Leitsatz (amtlich)
Übersteigen die Herstellungskosten für ein eigengenutztes Einfamilienhaus aus nicht vorhersehbaren und vom Steuerpflichtigen nicht zu vertretenden Gründen die kalkulierten und nach § 7 b EStG abschreibungsfähigen Aufwendungen und wird der Steuerpflichtige dadurch mit höheren Fremdfinanzierungskosten belastet, so liegen darin keine Umstände, die einen Steuererlaß wegen sachlicher Unbilligkeit der Besteuerung nach der Einfamilienhaus-Verordnung und der Vorschrift des § 7 b EStG rechtfertigen könnten.
Normenkette
AO § 131 Abs. 1 S. 2; EStG 1961 § 7b; EinfHaus-VO
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) und seine Ehefrau entschlossen sich im Jahre 1960 wegen unzureichender Wohnungsverhältnisse, ein Eigenheim zu errichten. Der Architekt veranschlagte die Baukosten auf 130 000 DM. Davon sollten 115 000 DM mit Fremdmitteln finanziert werden. Wegen ungünstiger Bodenverhältnisse und schlechter Bauausführung mußten die Eheleute für das im Jahre 1962 bezugsfertig gewordene Einfamilienhaus insgesamt über 100 000 DM mehr aufwenden, als sie eingeplant hatten. Einen Teilbetrag von 45 318 DM erhielten sie als Schadensersatzleistung erstattet.
Mit Schreiben vom 20. April 1968 beantragten der Kläger und seine Ehefrau wegen der zusätzlichen finanziellen Belastung eine Herabsetzung der Einkommensteuer im Wege des Steuererlasses nach § 131 Abs. 1 Satz 1 AO. Auf Grund der besonderen Verhältnisse des Einzelfalles führe die Besteuerung nach dem Gesetz zu einer unbilligen Härte. Die nicht eingeplanten, zwangsläufig angefallenen höheren Herstellungskosten müßten entgegen der Vorschrift des § 7 b EStG 1961 über den Betrag von 120 000 DM hinaus abzugsfähig sein, da der Gesetzgeber diese Beschränkung mit Blick auf nicht zu begünstigende Luxusbauten vorgenommen habe, während es sich hier um ein übliches Einfamilienhaus handele. Zumindest müßten von den übersteigenden Herstellungskosten die normalen Abschreibungen nach § 7 Abs. 4 EStG - verteilt über 20 Jahre ab 1966 - gewährt werden. Auch die Begrenzung des Abzugs der Zins- und Tilgungsleistungen für die zusätzlich aufgenommenen Grundbelastungen durch die Verordnung über die Bemessung des Nutzungswerts der Wohnung im eigenen Einfamilienhaus vom 26. Januar 1937 - EinfHaus-VO - (RStBl 1937, 161) führe zu einer unbilligen Besteuerung.
Der Beklagte und Revisionskläger (FA) lehnte den Erlaß ab. Die Beschwerde wurde von der OFD zurückgewiesen, da eine unbillige Härte im Sinn von § 131 AO weder in sachlicher noch in persönlicher Hinsicht gegeben sei.
Die Klage zum FG hatte Erfolg. Die Vorinstanz begründete die Aufhebung der angefochtenen Verfügungen damit, das FA und die OFD hätten ihr Ermessen nicht ausgeübt und daher rechtsfehlerhaft entschieden. Beide Behörden seien zu Unrecht davon ausgegangen, die Typisierung der Besteuerung durch die Einfamilienhaus-Verordnung schließe in allen Fällen zwangsläufig die Möglichkeit eines Steuererlasses wegen unbilliger sachlicher Härte im Sinne von § 131 AO aus, ohne daß es einer eingehenden Prüfung der besonderen Umstände des Einzelfalles bedürfe. Es müsse jedoch zulässig sein, die krassesten Fälle einer Benachteiligung durch eine derartige Typisierung im Erlaßwege auszugleichen. Eine solche krasse Härte könne im vorliegenden Falle im Ausschluß der Abschreibung wegen außergewöhnlicher Abnutzung und im Ausschluß der Geltendmachung der hohen Schuldzinsen durch Anwendung der Einfamilienhaus-Verordnung liegen. Das Urteil ist in den EFG 1972, 288, veröffentlicht.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des FA, das beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen. Entgegen der Auffassung des FG seien die Finanzbehörden auf Sinn und Zweck der Einfamilienhaus-Verordnung und der Vorschrift des § 7 b EStG eingegangen und hätten unter Beachtung der jüngeren Rechtsprechung des BFH geprüft, ob im vorliegenden Fall sachliche Billigkeitsgründe gegeben gewesen seien. Die zuungunsten des Klägers ausgefallene Entscheidung halte sich im Rahmen der gesetzlichen Ermessensgrenzen. Wenn sich die Prüfungsgrundlagen nicht in erforderlicher Weise aus der Beschwerdeentscheidung ergeben sollten, liege das vor allem daran, daß der Kläger den Erlaßantrag nur hilfsweise gestellt und den Antrag im wesentlichen auf seine persönliche Erlaßbedürftigkeit gestützt habe.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
1. Gemäß § 131 Abs. 1 Satz 1 AO können Steuern im Einzelfall erlassen bzw. erstattet werden, wenn ihre Einziehung unbillig wäre. Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, daß es sich bei der Entscheidung, ob die Erhebung einer gesetzlich geschuldeten Steuer im Einzelfall aus sachlichen oder persönlichen Gründen erlassen werden kann, um eine Ermessensentscheidung der zuständigen Verwaltungsbehörden handelt, die von den Gerichten nur im Hinblick auf eine fehlende oder aus sonstigen Gründen fehlerhafte Ausübung des Ermessens nachgeprüft werden kann (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BFHE 105, 101, BStBl II 1972, 603, § 102 FGO). Entgegen der Auffassung der Vorinstanz hat die Beschwerdebehörde ihr Ermessen bei der Prüfung der sachlichen Unbilligkeit jedoch fehlerfrei ausgeübt.
