Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit
Leitsatz (NV)
1. Der Prozeßbevollmächtigte einer Partei hat aus Gründen seiner Person kein Recht, Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.
2. Mißverständnisse, unangebracht erscheinende Schlußfolgerungen des Gerichts oder Ungenauigkeiten in der gerichtlichen Entscheidung begründen noch nicht die Besorgnis der Befangenheit der an der Entscheidung mitwirkenden Richter.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1 S. 1; ZPO § 42
Tatbestand
Der Antragsteller klagt gegen einen ihm erteilten Abrechnungsbescheid des Finanzamts - FA -. Die Hauptsache ist noch beim Finanzgericht - FG - anhängig.
Da der Prozeßbevollmächtigte zunächst keine auf ihn lautende Prozeßvollmacht vorgelegt hatte, setzte der gemäß § 79 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bestimmte Richter des FG für das Einreichen der Vollmacht gemäß Art. 3 § 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) eine ausschließende Frist bis zum 25. März 1985. Mit Schriftsatz vom 2. April 1985 legte der Prozeßbevollmächtigte eine Vollmacht des Antragstellers mit Datum vom 12. März 1985 mit dem Antrag vor, wegen der Fristversäumung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag wurde damit begründet, der Antragsteller habe die Vollmacht am 12. März 1985 zur Post gegeben; der Brief sei seinem Prozeßbevollmächtigten jedoch erst am 29. März 1985 zur Kenntnis gelangt. Aufgrund der Umstände sei davon auszugehen, daß der Brief erst an diesem Tage in der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten eingetroffen sei, da es für diesen an entgegenstehenden Anhaltspunkten fehle. Insoweit sei zu erläutern, daß der Prozeßbevollmächtigte eine eigene Kanzlei erst seit etwas mehr als einem Jahr betreibe und deshalb den Posteingang sowie die sonstige Büroorganisation selbst überwachen müsse. Die Kanzlei trage noch nicht die Beschäftigung von ausgebildeten Mitarbeitern, so daß lediglich Auszubildende beschäftigt werden könnten.
Das FG erließ einen Vorbescheid, durch den es die Klage als unzulässig abwies, weil die Prozeßvollmacht innerhalb der gesetzten Frist nicht beigebracht worden sei. Gegen den Vorbescheid beantragte der Antragsteller rechtzeitig mündliche Verhandlung. Den zusammen mit dem Antrag auf mündliche Verhandlung gestellten Antrag des Antragstellers, ihm Prozeßkostenhilfe (PKH) zu gewähren, lehnte das FG durch Beschluß vom 7. Juni 1985 ab. Es führte aus, die beabsichtigte Rechtsverfolgung biete keine hinreichende Erfolgsaussicht, weil dem Antragsteller wegen der Versäumung der Frist zur Vorlage der Prozeßvollmacht keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden könne. Daß der Brief mit der Vollmacht sich vom 12. bis 29. März 1985 auf dem Postweg - innerhalb eines Ortes - befunden habe, sei recht unwahrscheinlich und in keiner Weise glaubhaft gemacht. Glaubhaft gemacht sei allenfalls, daß der Brief am 12. März 1985 abgeschickt worden und vom Prozeßbevollmächtigten des Antragstellers am 29. März 1985 zur Kenntnis genommen worden sei. Weiter heißt es in dem Beschluß:
,,Der Prozeßbevollmächtigte trägt selbst vor, daß seine Kanzlei noch keine ausgebildeten Mitarbeiter trägt und deshalb unter Organisationsmängeln leidet. Von einem Anwalt muß aber verlangt werden, daß er ein Fristenbuch führt und bemüht ist, Fristen mit ausschließender Wirkung nicht zu versäumen. Hätte Rechtsanwalt . . . diesen Anforderungen genügt, hätte er die Prozeßvollmacht vor dem 25. März 1985 beim Kläger anmahnen müssen und ggf. beim Gericht um eine Verlängerung der Frist nachsuchen müssen. Dies hat er nicht getan. Insoweit trifft ihn ein Schuldvorwurf, den sich der Kläger zurechnen lassen muß."
