Entscheidungsstichwort (Thema)
Urteilsberichtigung bei Kanzleiversehen
Leitsatz (NV)
Fehler, die die den Beteiligten zugestellte Ausfertigung eines Urteils aufgrund eines Kanzleiversehens enthält, können jederzeit vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle richtiggestellt werden. Die Berichtigung ist auch dann wirksam, wenn sie statt dessen von der Gerichtskanzlei durchgeführt wird. Das Urteil ist in dem einen wie in dem anderen Fall allein in der berichtigten Fassung maßgebend.
Normenkette
FGO §§ 155, 107, 105 Abs. 2 Nr. 5, § 116 Abs. 1 Nr. 5; ZPO §§ 317, 319
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) gegen die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) eine Prüfungsanordnung erlassen durfte. Die dagegen gerichtete Fortsetzungsfeststellungsklage blieb erfolglos. Das abweisende Urteil des Finanzgerichts (FG) wurde der Klägerin am 31. März 1998 zugestellt. Laut Kanzleinotiz des FG vom 8. April 1998 lag allerdings "durch einen Computerausfall im hauseigenen System in der Ausfertigung des Urteils vom 16. 12. 1997 insofern eine Abweichung vom Urtext vor, daß sämtliche Berichtigungen im Urtext nicht durchgeführt bzw. berücksichtigt wurden". Zugleich mit dieser Notiz wurde den Beteiligten nunmehr eine jeweils korrigierte Urteilsfassung übersandt.
Mit ihrer gegen dieses Urteil gerichteten Revision erhebt die Klägerin eine Verfahrensrüge gemäß §116 Abs. 1 Nr. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das Urteil sei nicht mit Gründen versehen, auch wenn die zugestellte Ausfertigung des Urteils Gründe enthalte. Diese seien aber aus sich heraus nicht in allen Teilen verständlich und nicht in sich schlüssig. Außerdem nehme das Urteil auf die "Dienstanweisung zur Neuaufstellung der Betriebskartei zum 1. 1. 1985" Bezug, obwohl diese nicht allgemein zugänglich und ihr auch unbekannt sei.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unzulässig.
Gemäß Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs findet abweichend von §115 Abs. 1 FGO die Revision nur statt, wenn sie das FG oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof (BFH) zugelassen hat oder wenn ein Fall der zulassungsfreien Revision gemäß §116 FGO gegeben ist. An beidem fehlt es: Die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision hat der erkennende Senat durch Beschluß vom heutigen Tage zurückgewiesen. Gründe, die eine zulassungsfreie Revision gemäß §116 FGO gerechtfertigt erscheinen lassen, liegen nicht vor, auch kein Begründungsmangel i.S. des §116 Abs. 1 Nr. 5 FGO.
1. Nach §105 Abs. 2 Nr. 5 FGO muß ein Urteil Entscheidungsgründe enthalten. Darin sind die wesentlichen rechtlichen Erwägungen, die aus Sicht des Gerichts für die getroffene Entscheidung maßgeblich waren, den Beteiligten mitzuteilen (Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §105 Rdnr. 23, m.w.N.). Ein Urteil enthält daher Entscheidungsgründe, wenn die Beteiligten anhand des Urteilstextes die Möglichkeit haben, die getroffene Entscheidung auf ihre Richtigkeit und Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Dabei müssen die Entscheidungsgründe den Beteiligten in einer Weise mitgeteilt werden, die gewährleistet, daß ihnen für die Prüfung die volle Rechtsmittelfrist zur Verfügung steht (BFH-Urteil vom 14. Mai 1992 V R 96/90, BFHE 168, 306, BStBl II 1992, 1040).
2. So verhält es sich im Streitfall.
a) Zwar betrifft §116 Nr. 5, §119 Nr. 6 FGO nicht nur das Fehlen jeglicher Urteilsgründe überhaupt. Ein Fall des §119 Nr. 6 FGO ist vielmehr auch dann gegeben, wenn Gründe vorhanden, aber derart unvollständig und verworren sind, daß nicht mehr erkennbar ist, welche Überlegungen für die Entscheidung maßgeblich waren (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., §119 Rz. 23, m.w.N.). Ob sich solches infolge der in der ursprünglichen Urteilsausfertigung fehlenden Textpassagen auch vorliegend annehmen ließe, erscheint fraglich, kann im Ergebnis aber dahinstehen. Ausschlaggebend ist, daß die Fehler in der Urschrift des Urteils nicht enthalten sind; sie beruhen lediglich auf einem Kanzleiversehen bei der Fertigung der Reinschrift. Die den Beteiligten zugestellte Urteilsausfertigung konnte deshalb vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle gemäß §155 FGO i.V.m. §§317, 319 der Zivilprozeßordnung jederzeit richtiggestellt werden (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 19. Februar 1991 VIII R 8/86, BFH/NV 1992, 175; Beschluß vom 12. Februar 1996 III B 48/95, BFH/NV 1996, 754). Im Streitfall ist zwar nicht der Urkundsbeamte tätig geworden, sondern die Gerichtskanzlei selbst, indem diese den Beteiligten, also auch der Klägerin, unter Hinweis auf einen technischen Übertragungsfehler jeweils eine berichtigte Urteilsfassung übersandt hat. Es fehlt auch ein Berichtigungsvermerk auf den Urteilsausfertigungen. Diese Vorgehensweise wirkt sich auf die vorgenommenen Berichtigungen und deren Wirkungen jedoch nicht aus; das Urteil ist nunmehr allein in der berichtigten Fassung maßgebend (vgl. auch §107 Abs. 2 Satz 2 FGO; dazu Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., §107 FGO Rz. 27, m.w.N.). Ob wegen der Berichtigung -- ausnahmsweise -- eine neue Rechtsmittelfrist in Lauf gesetzt worden sein könnte (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., §107 Rz. 6, m.w.N.), kann vorliegend außer Betracht bleiben.
b) An der hinreichenden Begründung des angefochtenen Urteils ändert auch der Umstand nichts, daß das FG sich auf die ihm in der mündlichen Verhandlung vom Beklagtenvertreter überreichte "Dienstanweisung zur Neuaufstellung der Betriebskartei zum 1. 1. 1985" bezogen hat. Diese Bezugnahme ist lediglich ergänzender Natur, durch sie wird die Begründung nicht ersetzt (zu dieser Unterscheidung siehe Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., §105 FGO Rz. 44, m.w.N.). Abgesehen davon ist nicht erkennbar oder von der Klägerin dargetan, daß ihr spätestens in der mündlichen Verhandlung keine Möglichkeit gegeben worden wäre, die besagte "Dienstanweisung" einzusehen.
Fundstellen