Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit
Leitsatz (NV)
1. Für die Frage, ob ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann, kommt es darauf an, ob der betreffende Beteiligte von seinem Standpunkt aus bei Anlegung eines objektiven Maßstabs Anlaß hat, eine Voreingenommenheit des Richters zu befürchten.
2. Soweit der Berichterstatter beim FG bei der Aufbereitung des Streitstoffs Maßnahmen für den Fall einer auf Verschulden beruhenden verzögerlichen prozessualen Mitwirkung in Aussicht stellt, liegt darin kein Grund zu Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Berichterstatters, wenn die Maßnahmen durch das Gesetz gedeckt sind.
3. Fordert der Berichterstatter den Kläger unter Fristsetzung auf, zu verschiedenen Punkten Stellung zu nehmen, um deren Klärung das FA den Kläger zur Ermöglichung einer außergerichtlichen Erledigung gebeten hatte, so erweckt der Berichterstatter nicht den Eindruck, dem Kläger den prozessualen Willen des FA aufzuzwingen.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1; ZPO § 42; VGFGEntlG Art. 3 § 3
Tatbestand
Da die Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) ihre Einkommensteuererklärung 1988 nicht abgegeben hatten, schätzte der Beklagte, Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) die Besteuerungsgrundlagen. Den Einspruch, der von den Klägern nicht begründet worden ist, wies das FA zurück. Mit der am 20. August 1990 erhobenen Klage stellten die Kläger den Antrag, den angefochtenen Bescheid auch in der Form der Einspruchsentscheidung aufzuheben. Die Begründung sollte in einem gesonderten Schriftsatz erfolgen. Mit Verfügung vom 29. August 1990 wurden die Kläger aufgefordert, binnen vier Wochen die Klagebegründung einzureichen. Mit weiterer Verfügung vom 11. Oktober 1990 wurde an die Vorlage der Klagebegründung erinnert, verbunden mit dem Hinweis, daß bei Nichteinhaltung der Frist mit einer Entscheidung nach Lage der Akten gerechnet werden müsse. Mit Vorbescheid vom 13. November 1990 wurde die Klage abgewiesen, da sie mangels Bezeichnung des Streitgegenstandes unzulässig sei. Gegen den Vorbescheid wurde mündliche Verhandlung beantragt. Mit der Ladung zu der auf den 30. Januar 1991 angesetzten mündlichen Verhandlung war die Mitteilung verbunden, daß, sollte die mündliche Verhandlung infolge eines Umstandes vertagt werden müssen, den die Kläger zu vertreten hätten, die Auferlegung einer Verzögerungsgebühr in Betracht komme. Am 29. Januar 1991 reichten die Kläger mit Schriftsatz vom selben Tage unter erstmaliger Beifügung der Einkommensteuererklärung 1988 die Klagebegründung ein. Die mündliche Verhandlung vom 30. Januar 1991, zu der der Prozeßbevollmächtigte ohne Angaben von Gründen nicht erschienen war, wurde vertagt, um dem FA Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
Mit Beschluß vom 30. Januar 1991 wurde den Klägern eine Verzögerungsgebühr auferlegt. Der Prozeßbevollmächtigte habe die Vertagung der mündlichen Verhandlung verschuldet, weil er erstmals am Tage vorher die Klagebegründung vorgelegt habe.
Das FA äußerte sich zur Klagebegründung mit Schriftsatz vom 12. Februar 1991 und bat zur Ermöglichung einer außergerichtlichen Erledigung um Stellungnahme der Kläger zu sechs als ungeklärt angesehenen Punkten. Für die von den Klägern erbetene Gegenäußerung setzte der Berichterstatter mit Verfügung vom 20. März 1991 eine Frist von drei Wochen. Mit Verfügung vom 7. Mai 1991, zugestellt am 14. Mai 1991, setzte der Berichterstatter den Klägern gemäß Art. 3 § 3 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) eine weitere Frist von drei Wochen,
a) um zu den im Schriftsatz des Beklagten vom 12. Februar 1991 genannten Punkten 1 bis 6 Stellung zu nehmen und die Angaben über die darin enthaltenen klärungsbedürftigen Punkte zu ergänzen;
b) um die in den genannten Punkten erforderlichen Beweismittel zum Nachweis der Behauptung der Kläger vorzulegen.
Mit ihrer am 4. Juni dazu vorgelegten Stellungnahme haben die Kläger gleichzeitig beantragt, den Berichterstatter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Anlaß dazu gebe die Verfügung vom 7. Mai 1991. Ihnen, den Klägern, werde ohne eigene Stellungnahme des Berichterstatters kommentarlos befohlen, das zu tun, was das FA an Anregungen zur außergerichtlichen Erledigung aufgezeigt habe. Die Verfügung vom 7. Mai 1991 diene nicht der Prozeßförderung. Sie, die Kläger, sähen sich dadurch, daß der Berichterstatter Anregungen des FA als Befehle weitergebe und sich den Standpunkt des FA zum Verfahren und zur materiellen Rechtslage zu eigen mache, in ihrem Recht, Vortrag und Beweisanträge selbst vorzubringen, beeinträchtigt. Die Verfügung vom 7. Mai 1991 sei als Ausdruck der Ausübung einseitigen prozessualen Zwanges zur Begünstigung des FA zu deuten. Dies sei unter Berücksichtigung vorangegangener prozessualer Repressalien geeignet, die Unvoreingenommenheit des Berichterstatters in Frage zu stellen.
