Leitsatz (amtlich)
Das Erfordernis der schriftlichen Klageerhebung gemäß § 64 Abs.1 Satz 1 FGO kann ausnahmsweise auch ohne eigenhändige Unterzeichnung der Klageschrift erfüllt sein. Eine solche Ausnahme liegt vor, wenn aus dem betreffenden Schriftsatz und ggf. beigefügten weiteren Unterlagen hinreichend sicher auf die Urheberschaft geschlossen werden kann und außerdem der Briefumschlag, der die maßgebenden Schriftstücke enthält, vom Verfasser handschriftlich mit dessen Absenderangabe versehen ist.
Normenkette
FGO § 64 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
I. Streitig ist nur noch, ob die vor dem Finanzgericht (FG) erhobene Klage dem Erfordernis der "Schriftlichkeit" in § 64 Abs.1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entspricht.
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), ein Libanese, war im Streitjahr 1978 im Anschluß an sein Studium als Angestellter in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) tätig gewesen. Er hatte seine im Libanon lebenden mittellosen Eltern im Streitjahr mit nachweislich 3 000 DM unterstützt. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) hatte im Einspruchsverfahren lediglich 1 334 DM gemäß § 33a Abs.1 und 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als steuermindernd berücksichtigt.
Dagegen erhob der Kläger Klage. Die an das FG gerichtete Klageschrift enthält im Briefkopf die vollständige Anschrift des Klägers. Unter dem "Betreff" ist das FA als Klagegegner bezeichnet und außerdem angegeben, daß der Rechtsstreit um die "Anerkennung von Unterhaltszahlungen (des Klägers) an die Eltern" gehe. Im folgenden Text nimmt der Kläger auf die Einspruchsentscheidung des FA Bezug und gibt eine eingehende, auf seinen Fall zugeschnittene Klagebegründung. Die Klageschrift ist jedoch nicht handschriftlich unterzeichnet. Am Schluß der Ausführungen befindet sich --lediglich-- in Maschinenschrift der abgekürzte Vorname und der voll ausgeschriebene Familienname des Klägers; darunter steht noch der Zusatz "Anlage". Als solche sind der Klageschrift Kopien der mit dem FA geführten Vorkorrespondenz sowie der Einspruchsentscheidung beigefügt. Der die Klageschrift und die beigefügten Anlagen enthaltende Briefumschlag ist auf der Rückseite handschriftlich mit dem Namen und der Anschrift des Klägers versehen. Auf einen entsprechenden Hinweis des Vorsitzenden des für seine Sache zuständigen FG-Senats teilte der Kläger mit, er habe die Klageschrift aus Versehen nicht unterschrieben. Er sei juristisch nicht beraten und wende sich erstmals an ein Gericht. Er bitte um Entschuldigung sowie darum, seine Klageerhebung "als doch wirksam" anzuerkennen. Dieses Schreiben ist handschriftlich unterzeichnet. Der Namenszug entspricht hinsichtlich der Anzahl und auch der Größe der Buchstaben jenem, der auf dem die Klageschrift enthaltenden Briefumschlag angebracht ist.
Das FA gestand dem Kläger in der Sache zu, daß im Hinblick auf das Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 8.Februar 1980 IV B 6 - S 2365 - 15/80 (BStBl I 1980, 85) Zahlungen in Höhe von 2 667 DM gemäß § 33a Abs.1 EStG steuermindernd berücksichtigt werden könnten. Doch scheitere dies im Streitfall daran, daß die Klage wegen der fehlenden eigenhändigen Unterschrift auf der Klageschrift unzulässig sei.
Das FG hielt die Klage für zulässig und auch teilweise begründet. Es anerkannte insgesamt 2 667 DM als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33a Abs.1 und 4 EStG. Außerdem ließ es in seinem Urteil die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zu, welche Anforderungen an eine wirksame Klageerhebung zu stellen seien.
Das FA macht in seiner Revisionsbegründung geltend, daß das Urteil des FG hinsichtlich der Auslegung des § 64 Abs.1 Satz 1 FGO im Gegensatz zur geltenden Rechtsprechung stehe (Hinweis auf die Entscheidungen des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29.Juli 1969 VII R 92/68, BFHE 96, 381, BStBl II 1969, 659; vom 20.Februar 1970 VI R 230/68, BFHE 98, 233, BStBl II 1970, 329, und vom 7.August 1974 II R 169/70, BFHE 113, 490, BStBl II 1975, 194). Insbesondere reiche der auf dem Briefumschlag befindliche handschriftliche Absendervermerk nicht aus, um für das in dem Briefumschlag befindliche nicht unterschriebene Schriftstück das Erfordernis der Schriftlichkeit zu erfüllen.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage des Klägers abzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet. Das FG ist im Streitfall zu Recht von einer den Anforderungen des § 64 Abs.1 Satz 1 FGO genügenden Klageschrift ausgegangen.
