass der Wortlaut des § 42d Abs. 1 EStG keinen ausdrücklichen Hinweis darauf enthält, dass ein Verschulden Voraussetzung für die Haftung des Arbeitgebers ist. Dementsprechend geht die überwiegend in der Rechtsprechung und im Schrifttum vertretene Auffassung davon aus, dass die Haftung verschuldensunabhängig ist. Der Grad des Verschuldens kann aber im Rahmen der Ermessensausübung Bedeutung erlangen (BFH-Beschluss in BFH/NV 2007, 969, m.w.N.; vgl. auch z.B. Blümich/Heuermann, § 42d EStG Rz 58, m.w.N.). Deshalb ist der erkennende Senat auch in seiner jüngeren Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteil vom 29. Mai 2008 VI R 11/07, BFHE 221, 182, BStBl II 2008, 933) bei Anwendung des § 42d EStG davon ausgegangen, dass ein Verschulden des Arbeitgebers keine Haftungsvoraussetzung ist, sondern solches Verschulden im Rahmen der Ermessensausübung zu prüfen ist; die Haftungsinanspruchnahme des Arbeitgebers kann sogar von vornherein ausgeschlossen sein, wenn sich der Arbeitgeber in einem Rechtsirrtum befunden hat, dessen Ursache in der Sphäre der Finanzverwaltung lag. Dabei hat der BFH stets darauf verwiesen, dass gerade in schwierigen Fällen, wenn dem Arbeitgeber bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt Zweifel über die Rechtslage kommen müssen, der Verzicht auf eine Anrufungsauskunft (§ 42e EStG) vorwerfbar sein kann (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 18. August 2005 VI R 32/03, BFHE 210, 420, BStBl II 2006, 30, und BFH-Urteil in BFHE 221, 182, BStBl II 2008, 933). Demgegenüber lässt der Vortrag der Klägerin keinen weiteren Klärungsbedarf erkennen.
4. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 2. Halbsatz FGO abgesehen.
5. Der erkennende Senat war durch die Erklärung der Klägerin, nicht mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden zu sein, nicht an einer solchen Entscheidung gehindert. Denn der BFH entscheidet über eine Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 116 Abs. 5 Satz 1 FGO ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss (vgl. BFH-Beschluss vom 28. Juni 2006 II S 9/06, juris; Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 59).
Fundstellen