Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuer Sonstiges Arbeitsrecht
Leitsatz (amtlich)
Auch Einrichtungen der sogenannten gebundenen Erwachsenenbildung können Volkshochschulen im Sinne des § 47 Ziff. 2 UStDB sein.
UStG § 2, § 4 Ziff. 14 und 16; UStDB § 17 Abs. 2, § 43, § 47 Ziff. 2; GG Art. 3, Art. 4 Abs. 1, Art. 5
Normenkette
UStG § § 2, 4 Ziff. 14, § 4/21, § 4 Ziff. 16, § 4/18, § 4/24, § 4/22; UStDB § 17 Abs. 2, §§ 43, 47 Ziff. 2; GG Art. 3, 4 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3
Tatbestand
Der Bf., ein eingetragener Verein, verfolgt nach § 1 seiner Satzung "ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke im Sinne der Gemeinnützigkeitsverordnung vom 24. Dezember 1953, und zwar insbesondere durch soziale und staatspolitische Bildungsarbeit im Geiste der christlichen Soziallehre und durch Förderung solcher Einrichtungen, die dieser Aufgabe dienen". Er veranstaltet nach einem von der Gesamtleitung der Sozialen Seminare in Münster (Westfalen) herausgegebenen Lehrplan an verschiedenen Orten der Diözese ... dreijährige Lehrgänge, in denen wöchentlich in zwei Arbeitsstunden nach der Methode des Lehrgesprächs Fragen der Erwachsenenbildung behandelt werden. Der Lehrplan enthält zahlreiche Einzelthemen, die sich in den ersten drei Halbjahren hauptsächlich mit weltlichen, im vierten Halbjahr vorwiegend mit kirchlichen Problemen befassen, während das fünfte und sechste Halbjahr für Wiederholungen, Weiterführung des Erarbeiteten und für eine Abschlußprüfung freigehalten werden. Die einzelnen Abschnitte des Lehrplans sind überschrieben:
Halbjahr: 1 A Die soziale Frage - Begriff und Geschichte 1 B Grundlagen der christlichen Gesellschaftslehre 1 C Ehe und Familie
Halbjahr: 2 A Gemeinde und Staat 2 B Die Wirtschaft
Halbjahr: 3 A Der Betrieb 3 B Sozialpolitik - Arbeits- und Sozialrecht
Halbjahr: 4 A Die Kirche 4 B Sozialreform nach der Lehre der Kirche.
Der Grundton der Vorträge ist auf christliches Denken und christliche Gesellschaftsauffassung abgestimmt. Die Lehrgänge bauen - insbesondere im vierten Halbjahr - auf der Glaubens- und Soziallehre der katholischen Kirche auf. Ihr Ziel ist nach dem bischöflichen Geleitwort zum Lehrplan "Die Heranbildung und Formung von Persönlichkeiten, die bereit und fähig sind, das öffentliche Leben in all seiner Vielschichtigkeit aus katholischer Sicht und Verantwortung mit zu prägen". Teilnahmeberechtigt sind über 18 Jahre alte Personen aller Berufe ohne Rücksicht auf ihre Vorbildung. Gedacht ist nach dem Zweck der Veranstaltungen, "mündige Laienapostel" als Helfer der Bischöfe" zu gewinnen (vgl. das Vorwort der Lehrplanbroschüre), in erster Linie an Angehörige der katholischen Kirche, wenn auch Andersgläubigen die Teilnahme nicht verwehrt ist.
Die Einnahmen des Bf., die vorwiegend zur Deckung der Unkosten verwendet werden (ß 47 Ziff. 2 UStDB), setzen sich zusammen aus ... und Vortragsgebühren. Streitig ist, ob die Vortragsgebühren der Umsatzsteuer unterliegen. Die Vorinstanzen haben diese Frage bejaht. In der Vorentscheidung wird ausgeführt, die strittigen Umsätze seien steuerbar. Der Bf. sei im Rahmen der von ihm durchgeführten Veranstaltungen selbständig und nachhaltig zur Erzielung von Einnahmen tätig. Die Steuerbarkeit werde durch die Gemeinnützigkeit der Tätigkeit nicht beeinflußt. Auch Steuerbefreiungsvorschriften kämen nicht zum Zuge. § 4 Ziff. 14 UStG sei schon deshalb nicht anwendbar, weil es an der staatlichen Genehmigung der Lehrtätigkeit fehle, § 4 Ziff. 16 UStG deshalb nicht, weil der Bf. weder unmittelbar noch als Untergliederung, Einrichtung oder Anstalt zu den in § 43 UStDB aufgeführten amtlich anerkannten Verbänden der freien Wohlfahrtspflege gehöre. Die Anwendung des § 47 Ziff. 2 UStDB schließlich scheitere daran, daß der Bf. weder eine öffentlich-rechtliche Körperschaft noch eine Volkshochschule sei. Das Wesen der Volkshochschulen bestehe darin, unabhängig von bestimmten Anschauungen verschiedene Geistesrichtungen zu Worte kommen zu lassen und sie in voller Gleichberechtigung nebeneinander darzustellen und zu erörtern. Hiermit stehe die Tätigkeit des Bf. nicht in Einklang; denn ihr Inhalt und Zweck seien weitgehend auf die Darstellung und Verbreitung der Lehren einer bestimmten Konfession abgestellt.