Diesen Beschluß hat der Antragsteller angefochten. Er hat ferner ,,hinsichtlich der Unterstellungen in dem angefochtenen Beschluß" die Besorgnis der Befangenheit der drei von ihm benannten Berufsrichter des Senats des FG geltend gemacht, der den Beschluß erlassen hatte. Nach Einholung dienstlicher Äußerungen der abgelehnten Richter wies das FG das Ablehnungsgesuch zurück. Es führte aus, Gründe, die bei vernünftiger Beurteilung geeignet seien, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu erregen, seien im Streitfalle nicht gegeben. Bei den Ausführungen im Beschluß vom 7. Juni 1985 handele es sich um eine Schlußfolgerung aus der Darstellung des Prozeßbevollmächtigten im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Diese Schlußfolgerung sei eine mögliche und denkbare, nicht von sachfremden Erwägungen getragene Auslegung der Erklärung des Prozeßbevollmächtigten. Soweit in dem Beschluß davon ausgegangen sei, Fristen müßten dergestalt notiert sein, daß bei Nichteingang der geforderten Vollmacht noch Nachfrage beim Mandanten gehalten werden könne, sei dies nicht zu beanstanden, zumal dann auch noch rechtzeitig hätte Fristverlängerung beantragt werden können.
Gegen diesen am 15. August 1985 erlassenen Beschluß, dessen Zugang beim Antragsteller nicht nachgewiesen ist - seinem Prozeßbevollmächtigten nach dessen Erklärung am 2. September 1985 zugegangen -, richtet sich die am 12. September 1985 beim FG eingegangene Beschwerde, zu deren Begründung der Antragsteller ausführt, die Erklärungen seines Prozeßbevollmächtigten rechtfertigten nicht die im Beschluß vom 7. Juni 1985 enthaltenen Unterstellungen, mit denen ein angeblicher Parteivortrag wiedergegeben und nicht nur eine bloße Vermutung geäußert werde. Eine so klare und ausdrückliche Umdeutung und Mißdeutung eines Parteivortrags begründe die Besorgnis der Befangenheit. Darin lägen ehrenrührige Behauptungen über den Prozeßbevollmächtigten, denn es werde das Eingeständnis unterstellt, daß eine Büroorganisation deshalb desolat sein müsse, weil sie nicht von Angestellten, sondern von dem Rechtsanwalt selbst wahrgenommen werde. Die Besorgnis der Befangenheit werde verstärkt durch die Wiederholung eines Gedankenganges, daß die Notierung von Fristen etwas mit der Durchsetzung unvertretbarer Handlungen Dritter zu tun habe. Denn es sei vorgetragen worden, daß der Antragsteller sich vor Fristablauf in stationäre Krankenhausbehandlung habe begeben müssen und schon deshalb trotz der notierten Frist für den Prozeßbevollmächtigten unerreichbar gewesen sei. Auch die - unrichtige - Unterstellung, der Prozeßbevollmächtigte führe kein Fristenbuch, begründe die Besorgnis der Befangenheit.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist zulässig. Insbesondere ist sie als fristgerecht eingelegt (vgl. § 129 Abs. 1 FGO) anzusehen. Der angefochtene Beschluß vom 15. August 1985 ist dem Prozeßbevollmächtigten des Antragstellers zugestellt worden (§ 53 Abs. 1 und 2 FGO, § 5 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes - VwZG -); der Umstand, daß das mit der Beschlußausfertigung am 23. August 1985 abgesandte Empfangsbekenntnis nicht zurückgelangt ist, ist nicht geeignet, die Zustellung in Frage zu stellen (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 5 VwZG, Tz. 4). Er führt indessen dazu, daß der Senat nicht davon ausgehen kann, daß der Beschluß bereits vor dem 29. August 1985 zugestellt worden ist.
