Entscheidungsstichwort (Thema)
Mangelnde Bestimmtheit eines Steuerbescheids; Prozeßführungsrecht eines Testamentsvollstreckers
Leitsatz (NV)
1. Ein Steuerbescheid ist unwirksam, wenn er nicht erkennen läßt, ob das FA gegenüber dem Testamentsvollstrecker eine Steuerschuld des Erblassers geltend macht oder ob der Bescheid dem Testamentsvollstrecker lediglich als Zustellungsbevollmächtigtem der Erben bekanntgegeben wird.
2. Ein Testamentsvollstrecker kann das Prozeßführungsrecht für die Erben in einem Finanzstreit nicht wahrnehmen und nicht selbst einen Prozeßbevollmächtigten bestellen.
3. Zum Verstoß gegen den Akteninhalt.
Normenkette
AO 1977 § 122 Abs. 1; FGO § 76 Abs. 1, § 96 Abs. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 3; BGB § 2212; EStG § 17
Tatbestand
Streitig ist, ob ein Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft nach § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerpflichtig ist und wem Kapitaleinkünfte aus einem verschenkten 3 v. H.-Anteil an dieser Gesellschaft zuzurechnen sind.
Die Klägerin und Revisionsklägerin zu 1 (Klägerin) und ihr während des Klageverfahrens verstorbener Ehemann (Erblasser) hatten drei gemeinsame Kinder - die Revisionskläger zu 2 -, die Rechtsnachfolger des Erblassers sind. Zum Testamentsvollstrecker über den Nachlaß wurde T bestellt, der vor dem Finanzgericht (FG) als Kläger zu 2 aufgetreten ist.
Der Erblasser gründete 1935 ein Einzelunternehmen, das von den Eheleuten X gemeinsam aufgebaut und geführt wurde. Einen Gesellschaftsvertrag hatten die Eheleute zunächst nicht abgeschlossen. Als das Geschäft nach dem Krieg wiedereröffnet wurde, wurden beide Eheleute in der Gewerbeanmeldebescheinigung als Inhaber benannt. Am 28. März 1947 wurde das Unternehmen als Einzelfirma unter dem Namen des Erblassers im Handelsregister eingetragen.
Am 24. September 1947 schlossen die Eheleute X einen notariell beglaubigten Gesellschaftsvertrag. Darin wurde u. a. festgestellt, daß die Klägerin an dem Unternehmen des Erblassers ,,im Innenverhältnis mit gleichen Rechten und Pflichten beteiligt bleiben" und ,,zur gegebenen Zeit auch wieder als persönlich haftende Teilhaberin oder in entsprechender Form in das Handelsgeschäft eintreten" sollte.
Ab 1. Januar 1956 setzte die am 16. Dezember 1955 gegründete X-GmbH den Geschäftsbetrieb des bisherigen Unternehmens X fort. Am Stammkapital der GmbH waren die Eheleute X nach einer kurzen Übergangszeit im Verhältnis 60 v. H. Erblasser und 40 v. H. Ehefrau beteiligt. Die Eheleute waren darüber hinaus zu je 50 v. H. an dem selbständig geführten Betrieb ,,Kurhotel Y" beteiligt, den sie in den Jahren 1955 und 1956 errichtet hatten.
Der Erblasser gründete 1951 zusammen mit der Firma W-GmbH die Y-GmbH. Am Stammkapital dieser Gesellschaft war der Erblasser mit 100 000 DM (= 1/3) beteiligt. Die Beteiligung war zunächst unstreitig Betriebsvermögen des Unternehmens. Nach der Gründung der X-GmbH wurde die Beteiligung an der Y-GmbH in das Privatvermögen übernommen.
Am 19. Januar 1965 schlossen die Eheleute X mit ihren Kindern einen notariell beurkundeten Schenkungsvertrag, in dem es u. a. wörtlich heißt:
,,§ 1
Herr X ist Gesellschafter der Firma Y-GmbH mit einem Geschäftsanteil von nominell 100 000 DM . . . Hiervon verwaltet er aufgrund eines Vertrages vom Jahre 1947 die Hälfte als Treuhänder für seine Ehefrau . . ."
In § 2 des Vertrages wird bestimmt, daß den drei Kindern je 3 v. H.-Anteile des Stammkapitals - zusammen 27 000 DM - unentgeltlich übertragen werden.
Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 13. Januar 1967 veräußerten die Eheleute X und ihre Kinder sämtliche Y-GmbH-Anteile an die Firma Z-GmbH & Co. KG.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) führte die Einkommensteuerveranlagung der Eheleute für 1967 erklärungsgemäß ohne Ansatz eines Veräußerungsgewinns gemäß § 17 EStG vorläufig durch. Im Anschluß an eine Betriebsprüfung ging das FA mit dem Prüfer davon aus, daß der Erblasser den Gewinn aus der Veräußerung seiner Beteiligung an der Y-GmbH nach § 17 EStG zu versteuern habe. Vor der Veräußerung habe seine Beteiligung am Stammkapital 27 1/3 v. H. und die seiner Kinder je 3 v. H. betragen. Eine Beteiligung der Klägerin am Anteil des Erblassers sei zu verneinen, weil sie niemals die hierfür erforderliche ,,dingliche" Berechtigung innegehabt habe. Ihr könnten auch keine Gesellschaftsanteile wirtschaftlich zugerechnet werden, weil die Eheleute kein Treuhandverhältnis vereinbart hätten. Wirtschaftlicher Eigentümer des dem minderjährigen Sohn schenkweise übertragenen Anteils sei der Erblasser geblieben. Dementsprechend rechnete das FA dem Erblasser für 1967 einen Veräußerungsgewinn in Höhe von . . . DM sowie Kapitaleinkünfte von . . . DM (1966) und . . . DM (1967) wegen der steuerlich nicht für wirksam erachteten Anteilsübertragung zu.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das FG teilt die Auffassung des FA, daß der Erblasser aus der wesentlichen Beteiligung an der Y-GmbH - mit 27 1/3 v. H. - einen Veräußerungsgewinn erzielt hat, ein steuerlich zu beachtendes Treuhandverhältnis an der Y-GmbH zwischen den Eheleuten nicht bestehe und die Einkünfte aus dem Anteil, der dem damals noch minderjährigen Sohn geschenkt worden ist, in den Streitjahren noch dem Erblasser zuzurechnen sei.
Mit der Revision werden Verfahrensmängel i. S. v. § 115 Abs. 3, § 76 Abs. 1, § 96 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gerügt. Die Feststellungen des FG würden in wesentlichen Punkten durch den Akteninhalt widerlegt. Das angegriffene Urteil beruhe nicht auf dem Gesamtergebnis des Verfahrens. Außerdem hätte sich eine weitere Sachaufklärung aufgedrängt.
Das FA führt aus, das FG habe die Zurechnung von Einkünften nach § 17 EStG zu Recht ohne Verletzung von Rechtsnormen bestätigt. Die geltend gemachten Verfahrensrügen griffen nicht durch. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hätte das FG davon ausgehen können, daß Einkünfte aus wesentlicher Beteiligung gegeben sind.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Dem FG sind bei seiner Rechtsfindung Verfahrensfehler unterlaufen.
1. Die Vorentscheidung leidet schon deshalb an einem Verfahrensfehler, weil sie gegen eine Person ergangen ist, die am Verfahren nicht beteiligt war (§ 57 FGO). Das FG-Urteil hätte gegen Frau X und die Kinder als Rechtsnachfolger von X ergehen müssen.
Zu Unrecht ist das FG davon ausgegangen, daß der Testamentsvollstrecker T gemäß § 2212 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) das Prozeßführungsrecht für die Erben nach X in dem Finanzstreit wahrnehmen und selbst einen Prozeßbevollmächtigten bestellen könnte. Der Umstand, daß der Testamentsvollstrecker im Zivilprozeß nach herrschender Meinung die Stellung einer Partei kraft Amtes einnimmt (vgl. Nachweise bei Rosenberg / Schwab, Zivilprozeßrecht, 13. Aufl., § 40 III), ist für den Steuerprozeß ohne Bedeutung. Denn die Rechtsstellung des Testamentsvollstreckers im Besteuerungsverfahren und entsprechend im finanzgerichtlichen Verfahren bestimmt sich in erster Linie nach den steuerrechtlichen Vorschriften. Danach ist es in der Regel nicht Aufgabe des Testamentsvollstreckers, öffentlich-rechtliche Pflichten der Erben zu erfüllen. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Erben - wie im Streitfall - feststehen und die Eigentumsverhältnisse am Nachlaß geklärt sind (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. Februar 1977 I R 53/74, BFHE 121, 302, BStBl II 1977, 481; vom 15. Februar 1978 I R 36/77, BFHE 125, 112, BStBl II 1978, 491; vom 9. November 1982 VIII R 217/79; nicht veröffentlicht - NV -; differenzierend BFH-Urteil vom 30. September 1987 II R 42/84, BFHE 151, 460, BStBl II 1988, 120, im Hinblick auf § 32 Abs. 1 des Erbschaftsteuergesetzes - ErbStG -, der abweichend von § 122 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 - für die Erbschaftsteuer eine Bekanntgabe des Steuerbescheids an den Testamentsvollstrecker anordnet; Gräber / von Groll, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 40 Rz. 121).
2. Während des Klageverfahrens ist für das Streitjahr 1967 ein geänderter Einkommensteuerbescheid vom 23. Januar 1985 ergangen. Diesen Änderungsbescheid hat der Testamentsvollstrecker zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.
Der Bescheid ist gerichtet an: ,,X-Verwaltung, z. Hd. Herrn T". In der Abrechnung zu diesem Steuerbescheid ist folgendes ausgeführt: ,,Firma X-Verwaltung als Gesamtrechtsnachfolger für Herrn X und Frau X".
Die wirksame Bekanntgabe eines Steuerbescheides ist nach der Rechtsprechung von Amts wegen zu prüfen.
