Leitsatz (amtlich)
Aufwendungen, die einem Steuerpflichtigen im Anschluß an die Scheidung seiner Ehe im Zusammenhang mit einem Verfahren über das Sorgerecht für die Kinder nach § 1671 BGB i. d. F. des Gleichberechtigungsgesetzes vom 18. Juni 1957 entstehen, sind in der Regel - wie die Ehescheidungskosten selbst - außergewöhnliche Belastungen im Sinne von § 33 EStG. Das gilt auch für die Aufwendungen für ein Beschwerdeverfahren gegen den im Sorgerechtsverfahren ergangenen Beschluß des Vormundschaftsgerichts.
Normenkette
EStG § 33; BGB i.d.F. des Gleichberechtigungsgesetzes vom 18. Juni 1957 § 1671
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten nur noch darüber, ob die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) die Kosten eines vom klagenden Ehemann geführten familienrechtlichen Verfahrens nach § 1671 BGB i. d. F. des Gleichberechtigungsgesetzes vom 18. Juni 1957 - BGB a. F. - (BGBl I 1957, 609) um das Sorgerecht für seine aus der ersten Ehe stammenden, im Streitjahr 1970 minderjährigen Kinder nach § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) abziehen dürfen.
Die erste Ehe des Klägers wurde im Jahre 1968 geschieden; er ist inzwischen wieder verheiratet. Aus seiner früheren Ehe sind zwei Söhne hervorgegangen, die im Streitjahr 1970 noch minderjährig waren und bei ihrer Mutter lebten. Nachdem das Vormundschaftsgericht der geschiedenen Ehefrau bereits für die Dauer des Getrenntlebens die elterliche Gewalt über die beiden Kinder übertragen hatte, erkannte es ihr durch Beschluß vom 18. Juli 1969 das Sorgerecht auch für die Zeit nach der rechtskräftigen Scheidung der Ehe zu. Die gegen den letztgenannten Beschluß gerichtete Beschwerde des Klägers hat das Landgericht mit Beschluß vom 5. Februar 1971 zurückgewiesen.
Im Gegensatz zur Einspruchsentscheidung des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt - FA -) hat das Finanzgericht (FG) die für das Beschwerdeverfahren vom Kläger im Jahr 1970 aufgewandten Kosten unter Abzug der zumutbaren Eigenbelastung als außergewöhnliche Belastung anerkannt. In der Urteilsbegründung heißt es hierzu: Die Kosten für das Familienrechtsverfahren vor dem Landgericht seien im Sinne des § 33 Abs. 2 EStG dem Kläger dem Grunde nach zwangsläufig entstanden, weil er sich ihnen nicht habe entziehen können. Nach der Scheidung der Ehe bestimme das Vormundschaftsgericht, welchem Elternteil die elterliche Gewalt über ein gemeinschaftliches Kind zustehen solle (§ 1671 Abs. 1 BGB a. F.). Die Eltern hätten nur ein Vorschlagsrecht. Gegen eine Verfügung, die eine Entscheidung über das Sorgerecht enthalte, stehe jedem, der ein berechtigtes Interesse habe, diese Angelegenheit wahrzunehmen, die Beschwerde zu (§ 57 Abs. 1 Nr. 9 des Gesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit - FGG -). Das Verfahren richte sich nach den Vorschriften des Gesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit. Da die Übertragung der elterlichen Gewalt über gemeinschaftliche Kinder auf einen der beiden Elternteile nur durch eine gerichtliche Entscheidung getroffen werden könne, seien die Kosten eines solchen Verfahrens steuerrechtlich dem Grunde nach ebenso als zwangsläufige außergewöhnliche Belastung anzuerkennen wie die Kosten des Ehescheidungsprozesses. Die vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen seien in der anerkannten Höhe auch notwendig und damit zwangsläufig gewesen.
