Entscheidungsstichwort (Thema)
(Gewerbesteuerbefreiung für ambulante Pflegedienste - Analogie)
Leitsatz (amtlich)
1. § 3 Nr.20 c GewStG ist auf Heime, nicht aber auf Einrichtungen zur ambulanten Pflege anwendbar.
2. Es ist nicht verfassungswidrig, daß Einrichtungen zur ambulanten Pflege erst mit Wirkung ab 1994 durch § 3 Nr.20 d GewStG i.d.F. des StMBG von der Gewerbesteuer befreit wurden.
Orientierungssatz
Analogie ist die Ausdehnung der dem Gesetz zu entnehmenden Prinzipien auf Fälle, die von den im Gesetz entschiedenen Fällen nur unwesentlich abweichen; Voraussetzung ist das Vorliegen einer Lücke im Gesetz in Form einer planwidrigen Unvollständigkeit (vgl. BFH-Rechtsprechung).
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; GewStG § 3 Nr. 20 Buchst. c, d
Verfahrensgang
FG Hamburg (Entscheidung vom 28.09.1993; Aktenzeichen III 134/91) |
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt --im Streitjahr 1987 noch im Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR)-- einen ambulanten Pflegedienst. Die kaufmännische Leitung obliegt ihren Gesellschaftern, die selbst nicht über eine heilberufliche bzw. krankenpflegerische Ausbildung verfügen. Der Pflegedienstleitung und den von ihr eingesetzten und überwachten fünf Pflegeteams gehören ausschließlich Krankenpfleger und -schwestern sowie Altenpfleger und Arzt-, Pflege- und Schwesternhelferinnen an. Die angebotenen Pflegeleistungen erstrecken sich im wesentlichen auf die häusliche Krankenpflege, die Grundpflege als Hilfe zur Pflege gemäß § 69 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) vom 30. Juni 1961 (BGBl I 1961, 815, 1875) sowie die Hilfe zur Weiterführung des Haushaltes gemäß § 70 BSHG. Nach den Angaben der Klägerin entfallen von den gesamten Leistungen 70 v.H. auf die häusliche Krankenpflege und die Grundpflege sowie 15 v.H. auf die Hilfe zur Weiterführung des Haushalts; im Streitjahr wurden 85,5 v.H. der Kosten von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe getragen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) setzte mit dem unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs.1 der Abgabenordnung (AO 1977) ergangenen Bescheid vom 3. Mai 1990 den einheitlichen Gewerbesteuer-Meßbetrag und die Gewerbesteuer erklärungsgemäß fest.
Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 23. November 1990, den Bescheid aufzuheben, da die Dienstleistungen nicht der Gewerbeordnung und deshalb auch nicht der Gewerbesteuer unterlägen. Das FA lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 6. Dezember 1990 ab.
Einspruch und Klage, mit der die Klägerin ergänzend geltend machte, das Betreiben eines ambulanten Pflegedienstes sei eine der heilberuflichen Tätigkeit ähnliche Tätigkeit i.S. des § 18 Abs.1 Nr.1 des Einkommensteuergesetzes (EStG), die zumindest im Wege einer verfassungskonformen Auslegung des § 3 Nr.20 c des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) von der Gewerbesteuer befreit sei, blieben ohne Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1994, 532 veröffentlicht.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 3 Nr.20 c GewStG und des Art.3 Abs.1 des Grundgesetzes (GG).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
FA und FG haben zu Recht eine Verpflichtung des FA, den Bescheid vom 3. Mai 1990 aufzuheben, verneint.
1. Die Klägerin unterlag gemäß § 2 Abs.1 GewStG i.V.m. § 15 Abs.2 EStG der Gewerbesteuer, weil die Betätigung nicht als Ausübung eines freien Berufs (§ 18 Abs.1 Nr.1 EStG) anzusehen ist.