2. Ein Erlaß aus sachlichen Billigkeitsgründen kann nur gewährt werden, wenn die Besteuerung eines Sachverhalts, der unter einen gesetzlichen Besteuerungstatbestand fällt, im Einzelfall mit dem Sinn und Zweck des Steuergesetzes nicht vereinbar ist, wenn also der Sachverhalt zwar den gesetzlichen Tatbestand erfüllt, die Besteuerung aber den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 25. Juli 1972 VIII R 59/68, BFHE 106, 486, BStBl II 1972, 918). Ein derartiger Überhang des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers muß sich aus der Unbilligkeit der Tatsache der Besteuerung selbst ergeben; die wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen dürfen diese Entscheidung nicht beeinflussen (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 26. Oktober 1972 I R 125/70, BFHE 108, 146, BStBl II 1973, 271).
Es ist zwar richtig, daß die Prüfung einer Unbilligkeit in der Sache selbst in der Regel nicht durch den bloßen Hinweis auf die Erfüllung eines Besteuerungstatbestandes ersetzt werden kann (BFH-Urteile vom 9. Februar 1972 II R 99/70, BFHE 105, 172, BStBl II 1972, 503, und I R 125/70). Hat jedoch der Gesetzgeber Besteuerungsmaßnahmen angeordnet, obwohl - in bestimmt gelagerten Fällen - der Eintritt von Härten in der Sache selbst voraussehbar war, und hat er diese Härten in Kauf genommen, so kann die Gewährung eines steuerlichen Billigkeitserlasses gemäß § 131 AO wegen Härten in der Sache selbst grundsätzlich nicht in Betracht kommen (BFH-Urteile vom 5. Oktober 1966 II 111/64, BFHE 88, 382, BStBl III 1967, 415, und vom 15. Februar 1973 V R 152/69, BFHE 108, 571, BStBl II 1973, 466). § 131 AO dient nicht dazu, Steuerbefreiungen oder Steuerbegünstigungen, welche der Gesetzgeber wissentlich und willentlich ausgeschlossen hat, auf dem Wege der sachlichen Unbilligkeit zu gewähren. Die Verwaltungsbehörden haben daher unter Beachtung der sachlichen Gegebenheiten des Einzelfalles zu prüfen, ob die Besteuerung noch mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes vereinbar ist. Nur zusätzliche, nicht in die gesetzliche Regelung einbezogene sachliche Momente könnten eine Billigkeitsmaßnahme rechtfertigen (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 29. September 1965 II 184/62, HFR 1966, 31, StRK, Grunderwerbsteuergesetz, § 1, Rechtsspruch 156, und vom 7. Mai 1968 II 151/64, BFHE 93, 14, BStBl II 1968, 663).
