Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Für begünstigende Verfügungen regelt § 96 AO den Vertrauensschutz im Steuerrecht, soweit die Steuergesetze selbst nicht abweichende Vorschriften enthalten, abschließend.
Ein Widerrufsvorbehalt rechtfertigt daher in solchen Fällen die jederzeitige Rücknahme der begünstigenden Verfügung aus sachlich vertretbaren Gründen.
Normenkette
AO § 96
Tatbestand
Der Bgin. ist durch das Hauptzollamt unter Vorbehalt jederzeitigen Widerrufs gemäß § 129 AO und § 65 des Zollgesetzes (ZG) ein dreimonatiger fortlaufender Zahlungsaufschub für Zölle und Ausgleichsteuer gegen Sicherheitsleistung bewilligt worden, letztmalig bis zur Höhe von 400.000 DM gegen Hergabe einer gleichhohen selbstschuldnerischen Bürgschaft einer mit der Bgin. wirtschaftlich verflochtenen Gesellschaft (KG).
Die Aufschubnehmerin (Bgin.) und die Bürgin sind rechtlich selbständige Gesellschaften (GmbH und KG), wobei die Geschäfts- und Kapitalanteile an beiden Gesellschaften in der Hand der gleichen Gesellschafter sind. Geschäftsführer beider Gesellschaften ist der Hauptgesellschafter. Das Gesellschaftsvermögen der KG besteht im wesentlichen aus den Gebäuden und dem Maschinenpark der Bgin. Die Einnahmen der KG fließen zu einem Teil aus dem Pacht- und Mietzins für diese Anlagen und zu einem anderen aus den Vertriebserlösen eines Teiles des Auslandsabsatzes der Produktion der Bgin. Die Bgin. ist die eigentliche Betriebsgesellschaft. Sie stellt die Erzeugnisse her und setzt sie im Inland und zu einem Teil auch - soweit dies nicht von der KG geschieht - im Ausland ab. Die Liquidität beider Firmen ist gut.
In Ausführung des Abschnitts III des Erlasses des Bundesministers der Finanzen vom 25. März 1957 III A/4 - S 1154 - 13/56 an die Oberfinanzdirektionen über die Zulassung von Steuerbürgen, wonach Einzelbürgschaften zur Sicherheitsleistung in Steuersachen nicht mehr angenommen werden dürfen, wenn Steuerschuldner und Bürge wirtschaftlich verflochten sind, forderte das Hauptzollamt die Bgin. mit Verfügung vom 27. Juni 1958 auf, die zur Sicherung des gewährten Zahlungsaufschubs gegebene Bürgschaft der KG in Höhe von 400.000 DM durch eine andere Bürgschaft eines geeigneten Bürgen binnen sechs Wochen zu ersetzen. Diese Frist wurde auf Antrag verlängert. Die gegen die Verfügung des Hauptzollamts vom 27. Juni 1958 gerichtete Beschwerde blieb erfolglos. Auf die Berufung hob das Finanzgericht die Verfügung des Hauptzollamts und die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion vom 9. Juni 1959 auf. Das Finanzgericht ging, indem es Rechtsgedanken des allgemeinen Verwaltungsrechts auf den Streitfall übertrug, davon aus, daß auch im Fall ausdrücklich vorbehaltenen Widerrufs der Vertrauensschutzgedanke sich regelmäßig behaupten müsse. Dieser verlange aber im Streitfalle den Schutz des Betroffenen gegenüber einer späteren änderung des Standpunktes der Verwaltung hinsichtlich der Beurteilung unverändert gebliebener tatsächlicher Gegebenheiten. Zudem reiche die nur abstrakte Möglichkeit einer Gefährdung des Steueranspruchs nicht aus, um die von der Verwaltung getroffene Maßnahme zu rechtfertigen.
Mit der Rb., der der Bundesminister der Finanzen beigetreten ist, greift die Oberfinanzdirektion diese Auffassung des Finanzgerichts als rechtsirrig an. Maßgebend seien für die Beurteilung des Streitfalls allein die steuerrechtlichen Vorschriften der AO (§§ 93 ff.), die, wie sich aus § 96 AO ergebe, die unbeschränkte Rücknahme oder Einschränkung begünstigender Verfügungen bei vorbehaltenem Widerruf aus sachlichen Gründen jederzeit zuließen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. hat Erfolg.
