Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Soweit § 63 a Ziff. 2 EStDV 1958 eine Witwe mit Kindern, die sich wieder verheiratet hat, deren neue Ehe aber durch Scheidung aufgelöst ist, als "geschiedene Frau" behandelt und ihr die Splittingvergünstigung versagt, ist die Vorschrift mit § 32 a Abs. 3 EStG unvereinbar.
Dasselbe gilt für § 5 Ziff. 1 der Verordnung zur überleitung des Lohnsteuerverfahrens vom 20. Dezember 1958 und für § 7 Abs. 5 und 6 LStDV 1959.
EStG 1958 § 32 a Abs. 3; EStDV 1958 § 63 a Ziff. 2; überleitungsverordnung vom 20. Dezember 1958
Normenkette
EStG § 32a/3; EStDV § 63a/2
Tatbestand
Der erste Ehemann der Bfin. fiel im Jahre 1941. Aus dieser Ehe stammen drei Kinder. Im Jahre 1948 verheiratete sich die Bfin. erneut. Diese Ehe wurde aber bereits im Jahre 1949 aus dem Verschulden des Ehemanns wieder geschieden. Beim Lohnsteuer- Jahresausgleich für das Streitjahr 1958 berechnete das Finanzamt die Jahreslohnsteuer nach der Steuerklasse II/3, während die Bfin. die Berechnung der Lohnsteuer nach der Steuerklasse III/3 begehrt hatte.
Der Einspruch und die Berufung blieben erfolglos. Das Finanzgericht führte aus: Nach § 32 a Abs. 3 Ziff. 2 EStG 1958 stehe die Splitting-Vergünstigung auch verwitweten Personen zu, die zur Zeit des Todes ihres Ehegatten von diesem nicht dauernd getrennt gelebt hätten, sofern aus dieser Ehe Kinder hervorgegangen seien. Die Bfin. sei aber keine Witwe. Sie habe, als sie sich zum zweiten Mal verheiratete, den Stand als Witwe verloren. Nach der Scheidung der zweiten Ehe sei sie eine "geschiedene" und nicht "verwitwete" Frau gewesen. Die Vorschrift des § 63 a Ziff. 2 EStDV, die das ausdrücklich festlege, diene nur der Klarstellung. Das Splitting komme an sich nur bei zusammenlebenden Ehegatten in Betracht. Damit aber beim Tode eines Ehegatten der andere Ehegatte nicht alsbald steuerlich schlechtergestellt werde, habe der Gesetzgeber in § 32 a Abs. 3 EStG 1958 für verwitwete Personen noch für eine bestimmte Zeit die Besteuerung nach dem Splitting zugelassen. Für andere Fälle, in denen das Splitting nicht zulässig sei, habe der Gesetzgeber in § 32 Abs. 3 EStG zum Ausgleich von Härten besondere Freibeträge eingeführt. Für die Bfin. als geschiedene Frau mit Kindern komme ein solcher Freibetrag in Betracht; er sei ihr auch gewährt worden, weil er in der Lohnsteuertabelle für die Steuerklasse II eingebaut sei. Die unterschiedliche Regelung in der Anwendung des Splitting-Tarifs sei auch nicht willkürlich. Bei der Auflösung einer Ehe durch Tod und durch Scheidung handle es sich um unterschiedliche Sachverhalte, so daß die unterschiedliche steuerliche Behandlung von verwitweten und geschiedenen Ehegatten den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) nicht verletze.
Mit der Rb. rügt die Bfin. Verletzung des sachlichen Rechts. Sie führt aus, sie müsse als Witwe behandelt werden, nachdem ihre zweite Ehe ohne ihr Verschulden wieder geschieden worden sei.
