Leitsatz (amtlich)
1. Waren, die der Ladung eines LKW im Zollausland ohne Wissen des Fahrers beigefügt worden sind und die bei der Abfertigung zum Zollgutversand bei der Eingangszollstelle nicht festgestellt wurden, werden der zollamtlichen Überwachung spätestens dadurch entzogen, daß der Fahrer sie bei der Weiterfahrt zur Binnenzollstelle vom Amtsplatz der Eingangszollstelle entfernt.
2. Der BdF war befugt, von der auf Grund des § 40 Abs. 1 Nr. 1 ZG getroffenen Erlaß- und Erstattungsregelung durch § 80 Abs. 1 Satz 3 AZO Waren auszunehmen, bei denen die Zollschuld nach § 57 ZG entstanden ist.
Normenkette
ZG § 40 Abs. 1 Nr. 1, § 57 Abs. 1; AZO § 80 Abs. 1 S. 3
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ließ im Juni 1969 durch eine Spedition eine Sendung von 257 Packstücken verschiedenen Inhalts von Frankreich in die Bundesrepublik Deutschland befördern. Bei der Beladung des LKW in Frankreich wurden der Sendung ohne Wissen des mit dem Transport beauftragten Fahrers zwei Packstücke mit Damen-Lederhandschuhen beigefügt, die bei einem früheren Transport zurückgeblieben waren. Diese beiden Packstücke wurden irrtümlich in das den Transport begleitende und auf den Namen der Spedition ausgestellte Carnet TIR nicht eingetragen. Der Fahrer verbrachte den LKW mit allen geladenen Packstücken auf den Amtsplatz des Eingangszollamts E und stellte ihn dort diesem zur Verfügung. Er stellte den Antrag, das Zollgut zum Zollgutversand abzufertigen. Da er von dem Vorhandensein der beiden überzähligen Packstücke nichts wußte, nahm er diese in die für die Abfertigung zum Zollgutversand erforderliche Zollanmeldung nicht auf. Die beiden überzähligen Packstücke wurden erst beim Binnenzollamt V, einer Dienststelle des Beklagten und Revisionsklägers (Hauptzollamt – HZA – G) festgestellt. Das Zollamt (ZA) V forderte durch Bescheid vom 1. August 1969 von der Klägerin als weiterer Zollschuldnerin nach § 57 Abs. 2 ZG Zoll und Einfuhrumsatzsteuer. Am gleichen Tage führte die Klägerin dem ZA die beiden Packstücke zur Sicherung ihrer Nämlichkeit und Prüfung der Voraussetzungen für eine Erstattung der Abgaben aus besonderen Gründen vor. Die Klägerin führte sie dann am 21. August 1969 unter zollamtlicher Überwachung an den Lieferer wieder aus. Ihren Antrag vom 26. August 1969 auf Erstattung der Eingangsabgaben lehnt das ZA V durch Bescheid vom 26. November 1969 mit der Begründung ab, sie sei nach § 40 ZG i. V. m. § 80 Abs. 1 Satz 3 der Allgemeinen Zollordnung (AZO) ausgeschlossen, weil die Abgabenschuld nach § 57 ZG entstanden sei. Den hiergegen erhobenen Einspruch wies das HZA G am 16. April 1970 zurück.
Der Klage gab das Finanzgericht (FG) mit folgender Begründung statt:
Der Klägerin seien die Eingangsabgaben nach § 40 Nr. 1 ZG, § 80 AZO, § 21 Abs. 2 und § 15 Abs. 2 UStG zu erstatten, weil sie die nachweislich nicht in die Wirtschaft des Zollgebietes eingegangene Ware innerhalb der vorgeschriebenen Frist unter zollamtlicher Überwachung wieder in das Zollausland ausgeführt habe. Die Auffassung des HZA G, die Zollschuld sei nach § 57 ZG entstanden, und daher sei die Erstattung nach § 80 Abs. 1 Satz 3 AZO ausgeschlossen, sei rechtsirrig.