1. Im Urteil in BFHE 96, 381, BStBl II 1969, 659 vertrat der BFH noch die Auffassung, daß die Klage --abgesehen von der Übermittlung durch Telegramm-- vom Kläger oder seinem Prozeßbevollmächtigten handschriftlich unterzeichnet sein müsse; er ließ im Urteilsfall den unter der Bezeichnung der klagenden Partei eigenhändig geschriebenen Namen der Klägerin nicht genügen. Mit Urteil vom 10.März 1982 I R 91/81 (BFHE 136, 38, BStBl II 1982, 573) wurden die für das Telegramm geltenden Grundsätze auf die Übermittlung eines sog. Telebriefs (Telekopie) übertragen. Bereits zuvor hatte der Große Senat des BFH im Beschluß vom 5.November 1973 GrS 2/72 (BFHE 111, 278, BStBl II 1974, 242) unter Abschn.IV der Entscheidungsgründe klargestellt, daß im steuergerichtlichen Verfahren wegen des (damals noch völlig) fehlenden Vertretungszwanges Mängel bei der Unterzeichnung von sog. bestimmenden Schriftsätzen differenziert beurteilt werden müssen. Nach den Ausführungen des Beschlusses sind Verfahrensvorschriften nicht Selbstzweck. In Zweifelsfällen seien sie --wenn irgend vertretbar-- so auszulegen, daß sie eine Entscheidung über die materielle Rechtslage ermöglichen und nicht verhindern. Von ähnlichen Grundsätzen geht auch der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes in seinem Beschluß vom 30.April 1979 GmS-OGB 1/78 (Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1980, 172) aus. Danach soll die Schriftform gewährleisten, daß aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden können. Außerdem muß feststehen, daß es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern daß es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist (vgl. hierzu auch die Entscheidungen des BFH vom 22.März 1983 VIII B 117/80, BFHE 138, 403, BStBl II 1983, 579, und vom 13.Dezember 1984 IV R 274/83, BFHE 143, 198, BStBl II 1985, 367, letztere zu den Anforderungen an den Schriftzug des Unterzeichners).
Welche Erfordernisse jeweils erfüllt sein müssen, um der Schriftform zu genügen, wird in den einzelnen Verfahrensordnungen unterschiedlich beurteilt (vgl. Beschluß des Großen Senats des BFH in BFHE 111, 278, BStBl II 1974, 242). Allgemeine Meinung ist jedoch, daß dem Zweck des § 64 Abs.1 Satz 1 FGO auch auf andere Weise entsprochen werden kann als durch eigenhändige Unterzeichnung des maßgebenden Schriftstückes durch den Verfasser (s. hierzu auch die BFH-Urteile vom 18.Mai 1972 V R 1/71, BFHE 106, 4, und vom 27.Juli 1977 I R 207/75, BFHE 123, 286, BStBl II 1978, 11). So hat es z.B. auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in ständiger Rechtsprechung als ausreichend angesehen, wenn sich aus dem bestimmenden Schriftsatz in Verbindung mit weiteren, beigefügten Unterlagen die Urheberschaft und der Wille, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen, hinreichend sicher ergeben, ohne daß darüber Beweis erhoben werden müßte (s. zusammenfassend den Beschluß vom 26.Juni 1980 7 B 160.79, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 310, § 81 VwGO Nr.8). In mehreren Urteilen maß das BVerwG entscheidende Bedeutung der handschriftlichen Absenderangabe auf dem Briefumschlag bei, der den bestimmenden Schriftsatz enthielt (Urteile vom 17.Oktober 1968 II C 112.65, BVerwGE 30, 274; vom 7.November 1973 VI C 124/73, Steuerrechtsprechung in Karteiform --StRK--, Finanzgerichtsordnung, § 64, Rechtsspruch 27, und vom 20.April 1977 VI C 26.75, Buchholz, 448.0, § 33 WPflG Nr.22).
Bei Anwendung dieser Grundsätze, denen sich der erkennende Senat jedenfalls für das keinem Vertretungszwang unterworfene finanzgerichtliche Verfahren anschließt, hat das FG die Klageerhebung durch den Kläger zutreffend als formgerecht angesehen. Aus der eindeutig auf seinen Streitfall bezogenen Klagebegründung und der beigefügten Vorkorrespondenz mit dem FA einschließlich der Einspruchsentscheidung ergibt sich in Verbindung mit dem Briefkopf und der maschinengeschriebenen Unterschrift eindeutig, daß die Klageschrift vom Kläger herrührte. Aus dem Umstand, daß sich die genannten Schriftstücke in einem Briefumschlag befanden, den der Kläger selbst handschriftlich adressiert und mit seinem abgekürzten Vor- und vollen Familiennamen sowie seiner vollen Anschrift als Absender versehen hatte, folgt weiter auch, daß es sich bei der Klageschrift nicht nur um einen Entwurf handelte, diese vielmehr mit Wissen und Wollen des Verantwortlichen, hier des Klägers selbst, in den Verkehr gelangt war.
Das FG hat schließlich ausgeführt, daß das Schriftbild des Namenszuges auf dem Briefumschlag mit den Schriftzügen der Unterschrift des Klägers so sehr übereinstimmt, daß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könne, der Umschlag sei von einer anderen Person als dem Kläger beschriftet worden. Der Senat hält diese Würdigung für ohne weiteres möglich. Das FA hat insoweit keine Rügen erhoben, so daß die Folgerung des FG bindend ist (§ 118 Abs.2 FGO).
2. Materiell-rechtliche Einwendungen hat das FA nicht erhoben. Entsprechende Rechtsverstöße sind auch für den Senat nicht ersichtlich.
Fundstellen
Haufe-Index 61305 |
BStBl II 1987, 131 |
BFHE 148, 205 |
BFHE 1987, 205 |
BB 1987, 188 |
BB 1987, 188-188 (S) |
DB 1987, 520-520 (T) |
DStR 1987, 160-161 (ST) |
HFR 1987, 129-130 (ST) |