Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuer
Leitsatz (amtlich)
Der Bundesfinanzhof hält an der Auffassung des Reichsfinanzhofs in den Gutachten V D 1/37 vom 9. Juli 1937 (Slg. Bd. 42 S. 253) und Gr.S. D 5/38 vom 2. Juli 1938 (Slg. Bd. 44 S. 198) fest, wonach Umsätze eines Trägers der öffentlichen Gewalt dann nicht steuerbar sind, wenn sie aus einer Tätigkeit herrühren, die dem Träger der öffentlichen Gewalt eigentümlich und vorbehalten ist. Nicht steuerbar sind sonach Umlagebeträge, die eine Ortsgemeinde wegen der Vatertierhaltung auf Grund des § 17a der Ersten Verordnung zur Förderung der Tierzucht vom 26. Mai 1936 (RGBl I S. 470) in der Fassung der Verordnung vom 20. November 1939 (RGBl. I S. 2306) erhebt.
Normenkette
UStG § 2 Abs. 3
Tatbestand
Die Steuerpflichtige (Stpfl.) ist eine Landgemeinde, die auf Grund des Gesetzes zur Förderung der Tierzucht vom 17. März 1936 (Reichsgesetzblatt - RGBl. - I 1936 S. 175) und der Ersten Verordnung zur Förderung der Tierzucht vom 26. Mai 1936 (RGBl. I S. 470) in der Fassung der Verordnung vom 20. November 1939 (RGBl. I S. 2306) im zweiten Halbjahre 1948 und im Jahre 1949 Vatertiere, und zwar drei Bullen und einen Eber, gehalten hat. Für jedes dieser Tiere ist eine Deckerlaubnis A I vorhanden. Die Kosten für die Tierhaltung sind von der Stpfl. in der Weise aufgebracht worden, daß sie jedesmal im Oktober einen Gemeindebeschluß über den Geldbedarf gefaßt und die Erhebung von Deckgeldern und einer Umlage angeordnet hat. Die Umlage wird bei allen Bauern erhoben, die in der Gemeinde weibliche Tiere eines bestimmten Mindestalters halten, und zwar nach der Zahl der jeweils von einem Bauern gehaltenen Tiere, ohne Rücksicht darauf, ob für diese Tiere die Vatertiere der Gemeinde in Anspruch genommen werden. Hinsichtlich der Deckgelder ist der Sachverhalt nicht völlig geklärt. Anläßlich des Deckens wird kein Deckgeld erhoben. Anscheinend werden die Deckgelder nachträglich in Höhe eines einheitlichen Umlagebetrages bei den Bauern erhoben, die sich jeweils zum Decken der von ihnen gehaltenen weiblichen Tiere eines der gemeindeeigenen Vatertiere bedient haben. Die Deckgelder haben im zweiten Halbjahre 1948 2.895 DM und im Jahre 1949 2.958 DM, die Umlagebeträge für alle Halter weiblicher Tiere im zweiten Halbjahre 1948 insgesamt 3.230 DM und im Jahre 1949 insgesamt 4.652 DM betragen. Die Stpfl. hat die Vatertiere bei einem Bauern untergebracht, der für die Betreuung der Tiere ein Entgelt erhält. Einige andere Bauern in der Gemeinde halten ebenfalls Bullen, für die je eine Deckerlaubnis A erteilt ist.
Die Stpfl. ist bis zum 20. Juni 1948 wegen der Entgelte, die sie auf die angegebene Weise anläßlich der Vatertierhaltung erhalten hat, nicht zur Umsatzsteuer herangezogen worden. Sie beruft sich auch für die Folgezeit darauf, daß es sich bei dem Halten von Vatertieren um die Ausübung öffentlicher Gewalt handele. Ihre Sprungberufung hatte Erfolg. Das Finanzgericht hat die Vatertierhaltung als Ausübung öffentlicher Gewalt anerkannt, weil die Gemeinden zum Halten von Vatertieren verpflichtet seien und solche zu beschaffen hätten. In den Gemeinden müsse für jeweils 100 deckfähige Rinder oder 60 Schweine ein Vatertier mit Deckerlaubnis A I vorhanden sein. Diese Voraussetzungen hätten bei der Stpfl. vorgelegen. Der Umstand, daß manche Gemeinden keine Vatertiere hielten, sondern private Halter zuließen, ändere nichts an der für die Gemeinden bestehenden Verpflichtung. Die Stpfl. sei daher mit allen Einnahmen aus der Vatertierhaltung, soweit sie nicht aus dem Verkaufe der Tiere herrührten, nicht umsatzsteuerbar.
Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) wird von dem Vorsteher des Finanzamts im wesentlichen geltend gemacht, daß die Zuweisung einer Aufgabe an die Gemeinden diese insoweit nicht ohne weiteres zu Hoheitsträgern mache. Im vorliegenden Falle ständen sich die Stpfl. und die Gemeindemitglieder, die sich der gemeindeeigenen Vatertiere für die gehaltenen weiblichen Tiere bedienten, als gleichgestellte Vertragschließende gegenüber. Die Bauern könnten sich auch anderer als der gemeindeeigenen Vatertiere bedienen. Die Stpfl. betätige sich bei ihrer Tierhaltung und der damit verbundenen Erzielung von Einnahmen ebenso privatwirtschaftlich wie die sonstigen privaten Vatertierhalter. Ausübung öffentlicher Gewalt liege daher insoweit nicht vor.