Es kann offenbleiben, ob Krankenpfleger und -schwestern, die im ambulanten Pflegedienst selbständig tätig sind, einen den in § 18 Abs.1 Nr.1 Satz 2 EStG genannten Heilberufen ähnlichen Beruf ausüben (bejahend: Urteil des Niedersächsischen FG vom 11. August 1993 XIII 264/91, EFG 1994, 146; Schmidt/Seeger, Einkommensteuergesetz, 13.Aufl., § 18 Anm.24, Stichwort Krankenschwester; Stuhrmann in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 18 Rdnr.B 270, Stichwort Krankenpfleger/Krankenschwester m.w.N; offengelassen im Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26. August 1993 V R 45/89, BFHE 172, 223, BStBl II 1993, 887 unter 5. zu § 4 Nr.14 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes --UStG-- 1980). Die Betätigung der GbR stellte sich bereits deshalb als gewerblich dar, weil ihre Gesellschafter nicht die nach dem Gesetz über die Berufe in der Krankenpflege (Krankenpflegegesetz --KrPflG--) vom 4. Juni 1985 (BGBl I 1985, 893) erforderlichen persönlichen Voraussetzungen für eine solche Berufsausübung erfüllten und demzufolge selbst keine freiberufliche Tätigkeit ausüben konnten (vgl. ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteile vom 19. Mai 1981 VIII R 143/78, BFHE 133, 396, BStBl II 1981, 665; vom 11. Juni 1985 VIII R 254/80, BFHE 144, 62, BStBl II 1985, 584). Der wiederholte Hinweis der Klägerin, daß ein ambulanter Pflegedienst auch bei einer solchen Sachlage nicht dem Gewerberecht unterfalle, ist demnach für die gewerbesteuerliche Beurteilung unerheblich.
2. Die Klägerin war auch nicht gemäß § 3 Nr.20 c GewStG von der Gewerbesteuer befreit.
a) Nach dieser Vorschrift in der im Streitjahr 1987 geltenden Fassung sind Altenheime, Altenwohnheime und Pflegeheime von der Gewerbesteuer befreit, wenn im Erhebungszeitraum mindestens zwei Drittel der Leistungen den in § 68 Abs.1 BSHG oder den in § 53 Nr.2 AO 1977 genannten Personen zugute gekommen sind. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Der Wortlaut der Vorschrift knüpft an die in § 1 Abs.1 Satz 1 des Gesetzes über Altenheime, Altenwohnheime und Pflegeheime für Volljährige (Heimgesetz --HeimG--) vom 7. August 1974 (BGBl I 1974, 1873) enthaltenen Begriffsbestimmungen an. Danach sind die erwähnten Heime Einrichtungen, die alte Menschen sowie pflegebedürftige oder behinderte Volljährige nicht nur vorübergehend aufnehmen und betreuen. Das hiernach erforderliche ständige Betreuungsverhältnis zwischen dem Heim und seinen Bewohnern ist im Streitfall nicht gegeben.
b) Eine Befreiung von der Gewerbesteuer kommt auch nicht in analoger Anwendung von § 3 Nr.20 c GewStG in Betracht.
Analogie ist die Ausdehnung der dem Gesetz zu entnehmenden Prinzipien auf Fälle, die von den im Gesetz entschiedenen Fällen nur unwesentlich abweichen; Voraussetzung ist das Vorliegen einer Lücke im Gesetz in Form einer planwidrigen Unvollständigkeit (z.B. Senatsurteile vom 20. Oktober 1983 IV R 175/79, BFHE 139, 561, BStBl II 1984, 221; vom 21. Mai 1987 IV R 339/84, BFHE 150, 32, BStBl II 1987, 625; vom 15. Februar 1990 IV R 13/89, BFHE 160, 229, BStBl II 1990, 621).
Die Regelung des § 3 Nr.20 c GewStG ist in diesem Sinne nicht lückenhaft. Wie sich aus der Entwicklung der Vorschrift ergibt, war zunächst ausschließlich eine Begünstigung der Altenheime, Altenwohnheime und (Alten-)Pflegeheime beabsichtigt. Deshalb wurde bei der Übernahme der in § 11 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung (GewStDV) 1974 geregelten Begünstigung für Krankenanstalten und Altenheime in § 3 Nr.20 GewStG durch das Einführungsgesetz zur Abgabenordnung (EGAO 1977) vom 14. Dezember 1976 (BGBl I 1976, 3341, BStBl I 1976, 694) die Steuerbefreiung auf Altenwohnheime und Altenpflegeheime erweitert; damit war eine Angleichung an die für die Grundsteuer, die Bewertung und die Umsatzsteuer geltenden Vorschriften bezweckt (vgl. Bericht des Finanzausschusses BTDrucks 7/5458, 11). Mit der Änderung der Vorschrift durch das Gesetz zur Neufassung des Umsatzsteuergesetzes und zur Änderung anderer Gesetze vom 26. November 1979 (BGBl I 1979, 1953, BStBl I 1979, 654) wurden sämtliche Pflegeheime begünstigt.
