Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung bei einem Kassenzahnarzt - Ermessen, Verfahren
Leitsatz (NV)
1. Die Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 284 Abs. 2 AO 1977 ist i.d.R. auch dann nicht ermessensfehlerhaft, wenn die damit verbundene Eintragung des Vollstreckungsschuldners in das Schuldnerverzeichnis zu berufsrechtlichen Folgen (Entziehung der Berufszulassung) führen kann.
2. Zum Verfahren nach § 284 Abs. 5 AO 1977.
Normenkette
AO 1977 § 284
Tatbestand
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) betreibt gegen den Kläger und Revisionskläger (Kläger) wegen rückständiger Steuerschulden und Säumniszuschläge die Zwangsvollstreckung. Da die Vollstreckungsmaßnahmen nicht zu einer vollständigen Tilgung der Rückstände führten, forderte das FA den Kläger zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses und zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 284 der Abgabenordnung (AO 1977) auf. Der Kläger gab ein Vermögensverzeichnis nach dem Stande vom . . . ab und bat, auf die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung zu verzichten, da ihm sonst der Entzug der kassenzahnärztlichen Zulassung drohe. Nach Auffassung des FA ergaben sich aus dem vorgelegten Vermögensverzeichnis Zweifelsfragen, die der Kläger nicht aufklärte. Es forderte den Kläger nochmals auf, am . . . an Amtsstelle zu erscheinen und die eidesstattliche Versicherung abzugeben. Der Kläger kam dieser Aufforderung nicht nach. Seine Einwendungen gegen die Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung wurden durch Verfügung . . . und - auf einen Rechtsbehelf des Klägers hin - durch Beschwerdeentscheidung der zuständigen Oberfinanzdirektion (OFD) zurückgewiesen.
Die Klage des Klägers gegen die Aufforderung des FA zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung und die Beschwerdeentscheidung der OFD blieben erfolglos.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt der Kläger unrichtige Anwendung von § 284 Abs. 2 Satz 2, Abs. 5 Satz 3 AO 1977 und § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Er meint, entgegen der Auffassung des FG sei die Aufforderung des FA zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 284 AO 1977 nicht frei von Ermessensfehlern. Das FA habe die streitenden Interessen nicht unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sorgfältig abgewogen. Es sei dem FA bekannt gewesen, daß es ihm (dem Kläger) allein darum gegangen sei, die Eintragung in das Schuldnerverzeichnis mit der Folge des Verlustes seiner kassenzahnärztlichen Zulassung zu verhindern. Wenn es dem FA nur um die strafbewehrte Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit des vorgelegten Vermögensverzeichnisses gegangen sei, hätte es sich mit dem weniger schweren Eingriff einer eidesstattlichen Versicherung gemäß §§ 249 Abs. 2, 95 AO 1977 ohne die notwendige Rechtsfolge einer Eintragung im Schuldnerverzeichnis begnügen können. Das FG sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß mit einer Eintragung im Schuldnerverzeichnis aufgrund der eidesstattlichen Versicherung nach § 284 AO 1977 nicht die Gefahr einer Entziehung der kassenzahnärztlichen Zulassung verbunden sei.
Nach § 284 Abs. 5 Satz 3 AO 1977 könne die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung erst nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Entscheidung der Vollstreckungsbehörde über die Einwendungen des Vollstreckungsschuldners verlangt werden. Es bedürfe deshalb hierfür einer neuen Ladungsverfügung. Im Streitfall hätten FA und OFD unzulässigerweise zu seinen Ungunsten zur Schaffung der Voraussetzungen des § 284 Abs. 5 Satz 3 AO 1977 insoweit einvernehmlich zusammengewirkt, als das FA vor Ergehen der Beschwerdeentscheidung mit Schreiben vom . . . die in einem vorausgegangenen Verfahren nach § 284 AO 1977 ergangene Ladungsverfügung vom . . ., gegen die er ebenfalls Einwendungen erhoben habe, aufgehoben habe. Durch die (überflüssige) Aufhebung der Ladungsverfügung sei das FA aber nicht seiner Verpflichtung enthoben, über seine Einwendungen gegen die damalige Anordnung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu entscheiden. Für ihn stelle es auch keinen Unterschied dar, ob die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung über seine Vermögensangaben auf der Anordnung vom . . . oder derjenigen vom . . . beruhe; denn seine Angaben in den Vermögensverzeichnissen . . ., auf die sich die Anordnungen jeweils bezögen, seien inhaltlich weitgehend identisch.
Im übrigen sei es ermessensfehlerhaft, wenn - mit der Aufhebung der damaligen Ladungsverfügung - die Richtigkeit seiner Angaben im Vermögensverzeichnis . . . unterstellt, die Angaben im späteren Vermögensverzeichnis aber mit der Beschwerdeentscheidung angezweifelt würden. Die Zweifel des FA hinsichtlich seiner Angaben über das im Ausland belegene Grundvermögen seien für die Ermessensentscheidung über die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung unbeachtlich. Denn das Vermögen im Ausland unterliege nach dem gegenwärtigen Stand der Amtshilfeabkommen nicht dem Vollstreckungszugriff des FA.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.
