Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschwer; Zulässigkeitsvoraussetzung für den Einspruch; Verböserung
Leitsatz (NV)
1. Für das Vorliegen einer Beschwer ist die Schlüssigkeit des Vortrags des Rechtsbehelfs- bzw. Einspruchsführers oder - bei fehlender Begründung - die verständige Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts (Steuerbescheids) bestimmend.
2. Das Vorliegen einer Beschwer stellt eine Zulässigkeitsvoraussetzung für den Einspruch dar. Liegt keine Beschwer vor, ist der Einspruch als unzulässig zu verwerfen.
3. Ein mangels Beschwer unzulässiger Einspruch eröffnet dem FA nicht die Befugnis, die Einkommensteuer-Festsetzung in sachlicher Hinsicht nochmals zu überprüfen und sie nach § 367 Abs. 2 Satz 2 AO zum Nachteil des Einspruchsführers zu ändern.
Normenkette
AO §§ 350, 358 S. 2, § 367 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der verwitwete, im Streitjahr (1998) 77 Jahre alte Kläger und Revisionskläger (Kläger) bezieht Versorgungsbezüge, Einkünfte aus Kapitalvermögen sowie aus Vermietung und Verpachtung (u.a. aus einer Grundstücksgemeinschaft). Im Einkommensteuerbescheid 1998 vom 23. März 2000 anerkannte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) Ausbildungskosten für ein Philosophiestudium in Höhe von 1 116 DM als Sonderausgaben (§ 10 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes --EStG-- in der im Streitjahr geltenden Fassung). In dem vorgenannten Bescheid wurden ferner die Vermietungseinkünfte aus der Grundstücksgemeinschaft erklärungsgemäß mit ./. 3 494 DM angesetzt. Der Bescheid mit einer Einkommensteuerschuld in Höhe von 20 625 DM wurde bestandskräftig.
Am 14. Juli 2000 erließ das Belegenheits-FA einen Feststellungsbescheid, in dem die Vermietungseinkünfte des Klägers
aus der Grundstücksgemeinschaft auf 0 DM festgestellt wurden. Daraufhin erließ das FA am 7. September 2000 einen auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) gestützten Folgebescheid, in dem die Einkommensteuer 1998 (von bisher 20 625 DM) auf 22 042 DM erhöht wurde.
Mit geändertem Feststellungsbescheid vom 18. Dezember 2000 wurden die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung betreffend die Grundstücksgemeinschaft jedoch (antragsgemäß) mit ./. 3 494 DM festgesetzt und in Folge davon die Einkommensteuerschuld durch Bescheid vom 2. Januar 2001 (wiederum) auf20 625 DM herabgesetzt. Hiergegen legte der Kläger --auch im Zusammenhang mit der Einkommensteuer-Festsetzung 1999-- Einspruch ein. Eine Begründung erfolgte nicht.
Im Einspruchsverfahren kündigte das FA mit Schreiben vom 21. September 2001 eine Verböserung der Einkommensteuer-Festsetzung für 1998 an. Die Kosten für das Studium seien keine als Sonderausgaben abziehbaren Aufwendungen. Nachdem sich der Kläger hierzu nicht äußerte, erhöhte das FA die Einkommensteuer in der Einspruchsentscheidung vom 26. Oktober 2001 (von 20 625 DM) auf 21 079 DM.
Die Klage blieb mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 783 veröffentlichten Gründen erfolglos.
Mit der Revision rügt der Kläger, die Vorentscheidung habe Regelungen der AO fehlerhaft angewendet. Eine Verböserung des Einkommensteuerbescheids vom 2. Januar 2001 sei nicht zulässig gewesen.
Der Kläger beantragt (sinngemäß), das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung des FA vom 26. Oktober 2001 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und der (verbösernden) Einspruchsentscheidung des FA (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Es kann im Streitfall dahinstehen, ob --wie das FA und das Finanzgericht (FG) annehmen-- der Erlass des nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geänderten Einkommensteuerbescheids vom 2. Januar 2001 einen Saldierungsrahmen zugunsten des FA (§ 177 Abs. 2 AO) eröffnete. Jedenfalls konnte der --in der Anerkennung der Kosten des Seniorenstudiums liegende-- materielle Rechtsfehler (vgl. hierzu Beschluss des Senats vom 10. Februar 2005 VI B 33/04, BFH/NV 2005, 1056) im vorliegenden Einspruchsverfahren nicht mehr im Wege der Saldierung berichtigt werden. Mangels Beschwer (§ 350 AO) war der Einspruch des Klägers vom 8. Januar 2001 unzulässig und das FA zu einer sachlichen Überprüfung der streitigen Einkommensteuer-Festsetzung nicht mehr befugt.