Die Befreiung wurde erst gemäß Art.13 Nr.2 c des Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetzes (StMBG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I 1993, 2310, BStBl I 1994, 50) durch Anfügung des § 3 Nr.20 d GewStG auf sog. Kurzzeitpflegeeinrichtungen und Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen mit der Maßgabe ausgedehnt, daß im Erhebungszeitraum die Pflegekosten in mindestens 40 v.H. der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind. Durch diese ab dem Erhebungszeitraum 1994 geltende (Art.34 Abs.1 StMBG) Regelung sollten --ebenso wie durch die entsprechende, bereits mit Wirkung vom 1. Januar 1992 durch das Steueränderungsgesetz (StÄndG) 1992 vom 25. Februar 1992 (BGBl I 1992, 297, BStBl I 1992, 146) angefügte Regelung des § 4 Nr.16 e UStG-- die erwähnten Einrichtungen in die für Alten- und Pflegeheime bereits geltende Steuerbefreiung einbezogen werden, um der zunehmenden Bedeutung dieser Einrichtungen Rechnung zu tragen und die bestehenden Versorgungsstrukturen bei der Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen zu verbessern (vgl. zu § 4 Nr.16 e UStG: BTDrucks 12/1368, 27 und 12/1506, 178; zu § 3 Nr.20 d GewStG: BTDrucks 12/5764, 43).
An eine Begünstigung ambulanter Pflegedienste war nach der gesetzlichen Konzeption im Streitjahr noch nicht gedacht; der im Gesetz zum Ausdruck gebrachte Wille des Gesetzgebers ist also --was den Kreis der Begünstigten anbelangt-- nicht planwidrig unvollständig.
c) Die Vorschrift des § 3 Nr.20 c GewStG läßt sich auch entgegen der Auffassung der Revision nicht auf verfassungskonforme Weise dahin auslegen, daß sie auf ambulante Pflegedienste Anwendung findet.
Läßt eine Norm mehrere Deutungen zu, von denen nur eine zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führt, so ist diejenige Auslegung geboten, die mit dem GG in Einklang steht (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 9. August 1978 2 BvR 831/76, BVerfGE 49, 148, 157). Jede --auch eine verfassungskonforme-- Auslegung findet allerdings ihre Grenze an dem eindeutigen Wortlaut und dem Sinn und Zweck der betreffenden gesetzlichen Vorschrift. Würde eine verfassungskonforme Auslegung zu dem Ergebnis führen, daß an die Stelle einer Gesetzesnorm inhaltlich eine andere Vorschrift tritt, so würden damit die Grenzen der Gerichtsbarkeit überschritten werden (vgl. BVerfG-Beschluß vom 11. Juni 1980 1 PBvU 1/79, BVerfGE 54, 277, 299).
Das gilt insbesondere auch für die Auslegung steuerrechtlicher Normen. Wird im Steuerrecht einer bestimmten Gruppe von Steuerpflichtigen eine gesetzliche Vergünstigung eingeräumt, die nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers nur für diese Gruppe gelten soll, so kann ein Gericht diese Vergünstigung nicht auch anderen Gruppen gewähren, selbst wenn es die einseitige Begünstigung als verfassungswidrig ansehen sollte. Letzterenfalls käme nur die Aussetzung des Verfahrens und die Einholung einer Entscheidung des BVerfG gemäß Art.100 Abs.1 GG in Betracht (vgl. Senatsurteile vom 7. August 1986 IV R 225/84, BFHE 147, 376, BStBl II 1986, 862; in BFHE 150, 32, BStBl II 1987, 625).