Das FA rügt mit der Revision die unrichtige Anwendung des § 33 EStG, insbesondere des in § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG definierten Begriffs der Zwangsläufigkeit. Es führt hierzu u. a. aus:
Eine Zwangsläufigkeit aus rechtlichen Gründen könne nicht bereits deshalb bejaht werden, weil ein bestimmter Rechtszustand kraft Gesetzes nur durch eine Gerichtsentscheidung oder einen sonstigen rechtsgestaltenden Staatsakt verändert werden könne. Auch in diesen Fällen sei die Ursache einer kraft Gesetzes bestehenden Zwangsläufigkeit mit in die Prüfung der Zwangsläufigkeit im Sinne des § 33 Abs. 2 EStG einzubeziehen. Andernfalls müßten die Kosten für jeden rechtsgestaltenden Staatsakt nicht vermögensrechtlicher Art, wie z. B. die Kosten für den Standesbeamten, die Kosten eines Entmündigungsverfahrens oder einer Namensänderung als zwangsläufig im Sinne des § 33 EStG angesehen und als außergewöhnliche Belastungen anerkannt werden. Dies widerspreche dem Billigkeitscharakter des § 33 EStG, demzufolge beim Merkmal der Zwangsläufigkeit und der Außergewöhnlichkeit stets auf den Einzelfall abzustellen sei. Es sei daher auch bei den kraft Gesetzes entstehenden Kosten für rechtsgestaltende Staatsakte zu prüfen, auf welchen tatsächlichen Ursachen sie beruhten.
Im Streitfall sei von der Erkenntnis auszugehen, daß mit der Entscheidung der Verlobten, eine Ehe einzugehen, für die Allgemeinheit und für die Verlobten selbst vorhersehbare rechtliche und tatsächliche Vorteile, auch finanzieller Art, verbunden seien. Auf der anderen Seite entständen mit der Auflösung der Ehe aber auch vorhersehbare rechtliche und tatsächliche Verpflichtungen, verbunden mit dementsprechenden finanziellen Aufwendungen. So sei bereits bei Eingehen der Ehe absehbar, daß die Ehe nicht ohne richterliche Entscheidung gelöst werden könne, und daß, wenn Kinder aus dieser Ehe hervorgegangen seien, dann für die Übertragung der elterlichen Gewalt richterliche Entscheidungen erforderlich seien. Da die bei Auflösung der Ehe entstehenden Kosten die Partner mithin nicht gleichsam als unabwendbares Ereignis träfen, seien die mit der gerichtlichen Entscheidung über das elterliche Sorgerecht verbundenen Aufwendungen nicht als zwangsläufig nach § 33 Abs. 2 EStG anzusehen.
Im übrigen seien die Ausgaben im Streitfall deshalb entstanden, weil der Kläger sich mit der Beschwerde (vergeblich) dagegen gewandt habe, daß das Vormundschaftsgericht durch Beschluß vom 18. Juli 1969 seiner geschiedenen Ehefrau das Sorgerecht für die beiden minderjährigen Kinder übertragen habe. Da es im freien Belieben des Klägers gestanden habe, ein - letztlich unbegründetes - Rechtsmittel einzulegen, seien ihm die Kosten für dieses Beschwerdeverfahren auch aus diesem Grunde nicht zwangsläufig erwachsen.
Das FA beantragt daher sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer in bestimmter Weise ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse erwachsen. Zwangsläufig erwachsen einem Steuerpflichtigen Aufwendungen, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Dies trifft auf die von den Klägern geltend gemachten Aufwendungen für das Sorgerechtsverfahren zu.
Nach den zutreffenden Ausführungen von Herrmann/Heuer (Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 18. Aufl., § 33 EStG Anm. 11 a Abs. 4) ist die Zwangsläufigkeit im Rahmen des § 33 Abs. 2 EStG grundsätzlich nicht allein an der unmittelbaren Zahlungsverpflichtung zu messen, sondern es muß auch das die Verpflichtung adäquat verursachende Ereignis für den Steuerpflichtigen zwangsläufig sei. So kommen z. B. Aufwendungen zur Tilgung von Schulden nur dann als außergewöhnliche Belastung in Betracht, wenn die Schuldaufnahme durch Ausgaben veranlaßt war, die ihrerseits den Tatbestand des § 33 EStG erfüllen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 18. November 1977 VI R 142/75, BFHE 124, 39, BStBl II 1978, 147 und die dort angeführten weiteren Entscheidungen). Der Senat hat die Zwangsläufigkeit beim Eintritt des die Zahlungsverpflichtung auslösenden Ereignisses allerdings in Ausnahmefällen, so insbesondere bei Aufwendungen für die Heilung oder Linderung von Krankheiten, auch wenn der Steuerpflichtige selbst die Krankheit schuldhaft, z. B. durch Alkoholgenuß, herbeigeführt hat (vgl. Urteil vom 30. November 1966 VI R 108/66, BFHE 88, 491, BStBl III 1967, 459), typisierend als gegeben angenommen, wenn die hierzu erforderlichen Feststellungen nur durch unzumutbares Eindringen in die durch das Grundgesetz (GG) geschützte Privatsphäre des Steuerpflichtigen getroffen werden könnten.