Der Fahrer habe dem Eingangszollamt auch die beiden überzähligen Packstücke nach § 6 Abs. 4 Satz 1 ZG gestellt, sie also nicht im Sinne des § 57 Abs. 1 ZG der zollamtlichen Überwachung vorenthalten. Die beiden Packstücke seien auch nicht der zollamtlichen Überwachung entzogen worden. Die zollamtliche Überwachung sei zwar dadurch unterbrochen worden, daß die beiden Packstücke in der Zollanmeldung nicht erwähnt gewesen seien. Ihre unterbliebene Erwähnung habe aber nicht auf einem Handlungswillen des Fahrers beruht, da dieser von ihrem Vorhandensein und somit von seiner Pflicht, sie anzumelden, nichts gewußt habe. Er habe daher die Nichtanmeldung nicht wollen können, so daß eine zur Verwirklichung des Talbestandes des § 57 Abs. 1 ZG erforderliche Tathandlung nicht vorliege. Insofern ähnele der Fall dem bei Schwarz-Wockenfoth (Zollgesetz, § 57 Anm. 3) angeführten Beispiel, in dem einem Reisenden ohne sein Wissen von einem Dritten eine Ware zugesteckt werde, die dieser ohne Gestellung in das Zollgebiet verbringe. Die Nichtanmeldung der überzähligen Packstücke erfülle somit nicht den Tatbestand der Entziehung im Sinne des § 57 Abs. 1 ZG.
Nach § 57 ZG könnte die Zollschuld allenfalls dann noch entstanden sein, wenn der Fahrer von dem für die Verladung Verantwortlichen als Werkzeug dafür benutzt worden wäre, die bei einem früheren Transport vergessenen Packstücke nunmehr ohne Zollanmeldung in das deutsche Zollgebiet zu verbringen. Hierfür fehle es jedoch an den erforderlichen Feststellungen. Aufklärung in dieser Richtung sei nicht mehr möglich.
Es könne dahinstehen, ob § 80 Abs. 1 Satz 3 AZO den Ermächtigungsrahmen des § 40 ZG überschreite, da die Klage schon aus anderen Gründen Erfolg habe.
Mit der Revision machte das HZA G geltend:
Als Entziehungshandlung im Sinne des § 57 ZG komme hier nicht die Unterlassung einer Anmeldung der gestellten Packstücke zum Zollgutversand in Betracht, sondern die Entfernung dieses nicht angemeldeten Zollguts vom Amtsplatz beim ZA E zur Beförderung in Richtung V. Allein durch diese Handlung sei die Zollschuld entstanden. Dem Fahrer sei nur das angemeldete Zollgut überlassen worden; die beiden nicht angemeldeten zusätzlichen Packstücke seien ohne Willen des Abfertigungsbeamten vom Fahrer mitgenommen worden. Dadurch habe die Zollverwaltung ihre Überwachungsmöglichkeit verloren. Der Fahrer hätte auf dem Wege nach V über das Zollgut verfügen können, ohne daß die Zollverwaltung dies hätte bemerken können. Die Mitnahme der überzähligen Packstücke sei auch vom Handlungswillen des Fahrers getragen gewesen. Denn dieser habe alle auf dem Wagen befindlichen Packstücke mitnehmen wollen. Dagegen spreche nicht, daß er keine Kenntnisse von dem Vorhandensein der überzähligen Stücke gehabt habe. Der Fahrer sei verpflichtet gewesen, das ihm anvertraute Gut zu befördern. Anvertraut sei ihm alles gewesen, was der Absender auf den Wagen geladen und für den Empfänger bestimmt habe. Als der Fahrer mit den Packstücken den Amtsplatz verlassen habe, sei er seiner Verpflichtung mit dem Willen nachgekommen, die gesamte Ladung zum Empfänger zu bringen. Sein Wille habe sich nicht auf die einzelnen Packstücke der Ladung bezogen, sondern auf die Ladung insgesamt.
Da der Fahrer die überzähligen Packstücke willentlich befördert und damit vom Amtsplatz entfernt habe, sei gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 ZG eine Zollschuld entstanden. Als die Klägerin das Zollgut übernommen habe, sei sie gemäß § 57 Abs. 2 ZG weiterer Zollschuldner geworden. Eine Erstattung komme daher gemäß § 80 Abs. 1 Satz 3 AZO bei der Wiederausfuhr nicht in Betracht.
