Entscheidungsstichwort (Thema)
Berechtigtes Interesse an der Rechtswidrigkeit einer Prüfungsmaßnahme
Leitsatz (NV)
Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anordnung einer Prüfungsmaßnahme ist gegeben, wenn der Steuerpflichtige beabsichtigt, sich auf ein Verbot der Verwertung aufgrund der Maßnahme getroffener Feststellungen zu berufen.
Zur Zulässigkeit einer unselbständigen An schlußrevision.
Normenkette
FGO § 100 Abs. 1 S. 4, § 120 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Beklagte, Revisionskläger und Anschlußrevisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) ordnete beim Kläger, Revisionsbeklagten und Anschlußrevisionskläger (Kläger) eine steuerliche Außenprüfung an. Dagegen legte dieser erfolglos Beschwerde ein. Er beantragte darüber hinaus, die vorgesehene Außenprüfung in den Geschäftsräumen seines Steuerberaters durchzuführen. Dies lehnte das FA unter Hinweis auf § 200 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) ab. Wenn -- wie im vorliegenden Fall -- geeignete Geschäftsräume nicht vorhanden seien, sei die Prüfung in den Wohnräumen des Steuerpflichtigen oder an Amtsstelle durchzuführen. Der Kläger hielt seinen Antrag aufrecht und wies darauf hin, daß die Entscheidung im Ermessen des FA stehe. Im konkreten Fall sei eine antragsgemäße Entscheidung möglich. Dennoch wurde die Außenprüfung an Amtsstelle nach Aktenlage durchgeführt, der Betriebsprüfungsbericht ausgewertet. Die Einspruchsverfahren gegen die geänderten Bescheide wurden zum Ruhen gebracht.
Die gegen beide Anordnungen gerichtete Klage auf Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit blieb hinsichtlich der Prüfungsanordnung ohne Erfolg. Dagegen gab das Finanzgericht (FG) der Klage statt, soweit der Kläger die Feststellung begehrte, die Weigerung des FA, die Prüfung in den Räumen des Steuerberaters durchzuführen, sei rechtswidrig gewesen. Es führte aus, das FA hätte bei einem entsprechenden Antrag nach neuerer Rechtsprechung eine Ermessensentscheidung zu treffen gehabt. Da es unter Hinweis auf § 200 Abs. 2 AO 1977 davon ausgegangen sei, daß die Prüfung nur in den Geschäftsräumen oder der Wohnung des Klägers oder sonst an Amtsstelle durchzuführen gewesen sei, habe es sein Ermessen unterschritten. Die Ablehnung des Antrags ohne Abwägung sei somit ermessensfehlerhaft und daher rechtswidrig gewesen. An der Feststellung dieser Rechtswidrigkeit habe der Kläger auch ein berechtigtes Interesse, da er hinsichtlich der Feststellungen der Betriebsprüfung ein Verwertungsverbot geltend mache.
Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung von Bundesrecht. Dem FG sei zwar zuzustimmen, daß die Festlegung des Prüfungsortes ermessensfehlerhaft erfolgt sei. Der Kläger könne sich insoweit jedoch nicht auf ein Feststellungsinteresse berufen. Dies könnte sich lediglich im Hinblick auf ein Verwertungsverbot für die Prüfungsfeststellungen ergeben. Dies bestehe indes nicht. Aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 21. April 1993 X R 112/91 (BFHE 171, 15, BStBl II 1993, 649) sei zu folgern, daß ein Verwertungsverbot nur eingreife, wenn die Fehlerhaftigkeit einer die Prüfung betreffenden Regelung von solchem sachlichen Gewicht sei, daß sie ein Verwertungsverbot rechtfertige. Die fehlerhafte Auswahl des Prüfungsortes stelle jedoch keinen derartig gewichtigen Verstoß dar.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß Abweisung der Revision. Zusätzlich macht er Ausführungen zur Rechtswidrigkeit der Prüfungsanordnung selbst und folgert daraus den "Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Prüfungsanordnung".
Entscheidungsgründe
1. Die Revision des FA ist nicht begründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
Die Vorentscheidung geht zu Recht davon aus, daß die Ablehnung des Antrags auf Durchführung der Betriebsprüfung in den Geschäftsräumen des Steuerberaters des Klägers mangels der erforderlichen Ausübung eines Ermessens durch die Behörde (BFH-Beschluß vom 30. November 1988 I B 73/88, BFHE 155, 271, BStBl II 1989, 265) rechtswidrig gewesen ist. Dies wird auch vom FA nicht mehr bestritten. Insoweit wird auf die Vorentscheidung verwiesen.
Zu Recht hat das FG aber auch ein berechtigtes Interesse des Klägers an der Feststellung dieser Rechtswidrigkeit gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO bejaht. Berechtigt in diesem Sinne ist jedes konkrete, vernünftigerweise anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art. Die begehrte Feststellung muß geeignet sein, in einem dieser Bereiche zu einer Positionsverbesserung des Klägers zu führen. Erforderlich ist ein gewisser die Verfahrensfortsetzung aus prozeßökonomischen Gründen rechtfertigender Zusammenhang (BFH-Urteile vom 18. Mai 1976 VII R 108/73, BFHE 119, 26, BStBl II 1976, 566; vom 29. April 1980 VII K 5/77, BFHE 130, 568, BStBl II 1980, 593; vom 18. Dezember 1986 V R 127/80, BFHE 148, 226, BStBl II 1987, 222; vom 11. März 1992 X R 116/90, BFH/NV 1992, 757).