Mit der Rb. bestreitet der Bf., im Sinne des § 3 UStG selbständig tätig zu sein. Außerdem vermißt er in der Vorentscheidung eine Begründung dafür, daß ihm trotz des gemeinnützigen Charakters seiner Tätigkeit keine Steuerfreiheit zustehen solle. Vor allem aber begehrt er Steuerfreiheit nach § 47 Ziff. 2 UStDB, weil er - entgegen der Auffassung des Finanzgerichts - eine Volkshochschule sei.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Es ist dem Finanzgericht darin zuzustimmen, daß der Bf. steuerbare Umsätze getätigt hat und daß die Steuerbefreiungsvorschriften des § 4 Ziff. 14 und 16 UStG auf sie keine Anwendung finden. Der umsatzsteuerrechtliche Begriff des Unternehmens ist weit zu verstehen. Unternehmer ist nach § 2 Abs. 1 UStG jeder, der eine nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen (nicht notwendigerweise von Gewinn) selbständig ausübt. Unselbständig ist eine juristische Person dann, wenn sie dem Willen eines Unternehmers derart untergeordnet ist, daß sie keinen eigenen Willen hat (ß 2 Abs. 2 Ziff. 2 UStG), d. h., wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in sein Unternehmen eingegliedert ist (ß 17 Abs. 2 UStDB). Von einer so gestalteten Eingliederung des Bf. in ein anderes Unternehmen kann trotz weitgehender Lenkung seiner Organisation und Tätigkeit durch kirchliche Behörden keine Rede sein...
Auch eine Steuerbefreiung wegen des gemeinnützigen Charakters der vom Bf. ausgeübten Tätigkeit kommt nicht in Betracht. Eine allgemeine Steuerbefreiung wegen Gemeinnützigkeit ist dem Umsatzsteuerrecht fremd. Gemeinnützige Zwecke spielen nur im Rahmen der Ziff. 14 und 16 des § 4 UStG eine Rolle. Diese Befreiungsvorschriften sind aber aus den vom Finanzgericht dargelegten, oben wiedergegebenen Gründen nicht anwendbar.
Zweifelhaft kann nur sein, ob der Bf. Steuerfreiheit nach § 47 Ziff. 2 UStDB in Anspruch nehmen kann, weil er eine Volkshochschule im Sinne dieser Vorschrift ist. Die Verwaltungspraxis versteht unter Volkshochschulen im allgemeinen Schulen besonderer Art, die auf freiwilliger, überparteilicher und überkonfessioneller Grundlage in Kursen, Arbeitsgemeinschaften, Lehrgängen und Vorträgen mit Aussprachen den Bildungsbedürfnissen der Hörer insbesondere auf wissenschaftlichem, berufsförderndem, kulturellem, staatsbürgerlichem und musischem Gebiet dienen. Andererseits hat der Bundesminister der Finanzen einer Rundverfügung der Oberfinanzdirektion Münster vom 19. Juni 1959 zugestimmt, nach der unter bestimmten Voraussetzungen die den Volkshochschulen entsprechenden Volksbildungseinrichtungen, die ihre Bildungsarbeit auf einer bestimmten religiösen, weltanschaulichen, sozialen oder politischen Grundlage durchführen, Steuerfreiheit nach § 47 Ziff. 2 UStDB in Anspruch nehmen können.
