Leitsatz (amtlich)
1. Erklärt nur einer der Prozeßbeteiligten die Erledigung der Hauptsache und ist nach der Feststellung des Gerichts die Hauptsache tatsächlich erledigt, so stellt das Gericht dies ausdrücklich fest.
2. Tritt dieser Fall erst in der Revisionsinstanz ein, so entscheidet der BFH durch Beschluß. Darin stellt er neben der Erledigung der Hauptsache fest, daß die Vorentscheidung gegenstandslos geworden ist.
Normenkette
FGO §§ 124, 126, 138
Tatbestand
Der Revisionskläger (Abgabeschuldner) beantragte den Erlaß der unanfechtbar festgesetzten KGA. Das FA lehnte den Erlaß ab. Die OFD (Revisionsbeklagte) wies die Beschwerde im Jahre 1961 als unbegründet zurück. Das FA stundete während des Beschwerde- und des finanzgerichtlichen Verfahrens alle rückständigen KGA-Vierteljahresbeträge.
Die Berufung des Abgabeschuldners hatte keinen Erfolg. Das FG kam ebenso wie das FA und die OFD zu dem Ergebnis, die Leistungsfähigkeit und Ertragskraft des Betriebs des Abgabeschuldners habe sich nicht wesentlich verringert, was sich aus einem Vergleich der unanfechtbar festgestellten Betriebsgewinne der Jahre II/1948, 1949 bis 1953 einerseits und 1959 sowie 1960 andererseits ergebe.
Der Abgabeschuldner legte Rechtsbeschwerde ein, die nach der am 1. Januar 1966 in Kraft getretenen FGO als Revision zu behandeln ist. Etwa ein Jahr nach Einlegung der Revision reichte er die neu erstellten Bilanzen der Jahre 1956 bis 1964 und eine Schlußbilanz zum 30. April 1965 ein; denn mit Wirkung vom 1. Mai 1965 hat der Abgabeschuldner seinen Betrieb verkauft. Wegen der nunmehr in den Bilanzen ausgewiesenen, in den Jahren 1962 bis 1965 eingetretenen erheblichen Überschuldung sah die OFD die Voraussetzungen der Tz. 12 der Verwaltungsanordnung des BdF vom 2. März 1956 (BStBl I 1956, 64) als gegeben an. Das FA sprach hierauf auftragsgemäß den Erlaß der gesamten rückständigen KGA-Leistungen und der noch nicht getilgten künftig fällig werdenden Abgabeschuld aus.
Die OFD teilte nunmehr dem Senat mit, daß sie den Rechtsstreit als erledigt ansehe. In einem früheren Schreiben hatte sie bereits erklärt, für den Fall, daß sie nachträglich den Erlaß ausspreche, beantrage sie, dem Abgabeschuldner die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen; denn er habe die erforderlichen Unterlagen zu spät eingereicht. Der Abgabeschuldner äußerte sich zu diesen ihm übersandten Stellungnahmen der OFD nicht. Auch ein Anschreiben des Vorsitzenden des Senats ließ er unbeantwortet. Darin war er nochmals auf die Ausführungen der OFD hingewiesen und um Stellungnahme gebeten worden, ob er ebenfalls die Hauptsache als erledigt ansehe.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Der Senat stellt fest, daß die Hauptsache erledigt ist. Die Vorentscheidung wird hierdurch gegenstandslos.
§ 138 FGO regelt nach seinem eindeutigen Wortlaut lediglich die Kostenfrage bei Erledigung der Hauptsache, nicht aber, wann die Hauptsache erledigt ist. Der BFH geht in Übereinstimmung mit der im verwaltungsgerichtlichen Verfahren herrschenden Auffassung davon aus, daß auch im finanzgerichtlichen Verfahren der Rechtsstreit bei übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten beendet ist, gleichgültig, ob die Erledigung tatsächlich eingetreten ist oder nicht (BFH-Beschluß V B 46/67 vom 15. Februar 1968, BFH 91, 514, BStBl II 1968, 413; III B 26/66 vom 21. Juni 1968, BFH 93, 212, BStBl II 1968, 742).
Im Streitfall liegt lediglich eine Erledigungserklärung der OFD, nicht aber eine solche des Abgabeschuldners vor. Eine Erledigungserklärung des Abgabeschuldners kann jedenfalls nicht darin gesehen werden, daß der Abgabeschuldner der Erledigungserklärung der OFD nicht widersprochen hat. Es ist zwar nicht erforderlich, daß die Erledigung ausdrücklich erklärt wird (BFH-Beschluß III R 69/67 vom 5. Dezember 1967, BFH 91, 20, BStBl II 1968, 203). Sie kann unter Umständen auch in einem schlüssigen Verhalten erblickt werden (v. Wallis-List in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 95 FGO Anm. 42). Im Schweigen kann aber keine Erledigungserklärung gesehen werden (so auch im Ergebnis v. Wallis-List, a. a. O., § 138 FGO Anm. 11).
