Leitsatz (amtlich)
1. Arbeitnehmeranteile zur gesetzlichen Sozialversicherung, die der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer entrichtet, sind auch dann steuerpflichtiger Arbeitslohn, wenn der Arbeitgeber die Beitragsanteile wegen der Regelung in § 1397 Abs. 3 RVO nicht mehr vom Arbeitslohn abziehen kann.
2. Hat das FA im Lohnsteuerhaftungsverfahren die Pauschalbesteuerung unter Übernahme der Steuer durch den Arbeitgeber zugelassen, dann ist es nicht ermessensfehlerhaft, wenn weitere Untersuchungen über die Inanspruchnahme des Arbeitgebers vor dem Arbeitnehmer als Gesamtschuldner der nachzufordernden Lohnsteuer unterblieben sind.
Normenkette
StAnpG § 7 Abs. 1; EStG § 19 Abs. 1 Nr. 1, § 38 Abs. 3, § 41 Abs. 1, § 42a Abs. 2; LStDV § 2 Abs. 1, 3 Nr. 2 S. 6, § 35b Abs. 2, § 46 Abs. 1; RVO §§ 381, 395 Abs. 2, §§ 1303, 1385 Abs. 4, § 1397 Abs. 3
Tatbestand
Die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) forderte bei der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) nach einer Prüfung ihrer Zweigniederlassung in A Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung in Höhe von 1 070,64 DM für 1964 und in Höhe von 3 354,14 DM für 1966 gemäß §§ 395, 1397 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nach. Für die Nachzahlungen führte die Klägerin keine Lohnsteuer ab. Nach einer Lohnsteueraußenprüfung, bei der dieser Sachverhalt festgestellt wurde, erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) einen Haftungsbescheid über 1 052,52 DM Lohnsteuer und 63, 14 DM Kirchenlohnsteuer. Gegen die Lohnversteuerung der Nachzahlungen zur Sozialversicherung richtete sich der erfolglose Einspruch der Klägerin. Auch die Klage wurde abgewiesen. Das FG begründete seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt: Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 LStDV seien alle Einnahmen Arbeitslohn, die dem Arbeitnehmer aus dem Dienstverhältnis oder einem früheren Dienstverhältnis zufließen. Neben dem vereinbarten Arbeitsentgelt gehörten auch alle geldwerten Vorteile einschließlich der Ausgaben des Arbeitgebers für die Zukunftssicherung seiner Arbeitnehmer oder diesen nahestehenden Personen dazu, soweit sie im Kalenderjahr 312 DM überschritten (§ 2 Abs. 3 Nr. 2 LStDV). Nach der sozialversicherungsrechtlichen Ausgestaltung bestehe ein enger Zusammenhang zwischen Beitragszahlung, Versicherungsschutz und Arbeitsentgelt. Wenn der Arbeitgeber die Arbeitnehmeranteile zur AOK nicht oder mit einem zu niedrigen Betrag vom Arbeitslohn einbehalte, so erhielte der Arbeitnehmer einen höheren Nettobetrag ausbezahlt, als er ihm zustände. Darin länge bereits der geldwerte Vorteil. Auf die Absicht des Arbeitgebers, dem einzelnen Arbeitnehmer einen Vorteil zukommen zu lassen, käme es dabei nicht an. Dieser Vorteil sei den Arbeitnehmern auch endgültig verblieben. Einen ausgleichenden Lohnabzug habe die Klägerin wegen der Regelung in § 1397 Abs. 3 RVO nicht mehr vornehmen können. Die Beiträge zur Sozialversicherung seien auch nicht deshalb steuerfrei, weil sie Ausgaben für die