Leitsatz (amtlich)

Ein Vielfach-Meßinstrument zum Messen elektrischer Größen, das u. a. zwei Dioden enthält, die weder eine Gleichrichterfunktion haben noch zum Stromversorgungsteil gehören, ist als elektronisches Instrument der Tarifst. 90.28 A GZT zuzuordnen.

 

Normenkette

GZT Vorschrift 5 a zu Kap. 90, Tarifnr. 90.28; GZT Zusätzliche Vorschrift 2 zu Kap. 90, Tarifnr. 90.28

 

Tatbestand

Die Beklagte (die Oberfinanzdirektion – OFD –) erteilte der Klägerin am 27. April 1981 eine verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA) über von der Klägerin als „Vielfach-Meßinstrumente Bestellnr. 112.74” bezeichnete Waren, die zum Messen elektrischer Größen (Strom, Spannung, Widerstand) verwendet werden. Die Geräte bestehen aus einem Kunststoffgehäuse, in dem im wesentlichen Widerstände, Kondensatoren, vier Dioden und ein Drehspulmeßinstrument mit analoger Zeigeranzeige eingebaut sind. Zwei Dioden haben eine Gleichrichterfunktion, um die Messung von Wechselstrom bzw. -spannung zu ermöglichen. Zwei Dioden dienen dem Drehspulmeßinstrument als Überlastungsschutz-Begrenzer gegen zu hohe Eingangsspannungen. Bei steigender Spannung nimmt der Durchlaßwiderstand dieser Dioden ab. Der überwiegende Teil des Stroms fließt dann über diese Dioden und wird vom Drehspulmeßinstrument abgeleitet. Die OFD wies die zu tarifierenden Vielfach-Meßinstrumente unter Heranziehung der Vorschrift 5 a zu Kap. 90 und der Zusätzlichen Vorschrift 2 zu Kap. 90 der Tarifst. 90.28 A II a des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) zu (elektrische oder elektronische Instrumente, Apparate und Geräte zum Messen, Prüfen, Kontrollieren, Regeln oder zum Analysieren: elektronische Instrumente, Apparate und Geräte: andere Geräte zum Messen elektrischer Größen).

Der Einspruch der Klägerin, mit dem sie u. a. geltend machte, daß die in den Multitestern verwendeten Schutzdioden als passive Bauelemente ohne elektronische Funktion anzusehen seien, ferner, daß ihr Wertanteil nur ca. 0,08 DM betrage und in keinem Verhältnis zum Gesamtwert des Artikels stehe und daß die Instrumente auch ohne diese Dioden voll funktionsfähig wären, hatte keinen Erfolg.

Mit ihrer dagegen erhobenen Klage vertritt die Klägerin die Auffassung, daß das von ihr nochmals genau beschriebene Vielfach-Meßgerät der Tarifst. 90.28 B II GZT zuzuweisen sei, weil es sich nicht um ein elektronisches, sondern um ein elektrisches Gerät handle (Tarifst. 90.28 B GZT, andere: – als elektronische Instrumente der Tarifst. A –). Daß die streitigen Vielfach-Meßinstrumente keine elektronischen Geräte seien, ergehe sich bereits aus dem Wortlaut (Allgemeine Tarifierungsvorschrift – ATV – 1 Satz 1 i. V. m. ATV 5) Tarifst. 90.28 A GZT im Vergleich mit dem Wortlaut der Tarifst. 90.29 A GZT. Bei der Klärung des Begriffs „elektronisch” sei auf den üblichen Wortsinn und die allgemeine Bedeutung abzustellen. Zu den elektronischen Geräten gehörten alle Geräte, in denen Elektronenröhren, Transistoren, integrierte Schaltkreise und vor allen Dingen Digitalanzeigen als schaltende, regelnde und anzeigende Bauelemente für die automatische Steuerung, Zählung, Überwachung und Regelung technischer Vorgänge benutzt würden. Auf dem Markt sei die Unterscheidung zwischen elektrischen und elektronischen Meßgeräten bekannt; dafür werde Beweis durch Zeugenvernehmung und durch die Vorlage einer Gebrauchsanweisung für einen Digitalmultimeter angeboten.