Ähnlich ist die Rechtsprechung des BFH zu den Ehescheidungskosten zu verstehen. Diese Kosten hat der BFH als zwangsläufig im Sinne des § 33 EStG angesehen und als außergewöhnliche Belastung anerkannt, auch wenn die Ehe aus dem Verschulden des Steuerpflichtigen geschieden wurde. Der BFH hat dabei zwar in den Urteilen vom 8. November 1974 VI R 22/72 (BFHE 114, 90, BStBl II 1975, 111) und vom 10. Februar 1977 IV R 87/74 (BFHE 121, 440, BStBl II 1977, 462) ausdrücklich nur auf die unmittelbare Ursache der Zahlungsverpflichtungen abgestellt, indem er betont hat, Ehescheidungskosten seien aus rechtlichen Gründen zwangsläufig, weil eine Ehe zu Lebzeiten nur durch eine gerichtliche Entscheidung gelöst werden könne. Das FA hat in der Revisionsbegründung zu Recht hervorgehoben, daß es hierauf allein bei der Zwangsläufigkeit der Aufwendungen nicht ankommen kann, weil sonst auch Aufwendungen für jeden anderen rechtsgestaltenden Staatsakt, wie z. B. die Gebühren des Standesbeamten für eine Eheschließung, als zwangsläufig im Sinne des § 33 EStG anzusehen wären. Wie sich aus dem BFH-Urteil vom 23. Februar 1968 VI R 239/67 (BFHE 91, 534, BStBl II 1968, 407) ergibt, hat der Senat indessen auch bei Ehescheidungskosten als Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 33 EStG nicht nur die Zwangsläufigkeit der Aufwendungen selbst geprüft, sondern auch, ob die Ehescheidung zwangsläufig ist. Er hat allerdings - ähnlich wie bei den Krankheitskosten - die auf tatsächlichen Umständen beruhende Zwangsläufigkeit der Ehescheidung dadurch unterstellt, daß er es grundsätzlich ablehnte, im Rahmen des § 33 EStG auf die Frage nach der Schuld an der Zerrüttung der Ehe einzugehen. Er hat es nicht für angebracht gehalten, dem FA zuzumuten, den Ehescheidungsprozeß mit allen persönlichen Belastungen für die Betroffenen im Besteuerungsverfahren zu wiederholen. Für solche Feststellungen ist, wie der Senat hervorgehoben hat, das Besteuerungsverfahren nicht geeignet.
An dieser Ansicht hält der Senat trotz der im Schrifttum erhobenen Bedenken gegen die Nichtberücksichtigung des Verschuldens (vgl. insbesondere Herrmann/Heuer, a. a. O., § 33 EStG Anm. 16 bis 30, E 75/76) fest. Es kann insbesondere nicht übersehen werden, daß dem Schuldausspruch bei Ehescheidungen nach dem früheren Ehescheidungsrecht nur ein eingeschränkter Wahrheitsgehalt zukam. Denn Ehen wurden damals häufig im Wege der sogenannten Konventionalscheidung aufgelöst, bei der ein Ehegatte die Schuld an der Scheidung nicht selten auf sich nahm, ohne an der Scheidung wirklich schuld gewesen zu sein, nur um das Einverständnis des anderen Ehegatten zu der Ehescheidung zu erhalten. Der Senat sieht es nach wie vor nicht als Aufgabe der Finanzbehörden und der Steuergerichte an, einen derartigen Sachverhalt näher aufzuklären, zumal er auch von den für die Scheidung zuständigen Zivilgerichten ohne nähere Prüfung hingenommen wurde. Andererseits muß im Regelfall aber davon ausgegangen werden, daß sich damals wie heute Ehepartner nur scheiden lassen, wenn die Ehe so zerrüttet ist, daß ihnen ein Festhalten an ihr nicht mehr möglich ist, sie sich also dem Scheidungsbegehren aus tatsächlichen Gründen nicht entziehen können. Deshalb ist die Zwangsläufigkeit bei Ehescheidungen grundsätzlich zu bejahen.