Zukunftssicherung der Arbeitnehmer darstellten, die aufgrund gesetzlicher Verpflichtung geleistet werden (§ 2 Abs. 3 Nr. 2 Satz 6 LStDV). Unter "gesetzlicher Verpflichtung" sei nur eine über die allgemeine Zahlungsverpflichtung hinausgehende allgemeine Rechtspflicht des Arbeitgebers zu verstehen, die diesem aufgrund eines Rechtssatzes unmittelbar und originär auferlegt worden sei. Eine derartige Verpflichtung sei nicht deshalb gegeben, weil die Klägerin die Beitragsanteile der Arbeitnehmer selbst zu übernehmen hatte. Diese Auffassung decke sich mit der Regelung in § 1303 RVO, denn bei Wegfall der Versicherungspflicht würde der versicherte Arbeitnehmer die Hälfte der entrichteten Beträge auf Antrag erstattet bekommen, und zwar unabhängig davon, ob er sie tatsächlich bezahlt habe. Es käme für die Entscheidung auch nicht darauf an, ob die Klägerin die Arbeitnehmeranteile freiwillig übernommen habe oder ob sie nach § 1397 Abs. 3 RVO nicht mehr von den Arbeitnehmern zu tragen waren. Mit der Revision bestreitet die Klägerin die Voraussetzungen für den Erlaß eines Haftungsbescheids. Den Arbeitnehmern seien keine steuerpflichtigen Vorteile dadurch zugeflossen, daß ihre Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung unrichtig einbehalten worden seien. Sie - die Klägerin - habe die Sozialversicherungsbeiträge selbst tragen müssen, und zwar wegen der Regelung in § 1397 Abs. 3 RVO. Da es sich um Ausgaben für die Zukunftssicherung der Arbeitnehmer aufgrund gesetzlicher Verpflichtung handele, seien sie lohnsteuerfrei.
Entgegen der Rechtsprechung des BFH hätten FA und FG nicht überprüft, warum hier ungeachtet § 46 Abs. 2 Nr. 1 LStDV die Klägerin und nicht der einzelne Arbeitnehmer für die Lohnsteuernachforderung in Anspruch zu nehmen sei. Offensichtlich sei diese Untersuchung deshalb unterblieben, weil man keine Möglichkeit gesehen habe, die nachgeforderten Sozialversicherungsbeiträge als Arbeitslohn des einzelnen Arbeitnehmers anzusehen. Andernfalls hätte das FA nämlich die Arbeitnehmer selbst heranziehen müssen, wenn nicht beachtliche Gründe für die Haftung der Klägerin gesprochen hätten. Das FG habe auch nicht berücksichtigt, daß es sich bei den Sozialversicherungsbeiträgen ihrer steuerrechtlichen Natur nach um Sonderausgaben der Arbeitnehmer handele. Mit der Inanspruchnahme der Klägerin würde die Möglichkeit abgeschnitten, diese Beträge im Ergebnis steuerfrei zu belassen. Dabei sei davon auszugehen, daß es sich um Spitzenbeträge handele, die den von den Arbeitnehmern in der Regel ohnehin geltend gemachten Sozialversicherungsbeiträgen hinzuzurechnen seien und deshalb im Rahmen der Höchstbeträge neben anderen Sonderausgaben abgezogen werden könnten. Hier läge einer der vom BFH entschiedenen Sonderfälle vor, in denen sich der Arbeitgeber darauf berufen könne, daß die Arbeitnehmer in Höhe der dem Haftungsbescheid zugrunde liegenden Arbeitslöhne einen Anspruch auf Anerkennung von Werbungskosten bzw. Sonderausgaben hätten.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung und den Haftungsbescheid aufzuheben.