Da die Vergünstigung nach § 3 Nr.20 c GewStG ausschließlich den erwähnten Heimen vorbehalten ist und für eine Ausdehnung der Vergünstigung auf ambulante Pflegedienste weder nach dem Wortlaut noch nach dem Sinn und Zweck der --in dieser Hinsicht eindeutigen-- Vorschrift ein Auslegungsspielraum besteht, kommt eine verfassungskonforme Auslegung mit dem von der Klägerin begehrten Ziel nicht in Betracht.
3. Der Umstand, daß die Steuerbefreiung im Streitjahr 1987 Pflegeheimen, nicht aber Einrichtungen zur ambulanten Pflege gewährt wurde, verstößt schließlich nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art.3 Abs.1 GG).
a) Die Bindung des Gesetzgebers an den Gleichheitssatz bedeutet, daß bei der Auswahl der Sachverhalte, für die eine gesetzliche Regelung getroffen wird, sachgemäß und nicht willkürlich verfahren wird. Auch bei der Erschließung von Steuerquellen hat der Gesetzgeber eine weitgehende Gestaltungsfreiheit; will er eine bestimmte Steuerquelle erschließen, andere hingegen nicht, dann ist der Gleichheitssatz grundsätzlich nicht verletzt, solange sich die unterschiedliche Behandlung mit finanzpolitischen, volkswirtschaftlichen, sozialpolitischen oder steuertechnischen Erwägungen rechtfertigen läßt (vgl. Beschlüsse des BVerfG vom 29. November 1989 1 BvR 1402, 1528/87, BVerfGE 81, 108, 117 m.w.N.; vom 11. Februar 1992 1 BvL 29/87, BVerfGE 85, 238, 244). Der Gesetzgeber überschreitet nur dann die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit, wenn er eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obgleich zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie eine ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. z.B. BVerfG-Beschluß in BVerfGE 85, 238, 244 m.w.N.).
b) § 3 Nr.20 c GewStG stimmt mit diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen überein.
Die Beschränkung der Vergünstigung auf Heime, gleichgültig, ob sie von juristischen Personen des öffentlichen Rechts (§ 3 Nr.20 a GewStG) oder anderen Trägern (§ 3 Nr.20 c GewStG) betrieben werden, läßt sich sachlich rechtfertigen. Gewichtige Unterschiede zu den Einrichtungen zur ambulanten Pflege bestehen darin, daß das HeimG den Heimen gerade im Hinblick auf das ständige Betreuungsverhältnis zu ihren Bewohnern besondere Lasten auferlegt; dazu gehören neben den Erlaubnis-, Anzeige-, Buchführungs- und Meldepflichten (§§ 6 bis 8 HeimG) vor allem die Überwachung (§§ 9, 10 HeimG). Abgesehen von diesen Unterschieden kommt entscheidend hinzu, daß für die spätere Einbeziehung der Einrichtungen zur ambulanten Pflege in die Steuerbefreiung die sozialpolitische Erwägung maßgebend war, die bestehenden Versorgungsstrukturen bei der Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen zu verbessern. Der Gesetzgeber durfte bei der Prüfung, ob eine Förderung der Einrichtungen zur ambulanten Pflege zur Verfolgung dieses sozialpolitischen Ziels geeignet war, auch die in den Gesetzesmaterialien zum StMBG hervorgehobene zunehmende Bedeutung dieser Einrichtungen berücksichtigen. Unter diesen Umständen lag die Entscheidung, die für die sozialpolitisch allgemein als förderungswürdig anerkannten Heime geltende Gewerbesteuerbefreiung erst mit Wirkung ab dem Erhebungszeitraum 1994 auf die Einrichtungen zur ambulanten Pflege auszudehnen, innerhalb der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit.
Fundstellen
Haufe-Index 65197 |
BFH/NV 1995, 11 |
BStBl II 1995, 67 |
BFHE 175, 451 |
BFHE 1995, 451 |
BB 1994, 2482 |
BB 1994, 2482 (L) |
DB 1995, 410 (L1-2) |
DStR 1995, 257 (K) |
DStZ 1995, 154-155 (KT) |
HFR 1995, 263-264 (LT) |
StE 1994, 729-730 (K) |