Bei der angegriffenen Verfügung des Hauptzollamts vom 27. Juni 1958 wie auch bei der Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion vom 9. Juni 1959 handelt es sich um Ermessensentscheidungen von Finanzverwaltungsbehörden, die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs von den Steuergerichten nur daraufhin geprüft werden, ob die Grenzen des Ermessens eingehalten werden und ob kein Ermessensmißbrauch im Sinne einer willkürlichen Handhabung der vom Gesetz gegebenen Ermächtigung vorliegt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs VII 185/57 U vom 28. Oktober 1958, BStBl 1959 III S. 11, Bundeszollblatt - BZBl - 1959 S. 51, Slg. Bd. 68 S. 27, und die darin zitierte Rechtsprechung).
Hiervon ist auch das Finanzgericht bei seiner Entscheidung ausgegangen, und es hat auch zutreffend angenommen, daß der Widerrufsvorbehalt bei der Bewilligung des der Bgin. eingeräumten Zahlungsaufschubs sich auch auf die Annahme der in Form einer selbstschuldnerischen Bürgschaft geleisteten Sicherheit bezieht. Da bei entsprechender Sicherheitsleistung ein Anspruch auf die Gewährung des Zahlungsaufschubs besteht (ß 129 AO, § 65 ZG), erstreckt sich der Widerrufsvorbehalt dementsprechend sogar in erster Linie auf die Annahme der Sicherheit. Das Finanzgericht hat auch zutreffend festgestellt, daß es sich bei der Bewilligung des Zahlungsaufschubs mit Rücksicht auf die in das freie Ermessen der Verwaltung gestellte Annahme der Sicherheit (ß 27 Abs. 1 der Stundungsordnung - StundO -) und damit auch bei dieser Annahme selbst um eine begünstigende Verfügung im Sinne von § 96 AO handelt.
In der weiteren rechtlichen Beurteilung des Streitfalls kann dem Finanzgericht jedoch nicht gefolgt werden. Unter Heranziehung von Rechtsgedanken aus dem allgemeinen Verwaltungsrecht ist es im Ergebnis zur Verneinung einer materiell-rechtlichen Bedeutung des Widerrufsvorbehalts gelangt. Dies widerspricht jedoch der klaren gesetzlichen Regelung des Steuerrechts, wie sie sich aus § 96 AO ergibt, der die Frage des Vertrauensschutzes für begünstigende Verfügungen im Steuerrecht, soweit die Steuergesetze nicht selbst abweichende Bestimmungen enthalten, abschließend regelt. Gerade aus der Tatsache, daß diese Bestimmung sogar bei nicht vorbehaltenem Widerruf, also bei auf Dauer angelegten Rechtsverhältnissen, die Rücknahme oder änderung von begünstigenden Verfügungen - unter Berücksichtigung des Vertrauensschutzgedankens - unter bestimmten Voraussetzungen zuläßt, muß gefolgert werden, daß der Gesetzgeber für die Fälle vorbehaltenen Widerrufs, also bei nicht auf Dauer angelegten Rechtsverhältnissen, sofern in den Steuergesetzen selbst nicht besondere Einschränkungen gemacht sind, die Rücknahme oder Einschränkung von begünstigenden Verfügungen aus jedem sachlich zu rechtfertigenden Grund jederzeit zulassen wollte.