Demgegenüber zeige das elektrische Gerät das Ergebnis von Strombewegungen rein mechanisch an. Dabei komme es zwangsläufig zu Ablese- und anderen Anzeigefehlern, wofür ebenfalls Beweis durch zwei Gebrauchsanweisungen und durch Einholung eines Sachverständigengutachtens angeboten werde.

Die Tarifauffassung der OFD lasse sich auch nicht über die Zusätzliche Vorschrift 2 zu Kap. 90 GZT begründen. Die OFD interpretiere Satz 1 dieser Zusätzlichen Vorschrift fehlerhaft als Fiktion oder unwiderlegliche rechtliche Vermutung. Richtigerweise beschränke sich die genannte Vorschrift jedoch darauf, eine einfache, widerlegliche Vermutung für eine bestimmte Tarifierung aufzustellen, gegen welche ein Gegenbeweis zulässig sei. Diese Auffassung stütze sich auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 17. Juni 1971 (Bagusat ./. Hauptzollamt Berlin, Rs. 3/71, EuGHE 1971, 577, 588 Rz. 6). In jenem Urteil habe der EuGH zur Zusätzlichen Vorschrift 2 zu Kap. 20 GZT (Früchte der Tarifnr. 20.06 gelten als Früchte mit Zusatz von Zucker, wenn ihr Zuckergehalt höher ist als … 9 v. H.) entschieden, daß diese Vorschrift eine Vermutung für die Tarifierung begründe, gegen die der Gegenbeweis zulässig sei.

Unbestritten sei, daß zwei der vier Dioden eine Gleichrichterfunktion i. S. des Satzes 2 der Zusätzlichen Vorschrift zu Kap. 90 GZT aufwiesen und deshalb unberücksichtigt bleiben müßten. Bezüglich der zwei anderen Dioden könne der Gegenbeweis erbracht werden, daß das Meßinstrument nicht als „elektronisches Gerät” tarifiert werden könne. Dioden seien Bauteile, die von ihrer Funktion her nur Gleichrichterfunktionen haben könnten. Das gelte nicht nur für die beiden Dioden, die auf der Wechselspannung eine Gleichspannung machten, sondern auch für die beiden anderen, antiparallel geschalteten Dioden, die helfen sollen, daß das Meßwerk nicht durch zu hohen Stromfluß zerstört werde. Die Wirkung dieser Schutzdioden beschränke sich darauf, Begrenzerfunktionen zu erfüllen. Bei ihrem Fehlen würde insbesondere durch Fehlbedienung des Kunden lediglich der Schutz gegen Überlastung aufgehoben, ohne daß damit der Charakter eines elektrischen Meßinstruments verlorenginge. Für die vorstehenden Ausführungen werde Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens angeboten.

Auch die Erläuterungen zur Nomenklatur des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens (ErlNRZZ) zur Tarifst. 90.28 A in Teil I Rdnr. 38 der Erläuterungen zum Zolltarif (ErlZT) sprächen für ihre Tarifauffassung.

Die Klägerin beantragt, die vZTA der OFD Berlin vom 27. April 1981 i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom 9. Juni 1981 aufzuheben.

Für den Fall, daß die Zusätzliche Vorschrift 2 zu Kap. 90 GZT als Fiktion und nicht als widerlegbare Vermutung angesehen werde, müsse im Hinblick darauf, daß in dieser Vorschrift zwischen Satz 1 und Satz 2 ein Wertungswiderspruch zutage trete, der EuGH gemäß Art. 177 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) um Auslegung gebeten werden.

