Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachträglich gezahlte Erschließungs- und Vermessungskosten als aufschiebend bedingte Gegenleistung; Abgrenzung von Erst- und Änderungsbescheid
Leitsatz (NV)
- Die vom Grundstückskäufer anlässlich des Erwerbs eines gemeindlichen Grundstücks gegenüber der Gemeinde eingegangene Verpflichtung, von ihr getragene Kosten für die Erschließung und Vermessung eines von einem Dritten zu erwerbenden, zum Erschließungsgebiet gehörenden Grundstücks zu übernehmen, stellt keine aufschiebend bedingte Gegenleistung für den Erwerb des gemeindlichen Grundstücks dar, wenn es im Interesse der Gemeinde lag, den Käufer unabhängig von dem Erwerb weiterer Grundstücke bezüglich der auf ihn bei Verwirklichung der geplanten Erwerbsvorgänge insgesamt entfallenden Erschließungskosten zu verpflichten.
- Ein Steuerbescheid, durch den das FA nach der Besteuerung des Grundstückserwerbs Grunderwerbsteuer für im Anschluss an den Erwerbsvorgang gezahlte Erschließungs- und Vermessungskosten mit der Begründung festsetzt, es handele sich um eine nachträglich entstandene Gegenleistung, ist kein Änderungsbescheid, sondern ein Erstbescheid.
Normenkette
GrEStG 1983 § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1; AO 1977 §§ 38, 118, 174 Abs. 4
Verfahrensgang
Hessisches FG (EFG 1999, 857) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erwarb durch notariell beurkundeten Kaufvertrag vom 2. Januar 1995 von der Gemeinde G das in einem Gewerbegebiet gelegene Grundstück Flurstück (Flst.) 35/16. Der Kaufpreis in Höhe von 208 567,20 DM umfasste auch die Kosten für die Erschließung dieses Grundstücks. Der Kläger verpflichtete sich in § 12 des Vertrags zugleich, für ein zu dieser Zeit noch im Eigentum eines Dritten stehendes Grundstück (Flst. 35/15), das er als Erweiterungsfläche für seinen Gewerbebetrieb nutzen wollte, auf Anforderung der Gemeinde Erschließungs- und Vermessungskosten in Höhe von zusammen 183 819 DM zu zahlen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) setzte die Grunderwerbsteuer für den Erwerb des Grundstücks Flst. 35/16 durch Bescheid vom 16. März 1995 nach einer Gegenleistung von 112 419 DM fest, indem er lediglich den auf den Grunderwerb entfallenden Teil des Kaufpreises zugrunde legte, nicht dagegen auch die Erschließungs- und Vermessungskosten. Nach Erwerb des Grundstücks Flst. 35/15 setzte er Grunderwerbsteuer in Höhe von 7 176 DM gegen den Kläger fest, wobei er außer dem Kaufpreis in Höhe von 175 000 DM auch die Erschließungs- und Vermessungskosten ansetzte, zu deren Zahlung sich der Kläger in § 12 des Vertrags vom 2. Januar 1995 verpflichtet hatte.
Auf die vom Kläger gegen die letztgenannte Festsetzung erhobene Klage setzte das Finanzgericht (FG) die Steuer mit der Begründung auf 3 500 DM herab, die Erschließungs- und Vermessungskosten gehörten nicht zur Gegenleistung für den Erwerb des Grundstücks Flst. 35/15. Das FA setzte daraufhin durch den im vorliegenden Verfahren streitigen Bescheid vom 11. November 1997 für den Erwerb des Grundstücks Flst. 35/16 wegen einer "nachträgliche(n) zusätzliche(n) Gegenleistung gem. § 12 d. Vertrages u. Bescheid d. Gemeinde v. 1.2.1995" nochmals Grunderwerbsteuer in Höhe von 3 676 DM fest.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das FG, dessen Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 857 veröffentlicht ist, nahm ebenfalls an, dass es sich bei den Erschließungs- und Vermessungskosten für das Grundstück Flst. 35/15 um eine zusätzliche Gegenleistung für den Erwerb des Grundstücks Flst. 35/16 gehandelt habe, die das FA nach § 174 Abs. 4 Sätze 1 und 2 der Abgabenordnung (AO 1977) habe besteuern dürfen.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung von § 9 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) 1983. Er macht überdies geltend, dass der angefochtene Bescheid aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht habe ergehen dürfen.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 16. Dezember 1998 5 K 4832/98 und den Grunderwerbsteuerbescheid vom 11. November 1997 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, des Grunderwerbsteuerbescheides vom 11. November 1997 und der Einspruchsentscheidung vom 28. Juli 1998 (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Das FG hat angenommen, dass das FA durch den Bescheid vom 16. März 1995, durch den es den Erwerb des Grundstücks Flst. 35/16 bereits besteuert hatte, nicht gehindert war, Grunderwerbsteuer wegen einer zusätzlichen Gegenleistung für das Grundstück Flst. 35/16 in Gestalt der Erschließungs- und Vermessungskosten für das Grundstück Flst. 35/15 festzusetzen. Dem kann nicht gefolgt werden.