Diese für die Anwendbarkeit des § 33 EStG bei Ehescheidungskosten zu fordernde und - grundsätzlich - zu unterstellende Zwangsläufigkeit der Ehescheidung kann entgegen der Ansicht des FA nicht mit dem Hinweis verneint werden, die Steuerpflichtigen hätten bei Eingehen der Ehe bedenken können, daß ihnen bei einer späteren Ehescheidung zwangsläufig Kosten entstehen werden. Abgesehen davon, daß auch heute noch die Mehrzahl der geschlossenen Ehen Bestand hat, die Eheschließung also nicht stets und notwendigerweise eine Ehescheidung nach sich ziehen muß, kann nicht jedes lang zurückliegende Ereignis, wie hier die - freiwillige - Eheschließung, für die Beurteilung der Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Zusammenhang mit der Ehescheidung als steuerrechtlich relevant angesehen werden. Im Hinblick auf die Eigenständigkeit von Ereignissen innerhalb eines jahrelangen oder jahrzehntelangen Zusammenlebens in einer Ehe kann daher die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen für eine Ehescheidung nicht mit der Begründung verneint werden, sie seien eine Folge der freiwillig eingegangenen Ehe.
Dementsprechend sind auch die im vorliegenden Fall streitigen Aufwendungen für ein sich an eine Ehescheidung anschließendes Sorgerechtsverfahren zu beurteilen. Die Aufwendungen für dieses Verfahren sind unmittelbare und unvermeidbare Folgekosten eines Ehescheidungsprozesses, wenn aus der Ehe Kinder hervorgegangen sind, die im Zeitpunkt der Ehescheidung noch minderjährig sind. Denn nach § 1671 BGB a. F. ist in solchen Fällen stets - auch bei Einigung der geschiedenen Ehegatten über das Sorgerecht für ihre gemeinsamen Kinder (vgl. § 1671 Abs. 2 BGB a. F.) - eine Entscheidung des Vormundschaftsgerichts darüber erforderlich, wem von den beiden bisherigen Ehepartnern die "elterliche Gewalt" über ihre gemeinschaftlichen. Kinder zustehen soll. Ebenso wie für diesen Fall das vorausgehende Ereignis - die Ehescheidung - nach dem Vorstehenden zwangsläufig ist, sind die Kosten des Sorgerechtsverfahrens zwangsläufig, weil, wie ausgeführt, das Sorgerecht stets von Amts wegen aufgrund eines solchen Verfahrens einem Elternteil zugeordnet werden muß.
Zwangsläufige Folgekosten der Ehescheidung liegen insoweit entgegen der Ansicht des FA in der Regel auch dann vor, wenn Gerichts-, Anwalts- und Fahrtkosten dadurch entstehen, daß sich ein Elternteil - wie hier der Kläger - im Beschwerdeverfahren vergeblich dagegen wendet, daß das Vormundschaftsgericht in einer erstmaligen Entscheidung nach dem rechtskräftigen Abschluß des Scheidungsverfahrens nicht ihm, sondern seinem geschiedenen Ehegatten das Sorgerecht über das gemeinschaftliche Kind oder die gemeinschaftlichen Kinder übertragen hat. Ob etwas anderes dann gilt, wenn der Steuerpflichtige ein solches Rechtsmittelverfahren mutwillig oder leichtfertig geführt (vgl. Herrmann/Heuer, a. a. O., § 33 EStG Anm. 16 bis 30, E 74), oder wenn er ein solches Verfahren vor dem Vormundschaftsgericht später erneut in Gang gesetzt hat, kann hier unerörtert bleiben; denn im Streitfall sind keine Anhaltspunkte für ein solches Verhalten des Klägers ersichtlich.
Fundstellen
Haufe-Index 74151 |
BStBl II 1982, 116 |
BFHE 1981, 286 |
JZ 1982, 378 |