Die Zulässigkeit der Beschwerde kann auch nicht aus dem Grunde in Zweifel gezogen werden, daß ein Ablehnungsgesuch nach Beendigung der Instanz nicht mehr angebracht werden kann (vgl. insoweit Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28. September 1972 VII B 70/72, BFHE 107, 100 f., BStBl II 1973, 18 f., und vom 26. März 1980 I B 23/80, BFHE 130, 20 f., BStBl II 1980, 335; Gräber, Finanzgerichtsordnung, 1977, § 51 Anm. 4/§ 44 der Zivilprozeßordnung - ZPO - Anm. 6; derselbe, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Anmerkungen, § 115 FGO R. 121, Abschn. D. m.w.N.; Tipke/Kruse, a.a.O., § 51 FGO, Tz. 10). Denn die - erste - Instanz ist zwar für das Verfahren wegen Bewilligung von PKH, in dem im Bereich der Rechtspflege über eine fürsorgliche Leistung entschieden wird (Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschluß vom 3. Juli 1973 1 BvR 153/69, BVerfGE 35, 348, 355), mit dem Beschluß des FG vom 7. Juni 1985 beendet, nicht aber für das beim FG noch anhängige Hauptverfahren, in dem derselbe Senat zu entscheiden hat, der den Beschluß vom 7. Juni 1985 erlassen hatte.
Die Beschwerde ist nicht begründet. Das Ablehnungsgesuch des Antragstellers ist durch den angefochtenen Beschluß im Ergebnis zutreffend zurückgewiesen worden. Daß das Gesuch keinen Erfolg haben kann, folgt allerdings nicht schon daraus, daß es sich gegen alle berufsrichterlichen Mitglieder des zuständigen Senats des FG richtet. Zwar wird die Ablehnung eines ganzen Senats ohne Angabe von Ablehnungsgründen gegen die einzelnen Richter als mißbräuchlich und damit als unbeachtlich anzusehen sein (Senat, Beschluß vom 2. März 1967 VII R 42/66, BFHE 88, 194, BStBl III 1967, 320 f.; siehe auch BVerfG, Beschluß vom 22. Februar 1960 2 BvR 36/60, BVerfGE 11, 1, 5), doch gilt dies nicht, wenn - wie im Streitfalle - alle Mitglieder eines Spruchkörpers wegen Besorgnis der Befangenheit im Hinblick auf konkrete Anhaltspunkte in einer Kollegialentscheidung abgelehnt werden (Bundesverwaltungsgericht - BVerwG -, Urteil vom 5. Dezember 1975 VI C 129.74, BVerwGE 50, 36 f.).
Das Ablehnungsgesuch ist indessen unbegründet, weil die Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richter nicht gerechtfertigt ist.
Ein Richter kann wegen einer solchen Besorgnis abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen (§ 51 Abs. 1 Satz 1 FGO, § 42 Abs. 1 und 2 ZPO). Ein derartiger Grund ist gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus, jedoch bei objektiver, vernünftiger Betrachtung, davon ausgehen kann, der Richter werde nicht unvoreingenommen entscheiden; darauf, ob ein solcher Grund wirklich vorliegt, kommt es nicht an (ständige Rechtsprechung; vgl. zuletzt BFH, Beschluß vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 147, BStBl II 1985, 555, 557).