Gibt nur einer der Beteiligten eine Erledigungserklärung ab, muß das Gericht von Amts wegen prüfen, ob die Hauptsache tatsächlich erledigt ist (Becker-Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung, III. Band, 9. Aufl., § 100 FGO, Anm. 7 Abs. 5). Ist die Erledigung nach seiner Auffassung eingetreten, hat das Gericht dann die Erledigung der Hauptsache ausdrücklich festzustellen (Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, 2. bis 3. Aufl., § 138 FGO Anm. 1; Becker-Riewald-Koch, a. a. O., Görg-Müller, Finanzgerichtsordnung, Tz. 733 Anm. 1 Abs. 3). Dies hat durch Urteil zu geschehen, wenn sich die Hauptsache vor dem FG erledigt hat (BFH-Beschluß III B 26/66, a. a. O.; Tipke-Kruse, a. a. O.; Görg-Müller, a. a. O; Becker-Riewald-Koch, a. a. O.; v. Wallis-List, a. a. O., § 95 FGO Anm. 48). Denn über eine Klage ist regelmäßig durch Urteil zu entscheiden (§ 95 FGO), und zwar auch dann, wenn die Klage unzulässig ist (Tipke-Kruse, a. a. O., § 95 FGO Anm. 3; Becker-Riewald-Koch, § 95 Anm. 3 Abs. 1). Es ist jedoch zu beachten, daß insoweit ein Prozeßurteil vorliegt. Darin wird im Ergebnis festgestellt, daß für eine Hauptsacheentscheidung wegen der Erledigung der Hauptsache das Rechtsschutzinteresse fehlt.
Erledigt sich die Hauptsache erst in der Revisionsinstanz und hat nur einer der Beteiligten die Erledigung erklärt, so fehlt für eine Sachentscheidung ebenfalls das Rechtsschutzinteresse und damit eine Sachurteilsvoraussetzung. Die Revision ist deshalb unzulässig (§ 124 FGO). Dies ist dann durch einen Beschluß auszusprechen (§ 126 Abs. 1 FGO).
Im Streitfall ist die Hauptsache erledigt, weil das FA den beantragten Erlaß nunmehr gewährt hat. Damit ist die Vorentscheidung gegenstandslos geworden.
Die Kostenentscheidung ist im Falle der Erledigung der Hauptsache nach § 138 FGO zu treffen. Dabei ist in der Regel nach billigem Ermessen zu entscheiden (§ 138 Abs. 1 FGO). Soweit sich der Rechtsstreit jedoch dadurch erledigt, daß dem Antrag des Steuerpflichtigen durch Rücknahme oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts stattgegeben oder der beantragte Verwaltungsakt erlassen wird, müssen die Kosten nach § 138 Abs. 2 FGO grundsätzlich der Behörde auferlegt werden. Danach hat im Streitfall die OFD die Kosten zu tragen, weil antragsgemäß der Erlaß der KGA ausgesprochen wurde.
Soweit die OFD dagegen einwendet, der Abgabeschuldner müsse die Kosten tragen, weil er die Bilanzen zu spät vorgelegt habe, stimmt dem der Senat nicht zu. Zwar gilt nach § 138 Abs. 2 Satz 3 FGO die Vorschrift des § 137 FGO sinngemäß. § 137 FGO setzt jedoch voraus, daß der obsiegende Beteiligte schuldhaft Tatsachen nicht früher vorgetragen hat (vgl. Tipke-Kruse, a. a. O., § 137 FGO, Anm. 1). Das ist im Streitfall aber nicht anzunehmen; denn der Abgabeschuldner konnte die den Verlust ausweisenden Bilanzen frühestens nach Ablauf der jeweiligen Geschäftsjahre, diejenigen für die Jahre 1964 und 1965 also erst in der Revisionsinstanz einreichen. Es muß deshalb im Streitfall bei dem Grundsatz verbleiben, daß die Behörde die Kosten zu tragen hat, weil sie den beantragten Verwaltungsakt erst nachträglich erlassen hat (§ 138 Abs. 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 68247 |
BStBl II 1969, 167 |
BFHE 1969, 302 |