Die Stpfl. führt demgegenüber aus, daß die Umlagebeträge die Eigenschaft von Gemeindeabgaben hätten. Entscheidend sei, daß die Vatertierhaltung nicht zu Erwerbszwecken erfolge, weil nur so viel an Deckgeldern und Umlagen erhoben werde, als zur Bestreitung der Selbstkosten erforderlich sei.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.
Der Bundesfinanzhof hält an den Gutachten des Reichsfinanzhofs V D 1/37 vom 9. Juli 1937 (Slg. Bd. 42 S. 253) und Gr.S. D 5/38 vom 2. Juli 1938 (Slg. Bd. 44 S. 198) fest, wonach Umsätze eines Trägers der öffentlichen Gewalt dann nicht steuerbar sind, wenn sie aus einer Tätigkeit herrühren, die dem Träger der öffentlichen Gewalt eigentümlich und vorbehalten ist.
Dem Finanzgericht ist insoweit zuzustimmen, als es sich um die Umlagebeträge handelt, die die Stpfl. im Gemeindebereiche von allen Haltern weiblicher Tiere mit einem bestimmten Mindestalter erhebt. Nach § 17 der Ersten Verordnung zur Förderung der Tierzucht in der Fassung der Abänderungsverordnung vom 20. November 1939 sind die Gemeinden, und nur diese, zur Vatertierhaltung unter bestimmten Voraussetzungen, die bei der Stpfl. vorliegen, verpflichtet. Es handelt sich also um eine den Gemeinden eigentümliche und vorbehaltene Aufgabe. § 17a dieser Verordnung berechtigt die Gemeinden, die Kosten der Tierhaltung auf alle gemeindeangehörigen Tierhalter nach der Zahl der von diesen gehaltenen weiblichen Tiere umzulegen, die ein bestimmtes Mindestalter haben. Der Vatertierhaltung durch die Gemeinde und der dadurch bedingten Umlegung der entstehenden Kosten kann sich das einzelne Gemeindemitglied, das weibliche Tiere mit einem bestimmten Mindestalter hält, nicht entziehen. Das Halten von Vatertieren mit der nach § 17a der erwähnten Verordnung in der Fassung vom 20. November 1939 den Gemeindemitgliedern mit weiblichen Tieren eines bestimmten Mindestalter auferlegten Umlage gehört sonach zur Ausübung der öffentlichen Gewalt. Die Stpfl. ist infolgedessen mit ihren aus der Umlage fließenden Einnahmen nicht umsatzsteuerbar.
Anders kann es sich bei den Deckgeldern verhalten. Zunächst ist ihre Rechtsnatur eine andere. Auch wenn sie gleichmäßig umgelegt werden, so werden sie doch nur von den Gemeindemitgliedern erhoben, die sich für die von ihnen gehaltenen weiblichen Tiere der gemeindeeigenen Vatertiere bedient haben. Sie werden nicht wie die vorerwähnte Umlage für das Halten von Vatertieren gezahlt, auch wenn es selbstverständlich ist, daß die Vatertiere zum Decken gehalten werden, sondern für die Inanspruchnahme der Vatertiere in jedem einzelnen Falle. Hier steht eine Leistung gegen eine Gegenleistung. Nur dann, wenn für die Bauern, die von ihnen gehaltene weibliche Tiere decken lassen wollen, ein Annahmezwang bestände (ß 18 Abs. 1 Satz 2 der Umsatzsteuer-Durchführungsbestimmungen - UStDB - 1938), sich lediglich der gemeindeeigenen Vatertiere zu bedienen, könnte in der Zurverfügungstellung der Vatertiere durch die Gemeinde von Ausübung der öffentlichen Gewalt gesprochen werden. Ob diese Voraussetzung infolge irgendeiner Vorschrift, z. B. einer Ortssatzung, vorliegt, ist nicht geklärt. Die Tatsache, daß es in der Gemeinde einige private Bullenhalter gibt, für deren Tiere eine Deckerlaubnis erteilt ist, spricht dagegen. Können sich die Bauern zum Decken der von ihnen gehaltenen weiblichen Tiere auch der privat gehaltenen Bullen bedienen, dann steht die Stpfl. insoweit mit den privaten Bullenhaltern im Wettbewerb und ist wegen ihrer Einnahmen aus Deckgeldern umsatzsteuerpflichtig. Es wäre auch denkbar, daß die privaten Bullenhalter hinsichtlich der Bullenhaltung Erfüllungsgehilfen der Stpfl. wären, daß in bestimmten Fällen das Decken durch Vatertiere, für die die Deckerlaubnis A 1 besteht, vorgeschrieben wäre, oder daß es einem Bauern freistände, sich wegen des Deckens seiner Tiere eines Vatertieres der Nachbargemeinde zu bedienen, so z. B. wenn ein abgelegenes Gehöft der Nachbargemeinde näher läge als der Wohnsitzgemeinde. Da alle diese Umstände nicht geklärt sind, von der Entscheidung darüber aber, ob ein Annahmezwang für die Bauern vorliegt, die Bejahung oder Verneinung der Umsatzsteuerpflicht hinsichtlich der Deckgelder abhängt, muß die Vorentscheidung aufgehoben und der Fall zur weiteren Aufklärung der Sachlage an das Finanzamt zurückverwiesen werden. Bemerkt sei nur noch, daß das Fehlen einer Gewinnabsicht die Umsatzsteuerpflicht nicht hindert (ß 2 Abs. 1 Satz 3 des Umsatzsteuergesetzes 1934).
Fundstellen
BStBl III 1953, 86 |
BFHE 1954, 221 |
BFHE 57, 221 |
StRK, UStG:2/3 R 6 |