Es ist zweifelhaft, ob die Forderung, die Veranstaltungen der Volkshochschulen müßten weltanschaulich (politisch, sozial und konfessionell) neutral sein, zu Recht besteht. Aus dem Worte "Volkshochschule" läßt sich eine solche Einschränkung jedenfalls nicht herleiten. Aus ihm ist nur zu entnehmen, daß die Veranstaltungen für alle Kreise der Bevölkerung offen sein müssen. über Lehrstoff, Lehrmethode und Grundeinstellung sagt die Bezeichnung nichts aus.
Bessere Hinweise gibt die Geschichte der Erwachsenenbildung in Deutschland. Einer ihrer hauptsächlichen Entstehungsgründe war die Entkirchlichung breiter Bevölkerungskreise seit dem Beginn der modernen industriellen Massengesellschaft. Die Volksbildungsbewegung wollte nach dänischen und englischen Vorbildern der mit der Verweltlichung verbundenen Gefahr einer allgemeinen Verflachung im geistigen und sittlichen Bereich entgegenwirken. Um sich durchsetzen zu können, mußte sie in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens in politischen, sozialen und religiösen Fragen größte Zurückhaltung üben. Die politische Neutralität endete im Jahre 1919 mit dem Inkrafttreten der demokratischen Verfassung, die eine verantwortliche Teilnahme aller Schichten des Volkes am politischen Geschehen verlangte, die soziale Neutralität mit dem Erstarken der sozialen Idee und dem Anwachsen der sozialen Spannungen. In den Städten gewannen die Einrichtungen der Arbeiterbildung ständig an Boden. Auf dem Lande breiteten sich vor allem Bauernvolkshochschulen aus. Auch die konfessionell gebundenen Kräfte schalteten sich in zunehmendem Maße in die allgemeine Volksbildungsarbeit ein. So bestanden nach dem ersten Weltkrieg die verschiedensten Typen und Richtungen der Erwachsenenbildung nebeneinander, auf dem Lande vorwiegend als Heimvolkshochschulen, in den Städten zumeist als Abendvolkshochschulen. Neben die unkritische, bloß "verbreitende" Volksbildung, die sich auf die Abhaltung von Vorträgen und Lehrgängen beschränkte, trat die kritische, "gestaltende" Volksbildung, die den Hörer zur tätigen Mitarbeit heranzog. Außerdem zeichneten sich immer deutlicher zwei Grundformen der Volksbildung ab, die sogenannte "freie", die jede weltanschauliche oder politische Gruppe zur Geltung kommen läßt, und die sogenannte "gebundene", die von einer festen politischen, sozialen oder weltanschaulichen Grundeinstellung ausgeht.
Die zwei Grundnormen der Volksbildung, die "freie" und die "gebundene" sind gleichwertig und gleichrangig. Der Deutsche Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen führt in seinem Gutachten "Zur Situation und Aufgabe der deutschen Erwachsenenbildung" vom 29. Januar 1960 im Abschnitt "Freiheit und Bindung in der Erwachsenenbildung" zur Frage der gebundenen Erwachsenenbildung (Seiten 50/51) folgendes aus:
"Es ist die Freiheit selber, nämlich die Freiheit, sich gemeinsam zu binden, die in der pluralistischen Gesellschaft das Recht auf eine gebundene Erwachsenenbildung begründet.
Sie begegnet uns vor allem als konfessionelle Erwachsenenbildung, als Bildungsarbeit der politischen Bewegungen und als Bildungsarbeit der Sozialverbände, so der Gewerkschaften und der Bauernverbände. Wenn sie den Willen zur Bildung hat, wenn sie also auf das Ganze der zu bildenden Person abzielt und das Ganze der Welt einzubegreifen trachtet, dann unterscheidet sie sich eindeutig einerseits von Mission, andererseits von Propaganda und Schulung. Sie ist in Bewegungen und Organisationen möglich, die selbst so umfassend angelegt sind, daß sie das Ganze der Person und der Welt im Blick haben. Das trifft für die großen sozialen Bewegungen, insbesondere aber für die christlichen Konfessionen zu. So wenig Bildung mit dem christlichen Glauben zusammenfällt, so wenig widerspricht sie ihm, und die Konfessionen sind daran interessiert und dazu berechtigt, in eigenen Einrichtungen der Bildung der Gläubigen zu dienen. Sie gehen dabei von der Voraussetzung aus, daß in der Einheit der Person die religiöse und profane Bildung untrennbar eins sind. Die Konfessionen berufen sich ferner auf das Recht von überzeugungsgemeinschaften, ihre ausgeprägten Bildungsvorstellungen allen zur freien Entscheidung anzubieten. Legitimation und Recht der Kirche und der christlichen Laien zur Bildungsarbeit sind unbestritten."