Die OFD beantragt, die Klage abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Die OFD hat die streitigen Vielfach-Meßinstrumente zu Recht der Tarifst. 90.28 A II a GZT zugewiesen. Die dagegen vorgetragenen Einwände der Klägerin greifen nicht durch.

Maßgebend für die Tarifierung sind der Wortlaut der Tarifnummern, die Vorschriften zu den Abschnitten oder Kapiteln sowie die ATV (vgl. ATV 1 Satz 2). Zu den Vorschriften i. S. der ATV 1 Satz 2 gehören, worauf noch einzugehen sein wird, auch die Zusätzlichen Vorschriften. Der Wortlaut der Tarifnummern sowie die Vorschriften bzw. die Zusätzlichen Vorschriften zu den Abschnitten und Kapiteln stehen gleichrangig nebeneinander. Insbesondere können Zusätzliche Vorschriften den Wortlaut der Tarifnummern rechtsverbindlich näher bestimmen und auslegen.

Die Tarifnr. 90.28 GZT umfaßt elektronische (Tarifst. A) und elektrische (Tarifst. B: andere) Instrumente, Apparate und Geräte u. a. zum Messen. Der Wortlaut der Tarifnr. 90.28 GZT gibt keine Auskunft darüber, was unter elektronischen Instrumenten, Apparaten und Geräten im Gegensatz zu elektrischen zu verstehen ist. Diese Frage ist in der Zusätzlichen Vorschrift 2 zu Kap. 90 GZT in folgender Weise beantwortet:

„Als ‚elektronische Instrumente, Apparate und Geräte’ der Tarifst. 90.28 A GZT gelten Instrumente, Apparate und Geräte, die eine oder mehrere Waren der Tarifnr. 85.21 GZT enthalten. Bei der Anwendung dieser Vorschrift bleiben jedoch solche Waren der Tarifnr. 85.21 GZT unberücksichtigt, die nur eine Gleichrichterfunktion haben oder die zum Stromversorgungsteil der Instrumente, Apparate oder Geräte gehören.”

Bei dieser Zusätzlichen Vorschrift handelt es sich, was die Klägerin in der mündlichen Verhandlung zu Unrecht angezweifelt hat, um eine die Gerichte bindende materielle Rechtsnorm und nicht etwa nur um einen unverbindlichen Hinweis. Sie ist mit der Verordnung (EWG) Nr. 1/74 (VO Nr. 1/74) des Rates vom 17. Dezember 1973 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 950/68 (VO Nr. 950/68) über den Gemeinsamen Zolltarif (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften – ABlEG – L 1/1 vom 1. Januar 1974) in die letztgenannte Verordnung zusammen mit anderen Zusätzlichen Vorschriften eingefügt worden (vgl. Absatz 3 der Erwägungsgründe). Nach Art. 2 der VO Nr. 1/74 ist sie am 1. Januar 1974 in Kraft getreten und in allen ihren Teilen verbindlich. Sie gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Den Rechtscharakter der Zusätzlichen Vorschriften als materielle Rechtsnormen hat der EuGH im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin auch in seinem Urteil vom 17. Juni 1971 Rs. 3/71 (EuGHE 1971, 577) nicht in Zweifel gezogen. Er geht im Gegenteil sowohl im Entscheidungstenor als auch in den Absätzen 3 und 6 der Entscheidungsgründe von der Rechtsnormqualität der Zusätzlichen Vorschriften aus. Soweit er in Absatz 6 der Entscheidungsgründe die Auffassung vertrat, die Zusätzliche Vorschrift 2 zu Kap. 20 GZT habe die Bedeutung eines Hinweises, erfaßt seine Entscheidung nur „diese” Zusätzliche Vorschrift; über die abstrakte rechtliche Qualität aller Zusätzlichen Vorschriften des GZT hat er sich dagegen in diesem Zusammenhang nicht geäußert.