Das HZA G beantragt, das FG-Urteil aufzuheben.
Mit Schreiben vom 21. Juni 1976 hat es erklärt: Das ZA V sei mit Wirkung vom 1. Juli 1976 aus seinem Bezirk ausgegliedert und in den Bezirk des HZA K eingegliedert worden. Da die dem Verfahren zugrunde liegende Verfügung vom 26. November 1969 vom ZA V erlassen worden sei, habe es das Verfahren an das HZA K abgegeben.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig und begründet.
1. Das ZA V war beim Erlaß des durch die Klage angefochtenen Bescheides vom 26. November 1969 gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes über die Finanzverwaltung vom 6. September 1950 (BGBl I 1950, 448) nur eine Hilfsstelle des HZA G, nicht etwa eine selbständige Behörde. Beteiligter an dem Verfahren über die Klage und über die Revision war somit nicht das ZA V, sondern nur das HZA G (vgl. § 63 Abs. 1, § 57 Nr. 2, § 122 Abs. 1 FGO). Daran konnte entgegen der Ansicht des HZA G die Ausgliederung des ZA V aus dem Bezirk des HZA G nichts ändern. Das HZA G ist also auch weiterhin an diesem Verfahren als Beklagter und Revisionskläger beteiligt.
2. Das angefochtene FG-Urteil beruht auf einer Verletzung des § 80 Abs. 1 Satz 3 AZO i. V. m. § 57 ZG. Für Zollgut, das nicht zollfrei ist, entsteht nach § 57 Abs. 1 Satz 1 ZG eine Zollschuld, wenn es erstmals der zollamtlichen Überwachung vorenthalten oder entzogen wird. Für den vorliegenden Fall kann dahingestellt bleiben, ob die nach § 5 Abs. 1 Satz 1 ZG mit ihrer Einfuhr Zollgut gewordenen beiden überzähligen Packstücke bereits dadurch der zollamtlichen Überwachung vorenthalten wurden, daß sie, weil sie nicht in dem Carnet TIR aufgeführt waren, etwa als nicht gestellt angesehen werden müßten (§ 6 Abs. 1 und 4 ZG i. V. m. §§ 9 Abs. 1 Nr. 1, 12 Abs. 2 AZO). Es kann auch offenbleiben, ob die überzähligen Packstücke zwar mit den übrigen Packstücken dem Eingangszollamt gestellt, jedoch der zollamtlichen Überwachung dadurch entzogen wurden, daß der Fahrer es unterließ, sie in der von ihm abgegebenen Zollanmeldung (§§ 9, 11, 12 ZG, § 20 Abs. 1 Nr. 2 AZO) zu erwähnen. Jedenfalls sind sie der zollamtlichen Überwachung dadurch entzogen worden, daß sie ohne zollamtliche Abfertigung mit der übrigen Ladung des LKW vom Amtsplatz des Eingangszollamts entfernt wurden. Der Antrag des Fahrers, das Zollgut zum Zollgutversand abzufertigen, und die Zollanmeldung erstreckten sich nicht auf die beiden überzähligen Packstücke, da sich ihr Vorhandensein nicht aus dem Carnet TIR ergab. Die Abfertigung der Ladung des LKW zum Zollgutversand erfaßte daher auch nicht die beiden überzähligen Packstücke. Obgleich der Fahrer deren Vorhandensein nicht kannte, entzog er sie mit der Weiterfahrt zum Binnenzollamt der zollamtlichen Überwachung. Nach § 133 AZO wird Zollgut der zollamtlichen Überwachung durch jede Handlung entzogen, die diesen Erfolg herbeiführt, wobei es auf die Vorstellungen des Handelnden nicht ankommt. Maßgeblich ist hier, daß sich der Handlungswille des Fahrers bei der Weiterfahrt auf die Beförderung der gesamten Ladung seines LKW bezog.