Es erscheint zweifelhaft, ob bei dieser Situation der gebundenen Erwachsenenbildung, sofern der Kreis der Vortragsthemen so weit gezogen ist wie im Lehrplan der Sozialen Seminare, das Recht abgesprochen werden kann, sich als "Volkshochschule" zu bezeichnen. Eine gesetzliche Definition des Begriffs "Volkshochschule" fehlt. Viele Einrichtungen der Erwachsenenbildung, die die gleichen Zwecke wie die Volkshochschulen verfolgen und dieselbe Bildungsarbeit leisten, haben sich andere Namen gegeben, wie z. B. Volksbildungswerk, Volksbildungsverein, Bund für Volksbildung, Kulturwerk, Kulturgemeinde. Der Plan, ein einheitliches "Volkshochschulgesetz" zu schaffen, ist wegen der noch nicht ausgereiften Entwicklung der Erwachsenenbildung bisher nicht verwirklicht worden. Immerhin zeigt sich auch in der Gesetzgebung die Tendenz, die freie und die gebundene Erwachsenenbildung gleichzustellen. So bestimmt § 5 Abs. 3 des nordrhein-westfälischen Gesetzes über die Zuschußgewährung an Volkshochschulen und entsprechenden Volksbildungseinrichtungen vom 10. März 1953 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen, Bereinigte Sammlung 1945 bis 1956 S. 440), daß Heimvolkshochschulen ihrer Bildungsarbeit einen bestimmten, religiösen, weltanschaulichen oder sozialen Charakter geben können. Den Volkshochschulen entsprechende Volksbildungseinrichtungen, die im Rahmen dieses Gesetzes im wesentlichen den Volkshochschulen gleichgestellt sind, sind nach § 10 a. a. O. "solche Einrichtungen der Erwachsenenbildung, die ihre Bildungsarbeit ... auf einer bestimmten religiösen, weltanschaulichen, sozialen oder politischen Grundlage durchführen".
Ob vom erziehungs- und bildungsrechtlichen Standpunkt aus die Einrichtungen der gebundenen Erwachsenenbildung Volkshochschulen darstellen oder ihnen wenigstens gleichzustellen sind, kann im Streitfalle letztlich unentschieden bleiben. Hier kommt es auf die Rechtsfrage an, was unter "Volkshochschulen" im Sinne des § 47 Ziff. 2 UStDB zu verstehen ist. Der Senat vertritt die Auffassung, daß dieser Begriff für die Umsatzsteuer nicht zu eng ausgelegt werden darf und Einrichtungen der gebundenen Erwachsenenbildung mitumfaßt, sofern diese - wie im vorliegenden Falle - den Kreis der Hörer nicht ausdrücklich einengen und "auf das Ganze der zu bildenden Person abzielen und das Ganze der Welt einzubeziehen trachten". Eine einengende Auslegung - wie sie die Vorinstanzen für richtig halten - würde bei der oben dargestellten Gleichwertigkeit und Gleichrangigkeit der "freien" und der "gebundenen" Erwachsenenbildung mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG) nicht in Einklang stehen. Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich (Art. 4 Abs. 1 GG). Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten (Art. 5 Abs. 1 GG). Diese Grundrechte gelten nicht bloß für Einzelmenschen, sondern auch für inländische juristische Personen (Art. 19 Abs. 3 GG). Die Versagung der Steuerfreiheit des § 47 Ziff. 2 UStDB bei volksschulgleichen oder - ähnlichen "gebundenen" Einrichtungen der Erwachsenenbildung und ihre Gewährung bei entsprechenden "freien" Einrichtungen würde insbesondere dem Grundsatz des Art. 3 Abs. 3 GG zuwiderlaufen, daß niemand wegen ... seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf.
Der Senat kommt daher zu dem Ergebnis, daß der Bf. einer Volkshochschule im Sinne des § 47 Ziff. 2 UStDB gleichzusetzen ist. Da die übrigen Voraussetzungen dieser Vorschrift unstreitig vorliegen, war der Bf. von der Umsatzsteuer für die Veranlagungszeiträume 1953 bis 1955 freizustellen.
Fundstellen
BStBl III 1962, 458 |
BFHE 1963, 526 |
BFHE 75, 526 |
StRK, UStG:2/1 R 126 |