In seiner dienstlichen Äußerung zum Ablehnungsgesuch der Kläger hat der Berichterstatter u.a. ausgeführt, er sehe in den beanstandeten Maßnahmen keinen Grund, der geeignet sei, Mißtrauen gegen seine richterliche Unabhängigkeit zu rechtfertigen. Die beanstandete Verfügung sei durch das verzögerliche Verhalten der Kläger im Verfahren veranlaßt gewesen. Er, der Berichterstatter, habe nicht blindlings den Standpunkt des FA eingenommen.
Das Finanzgericht (FG) hat das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Für die Annahme einer Ausübung einseitigen prozessualen Zwanges durch den Berichterstatter zur Begünstigung des FA bestehe kein Anhaltspunkt. Der Berichterstatter habe nicht den Eindruck erweckt, sich verfahrens- und materiell-rechtlich den Standpunkt des FA zu eigen gemacht und diese Beurteilung der Sach- und Rechtslage unter Zwang durchzusetzen versucht zu haben. Die Weiterleitung von Schriftsätzen eines Prozeßbevollmächtigten durch das Gericht an den anderen Prozeßbeteiligten gehöre im finanzgerichtlichen Verfahren zu den Maßnahmen, die der Erfassung und Aufbereitung des Streitstoffes dienten und zugleich den Beteiligten Gelegenheit gäben, über den Streitgegenstand zu disponieren, etwa durch Einschränkung oder Erweiterung oder auch durch Rücknahme der Klage oder durch Änderung oder Rücknahme von Steuerbescheiden. In der Wahrnehmung dieser gerichtlichen Vermittlerfunktion durch den Berichterstatter Dr. A liege sachlich nichts anderes als eine konkretisierte Bitte um Gegenäußerung. Soweit der Berichterstatter bei einer derartigen Aufbereitung des Streitstoffes Sanktionen für den Fall auf Verschulden beruhender verzögerlicher prozessualer Mitwirkung in Aussicht gestellt habe, seien diese Maßnahmen nicht geeignet, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Berichterstatters zu rechtfertigen. Die nach Art. 3 § 3 VGFGEntlG durch die Verfügung vom 7. Mai 1991 angeordneten und angekündigten Maßnahmen hätten den Voraussetzungen dieser Vorschrift genügt, die als Mittel der Prozeßbeschleunigung geschaffen worden und vom Berichterstatter hierfür verwendet worden sei. Mit ihrer Beschwerde begehren die Kläger, den Beschluß des FG aufzuheben und den Berichterstatter Dr. A wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Zur Begründung tragen sie im wesentlichen vor: Die Bewertung der Verfügung vom 7. Mai 1991 durch das FG sei unzutreffend. Diese Verfügung habe weder eine Bitte des Berichterstatters noch eine Aufforderung zur Gegenäußerung in neutralem Sinne enthalten. Vielmehr habe diese Verfügung unter Androhung von Zwangsmaßnahmen von ihnen, den Klägern, verlangt, exakt das zu tun und zu belegen, was das FA fordere. Der Berichterstatter habe dadurch versucht, ihnen, den Klägern, den prozessualen Willen des FA unter Androhung von Repressalien aufzuzwingen. Er habe dadurch den objektiven Eindruck vermittelt, voreingenommen zu sein. Dieses reiche aus, den Berichterstatter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat zu Recht das Ablehnungsgesuch der Kläger zurückgewiesen.
Gemäß § 51 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 42 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Entscheidend ist hierbei nicht, ob der Richter tatsächlich voreingenommen ist. Es kommt vielmehr darauf an, ob der Beteiligte, der das Ablehnungsgesuch angebracht hat, von seinem Standpunkt aus bei Anlegung eines objektiven Maßstabes Anlaß hat, Voreingenommenheit des Richters zu befürchten (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 51 Anm. 37, m.w.N.).
Das Vorbringen der Kläger rechtfertigt nicht die Besorgnis der Befangenheit des Berichterstatters Dr. A. Das FG hat zutreffend dargelegt, daß die von den Klägern beanstandete Prozeßführung bei objektiver Beurteilung nicht Anlaß geben konnte, an der Unvoreingenommenheit des Berichterstatters zu zweifeln. Der Senat hält es für abwegig anzunehmen, der Berichterstatter habe objektiv den Eindruck erweckt, in der beanstandeten Verfügung versucht zu haben, den Klägern den prozessualen Willen des FA unter Androhung von Repressalien aufzuzwingen. Der Berichterstatter hat die Kläger vielmehr ,,aufgefordert, zu den im Schriftsatz des Beklagten vom 12. 2. 1991 genannten Punkten 1 bis 6 Stellung zu nehmen und die Angaben über die darin enthaltenen klärungsbedürftigen Punkte zu ergänzen". Daß der Berichterstatter die Aufforderung mit dem Druckmittel des Art.3 § 3 VGFGEntlG verbunden hat, war sachlich geboten. Dieser Verfügung war bereits am 18. Februar 1991 die Übersendung des Schreibens des FA zur Stellungnahme bis zum 15. März 1991 vorausgegangen. Der Gesetzgeber hat diese Vorschrift eingefügt, um dem Gericht eine prozessuale Handhabe gegen solche Verfahrensbeteiligte zu verschaffen, die Anlaß zu der Annahme geben, sie wollten das Verfahren verschleppen. Daß die Kläger und der Prozeßbevollmächtigte diesen Eindruck erweckt haben, zeigt der gesamte Verfahrensablauf.
Fundstellen
Haufe-Index 418629 |
BFH/NV 1993, 41 |