Die Vorschrift des § 80 Abs. 1 Satz 3 AZO, daß der Erlaß oder die Erstattung des Zolls für wieder ausgeführte Waren ausgeschlossen ist, wenn die Zollschuld nach § 57 ZG entstanden ist, hält sich im Rahmen der Ermächtigungsbestimmungen des § 40 ZG. Diese gestatten dem Bundesminister der Finanzen (BdF), durch Rechtsverordnung anzuordnen, daß der Zoll für Waren, die nachweislich nicht in die Wirtschaft des Zollgebietes eingegangen sind, erlassen oder erstattet wird, wenn die Waren innerhalb einer angemessenen Frist nach ihrer Verzollung an oder für den außerhalb des Zollgebietes ansässigen Lieferer unter zollamtlicher Überwachung wieder ausgeführt werden.
Es kann dahinstehen, ob der Gesetzgeber mit den Worten „nach ihrer Verzollung” den Kreis der für den Erlaß oder die Erstattung des Zolls in Betracht kommenden Waren auf solche eingeschränkt hat, für die im Rahmen der Abfertigung zum freien Verkehr oder nach der Abfertigung zu einem besonderen Zollverkehr Zoll zu erheben war (vgl. § 36 Abs. 3 Satz 1 ZG), Denn auch dann, wenn die Ermächtigung sich auch auf solche Waren bezieht, für die eine Zollschuld nach § 57 ZG entstanden ist und die auf der Grundlage dieser Vorschrift verzollt worden sind, wofür die Überschrift des Dritten Teils des Zollgesetzes („Verzollung … bei Nichtbeachtung von Zollvorschriften”) sprechen könnte, wäre der BdF befugt gewesen, von der auf Grund des § 40 Abs. 1 Nr. 1 ZG getroffenen Erlaß- und Erstattungsregelung durch § 80 Abs. 1 Satz 3 AZO Waren auszunehmen, bei denen die Zollschuld nicht durch eine zollamtliche Abfertigung, sondern nach § 57 ZG dadurch entstanden ist, daß Zollgut der zollamtlichen Überwachung vorenthalten oder entzogen oder daß es unzulässig verändert worden ist. Der BdF war nicht verpflichtet, von der Ermächtigung des § 40 Abs. 1 Nr. 1 ZG Gebrauch zu machen, da das Zollgesetz auch ohne eine der Ermächtigung entsprechende Regelung praktikabel ist (vgl. Urteile des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG – vom 13. Dezember 1961 1 BvR 1137/59, 278/60, BVerfGE 13, 248, 254, und vom 23. Juli 1963 1 BvR 265/62, BVerfGE 16, 332, 338) und keinen allgemeinen Grundsatz enthält, daß die Abgabenerhebung immer dann rückgängig zu machen ist, wenn eingeführte Waren keinen Eingang in die Wirtschaft des Zollgebietes gefunden haben (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 17. Dezember 1974 VII R 111/72, BFHE 115, 82). Bei der Ausnutzung der Ermächtigung hatte der BdF zwar den sich aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes ergebenden Gleichheitsgrundsatz zu beachten (vgl. das zitierte Urteil BVerfGE 13, 248, 253 ff.); er war jedoch im Rahmen des ihm eingeräumten Gestaltungsraumes – wie der Gesetzgeber selbst – zu sachlich bedingten Differenzierungen befugt (vgl. das zitierte Urteil BVerfGE 13, 248, 255, sowie den Beschluß des BVerfG vom 16. Juni 1959 2 BvL 10/59, BVerfGE 9, 334, 337; und das BFH-Urteil vom 13. Mai 1975 VII R 99/72, BFHE 116, 235). Die in § 80 Abs. 1 Satz 3 AZO getroffene Regelung, daß der Erlaß und die Erstattung des Zolls für wieder ausgeführte Waren ausgeschlossen sind, wenn die Zollschuld nach § 57 ZG entstanden ist, hat einen sachlichen Grund darin, daß eine gefahrlose Umgehung der Vorschriften der §§ 1 bis 20 ZG über die Erfassung des Warenverkehrs und die Zollbehandlung verhütet werden muß.
Fundstellen
Haufe-Index 514738 |
BFHE 1978, 268 |