1. Die Vorentscheidung ist aufzuheben. Das FG hat dem angefochtenen Bescheid rechtsfehlerhaft einen Sachverhalt unterlegt, der nicht Gegenstand dieses Bescheides ist. Es ist zu Unrecht davon ausgegangen, das FA habe die Erschließungs- und Vermessungskosten durch Änderungsbescheid nach § 174 Abs. 4 Sätze 1 und 2 AO 1977 als Gegenleistung für den Erwerb des Grundstücks Flst. 35/16 erfassen dürfen. Denn bei dem angefochtenen Bescheid handelt es sich nicht um einen den ursprünglichen Erwerbsvorgang betreffenden Änderungsbescheid, vielmehr erfasst er einen anderen Lebenssachverhalt, nämlich eine nachträgliche zusätzliche Gegenleistung i.S. von § 9 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG 1983.
Ob ein Bescheid als Änderungsbescheid ergeht, bestimmt sich nach seinem Verfügungssatz i.S. von § 118 AO 1977 (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 22. August 1990 I R 76/88, BFH/NV 1991, 341). Der Verfügungssatz des angefochtenen Bescheides enthält keinen Hinweis darauf, dass dadurch die Steuerfestsetzung aufgrund des Bescheides vom 16. März 1995 geändert werden sollte. Wie die Begründung "nachträgliche zusätzliche Gegenleistung gem. § 12 d. Vertrages u. Bescheid d. Gemeinde v. 1.2.1995" zeigt, hat das FA in der Annahme, es liege ein im Verhältnis zum ursprünglichen Erwerbsvorgang neuer Steuertatbestand vor, vielmehr eine erstmalige Steuerfestsetzung vorgenommen. Folgerichtig hat es die im Bescheid vom 16. März 1995 erfasste Gegenleistung für den Erwerb des Grundstücks Flst. 35/16 nicht in die im angefochtenen Bescheid erfasste Gegenleistung einbezogen, sondern die Steuer nur nach den Erschließungs- und Vermessungskosten festgesetzt.
2. Die Sache ist spruchreif. Der angefochtene Bescheid und die Einspruchsentscheidung sind aufzuheben. Als erstmaliger Bescheid ist der angefochtene Bescheid bereits deshalb rechtswidrig, weil es sich bei den Erschließungs- und Vermessungskosten nicht um eine aufschiebend bedingte, nachträglich entstandene Gegenleistung handelt.
Eine zunächst aufschiebend bedingte Verpflichtung, die sich als Gegenleistung im grunderwerbsteuerrechtlichen Sinn darstellt, kann Gegenleistung i.S. der §§ 8 Abs. 1, 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 sein; dies allerdings erst dann, wenn sie mit Eintritt der aufschiebenden Bedingung zivilrechtlich wirksam geworden ist. Mit Eintritt der aufschiebenden Bedingung wird ein neuer Steuertatbestand (§ 38 AO 1977) erfüllt, der die Tatbestandsmäßigkeit des ursprünglichen Erwerbsvorgangs hinsichtlich des unbedingt vereinbarten Teils der Gegenleistung unberührt lässt. Es liegt ein neuer Grunderwerbsteuerfall vor, der eine Steuerfestsetzung durch einen zusätzlichen (selbständigen) Steuerbescheid zulässt und gebietet (vgl. BFH-Urteil vom 22. November 1995 II R 26/92, BFHE 179, 177, BStBl II 1996, 162).
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Die Verpflichtung zur Zahlung der Erschließungs- und Vermessungskosten für das Grundstück Flst. 35/15 war nicht aufschiebend bedingt. Eine Bedingung liegt vor, wenn die Rechtswirkungen eines Geschäfts von einem künftigen ungewissen Ereignis abhängig gemacht werden (vgl. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 60. Aufl., Einf. v. § 158 Rn. 1). § 12 des Vertrags vom 2. Januar 1995 enthält keine derartige Regelung. Eine solche kann insbesondere nicht in dem Erwerb des Grundstücks Flst. 35/15 gesehen werden, weil es, wie das FG ausgeführt hat, im Interesse der Gemeinde lag, den Kläger unabhängig von dem Erwerb weiterer Grundstücke bezüglich der auf ihn bei Verwirklichung der geplanten Erwerbsvorgänge insgesamt entfallenden Erschließungskosten zu verpflichten. Die Anforderung der Beträge durch die Gemeinde stellt keine aufschiebende Bedingung dar. Sie betrifft lediglich die Fälligkeit, nicht jedoch die vom Kläger eingegangene Verpflichtung selbst.
Fundstellen
Haufe-Index 603674 |
BFH/NV 2001, 1146 |