Der Bundesminister der Finanzen, der auf Ersuchen des Senats dem Verfahren gemäß § 287 Ziff. 2 AO beigetreten war, stimmt der Auffassung des Finanzgerichts zu. Er hält die Vorschrift des § 63 a Ziff. 2 EStDV, die verwitwete Personen, deren nachfolgende Ehe geschieden ist, von der Steuervergünstigung des § 32 a Abs. 3 EStG ausschließt, für eine zutreffende Gesetzesauslegung. Nach der allgemeinen Anschauung sei eine Witwe, die wieder heirate, deren Ehe aber dann geschieden werde, eine "geschiedene Frau" und keine "Witwe". Diese Auffassung stehe auch im Einklang mit den Vorschriften des bürgerlichen Rechts sowie des Versorgungsrechts und entspreche dem Sinn und Zweck des § 32 a Abs. 3 EStG 1958. Wenn auch die Rechte und Pflichten einer Witwe gegenüber ihren minderjährigen Kindern, die sich aus der elterlichen Gewalt ergeben, vom Familienstand der Mutter unabhängig seien, so sei es doch nicht möglich, aus der Fortgeltung der elterlichen Gewalt, der Personensorge und der Unterhaltsverpflichtung Schlüsse auf den Familienstand der Mutter herzuleiten. Dem Fortbestand des Personensorgerechts und der Unterhaltspflicht trage das EStG unabhängig vom Familienstand dadurch Rechnung, daß es Kinderfreibeträge gewähre. Nach dem Versorgungsrecht gingen an sich alle Versorgungsansprüche einer Witwe mit der Wiederverheiratung unter. Wenn trotzdem § 164 Abs. 3 des Bundesbeamtengesetzes (BBG) nach Auflösung der nachfolgenden Ehe den Anspruch auf das frühere Witwengeld wieder aufleben lasse, so sei daraus nicht etwa zu folgern, daß die Ehefrau wieder den Witwenstatus erhalte. Diese Regelung beruhe nicht auf der Rechtsnatur des Witwengeldes, da die Unterhaltspflicht des Dienstherrn mit der Wiederverheiratung ihr Ende gefunden habe. Die Vorschrift wolle vielmehr lediglich die Wiederverheiratung der Witwe erleichtern. Auf den gleichen Erwägungen beruhten auch die Vorschriften anderer Versorgungsgesetze. Jedenfalls habe der Gesetzgeber die steuerliche Behandlung dieses Personenkreises in § 32 a Abs. 3 EStG abweichend regeln können. § 32 a Abs. 3 EStG diene der Vermeidung von Härten, die beim Tode des anderen Ehegatten durch eine steuerliche Schlechterstellung eintreten würden. Eine Härte sei aber nur gegeben, wenn das eheliche Zusammenleben durch ein Ereignis beendet werde, das wie der Tod vom menschlichen Willen unabhängig sei. Die unterschiedliche Regelung bei Tod und Scheidung sei nicht willkürlich.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist begründet.
Die Anwendung des Splitting-Tarifs (§§ 32 a Abs. 2 EStG 1958 und 63 b EStDV 1958) ist eine besondere steuerliche Vergünstigung für zusammenlebende Ehegatten, die die Form der Zusammenveranlagung ihrer Einkünfte wählen. Die Vergünstigung wurde bei der Neuregelung der Ehegattenbesteuerung im EStG 1958 eingeführt. Sie beruht auf der dem geltenden bürgerlichen Güterrecht entsprechenden Vorstellung, daß die Eheleute im allgemeinen gemeinsam das Familieneinkommen erwirtschaften und des darum auch gemeinsam versteuern sollen.
Bei verwitweten Personen gelten diese überlegungen nicht; die Voraussetzungen für die Anwendung des Splitting-Tarifs sind vom Wesen der Sache her nicht gegeben. Wenn trotzdem in § 32 a Abs. 3 EStG verwitwete Steuerpflichtige unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls nach dem Splitting-Tarif besteuert werden, so handelt es sich um eine unsystematische Ausnahme, der offenbar Billigkeitserwägungen des Gesetzgebers zugrunde gelegen haben, wie das Finanzgericht auch angenommen hat. Beim Tod eines Ehegatten gehen für den überlebenden Teil meist die Familienlasten weiter. Lasten, die im allgemeinen ledigen und dauernd getrennt lebenden Steuerpflichtigen nicht entstehen. Auch wenn keine unterhaltsberechtigten Kinder vorhanden sind, muß doch der überlebende Teil seinen Lebenszuschnitt umstellen. Dem trägt der Gesetzgeber dadurch Rechnung, daß er dem überlebenden Ehegatten für das Todesjahr und das Folgejahr noch die Besteuerung nach dem Splitting-Tarif gestattet. Sind unterhaltsberechtigte Kinder vorhanden, so laufen die Belastungen des Familieneinkommens, das sich häufig durch den Tod sogar noch mindert, im wesentlichen weiter; die verwitwete Familie wird meist die auf das bisherige Einkommen abgestellte Wohnung beibehalten; der Aufwand für die Kinder bleibt unvermindert. Diese besonderen Verhältnisse wollte der Gesetzgeber nicht nur mit den Kinderfreibeträgen abgelten, sondern aus Billigkeitsgründen weitergehend durch die Anwendung des Splitting-Tarifs berücksichtigen. Ob diese Lösung zweckmäßig war oder ob sich nicht eine bessere Lösung hätte finden lassen, können die Steuergerichte nicht prüfen. Entscheidend ist, daß in § 32 a Abs. 3 Ziff. 2 EStG 1958 der verwitweten Familie mit unterhaltsberechtigten Kindern die Besteuerung nach dem Splitting- Tarif zusteht.