1. Der Kläger hat die Revisionsbegründungsfrist, die ihm antragsgemäß verlängert worden war (§ 120 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FGO), insoweit nicht gewahrt, als die durch Telefax übermittelte Revisionsbegründung am Tage des Fristablaufs nur unvollständig beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen ist. Wegen dieser Fristversäumnis ist ihm auf seinen Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da er an der rechtzeitigen Übermittlung des vollständigen Schriftsatzes ohne sein Verschulden gehindert war (§ 56 Abs. 1 FGO). Der unvollständige Eingang des Begründungsschriftsatzes beim Revisionsgericht ist auf eine Betriebsstörung des Telefaxempfangsgerätes des BFH zurückzuführen, die der Kläger nicht zu vertreten hat.
2. Die angefochtene Entscheidung ist aber rechtlich nicht zu beanstanden.
a) Das FG hat zu Recht entschieden, daß im Streitfall die tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 284 Abs. 1 und 2 AO 1977 vorliegen, aufgrund deren das FA als Vollstreckungsbehörde vom Kläger (Vollstreckungsschuldner) die Vorlage eines Vermögensverzeichnisses und die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung über dessen Richtigkeit und Vollständigkeit verlangen darf. Nach den zutreffenden Aus- führungen des FG, auf die der Senat Bezug nimmt, ist die Aufforderung des FA zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 284 Abs. 2 AO 1977 nicht ermessensfehlerhaft. Insbesondere war das FA - entgegen der Auffassung der Revision - nicht gehalten, sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zunächst mit einer eidesstattlichen Versicherung der Richtigkeit des vom Kläger abgegebenen Vermögensverzeichnisses gemäß §§ 249 Abs. 2, 95 AO 1977 zu begnügen, um dem Kläger die mit dem Verfahren nach § 284 AO 1977 verbundene Eintragung in das Schuldnerverzeichnis (§ 284 Abs. 6 AO 1977) zu ersparen. Der erkennende Senat hat mit Urteil vom 24. September 1991 VII R 34/90 (BFHE 165, 477, BStBl II 1992, 57) entschieden, daß eine auf § 284 AO 1977 gestützte Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit des Vermögensverzeichnisses - bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen - unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auch dann ermessensgerecht ist, wenn der Vollstreckungsschuldner die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung nach §§ 249 Abs. 2, 95 AO 1977 ohne die Folge der Eintragung in das Schuldnerverzeichnis (§ 915 der Zivilprozeßordnung - ZPO -) freiwillig anbietet. Eine pflichtgemäße Ermessensausübung nach § 284 Abs. 2 AO 1977 setzt deshalb auch nicht voraus, daß die Finanzbehörde zuvor vergeblich versucht hat, eine eidesstattliche Versicherung nach §§ 249 Abs. 2, 95 AO 1977 ohne die Folge der Eintragung in das Schuldnerverzeichnis zu erhalten. Zur näheren Begründung dieser Rechtsauffassung wird auf das vorstehend zitierte Urteil Bezug genommen.
b) Auch die vom Kläger vorgetragene Befürchtung, daß er bei Abgabe der eidesstattlichen Versicherung und Eintragung in das Schuldnerverzeichnis seine kassenzahnärztliche Zulassung verlieren werde, ist nicht geeignet, die Rechtmäßigkeit der Aufforderung des FA gemäß § 284 Abs. 2 AO 1977 in Frage zu stellen. Dabei braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob nach den berufsrechtlichen Grundsätzen bei Abgabe der eidesstattlichen Versicherung gemäß § 284 Abs. 2 AO 1977 eine solche Gefahr - wie zwischen den Beteiligten umstritten ist - ernstlich droht.
Die berufsrechtliche Folge, die die Eintragung in das Schuldnerverzeichnis auszulösen vermag, führt nicht zu einer Begrenzung des der Finanzbehörde zustehenden Ermessens, deren Überschreitung gerichtlich nachprüfbar wäre (§ 102 FGO). Gegen die Auffassung des Klägers spricht, daß eine entsprechende Ermessensbeschränkung eine Privilegierung solcher Vollstreckungsschuldner bedeuten würde, die bei einer Eintragung in das Schuldnerverzeichnis berufsrechtliche Konsequenzen zu befürchten hätten. Eine derartige Besserstellung - mit der Wirkung, daß auf das Druckmittel der eidesstattlichen Versicherung nach § 284 Abs. 2 AO 1977 und den mit der Aufnahme in das Schuldnerverzeichnis (§ 284 Abs. 6 AO 1977) verbundenen Gläubigerschutz von vornherein zu verzichten wäre - kann aber Zahnärzten (und ggf.Angehörigen vergleichbarer Berufsgruppen) nicht zugebilligt werden. Eine Privilegierung verbietet sich sowohl im Hinblick auf die gebotene Gleichbehandlung aller Vollstreckungsschuldner - gleich welchen Berufs - als auch deshalb, weil es nicht angängig erscheint, der Finanzbehörde bei der Vollstreckung gegen Angehörige bestimmter Berufsgruppen Beschränkungen aufzuerlegen, denen Privatgläubiger solcher Personen vollstreckungsrechtlich nicht unterliegen (für diesen Gesichtspunkt allgemein Senat in BFHE 165, 477, BStBl II 1992, 57, 59).
c) Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, durfte das FA bei seiner Ermessensentscheidung, vom Kläger die eidesstattliche Versicherung nach § 284 Abs. 2 AO 1977 zu verlangen, auch die Tatsache berücksichtigen, daß dieser in dem eingereichten Vermögensverzeichnis nur unzureichende Angaben über seinen im Ausland belegenen Grundbesitz gemacht hat. Die grundsätzliche Verpflichtung zur vollständigen Angabe aller Vermögensgegenstände wird nicht dadurch beeinträchtigt, daß im Ausland belegenes Vermögen nach dem jeweiligen Stand der von der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossenen Abkommen über den Rechtsverkehr nicht dem Vollsreckungszugriff des Gläubigers unterliegt. Aus dem Vorhandensein bzw. dem Wegfall umfangreichen ausländischen Vermögens können sich u.U. Rückschlüsse und Fragen im Hinblick auf die sonstige Vermögenslage des Vollstreckungsschuldners ergeben, die das Verlangen nach Abgabe der eidesstattlichen Versicherung rechtfertigen.
d) Entgegen der Auffassung der Revision ist im Streitfall auch das im Gesetz vorgeschriebene Verfahren bei der Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung eingehalten worden. Nach § 284 Abs. 5 AO 1977 ist die Ladung zu dem Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung dem Vollstreckungsschuldner zuzustellen (Satz 1). Bestreitet dieser die Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung, so entscheidet die Vollstreckungsbehörde über seine Einwendungen (Satz 2). Nach § 284 Abs. 5 Satz 3 AO 1977 erfolgt die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung erst nach Eintritt der Unanfechtbarkeit dieser Entscheidung. Diese Vorschrift ist vom FA nicht verletzt und vom FG bei ihrer Auslegung nicht verkannt worden.
Auf die ausstehende Entscheidung zu den Einwendungen, die der Kläger gegen das im Jahre . . . eingeleitete Verfahren nach § 284 AO 1977 erhoben hat, kommt es nicht an, weil er im Streitfall im Jahre . . . erneut zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses und zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung aufgefordert worden ist und allein dieses letztere Verfahren Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist. Das Verfahren zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu dem vom Kläger im Jahre . . . eingereichten Vermögensverzeichnis hat das FA nicht weiterverfolgt, wie seine Aufhebung der Ladungsverfügung vom . . . zeigt. Es bedurfte deshalb keiner Entscheidung mehr über die im vorangegangenen Verfahren erhobenen Einwendungen des Klägers gegen seine Verpflichtungen zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung, zumal sich diese auf ein für das gegenwärtige Verfahren nicht mehr aktuelles Vermögensverzeichnis aus dem Jahre . . . beziehen. Von einem unzulässigen Zusammenwirken zwischen FA und OFD zur Herstellung der Voraussetzungen zur Abnahme der eidesstattlichen Versicherung nach § 284 Abs. 5 Satz 3 AO 1977 kann somit keine Rede sein. Aus der Aufhebung der früheren Ladungsverfügung kann - entgegen der Auffassung der Revision - weder gefolgert werden, daß das FA damit die Richtigkeit der Angaben des Klägers in dem im Jahre . . . eingereichten Vermögensverzeichnis unterstelle noch daß es seine damaligen Einwendungen gegen die Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung für berechtigt angesehen habe.
Für das vorliegende, im Jahre . . . eingeleitete Verfahren nach § 284 AO 1977 hat das FA jedenfalls die Einwendungen des Klägers gegen seine Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung mit Entscheidung nach § 284 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 vom 17. Oktober 1988 zurückgewiesen. Diese Entscheidung der Vollstrekkungsbehörde ist bisher nicht unanfechtbar geworden, weil sie der Kläger - allerdings erfolglos - mit der Beschwerde und dann mit der Klage angefochten hat. Die Unanfechtbarkeit der Entscheidung i.S. des § 284 Abs. 5 Satz 3 AO 1977 über die Einwendungen des Klägers gegen seine Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung tritt erst mit der vorliegenden, das Urteil des FG bestätigenden Revisionsentscheidung ein. Nachdem nunmehr endgültig feststeht, daß der Kläger zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verpflichtet ist, ist er zu diesem Zwecke erneut zu laden. Die bereits erfolgte Ladung durch das FA zu dem Termin vom . . ., die mit den erhobenen Einwendungen des Klägers hinfällig geworden ist, macht aber - wie der Zusammenhang der Vorschriften des § 284 Abs. 5 Sätze 1 bis 3 AO 1977 zeigt (Ladung - Einwendungen - Entscheidung der Vollstreckungsbehörde - Unanfechtbarkeit -) - das vom FA insgesamt durchgeführte Verfahren nach § 284 AO 1977 nicht rechtsfehlerhaft.
Fundstellen
Haufe-Index 418656 |
BFH/NV 1993, 342 |