Unter Bezugnahme auf das Schreiben der Klägerin vom 29. März 1968 weist das FA darauf hin, daß die Übernahme der Steuer durch die Klägerin gemäß § 35b LStDV ausdrücklich vereinbart. worden sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Wie das FG rechtsfehlerfrei ausgeführt hat, sind die von der Klägerin nachentrichteten Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung Arbeitslohn, denn zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören auch Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden, unter Einschluß der Ausgaben des Arbeitgebers für die Zukunftssicherung seiner Arbeitnehmer (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG, § 2 Abs. 3 Nr. 2 LStDV). Diese gehören nur dann nicht zu den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit, wenn der Arbeitgeber sie aufgrund gesetzlicher Verpflichtung leistet (§ 2 Abs. 3 Nr. 2 Satz 6 LStDV). Der Ansicht der Klägerin, daß sie die von ihr nachgeforderten Arbeitnehmeranteile wegen der Regelung in §§ 395 Abs. 2, 1397 Abs. 3 RVO aufgrund eigener gesetzlicher Verpflichtung entrichtet habe und ihre Leistungen deshalb lohnsteuerfrei seien, ist das FG zu Recht nicht gefolgt. Aus §§ 381, 1385 Abs. 4 RVO ergibt sich nämlich, daß unabhängig von der Verpflichtung des Arbeitgebers zur Einbehaltung und Abführung der Sozialversicherungsbeiträge und der gesetzlichen Ausgestaltung seines Abzugsrechts bei Gehaltszahlung, die Stellung des einzelnen Arbeitnehmers als Schuldner des auf ihn entfallenden Beitragsanteils an der Sozialversicherung unberührt bleibt. So wie der Arbeitgeber, der die Lohnsteuer bei jeder Gehaltszahlung für den Arbeitnehmer einzubehalten und an das FA abzuführen hat (§ 41 Abs. 1 EStG), selbst im Haftungsfall nicht Schuldner der Lohnsteuer wird (§ 38 Abs. 3 EStG), wird auch die Klägerin nicht deshalb zur Schuldnerin der Arbeitnehmeranteile, weil sie keine Möglichkeit mehr hatte, diese durch Lohnabzug einzuziehen. Dieser Fall kann nicht anders behandelt werden, als wenn ein Arbeitgeber freiwillig die gesetzlichen Arbeitnehmeranteile übernimmt. Die Übernahme der Arbeitnehmeranteile durch den Arbeitgeber schließt nicht die Annahme von Arbeitslohn aus.
Unabhängig davon, ob die Klägerin die von ihr nachträglich entrichteten Arbeitnehmeranteile zur gesetzlichen Sozialversicherung noch von den Gehältern der betroffenen Arbeitnehmer einbehalten konnte, sind diese Schuldner der auf die Beiträge entfallenden Lohnsteuer (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG, § 46 Abs. 1 Satz 1 LStDV). Zwischen ihnen und der Klägerin als Haftender (§ 38 Abs. 3 Satz 2 EStG, § 46 Abs. 1 Satz 2 LStDV) besteht ein Gesamtschuldverhältnis (§ 7 Abs. 1 StAnpG). Wie die Klägerin zutreffend in der Revision vorgetragen hat, entspricht es der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats, daß das FA die Wahl, an welchen Gesamtschuldner es sich halten will, nach pflichtgemäßem Ermessen unter Beachtung der durch Recht und Billigkeit gezogenen Grenzen zu treffen hat (BFH-Urteil vom 21. Januar 1972 VI R 187/68, BFHE 104, 294, BStBl II 1972, 364). Eine derartige Prüfung erübrigt sich aber in der Regel, wenn sich der Arbeitgeber zur Übernahme der Lohnsteuer verpflichtet, um eine Pauschversteuerung zu erreichen (§§ 42a Abs. 2 EStG, 35b Abs. 2 LStDV). Da die Klägerin zur Vereinfachung des Verfahrens eine Pauschalierung der Lohnsteuer anstrebte und den Haftungsbescheid nach Abstimmung des anzuwendenden Steuersatzes nur noch dem Grunde nach anfechten wollte, wie sich aus dem vom FA angeführten Schreiben der Klägerin vom 26. Januar 1968 ergibt, hatte das FA keine Veranlassung zur Nachprüfung mehr, ob hier eine Inanspruchnahme der Arbeitnehmr aus Billigkeitsgründen geboten sei.
Wie der Senat in seiner Entscheidung vom 3. November 1972 VI R 270/69 (BFHE 107, 382, BStBl II 1973, 128) ausgeführt hat, wird die nach Pauschalsätzen bemessene Lohnsteuer vom Arbeitgeber zusätzlich und die Steuerfälle abschließend erbracht. Bei der zu Lasten des Arbeitgebers gehenden pauschalen Lohnsteuererhebung handelt es sich um ein Besteuerungsverfahren eigener Art, in das der Arbeitnehmer nicht eingeschaltet ist. Entsprechend sind die Ausführungen der Klägerin, daß die Sozialversicherungsbeiträge bei den einzelnen Arbeitnehmern Sonderausgaben darstellten, unerheblich für die Entscheidung des Senats.
Fundstellen
BStBl II 1974, 664 |
BFHE 1974, 463 |