Ob eine Witwe, die wieder heiratet, den Personenstand als Witwe durch die neue Ehe endgültig verliert, kann zweifelhaft sein. Solange die neue Ehe besteht, wird diese Frage steuerlich kaum von Bedeutung sein. Anders ist es dagegen, wenn die neue Ehe durch Scheidung aufgelöst wird. Versorgungsrechtlich hat der Gesetzgeber das Wiederaufleben des Witwenstands zugelassen, so z. B. in § 64 Abs. 3 BBG, wonach einer Witwe nach Wiederauflösung der neuen Ehe der Anspruch auf das Witwengeld zusteht. Das gleiche gilt für Kriegerwitwen nach § 44 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes in der Fassung vom 27. Juni 1960 (BGBl 1960 I S. 453/465), allerdings mit der Einschränkung, daß die neue Ehe nicht infolge des alleinigen oder überwiegenden Verschuldens der Witwe geschieden wird. ähnliche Regelungen finden sich in § 1291 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung in der Fassung des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Arbeiter vom 23. Februar 1957 (BGBl 1957 I S. 45/61), in § 68 Abs. 2 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Angestellten vom 23. Februar 1957 (BGBl 1957 I S. 88/105), in § 24 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Bundesergänzungsgesetzes zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung vom 17. September 1954 (BGBl 1954 I S. 271/274). Dieses Wiederaufleben von Versorgungsansprüchen einer Witwe nach der Auflösung der nachfolgenden Ehe soll dem Mißstand von sog. "Onkelehen" entgegenwirken. Jedenfalls zeigen diese Fälle, daß der Gesetzgeber nicht ohne weiteres den Personenstand einer Witwe durch eine neue Ehe als endgültig beseitigt ansieht, sondern den Personenstand als Witwe während des Bestandes der neuen Ehe gewissermaßen nur ruhen läßt. Dabei kann nicht die formale Unterscheidung maßgebend sein, ob der frühere Versorgungsanspruch der Witwe wieder auflebt oder ob der Gesetzgeber der Witwe nach der Scheidung der zweiten Ehe einen neuen Versorgungsanspruch einräumt.
Der Senat ist - im Gegensatz zum Bundesminister der Finanzen und zum Finanzgericht - der Auffassung, daß der frühere Personenstand als Witwe auch bei § 32 a Abs. 3 EStG 1958 zu berücksichtigen ist. Der Wortlaut des Gesetzes steht dieser Auslegung nicht entgegen. Das Urteil des Bundesfinanzhofs IV 668/54 U vom 14. Juni 1956 (BStBl 1956 III S. 224, Slg. Bd. 63 S. 68) ist vor der Neuregelung der Ehegattenbesteuerung ergangen; ihm lag eine andere Gesetzeslage zugrunde. Für die Auslegung des Senats spricht vor allem, daß § 32 a Abs. 3 EStG 1958 eine allgemeine Billigkeitsregelung enthält, die die Anwendung der Splitting- Vergünstigung einem Personenkreis gewährt, dem sie an sich nicht zusteht. Der Fall der Witwe, die sich wieder verheiratet hat, deren zweite Ehe aber geschieden wurde, ist im Gesetz nicht geregelt. Bei der Auslegung der Vorschrift ist also zu prüfen, wie der Gesetzgeber den Fall wohl geregelt hätte, wenn er in seinen Gesichtskreis getreten wäre. Der Senat ist der Auffassung, daß es nicht in der sonstigen Linie der Gesetzgebung gelegen hätte, die geschiedene frühere Witwe mit Kindern bedingungslos nicht als "Witwe", sondern als "geschieden Frau" zu behandeln, wie es die Bundesregierung in Auslegung des Gesetzes in § 63 a Ziff. 2 EStDV getan hat. Vielmehr trägt es dem Billigkeitscharakter des § 32 a Abs. 3 EStG besser Rechnung, nach der Scheidung der neuen Ehe den Witwenstatus wieder aufleben zu lassen, solange unterhaltsberechtigte Kinder vorhanden sind.
Die auf § 63 a Ziff. 2 EStDV 1958 beruhende Vorschrift des § 5 Ziff. 1 der Verordnung zur überleitung des Lohnsteuerverfahrens auf die Vorschriften des Gesetzes zur änderung steuerlicher Vorschriften auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Ertrag und des Verfahrensrechts vom 20. Dezember 1958 (BGBl 1958 I S. 969, BStBl 1959 I S. 2), die die überleitung aus der bisherigen Steuerklasse III in die Steuerklasse II auch für solche geschiedenen Personen vorschreibt, die vor der Eingehung der später geschiedenen Ehe verwitwet waren, enthält darum ebenfalls keine gesetzeskonforme Auslegung des § 32 a Abs. 3 EStG.
Nach allem war die Bfin. beim Lohnsteuer-Jahresausgleich in die Steuerklasse III/3 einzustufen. Die Vorentscheidungen, die auf einer anderen Rechtsauffassung beruhen, waren aufzuheben. Die Sache wird an das Finanzamt zurückverwiesen, das den Erstattungsbetrag unter Anwendung der Steuerklasse III/3 zu berechnen hat.
Fundstellen
Haufe-Index 411681 |
BStBl III 1965, 590 |
BFHE 1966, 248 |
BFHE 83, 248 |