Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Die Bestimmung des § 32 a Satz 1 EStG 1957, wonach Ehegatten, wenn sie nach § 26 a EStG 1957 getrennt veranlagt werden, in die Steuerklasse I fallen, ist rechtsgültig.
Normenkette
EStG §§ 26a, 32a
Tatbestand
Der Beschwerdeführer (Bf.) und seine mit ihm zusammen lebende Ehefrau wurden für 1955 zunächst zusammen veranlagt. Der Bf. hatte im Streitjahr 1955 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit von 8.613 DM und Provisionseinkünfte von 4.047 DM; seine Ehefrau hatte einen Gewinnanteil als Kommanditistin von 9.795 DM und einen Verlust aus Vermietung und Verpachtung von 1.068 DM. Im Einspruchsverfahren wurden die Ehegatten mit ihren Einkünften gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1957 getrennt veranlagt; die Sonderausgaben wurden entsprechend dem Antrag der Eheleute aufgeteilt. Dem Antrag des Bf., ihn bei der getrennten Veranlagung entgegen § 32 a EStG 1957 nicht in die Steuerklasse I, sondern in die Steuerklasse II einzureihen, entsprach das Finanzamt nicht.
Die Berufung richtete sich nur dagegen, daß das Finanzamt die Einkommensteuer für den Bf. aus Steuerklasse I berechnet hatte. Der Bf. hält § 32 a EStG 1957 für verfassungswidrig. Das Finanzgericht wies die Berufung als unbegründet zurück.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) ist nicht begründet.
Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG in der Fassung des Gesetzes zur änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 1957 (Bundesgesetzblatt - BGBl - I S. 848, Bundessteuerblatt - BStBl - I S. 352) - abgekürzt: EStG 1957 - werden zusammen lebende Ehegatten für die Veranlagungszeiträume 1949 bis 1957 grundsätzlich nach Massgabe des § 26 a EStG 1957 getrennt veranlagt. Im Streitfall sind die Ehegatten auf Grund dieser Vorschrift zutreffend mit ihren eigenen Einkünften getrennt zur Einkommensteuer 1955 herangezogen worden. Gemäß § 32 a Satz 1 EStG 1957 fallen Ehegatten, die nach § 26 a EStG 1957 getrennt veranlagt werden, in die Steuerklasse I.
Der Bf. wendet sich mit der Rb., vor allem unter Berufung auf Matthies ("Der Betrieb" 1958 S. 438), gegen die Rechtsgültigkeit des § 32 a Satz 1 EStG 1957, weil der Gesetzgeber mit dieser Bestimmung Art. 6 Abs. 1 und Art. 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) verletzt habe; die Regelung bedeute eine mit dem GG nicht vereinbare Benachteiligung von Ehegatten und werde dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 1957 betreffend die Nichtigkeit des § 26 EStG 1951 (BStBl 1957 I S. 193) nicht gerecht.
Die Auffassung des Finanzgerichts, das § 32 a Satz 1 EStG 1957 für verfassungsgerecht hält, ist indessen rechtlich nicht zu beanstanden. Der Senat hat in der Entscheidung VI 33/56 U vom 31. Oktober 1957 (BStBl 1957 III S. 433, Slg. Bd. 65 S. 520) die übergangslösung für die Ehegattenbesteuerung im Gesetz vom 26. Juli 1957, die durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 1957 erforderlich geworden war und für die Veranlagungszeiträume 1949 bis 1957 gilt, grundsätzlich als dem GG entsprechend anerkannt. Er hat sich aber vorbehalten, einzelne Vorschriften des Gesetzes bei gegebenem Anlaß auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen. Im Zusammenhang mit § 32 a EStG 1957 sind bisher verfassungsrechtliche Bedenken besonders dagegen erhoben worden, daß auch über 55 Jahre alte Ehegatten bei getrennter Veranlagung in Steuerklasse I fallen und nicht wie unverheiratete über 55 Jahre alte Personen (ß 32 Abs. 3 Ziff. 2 EStG 1957) in Steuerklasse II eingeordnet werden (vgl. z. B. Beschluß des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 5. November 1957, Entscheidungen der Finanzgerichte 1958 S. 94). Wegen dieser Frage schwebt ein Normenkontrollverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (vgl. "Der Betrieb" 1958 S. 788). Im vorliegenden Fall sind der Bf. im Jahre 1926 und seine Ehefrau im Jahre 1928 geboren; sie würden also, auch wenn sie unverheiratet wären, in die Steuerklasse I und nicht gemäß § 32 Abs. 3 Ziff. 2 EStG 1957 in die Steuerklasse II fallen. Insofern geht der Einwand des Bf. gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 32 a Satz 1 EStG 1957 über die bisher erhobenen Einwendungen hinaus.