Die Vorentscheidung geht unwidersprochen davon aus, daß der Kläger mit seiner Klage auf ein Verbot der Verwertung der bei der Prüfung an Amtsstelle erzielten Prüfungsfeststellungen abzielt. Aus dieser Absicht folgt sein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ermittlungsmaßnahme. Denn nach ständiger Rechtsprechung des BFH dürfen rechtswidrig erlangte Prüfungsfeststellungen nur dann nicht verwertet werden, wenn der Steuerpflichtige in dem dafür vorgesehenen Verfahren gegen die Rechtswidrigkeit der betreffenden Prüfungsmaßnahme vorgegangen ist (BFH- Urteile vom 27. Juli 1983 I R 210/79, BFHE 139, 221, BStBl II 1984, 285; vom 9. Mai 1985 IV R 172/83, BFHE 143, 506, BStBl II 1985, 579). Solange die Prüfungsanordnung oder sonstige Ermittlungsmaßnahme nicht aufgehoben oder ihre Rechtswidrigkeit im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage festgestellt ist, ist der Steuerpflichtige daher gehindert, sich mit Erfolg auf ein Verwertungsverbot zu berufen (BFH-Urteile vom 16. April 1986 I R 32/84, BFHE 147, 14, BStBl II 1986, 736; vom 16. Dezember 1986 VIII R 123/86, BFHE 148, 426, BStBl II 1987, 248; vom 20. Februar 1990 IX R 83/88, BFHE 160, 391, BStBl II 1990, 789, 790). Das gilt auch, wenn die Prüfung abgeschlossen und die Feststellungen des Betriebsprüfers in Steuerbescheiden oder Feststellungsbescheiden ausgewertet sind (BFH-Urteile in BFHE 143, 506, BStBl II 1985, 579; in BFHE 160, 391, BStBl II 1990, 789, 790; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 100 FGO Anm. 19 d; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 100 Anm. 62).
Ob im Streitfall die (wegen Ermessensunterschreitung) bedingte Rechtswidrigkeit der Anordnung des Prüfungsortes im Rahmen einer sonst zulässigen Außenprüfung in der Tat zu einem Verwertungsverbot führt -- wogegen sich das FA unter Berufung auf das BFH-Urteil in BFHE 171, 15, BStBl II 1993, 649 wendet -- hat der Senat in diesem Verfahren nicht zu entscheiden. Dies wird in den ruhenden Rechtsbehelfsverfahren gegen die geänderten Steuerbescheide zu prüfen sein (BFH-Urteile in BFHE 143, 506, BStBl II 1985, 579; in BFHE 148, 426, BStBl II 1987, 248; in BFHE 160, 391, BStBl II 1990, 789, 790; BFH-Beschluß vom 4. Oktober 1991 VIII B 93/90, BFHE 165, 339, BStBl II 1992, 59).
2. Der zusätzliche Antrag des Klägers auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Prüfungsanordnung selbst ist nach Ablauf der Frist für die Einlegung der Revision gestellt worden und damit als unselbständige Anschlußrevision zu betrachten (§ 155 FGO i. V. m. § 556 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung). Es ist nicht erforderlich, daß ein Schriftsatz auch als Anschlußrevision bezeichnet worden ist, vielmehr genügt jede Erklärung, die den Willen des Anschlußrevisionsklägers zum Ausdruck bringt, ebenfalls eine Abänderung des vorinstanzlichen Urteils zu begehren. Sie kann darin liegen, daß der Kläger mehr beantragt als die Zurückweisung der Revision (BFH-Urteile vom 3. Februar 1976 VIII R 156/74, BFHE 117, 573; vom 21. August 1990 VIII R 25/86, BFHE 163, 524, BStBl II 1991, 564).
Die Anschlußrevision des Klägers ist jedoch unzulässig. Eine unselbständige Anschlußrevision ist gegenüber der Hauptrevision akzessorisch und hat lediglich die Bedeutung eines Antrags in deren Rahmen. Wenn Gegenstand der Vorentscheidung wie im Streitfall mehrere Verwaltungsakte sind und die Hauptrevision sich nur gegen einen Verwaltungsakt richtet, kann die Vorentscheidung daher hinsichtlich des anderen Verwaltungsaktes -- im Streitfall der Prüfungsanordnung selbst -- mit einer unselbständigen Anschlußrevision nicht mehr angegriffen werden (BFH- Urteil vom 4. Oktober 1983 VII R 16/82, BFHE 139, 232, BStBl II 1984, 167; Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Anm. 50). Zudem ist die Anschlußrevision des Klägers nicht -- wie erforderlich (BFH-Urteil vom 8. April 1991 II R 4/78, BFHE 133, 155, BStBl II 1981, 534) -- innerhalb eines Monats nach Zustellung der Revisionsbegründung eingelegt worden. Dem steht nicht entgegen, daß dem Kläger Fristverlängerung für seine Stellungnahme zur Revisionsbegründung gewährt wurde. Die Anschlußrevision war daher zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 FGO). Der frühere Antrag des Klägers im Beschwerdeverfahren wegen Nichtzulassung der Revision "für den Fall der Zulassung der Revision" kann, da er unter einer Bedingung erfolgte, nicht als Revision betrachtet werden (BFH-Beschluß vom 10. Oktober 1973 VIII R 219/72, BFHE 110, 393, BStBl II 1974, 34).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO. Dabei gilt die Anschlußrevision als selbständiges Rechtsmittel (Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Anm. 52). Die Festsetzung des Streitwerts erfolgt nach § 25 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. des Kostenrechtsänderungsgesetzes 1994 vom 24. Juni 1994. Der Streitwert ist als Gesamtstreitwert der Hauptrevision und der unselbständigen Anschlußrevision zu bestimmen (BFH-Beschluß vom 23. August 1967 I R 183/66, BFHE 90, 272, BStBl II 1968, 60).
Fundstellen
Haufe-Index 420377 |
BFH/NV 1995, 621 |