Der geänderte Steuerbescheid für 1967 ist nicht wirksam. Die Unwirksamkeit ergibt sich aus der mangelnden Bestimmtheit des Adressaten. Die ,,Firma X-Verwaltung" ist nicht Gesamtrechtsnachfolger von X. Der Bescheid läßt nicht erkennen, ob das FA gegenüber dem Testamentsvollstrecker eine Steuerschuld des Erblassers geltend gemacht hat oder ob der Bescheid dem Testamentsvollstrecker lediglich als Zustellungsbevollmächtigtem der Erben bekanntgegeben wird.
Wird der Steuerschuldner im Steuerbescheid gar nicht, falsch oder so ungenau bezeichnet, daß Verwechslungen möglich sind, ist der Steuerbescheid unwirksam. Eine Heilung im weiteren Verfahren ist nicht möglich (BFH-Urteil vom 22. Juni 1983 I R 55/80, BFHE 139, 291, BStBl II 1984, 63 m. w. N.; BFH-Beschluß vom 17. November 1987 V B 111/87, BFH/NV 1988, 682).
In Anbetracht dieser Umstände hätte das FG prüfen müssen, ob über den ursprünglichen mit der Klage angefochtenen Bescheid zu entscheiden war, weil dieser Bescheid durch den Änderungsbescheid vom 23. Januar 1985 nicht rechtswirksam ersetzt worden war (vgl. Gräber / von Groll, a. a. O., § 68 Rz. 26 m. w. N.), und den Klägern Gelegenheit geben müssen, ihren Antrag entsprechend zu ändern.
3. a) Das FG geht bei seiner Entscheidung zutreffend davon aus, daß für eine Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft i. S. des § 17 EStG auch das wirtschaftliche Eigentum an den betreffenden Anteilen genügt (vgl. BFH-Urteil vom 18. September 1984 VIII R 119/81, BFHE 142, 130, BStBl II 1985, 55).
Dem FG ist auch darin zuzustimmen, daß Treuhandabreden unter nahen Angehörigen nur dann anzuerkennen sind, wenn sie klar und eindeutig vereinbart und tatsächlich durchgeführt werden.
Mit Recht wird in der Revision aber darauf hingewiesen, daß dem FG bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf den Streitfall Verfahrensverstöße unterlaufen sind und daß die Möglichkeit besteht, daß das FG ohne die Verfahrensverstöße zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können.
b) So werden in der Revision mit Recht folgende Verstöße gegen den Akteninhalt gerügt:
aa) Nach den Ausführungen des FG auf S. 16 des Urteils ist für das FG nicht ersichtlich, ob und in welcher Weise die Klägerin ihre angebliche Treugeberstellung tatsächlich durch Ausübung von Weisungs- oder Zustimmungsrechten wahrgenommen hat. In der Revision wird hierzu zutreffend darauf hingewiesen, daß sich aus dem Notarvertrag vom 13. Januar 1967 und der beigefügten Vollmacht der Klägerin, die dem FG vorlagen, ergab, daß die Klägerin Zustimmungsrechte geltend gemacht hat.
bb) Nach den Ausführungen im FG-Urteil auf S. 14 fehlt es an einer klaren und eindeutigen Treuhandabrede zwischen den Eheleuten. Die Revision weist demgegenüber mit Recht darauf hin, aus dem Akteninhalt ergebe sich, daß zwischen den Eheleuten eine Treuhandabrede in dem notariell beglaubigten Gesellschaftsvertrag vom 24. September 1947 getroffen worden ist.
cc) Nach den Ausführungen des FG-Urteils auf S. 16 ist mangels eindeutiger und klar nachweisbarer Absprachen offen, ob an der Y-Beteiligung eine Teilhabe an Substanz und Ertrag oder nur am Ertrag vereinbart war. In der Revision wird demgegenüber zutreffend herausgestellt, aus dem bei den Akten befindlichen Gesellschaftsvertrag vom 24. September 1947 ergebe sich unter Ziff. 2 eindeutig, daß die Klägerin sowohl am Gewinn wie auch am Verlust sowie an sämtlichen Gegenständen des Betriebsvermögens beteiligt gewesen sei.
c) Außerdem weist die Revision mit Recht darauf hin, daß sich dem FG von seinem materiell-rechtlichen Standpunkt eine weitere Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen hätte aufdrängen müssen, und zwar
a) durch Rückfrage bei der Klägerin, ob sie Kontroll- und Weisungsrechte ausgeübt hat, wenn das FG hieran Zweifel hatte und dieser Frage nach Auffassung des FG wesentliche Bedeutung zukam,
b) durch Befragung der Klägerin, warum eine schriftliche oder mündliche Auseinandersetzungsregelung über den GmbH-Anteil unterblieben sei, obwohl eine derartige Regelung im Hinblick auf den zwischen den Eheleuten X bestehenden Güterstand der Gütertrennung geboten gewesen sei.
Nach der Revision hätte die Befragung der Klägerin ergeben, daß Kontroll- und Weisungsrechte durch die Klägerin ausgeübt worden sind und daß die Treuhandabrede tatsächlich durchgeführt worden ist.
Fundstellen