Leitsatz (amtlich)
1. Hat in einer Beschwerdesache der Senat in der Besetzung mit fünf Richtern nach § 11 Abs. 3 FGO den Großen Senat des BFH angerufen, so hat er nach Ergehen der Entscheidung des Großen Senats nunmehr über die Beschwerdesache selbst in der Besetzung mit drei Richtern zu befinden, sofern keine mündliche Verhandlung vor dem Senat anberaumt wird.
2. Gebühren und Auslagen eines Bevollmächtigten im Vorverfahren sind nicht nach § 139 Abs. 3 FGO erstattungsfähig, wenn das Verfahren des ersten Rechtsgangs vor Inkrafttreten der FGO durch ein Urteil des BFH beendet worden war, durch das die Sache an das FA zur erneuten Einspruchsentscheidung unter Übertragung der Kostenentscheidung gemäß § 318 Abs. 2 AO a. F. zurückverwiesen wurde und die erneute Einspruchsentscheidung nicht mit der Klage angegriffen, sondern unanfechtbar geworden ist.
Normenkette
FGO § 10 Abs. 3, § 11 Abs. 3, § 139 Abs. 3; AO i.d.F. vor Inkrafttreten der FGO § 316; AO i.d.F. vor Inkrafttreten der FGO § 318 Abs. 2
Tatbestand
Der BFH hatte in einer bei ihm anhängigen HGA-Sache durch Urteil im Dezember 1964 das Urteil des FG und die Einspruchsentscheidung des FA (Antragsgegner und Beschwerdeführer) aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das FA zurückverwiesen. Er hatte dem FA auch die Entscheidung über die Kosten des gesamten Rechtsmittelverfahrens übertragen. Das FA gab daraufhin im September 1966 durch unanfechtbar gewordene Einspruchsentscheidung dem Einspruch teilweise statt und legte unter Bezugnahme auf das Urteil des BFH vom Dezember 1964 die Kosten des gesamten Streitverfahrens zu 1/2 dem Land und zu 1/2 der Abgabeschuldnerin (Antragstellerin und Beschwerdegegnerin) auf.
Auf Antrag der Abgabeschuldnerin erklärte das FG durch Beschluß vom Februar 1967 die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig.
Das FA, vertreten durch die OFD Berlin, legte gegen den Beschluß Beschwerde ein. Es meint, das FG hätte über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO im Tenor seines Urteils entscheiden müssen. Eine Entscheidung durch einen besonderen Beschluß sei unzulässig. § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO gelte im übrigen nur für gerichtliche Entscheidungen, die nach Inkrafttreten der FGO, also nach dem 31. Dezember 1965, ergangen seien. Das FG hätte im Streitfall über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren nicht entscheiden dürfen, da der BFH bereits im Dezember 1964 rechtskräftig über den Rechtsstreit entschieden habe.
Der Senat rief im Streitfall durch Beschluß III B 39/67 vom 25. August/25. Oktober 1968 (BFH 94, 110, BStBl II 1969, 94) nach § 11 Abs. 3 FGO den Großen Senat des BFH u. a. wegen der Frage an, ob die OFD Berlin nach Inkrafttreten der FGO befugt war, ohne Prozeßvollmacht Rechtsmittel im Namen des ihr unterstellten FA beim BFH einzulegen und ob das FA ggf. die ihm übergeordnete OFD Berlin für das Rechtsmittelverfahren vor dem BFH bevollmächtigen könne. Der Große Senat des BFH hat durch Beschluß Gr. S. 4/68 vom 10. März 1969 (BFH 95, 366, BStBl II 1969, 435) die erste Frage verneint und die zweite Frage bejaht. Die OFD Berlin hat daraufhin eine entsprechende Prozeßvollmacht des beschwerdeführenden FA vorgelegt.