Zu den Waren der Tarifnr. 85.21 GZT gehören auch Dioden (Tarifst. D). Es ist unstreitig, daß im vorliegenden Fall zwei dieser Dioden eine Gleichrichterfunktion haben, so daß ihr Vorhandensein die tarifliche Behandlung des Vielfach-Meßgeräts als elektronisches Gerät der Tarifst. 90.28 a GZT nicht begründen kann. Im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin haben die beiden anderen Dioden keine Gleichrichterfunktion. Nach der Warenbeschreibung in der vZTA und nach dem eigenen Vortrag der Klägerin dienen sie vielmehr dem Drehspulmeßinstrument als Überlastungsschutz-Begrenzer gegen zu hohe Eingangsspannungen oder, wie die Klägerin es ausgedrückt hat, als Schutzdioden dazu, daß das Meßwerk nicht durch zu hohen Stromfluß zerstört wird. Ab einer bestimmten Durchbruchspannung wird, wie die Klägerin selbst vorgetragen hat, die Diode leitend und begrenzt die Überlastung des Meßinstruments. Diese Funktion hat nichts mit der Funktion der beiden anderen Dioden zu tun, die aus der Wechselspannung eine Gleichspannung machen, was erst die Messung von Wechselspannung ermöglicht.

Da die beiden „Schutzdioden” danach keine Gleichrichterfunktion haben, und da sie auch, weil nach dem eigenen Vortrag der Klägerin das Vielfach-Meßgerät keinen Stromversorgungsteil enthält, nicht zu diesem gehören können, können sie aufgrund der Zusätzlichen Vorschrift 2 Satz 1 zu Kap. 90 GZT nicht unberücksichtigt bleiben. Daraus folgt, daß die streitigen Vielfach-Meßinstrumente, weil sie zwei Dioden der Tarifnr. 85.21 GZT enthalten, als elektronische Instrumente, Apparate und Geräte der Tarifst. 90.28 A GZT anzusehen sind.

Dieser aus der Zusätzlichen Vorschrift 2 zu Kap. 90 GZT folgenden Tarifierung kann die Klägerin nicht entgegenhalten, daß bei der Klärung des Begriffs „elektronisch” auf den üblichen Wortsinn bzw. die allgemeine Bedeutung abzustellen sei, und daß in diesem Sinne solche Geräte als elektronische angesehen würden, in denen Elektronenröhren, Transistoren, integrierte Schaltkreise und vor allen Dingen Digitalanzeigen als schaltende, regelnde und anzeigende Bauelemente für die automatische Steuerung, Zählung, Überwachung und Regelung technischer Vorgänge benutzt würden. Maßgebend für die Tarifierung sind, wie bereits ausgeführt, der Wortlaut der Tarifnummern und die Vorschriften bzw. Zusätzlichen Vorschriften zu den Abschnitten und Kapiteln des Zolltarifs (ZT). Die Klägerin verkennt, daß es nach Satz 1 der Zusätzlichen Vorschrift 2 zu Kap. 90 GZT für die Tarifierung als elektronisches Gerät der Tarifst. 90.28 A GZT nur darauf ankommt, daß es eine oder mehrere Waren (hier: Dioden) der Tarifnr. 85.21 GZT enthält. Nicht abgestellt ist darauf, daß die solche Dioden enthaltenden Geräte zu den von der Klägerin aufgezeichneten Zwecken benutzt werden. Auf die Funktion der Dioden kommt es nach Satz 2 der Zusätzlichen Vorschrift 2 nur insoweit an, als ihr tatsächliches Vorhandensein dann nicht zur Tarifierung als elektronisches Gerät i. S. der Tarifst. 90.28 A führt, wenn sie nur eine Gleichrichterfunktion haben oder zum Versorgungsteil des Gerätes gehören. Es ist deshalb unerheblich, ob die beiden nicht den vorgenannten Funktionen dienenden „Schutzdioden”, wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, weder eine elektronische noch eine elektrische Funktion haben, und ob elektronische Meßinstrumente Digitalanzeigen und nicht, wie im Streitfall, analoge Anzeigen aufweisen. Angesichts der verbindlichen Regelung der genannten Zusätzlichen Vorschrift ist es für die Tarifierung auch unbeachtlich, was der Markt unter elektrischen und elektronischen Meßgeräten versteht.