2. Nach § 350 AO ist nur derjenige befugt, Einspruch einzulegen, der geltend macht, durch einen Verwaltungsakt beschwert zu sein. Für die Beschwer ist die Schlüssigkeit des Vortrags des Rechtsbehelfs- bzw. Einspruchsführers oder --bei fehlender Begründung-- die verständige Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts (Steuerbescheids) bestimmend. Erscheint danach eine Beschwer als möglich, ist die Rechtsbehelfsbefugnis zu bejahen (Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 350 AO Rz 5).
Das Vorliegen einer Beschwer stellt eine Zulässigkeitsvoraussetzung für den Einspruch dar (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. Bundesfinanzhof --BFH-- Urteil vom 8. März 1994 IX R 12/90, BFH/NV 1994, 785; Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 350 Rz 30; Pahlke in Pahlke/ Koenig, Abgabenordnung, § 350 Rz 1). Liegt keine Beschwer vor, ist der Einspruch als unzulässig zu verwerfen (§ 358 Satz 2 AO).
3. Unter Berücksichtigung dieser Rechtsgrundsätze ist unter den konkreten Umständen des Streitfalles eine Beschwer des Klägers schlechthin nicht erkennbar.
Mit seinem Einspruch gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid vom 2. Januar 2001 hat der Kläger weder ausdrücklich noch zumindest schlüssig geltend gemacht, in seinem Recht auf gesetzmäßige formelle und sachliche Besteuerung verletzt worden zu sein (vgl. Birkenfeld in HHSp, § 350 FGO Rz 18; Dumke in Schwarz, AO, § 350 Rz 6a, m.w.N.).
Der Änderungsbescheid vom 2. Januar 2001 lässt bei verständiger Würdigung seines Regelungsinhalts keine rechtswidrige Beeinträchtigung des Klägers erkennen. Aufgrund der geänderten Feststellung der Vermietungseinkünfte aus der Grundstücksgemeinschaft in Höhe von ./. 3 494 DM wurde die Einkommensteuer im genannten Änderungsbescheid (wiederum) auf 20 625 DM herabgesetzt. Diese Festsetzung entsprach derjenigen im ursprünglichen bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid vom 23. März 2000. Eine weitere Herabsetzung der Einkommensteuer für 1998 konnte und wollte der Kläger offensichtlich nicht erreichen.
Dass der Kläger auch gegen den Änderungsbescheid 1998 vom 2. Januar 2001 (unnötigerweise) Einspruch eingelegt hat, lässt sich offenkundig nur daraus erklären, dass zeitgleich der Einkommensteuerbescheid 1999 erging, in dem die Kosten für das Philosophiestudium nicht anerkannt worden waren.
4. Angesichts dieser Sach- und Rechtslage hätte der Einspruch des Klägers als unzulässig verworfen werden müssen (§ 358 Satz 2 AO). Der unzulässige Einspruch eröffnete dem FA nicht die Befugnis, die Einkommensteuer-Festsetzung 1998 in sachlicher Hinsicht nochmals zu überprüfen und diese nach § 367 Abs. 2 Satz 2 AO zu verbösern (ebenso Tipke in Tipke/Kruse, a.a.O., § 358 AO Rz 24 und § 367 AO Rz 22; Birkenfeld in HHSp, § 358 AO Rz 10; Wüllenkemper, Anmerkung zu der angefochtenen Entscheidung in EFG 2004, 784, 785, m.w.N.).
5. Mit der Aufhebung der Vorentscheidung und der (verbösernden) Einspruchsentscheidung vom 26. Oktober 2001 tritt der geänderte Einkommensteuerbescheid vom 2. Januar 2001 mit einer Steuerschuld von 20 625 DM wieder in Kraft.
Fundstellen
Haufe-Index 1834068 |
BFH/NV 2008, 9 |
HFR 2008, 323 |