Die Entscheidung über die Beschwerde des FA gegen den Beschluß des FG über die Notwendigkeit der Zuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren fällte der Senat außerhalb der mündlichen Verhandlung in der Besetzung mit drei Richtern. Nach § 10 Abs. 3 FGO entscheiden die Senate des BFH grundsätzlich in der Besetzung von fünf Richtern, bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung aber nur in der Besetzung von drei Richtern. Der Große Senat des BFH hat im Beschluß Gr. S 4/68 (a. a. O.) diese Vorschrift dahin ausgelegt, daß die Regelung der Besetzung des Senats in Beschlußsachen außerhalb der mündlichen Verhandlung mit drei Richtern der Vereinfachung des Verfahrens diene. Die Besetzung des Senats mit fünf Richtern ist nach Auffassung des Großen Senats aber stets geboten bei Anrufung des Großen Senats des BFH, weil dem Anrufungsbeschluß im Hinblick auf die Einheitlichkeit innerhalb des Senats eine besondere Bedeutung zukommt. Die Beschlußfassung über die Anrufung des Großen Senats erfolgte dementsprechend in der Besetzung mit fünf Richtern. Nachdem aber der Große Senat über die ihm vorgelegten Rechtsfragen durch Beschluß Gr. S. 4/68 (a. a. O.) entschieden hatte, oblag es dem für die Sachentscheidung zuständigen Senat, den Rechtsstreit zu Ende zu führen, und zwar in der Besetzung, die durch § 10 Abs. 3 Halbsatz 2 FGO für Beschlüsse grundsätzlich vorgeschrieben ist. Da für die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung keine Veranlassung bestand, hatte der Senat über die Beschwerde des FA ohne mündliche Verhandlung in der Besetzung von drei Richtern zu befinden. Gründe, die nach dem Beschluß Gr. S. 4/68 eine Abweichung von der Vereinfachungsregelung rechtfertigen oder gebieten könnten, waren nicht ersichtlich. Keinesfalls zwingt der Umstand, daß die Anrufung des Großen Senats in der Besetzung mit fünf Richtern zu erfolgen hatte, dazu, die Entscheidung über den Rechtsstreit selbst nun auch in der Besetzung von fünf Richtern zu fällen, zumal Gegenstand des Anrufungsbeschlusses und der der sachlichen Streitentscheidung nicht identisch sind.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Beschwerde führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Nach § 316 AO in der bis zum 31. Dezember 1965 gültigen Fassung (AO a. F.) konnten Gebühren und Auslagen, die durch Zuziehung eines Bevollmächtigten im Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren entstanden waren, nicht erstattet werden, auch wenn sich an diese Verfahren ein Rechtsstreit vor dem FG oder BFH anschloß. Eine Erstattung dieser Aufwendungen in außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren ist in den seit dem 1. Januar 1966 geltenden Vorschriften der AO (AO n. F.) ebenfalls nicht vorgesehen. Die am 1. Januar 1966 in Kraft getretene FGO gestattet allerdings in § 139 Abs. 3 Satz 3 einen Ersatz der Gebühren und Auslagen eines Bevollmächtigten im Vorverfahren, wenn dem Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren nach §§ 228 ff. AO n. F. ein Klageverfahren vor dem FG gefolgt war und das Gericht die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren ausdrücklich für notwendig erklärt hat. Eine Erstattung dieser Kosten ist nach dem Beschluß des Großen Senats des BFH Gr. S. 8/66 vom 18. Juli 1967 (BFH 90, 156, BStBl II 1968, 59) aber nicht möglich, wenn das anschließende gerichtliche Verfahren vor dem 1. Januar 1966 rechtskräftig abgeschlossen wurde.
Im Streitfall durfte das FG die Zuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren nicht für notwendig erklären. Der Rechtsstreit zur Hauptsache hatte damit begonnen, daß die Abgabeschuldnerin gegen den HGA-Bescheid vom März 1962 Einspruch eingelegt hatte, den das FA mit Bescheid vom Mai 1962 als unbegründet zurückwies. An das Einspruchsverfahren schloß sich ein gerichtliches Verfahren vor dem FG und dem BFH an. Die im Einspruchsverfahren im Jahr 1962 entstandenen Gebühren und Auslagen des Bevollmächtigten können der Abgabeschuldnerin gemäß dem Beschluß des Großen Senats des BFH Gr. S. 8/66 (a. a. O.) trotz des nachfolgenden gerichtlichen Verfahrens nicht erstattet werden, weil das gerichtliche Verfahren vor Inkrafttreten der FGO durch das Urteil des Senats vom Dezember 1964 rechtskräftig abgeschlossen war und die damals geltenden Vorschriften der AO a. F. eine Erstattung solcher Aufwendungen nicht zuließen. Der Senat eröffnete zwar dadurch, daß er die Sache unter Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und der Einspruchsentscheidung nach § 296 Abs. 3 AO a. F. an das FA zurückverwies, erneut das Einspruchsverfahren vor dem FA. Die in diesem Verfahren entstandenen Aufwendungen des Bevollmächtigten sind jedoch ebenfalls nicht erstattungsfähig; denn dieses Verfahren wurde durch die Einspruchsentscheidung des FA vom September 1966 abgeschlossen, ohne daß sich daran ein Klageverfahren anschloß. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß der BFH durch Urteil vom Dezember 1964 nach § 318 Abs. 2 AO a. F. dem FA die Entscheidung über die Kosten des gesamten Rechtsmittelverfahrens übertragen und das FA über die Kosten erst nach Inkrafttreten der FGO befunden hat. Das gerichtliche Verfahren und das in ihm bestehende Prozeßrechtsverhältnis war durch das Urteil des Senats vom Dezember 1964 trotz der noch ausstehenden Kostenentscheidung beendet. Die mit der Einspruchsentscheidung des FA verbundene Entscheidung über die Kosten des ganzen Verfahrens war trotz der vom BFH übertragenen Entscheidungsbefugnis keine gerichtliche Entscheidung mehr, denn das Prozeßrechtsverhältnis war mit der Entscheidung des Senats vom Dezember 1964 erloschen, sondern die Entscheidung einer Verwaltungsbehörde. Das FA konnte eine Kostenentscheidung aber nur nach den Vorschriften der AO, nicht jedoch nach denen der FGO treffen, da letztere nur für gerichtliche Entscheidungen vorgesehen sind. Die Vorschriften der AO n. F. sehen aber - wie ausgeführt - keine Erstattung der Kosten eines Bevollmächtigten im Vorverfahren vor. Der angefochtene Beschluß war daher ersatzlos aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 412939 |
BStBl II 1969, 710 |
BFHE 1969, 501 |