Der Senat hält die angefochtene Bestimmung aus den folgenden Erwägungen für verfassungsgerecht: Das Schwergewicht der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 1957 liegt, wie der Bundesfinanzhof bereits mehrfach ausgesprochen hat, in der Beanstandung des § 26 EStG alter Fassung in Verbindung mit dem Einkommensteuertarif (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs I 335/56 U vom 2. April 1957, BStBl 1957 III S. 162, Slg, Bd. 64 S. 432; I 231/56 S vom 3. Dezember 1957, BStBl 1958 III S. 27 - unter III 2 -, Slg. Bd. 66 S. 66). Der Einkommensteuertarif führte infolge seiner starken Progression bei der durch § 26 EStG alter Fassung fast ausnahmslos vorgeschriebenen Zusammenrechnung der Einkünfte zusammen lebender Ehegatten, die dann einheitlich dem Tarif unterworfen wurden, oft zu einer ungerechten und mit dem Grundrecht des Art. 6 Abs. 1 GG (Schutz und Förderung der Ehe durch den Staat) schwer zu vereinbarenden Benachteiligung der Ehegatten. Den verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundesverfassungsgerichts hat der Gesetzgeber dadurch Rechnung getragen, daß er durch das Gesetz vom 26. Juli 1957 die Zusammenrechnung der Einkünfte beseitigte und die Veranlagung jedes Ehegatten mit seinen eigenen Einkünften als Norm vorschrieb. Er stellte dadurch die Ehegatten bei der Veranlagung so, als ob sie ihre Einkünfte als Unverheiratete bezogen hätten; das Bestehen der Ehe beeinflußt seitdem die Höhe des Einkommens und die Höhe der Einkommensteuer beider Ehegatten nicht mehr. Wenn aber der Gesetzgeber ohne Rücksicht auf die bestehende Ehe jeden Ehegatten mit seinem eigenen Einkommen veranlagen läßt, liegt es nahe, auch jeden Ehegatten nach Steuerklasse I, also wie einen Unverheirateten, zu behandeln. Gegen eine solche Behandlung können aus dem Wortlaut und dem Sinn der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts keine Bedenken erhoben werden. Die gesetzliche Regelung ist um so weniger bedenklich, als die Ehegatten auf Antrag mit ihrem Einkommen zusammen veranlagt und dann nach Steuerklasse II besteuert werden. Von Bedeutung ist auch, daß §§ 26 ff. EStG 1957 den geltenden Steuertarif zugrunde legen. Dieser Tarif war aber darauf aufgebaut, daß Einkünfte zusammen lebender Ehegatten vor seiner Anwendung nach § 26 EStG alter Fassung zusammengerechnet waren. Die getrennte Veranlagung hat, da sie auf den alten Tarif angewendet wurde, den Ehegatten mit eigenen Einkünften erhebliche steuerliche Vorteile gebracht. Es kann in diesem Zusammenhang auch nicht außer Betracht bleiben, daß die übergangslösung insofern für die sogenannten Einverdiener-Ehen ungünstig ist, als in diesen Fällen die Progression auf das Familieneinkommen, das nur ein Ehegatte erwirbt, voll zur Auswirkung kommt (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs I 335/56 U vom 2. April 1957, BStBl 1957 III S. 162, Slg. Bd. 64 S. 432; III 125/57 S vom 28. Februar 1958, BStBl 1958 III S. 191, Slg. Bd. 66 S. 497). Hätte der Gesetzgeber unter Berücksichtigung aller dieser Umstände auch bei getrennter Veranlagung einem oder beiden Ehegatten die Steuerklasse II gewährt, so könnten dagegen von den nicht dadurch begünstigten Ehegatten unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 GG) und des Schutzes und der Förderung der Ehe (Art. 6 Abs. 1 GG) zumindest ebenso gewichtige verfassungsrechtliche Bedenken erhoben werden, wie der Bf. sie von seinem Standpunkt aus gegen die jetzige Regelung des § 32 a Satz 1 EStG 1957 erhebt. Der Gesetzgeber war, als im Laufe des Jahres 1957 der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 1957 der bisherigen Ehegattenbesteuerung auf acht Jahre zurück die Rechtsgrundlage entzog, in einer besonders schwierigen Lage. Das hat der Senat in der Entscheidung VI 33/56 U vom 31. Oktober 1957 ausdrücklich anerkannt und berücksichtigt. Der Gesetzgeber stand vor der Notwendigkeit, bei der übergangsregelung zahlreiche schwerwiegende und zum Teil sich überschneidende verfassungsrechtliche Grundsätze miteinander in Einklang zu bringen. Das betont auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 678/57 vom 12. Dezember 1957 (BStBl 1958 I S. 52). Man muß zugeben, daß für die vom Gesetzgeber gewählte Regelung gute Gründe sprechen. Unter diesen Umständen hat sich der Gesetzgeber bei der Regelung des § 32 a EStG 1957 im Rahmen seines politischen Ermessens gehalten, das von den Steuergerichten nicht nachzuprüfen ist. Bei der Beurteilung der Gesamtsituation ist auch von Gewicht, daß der Gesetzgeber bemüht war, die bei der übergangsregelung der Ehegattenbesteuerung unvermeidlich auftretenden Schwierigkeiten so schnell wie möglich aus der Welt zu schaffen, indem er durch das Gesetz zur änderung steuerlicher Vorschriften auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Ertrag und des Verfahrensrechts vom 18. Juli 1958 (BGBl 1958 I S. 473, BStBl 1958 I S. 412) mit Rückwirkung ab 1. Januar 1958 die Ehegattenbesteuerung auf der Grundlage des Splitting-Tarifs endgültig geregelt hat.
Nach allem hält der Senat die vom Bf. erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Rechtsgültigkeit des § 32 a Satz 1 EStG 1957 nicht für begründet.
Fundstellen
Haufe-Index 409161 |
BStBl III 1958, 418 |
BFHE 1959, 375 |
BFHE 67, 375 |