Die Verfügung des Hauptzollamts vom 27. Juni 1958, mit der es die Hergabe einer anderen als der bis dahin angenommenen Bürgschaft verlangte, beruht auf Abschnitt III des bereits erwähnten Erlasses des Bundesministers der Finanzen vom 25. März 1957, in dem generell die Annahme von Einzelbürgschaften von mit dem Steuerschuldner wirtschaftlich verflochtenen Bürgen untersagt wurde. Der Bundesminister der Finanzen geht dabei - ebenso wie in Abschnitt II des genannten Erlasses - von der Rechtsansicht aus, Bürgschaften von Unternehmungen zugunsten von mit ihnen wirtschaftlich verflochtenen Unternehmen seien keine Sicherheitsleistung für andere und daher schon aus diesem Grunde nicht anzunehmen. Dies trifft nicht zu, und der Erlaß ist daher insoweit nicht ohne Rechtsirrtum (Hinweise auf das Urteil des Bundesfinanzhofs VII 39/59 U vom 9. März 1960, BStBl 1960 III S. 218).
Dies schließt jedoch nicht aus, daß in besonders gelagerten Fällen Bürgschaften von wirtschaftlich verflochtenen Unternehmungen abgelehnt werden können und gegebenenfalls Ersatz von bereits angenommenen Bürgschaften dieser Art gefordert werden kann, nämlich dann, wenn durch eine solche Bürgschaft keine echte zusätzliche Sicherheit erlangt wird. Denn dies ist der eigentliche Sinn und Zweck der Sicherheitsleistung überhaupt. In der Bürgschaft der KG zugunsten der Bgin. ist nach Ansicht des Senats keine solche zusätzliche Sicherheit zu erblicken. Bei der eingangs dargestellten Verflechtung zwischen der Bgin. und der Bürgin liegt es durchaus in dem Bereich der Wahrscheinlichkeit, daß im Falle der Illiquidität oder des Konkurses der Bgin. auch die Realisierung der Bürgschaftsforderung nur als Konkursforderung möglich sein würde. Dies entspricht aber nicht dem Sinn der Sicherheitsleistung im Steuerverfahren. Sie soll vielmehr gerade bei Zahlungsschwierigkeiten des Schuldners die ungehinderte sofortige Einziehung der Steuerforderungen ermöglichen. Wenn das Finanzgericht demgegenüber meint, eine solche abstrakte Möglichkeit, die sich aus der wirtschaftlichen Verflechtung im Streitfalle vielleicht einmal ergeben könnte, reiche nicht aus, das Umtauschverlangen der Verwaltung zu rechtfertigen, so bedeutet das, daß das Finanzgericht das Umtauschverlangen hinsichtlich der Bürgschaft offenbar nur dann für vertretbar hält, wenn infolge änderungen der Vermögens- oder Liquiditätsverhältnisse der Bgin. oder der Bürgin Anzeichen für eine konkrete Gefährdung der Steueransprüche gegeben sind. Ein derartiges Zuwarten der Verwaltung, bei dem sie im Interesse der Sicherung des Steueraufkommens gezwungen wäre, die wirtschaftliche Lage des Betroffenen ungünstig beeinflussende Maßnahmen gerade dann zu ergreifen, wenn diese sowieso schon gefährdet ist, könnte diese wirtschaftlichen Schwierigkeiten noch wesentlich verschlimmern und würde damit weder im Interesse der Bgin. liegen noch in diesem Zeitpunkt die Aussicht bieten, eine ausreichende zusätzliche Sicherheit für die Abgabenforderungen zu gewinnen. Diese Auffassung verkennt die Bedeutung, die der Sicherheitsleistung im Steuerverfahren, wie oben dargelegt, im Interesse der Gesamtheit der Steuerzahler zukommt.
Da die Vorinstanz daher infolge Rechtsirrtums zu einem unzutreffenden Ergebnis gelangt ist, war ihre Entscheidung aufzuheben.
Nach den vorstehenden Ausführungen ist weder in der Verfügung des Hauptzollamts noch in der sie bestätigenden Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion ein Ermessensfehler feststellbar. Die Verwaltungsakte halten sich vielmehr innerhalb der Grenzen, die der Ermessensausübung durch Recht und Billigkeit nach Sinn und Zweck der Vorschriften gezogen sind. Daher war in der spruchreifen Sache die Berufung der Bgin. gegen die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
BStBl III 1960, 259 |
BFHE 1961, 35 |
BFHE 71, 35 |
StRK, AO:96 R 17 |
NJW 1960, 1496 |