Zu Unrecht beruft sich die Klägerin zur Begründung ihrer Tarifauffassung auf den Wortlaut der Tarifst. 90.29 A GZT. Wenn unter diese Tarifstelle Teile und Zubehör fallen, die ihrer Beschaffenheit nach ausschließlich oder hauptsächlich für elektronische Instrumente, Apparate oder Geräte der Tarifst. 90.28 A GZT bestimmt sind, so besagt das nichts darüber, was tariflich unter den genannten elektronischen Instrumenten usw. zu verstehen sei. Diese Frage ist in der Zusätzlichen Vorschrift 2 zu Kap. 90 GZT geregelt. Unter Zugrundelegung dieser tariflichen Definition fallen nur solche Teile unter die Tarifst. 90.29 A GZT, die ihrer Beschaffenheit nach ausschließlich oder hauptsächlich für sie bestimmt sind (also z. B. nicht das Kunststoffgehäuse oder der Meßanzeiger).

Der Klägerin kann auch nicht darin gefolgt werden, daß die Zusätzliche Vorschrift 2 Satz 1 zu Kap. 90 GZT eine widerlegbare Vermutung enthalte. Zu Unrecht beruft sie sich in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung des EuGH in EuGHE 1971, 577 zur Zusätzlichen Vorschrift 2 zu Kap. 20 GZT (a. F.). Nach dieser Vorschrift gelten Früchte der Tarifnr. 20.06 GZT als „Früchte mit Zusatz von Zucker”, wenn ihr „Zuckergehalt” bei anderen Früchten als Ananas und Weintrauben höher ist als 9 v. H. Zu dieser Vorschrift, auf die im Zusammenhang mit der Abschöpfungserhebung für eingeführten Zucker in Art. 9 der Verordnung (EWG) Nr. 865/68 (VO Nr. 865/68) des Rates vom 28. Juni 1968 über die gemeinsame Marktorganisation für Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse (ABlEG L 153/8 vom 1. Juli 1968) verwiesen worden ist, hat der EuGH entschieden, sie sei so auszulegen, daß nur diejenigen Verarbeitungserzeugnisse der Abschöpfung unterliegen, denen tatsächlich Zucker zugesetzt worden ist, daß aber bei einem unter die Tarifst. 20.06 B I e GZT fallenden Erzeugnis mit einem Zuckergehalt von mehr als 9 Gewichtshundertteilen der Importeur zu beweisen hat, daß das Erzeugnis nur natürlichen Zucker enthält. In den Gründen der Entscheidung hat der EuGH ausgeführt, daß die genannte Zusätzliche Vorschrift bei Erzeugnissen mit einem höheren Zuckergehalt als 9 v. H. eine Vermutung für die Tarifierung nach der Tarifst. 20.06 B I e GZT begründe, gegen die aber der Gegenbeweis zulässig sei. Der EuGH hat damit die Zusätzliche Vorschrift 2 zu Kap. 20 GZT trotz des dort verwendeten Wortes „gelten” als widerlegbare Vermutung behandelt.

Die Grundzüge dieser Entscheidung können aber auf den vorliegenden Streitfall nicht übertragen werden. Der EuGH hat entschieden, daß es dem System der VO Nr. 865/68 widersprechen würde, den natürlichen Zuckergehalt der Obstverarbeitungserzeugnisse der Abschöpfung zu unterwerfen. Die Beschaffenheit und Herkunft des 9 v. H. übersteigenden Zuckergehalts in solchen Erzeugnissen ist aber nachweisbar. Der EuGH konnte deshalb zu Recht zu dem Ergebnis kommen, daß es sich bei der in der Zusätzlichen Vorschrift 2 zu Kap. 20 GZT vorgesehenen Regelung um eine gesetzliche Vermutung handelt, die widerlegbar ist.

