Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Urteilsberichtigung bei Anwendung unzutreffender Gesetzesfassung
Leitsatz (NV)
Berücksichtigt das FG irrtümlich einen anteiligen statt des vollen Kinderfreibetrags, weil es eine nicht für das Streitjahr geltende Gesetzesfassung anwendet, ist das Urteil nicht wegen offenbarer Unrichtigkeit gemäß § 107 Abs. 1 FGO zu berichtigen.
Normenkette
FGO § 107 Abs. 1
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Beschluss vom 13.07.2000; Aktenzeichen 15 K 537/97) |
Tatbestand
Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hatten mit ihrer Klage wegen Einkommensteuer 1995 u.a. beantragt, einen Kinderfreibetrag in Höhe von 4 104 DM zu berücksichtigen. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) hatte insoweit dem Klagebegehren zugestimmt. Das Finanzgericht (FG) entschied in seinem Urteil vom 11. April 2000, dass das Kind der Kläger lediglich für die Monate November und Dezember 1995 zu berücksichtigen sei und dass der Kinderfreibetrag gemäß § 32 Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) anteilig für diese Monate mit 576 DM angesetzt werde.
Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 29. Mai 2000 beantragten die Kläger bei dem FG, das (am 26. Mai 2000 zugestellte) Urteil zu berichtigen. Dieses enthalte bezüglich der anteiligen Gewährung des Kinderfreibetrages einen Fehler. Nach § 32 Abs. 4 EStG werde der Kinderfreibetrag als Jahresfreibetrag gewährt und sei nicht nach Monaten zu zwölfteln.
Das FG wies den Berichtigungsantrag mit der Begründung zurück, § 107 der Finanzgerichtsordnung (FGO) betreffe die Berichtigung von Schreibfehlern, Rechenfehlern und ähnlichen offenbaren Unrichtigkeiten im Urteil. Die Vorschrift sei nicht anwendbar, wenn die Möglichkeit einer fehlerhaften Rechtsanwendung bestehe. Das Gericht habe die bis zum Jahr 1995 geltende Fassung des § 32 Abs. 6 EStG übersehen und die Bestimmung in der ab 1996 geltenden Fassung angewandt. Dies stelle keine offenbare Unrichtigkeit dar.
Gegen den zurückweisenden Beschluss vom 13. Juli 2000 haben die Kläger Beschwerde erhoben. Sie tragen vor, es könne nicht richtig sein, dass bei einem Fehler in der Urteilsabfassung eine neue Rechtsauffassung vorliegen solle. Die Unrichtigkeit, die darin bestehe, dass nicht die für das Streitjahr maßgebende Gesetzesfassung angewandt wurde, beruhe nicht auf einer Willensentscheidung des Gerichts, sondern sei ein Versehen. Die Kläger beantragen, "nach §§ 107 bis 109 FGO" das Urteil des FG zu ergänzen und den vollen Kinderfreibetrag anzuerkennen. Außerdem sei die Kostenentscheidung zu überprüfen.
Das FA hat sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat die beantragte Berichtigung zu Recht abgelehnt.
1. Die Verpflichtung des Gerichts gemäß § 107 Abs. 1 FGO, Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten im Urteil jederzeit zu berichtigen, betrifft die Fälle einer unbeabsichtigten Diskrepanz zwischen erklärtem und gewolltem Urteilsinhalt im Sinne eines "mechanischen" Fehlers. Es muss sich um einen Fehlgriff im Ausdruck, nicht in der Bildung des Entscheidungswillens handeln (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 107 Rz. 2, 3, m.w.N.). Die Voraussetzungen des § 107 FGO sind dagegen nicht erfüllt, wenn auch nur die Möglichkeit eines Fehlers in der Rechtsanwendung besteht (ständige Rechtsprechung, z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 17. März 2000 IX B 111/99, BFH/NV 2000, 1127). Nach diesen Grundsätzen ist der angefochtene Beschluss nicht zu beanstanden. In seinem Urteil hatte das FG fälschlich eine nicht für das Streitjahr geltende Gesetzesfassung angewandt. Eine Diskrepanz zwischen dem erklärten und dem gewollten Urteilsinhalt lag damit nicht vor. Auch wenn das Versehen des Gerichts offensichtlich sein mag, so lag es doch im Bereich der materiellen Rechtsfindung. Derartige Fehler können nicht nach § 107 Abs. 1 FGO berichtigt werden.
2. Auch nach anderen Vorschriften kommt eine Berichtigung des finanzgerichtlichen Urteils nicht in Betracht. § 108 FGO ist nicht erfüllt, da der Tatbestand des Urteils keine anderen (d.h. nicht unter § 107 fallenden) Unrichtigkeiten oder Unklarheiten enthält. Insbesondere ist der zum Tatbestand gehörende Klageantrag (vgl. § 105 Abs. 3 Satz 1 FGO) zutreffend wiedergegeben. Dieser Antrag ist nicht übergangen, sondern (wenn auch unrichtig) beschieden worden, so dass eine Urteilsergänzung nach § 109 FGO nicht möglich ist.
3. Soweit die Kläger eine Überprüfung der vom FG angeordneten Kostentragung beantragen, ist dieses Begehren nach § 128 Abs. 4 Satz 1 FGO unzulässig.
Fundstellen