Die Ablehnung des Antrags auf Gewährung von PKH vermag den Vorwurf der Befangenheit der beteiligten Richter in der Hauptsache noch nicht zu begründen (ebenso - für die Ablehnung des Armenrechts - BVerfG, Beschluß vom 20. Oktober 1978 1 C 13.75, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 310 § 166 VwGO Nr. 16). Der Antragsteller stützt sein Gesuch auch nicht darauf, daß sein Antrag auf Gewährung von PKH abgelehnt worden ist. Er beruft sich vielmehr darauf, daß sich die Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richter aus der Begründung des FG-Beschlusses vom 7. Juni 1985 ergebe. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
Soweit vorgetragen wird, in den in der Begründung enthaltenen ,,Unterstellungen" lägen ehrenrührige Behauptungen über Rechtsanwalt . . ., dem die ,,Durchsetzung unvertretbarer Handlungen Dritter" zugemutet werde, macht in Wirklichkeit der Prozeßbevollmächtigte selbst einen - vermeintlichen - Ablehnungsgrund geltend. Das Ablehnungsrecht steht indes nur der Partei zu (vgl. § 42 Abs. 3 ZPO), nicht ihrem Prozeßbevollmächtigten, der aus Gründen seiner Person kein Ablehnungsrecht hat. Zwar ist anerkannt, daß auch ein gespanntes Verhältnis zwischen dem Prozeßbevollmächtigten und einem Richter ausnahmsweise die Ablehnung des Richters durch die Partei begründen kann (vgl. BFH, Beschluß vom 21. September 1977 I B 32/77, BFHE 123, 305, 307, BStBl II 1978, 12 f.; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluß vom 21. November 1974 1 Z 102/74, Neue Juristische Wochenschrift 1975, 699; Tipke/Kruse, a.a.O., § 51 FGO Tz. 8, aa); doch gilt dies nur, wenn die ablehnende Einstellung des Richters gegenüber dem Prozeßbevollmächtigten auch der Partei gegenüber irdendwie in Erscheinung getreten ist. Im Streitfalle ist weder vorgetragen worden noch ersichtlich, daß derartige Spannungen beständen, geschweige denn, daß sie sich zuungunsten der Partei ausgewirkt hätten. Soweit es in dem Beschluß vom 7. Juni 1985 heißt, der Antragsteller müsse sich das Verschulden seines Vertreters zurechnen lassen, wird damit nur auf einen allgemein geltenden Rechtsgrundsatz hingewiesen (vgl. § 110 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung 1977, § 85 Abs. 2 ZPO).
Auch im übrigen kann sich der Antragsteller nicht auf Gründe berufen, die geeignet wären, die Besorgnis der Befangenheit der Richter zu rechtfertigen, die an dem FG-Beschluß vom 7. Juni 1985 mitgewirkt hatten.
Dem Antragsteller ist zuzugeben, daß sein Vorbringen den in der Beschlußbegründung enthaltenen Satz, der Prozeßbevollmächtigte habe selbst vorgetragen, ,,daß seine Kanzlei . . . unter Organisationsmängeln leidet", nicht trägt. Die vom FG gewählte Formulierung, die gleichfalls nur den Prozeßbevollmächtigten, nicht aber den Antragsteller betrifft, erweckt den Eindruck, als seien Organisationsmängel der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten zugestanden worden, was tatsächlich nicht geschehen ist. Das FG hat den Vortrag des Antragstellers entweder mißverstanden oder - eine Annahme, die nach den dienstlichen Erklärungen der abgelehnten Richter naheliegt - aus diesem Vortrag einen Schluß gezogen, ohne letzteres deutlich zu machen. Ein Mißverständnis oder eine unangebracht erscheinende Schlußfolgerung könnte noch nicht die Besorgnis der Befangenheit gegenüber der Partei erwecken. Fehler dieser Art sind vielmehr mit den dafür vorgesehenen Behelfen - z. B. auch Antrag auf Tatbestandsberichtigung (§ 108, § 113 Abs. 1 FGO) - geltend zu machen. Der mißglückte Ausdruck einer bloßen Schlußfolgerung kann im allgemeinen schon deshalb nicht als Grund einer Befangenheitsbesorgnis anerkannt werden, weil die Ausdrucksweise des Richters als solche grundsätzlich noch nicht Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit rechtfertigt (vgl. auch Albers in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 44. Aufl., 1986, § 42 Anm. 2 B = S. 218). Ungenauigkeiten in der Darstellung geben mithin, für sich gesehen, bei der gebotenen vernünftigen Betrachtung noch keinen Grund, die Unvoreingenommenheit ihres Urhebers in Zweifel zu ziehen. Erst recht muß dies hinsichtlich der Ausführungen über das von einem Rechtsanwalt zu führende Fristenbuch gelten, die nach Ansicht des Senats nicht den Schluß rechtfertigen, das FG habe unterstellt, daß der Prozeßbevollmächtigte kein Fristenbuch geführt habe.
Fundstellen
Haufe-Index 414364 |
BFH/NV 1986, 415 |