Anders verhält es sich im vorliegenden Streitfall. Mit der Zusätzlichen Vorschrift 2 Satz 1 zu Kap. 90 GZT hat der Verordnungsgeber verbindlich festgelegt, daß als elektronische Geräte der Tarifst. 90.28 A GZT solche Geräte gelten, die ein oder mehrere Waren der Tarifnr. 85.21 GZT enthalten. Trotz der Verwendung des Wortes „gelten” handelt es sich bei dieser Vorschrift weder um eine Fiktion noch um eine widerlegbare Vermutung, sondern um die tarifliche Definition des Begriffs „elektronische Instrumente, Apparate und Geräte”. Das ergibt sich auch aus den englischen und französischen Fassungen dieser Vorschrift („means”; „on entend”). Anders als Art und Beschaffenheit des 9 v. H. übersteigenden Zuckergehalts (als natürlichen Zuckergehalt oder zugesetzter Zucker) könnte im übrigen das Vorhandensein von Waren der Tarifnr. 85.21 GZT nicht widerlegt werden. Von einer Systemwidrigkeit, wie sie der EuGH in Abs. 5 der Entscheidungsgründe für den Fall festgestellt hat, daß auch der natürliche Zuckergehalt der Obstverarbeitungserzeugnisse der Abschöpfung unterworfen würde, kann im vorliegenden Fall bei der klaren, sich aus der Zusätzlichen Vorschrift 2 zu Kap. 90 GZT ergebenden Rechtslage keine Rede sein. Der dahin gehende Einwand der Klägerin in der mündlichen Verhandlung geht deshalb fehl.

Entgegen der Auffassung der Klägerin vermag der Senat zwischen den Sätzen 1 und 2 der Zusätzlichen Vorschrift 2 zu Kap. 90 GZT keinen Wertungswiderspruch zu sehen. Die dahin gehende Auffassung der Klägerin geht davon aus, daß Geräte, die eine oder mehrere Waren (Dioden) der Tarifnr. 85.21 GZT enthalten, nur dann als elektronische Geräte der Tarifst. 90.28 A GZT gelten, wenn sie (i. S. der von der Klägerin für elektronische Geräte dargelegten Auffassung) elektronisch funktionieren. Gerade darauf aber kommt es, wie bereits ausgeführt, nach der Zusätzlichen Vorschrift 2 zu Kap. 90 GZT nicht an.

Die von der Klägerin angebotenen Beweise brauchen nach der vorstehend dargelegten Rechtslage nicht erhoben zu werden.

Für den erkennenden Senat haben sich bei der Auslegung der Zusätzlichen Vorschrift 2 zu Kap. 90 GZT und der Tarifnr. 90.28 GZT keine Zweifel i. S. des EuGH-Urteils vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81 (Höchst richterliche Finanzrechtsprechung 1983, 175, Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern 1983, 110) ergeben. Nach dieser Entscheidung besteht für ein letztinstanzliches nationales Gericht keine Vorlagepflicht, wenn die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, daß für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt. Solche Zweifel bestehen im vorliegenden Tarifierungsstreit nicht. Die der Abgrenzung elektrischer oder elektronischer Meßgeräte der Tarifnr. 90.28 GZT dienende Zusätzliche Vorschrift 2 zu Kap. 90 GZT enthält eine klare und unmißverständliche Regelung. Die Anwendung und Auslegung bereiten keine Schwierigkeiten. Daß die Gefahr voneinander abweichender Gerichtsentscheidungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten besteht, hat die Klägerin nicht vorgetragen. Sie ist dem Senat auch nicht erkennbar.

 

Fundstellen

Haufe-Index 510468

BFHE 1983, 280

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