3. Der Senat kann offenlassen, ob überhaupt Fälle denkbar sind, in denen eine festgesetzte Steuer im Verfahren nach § 131 Abs. 1 Satz 1 AO unabhängig von den wirtschaftlichen Verhältnissen eines Steuerpflichtigen aus sachlichen, auf die Anwendung der Einfamilienhaus-Verordnung bzw. der Vorschrift des § 7 b EStG zurückzuführenden Gründen zu erlassen sein könnte, nur weil die Beschränkung des sich nach dem Gesetz ergebenden ausgleichsfähigen Verlustes aus Vermietung und Verpachtung im Einzelfall nicht den Wertungen des Gesetzgebers entspräche. Die sachlichen Umstände, auf die sich der Kläger beruft, sind jedenfalls keine ausreichenden Erlaßgründe.
a) Die Ermittlung des Nutzungswertes der Wohnung im eigenen Haus (§ 21 Abs. 2 EStG) ist häufig mit praktischen Schwierigkeiten verbunden. Um den Bedürfnissen der Praxis nach Erleichterung des Veranlagungsverfahrens nachzukommen, hat der Verordnungsgeber auf der Grundlage der Ermächtigungsvorschrift des § 29 Abs. 3 EStG die individuelle Berechnung des Mietwerts und der Werbungskosten in Fällen der Bewohnung des eigenen Einfamilienhauses durch eine generelle Regelung ersetzt. Nach § 2 EinfHaus-VO tritt an die Stelle der im Einzelfall ermittelten Einkünfte ein in einem typisierenden Verfahren festgestellter Durchschnittssatz als Netto-Nutzungswert (BFH-Urteil vom 18. Januar 1972 VIII R 74/68, BFHE 104, 349, BStBl II 1972, 342). Der Verordnungsgeber hat die Möglichkeit gehabt, das nach Durchschnittssätzen gewonnene Ergebnis durch die Einbeziehung besonderer sachlicher Gegebenheiten des Einzelfalles bzw. bestimmter Fallgruppen zu korrigieren. Er hat von dieser Möglichkeit nur insoweit Gebrauch gemacht, als die erhöhten Abschreibungen nach § 7 b EStG und § 82 a EStDV (§§ 15 Abs. 1 und 82 a Abs. 2 EStDV) und - im Falle des Einsatzes von Fremdkapital - Schuldzinsen in begrenztem Umfang zu berücksichtigen sind. Das bedeutet zum einen, daß das Vorliegen weiterer für die Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung maßgeblicher Besteuerungsmerkmale, wie z. B. der Anfall weiterer Werbungskosten im Sinne von § 9 EStG und ihre Verursachung bei der Anwendung und Auslegung der Einfamilienhaus-Verordnung, außer acht zu bleiben haben. Das bedeutet jedoch darüber hinaus, daß die vom Kläger vorgetragenen, mit dem Bau und seiner Finanzierung zusammenhängenden Umstände, die auf den Abzug zusätzlicher Werbungskosten hinzielen, die Besteuerung nach dem Willen des Gesetzgebers nicht beeinflussen sollen und daher - unabhängig von den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen - auch einen Steuererlaß wegen sachlicher Unbilligkeit nicht rechtfertigen.
Dies gilt insbesondere für den durch § 2 Abs. 2 EinfHaus-VO ausgeschlossenen Abzug der nicht eingeplanten Finanzierungskosten, der den erklärten Zielen der Einfamilienhaus-Verordnung (einkommensteuerrechtliche Gleichbehandlung des eigennutzenden Eigentümers mit einem Mieter, der den Mietaufwand nicht bei der Einkommensteuer absetzen kann; Besteuerung eines durchschnittlichen Zinsbetrages des im Hause angelegten Eigenkapitals) zuwiderliefe und im Ergebnis der steuerlichen Berücksichtigung des Aufwandes für die private Wohnungsnutzung gleichkäme (vgl. Runderlaß des Reichsministers der Finanzen vom 26. Januar 1937 S 2182 - 90 III, RStBl 1937, 161, Abschn. B zu § 2 Abs. 5; Beschluß des BVerfG vom 3. Dezember 1958 1 BvR 488/57, BVerfGE 9, 3, BStBl I 1959, 68 [72]). Die maßgebliche Bemessungsgrundlage für die erhöhte Abschreibung nach § 7 b EStG 1961 ist ausdrücklich auf 120 000 DM beschränkt (§ 15 Abs. 1 EStDV, § 7 b Abs. 1 EStG 1961). Die objektive Begrenzung der Förderungswürdigkeit der Herstellungskosten nach § 7 b EStG liegt ohne Rücksicht auf deren Gesamthöhe und die Ursachen des Anfalls im Rahmen der vom Gesetzgeber selbst gesetzten Maßstäbe. Eine Anhebung der Höchstgrenze im Erlaßwege aus Gründen sachlicher Unbilligkeit ist daher ausgeschlossen. Auch auf die Erhöhung des Betrages durch das Einkommensteuergesetz 1965 kann sich der Kläger nicht berufen. Nichts anderes gilt für die vom Kläger begehrte Abschreibung nach § 7 Abs. 4 EStG, die nach der Vorschrift des § 2 Abs. 2 EinfHaus-VO nicht berücksichtigt werden darf (BFH-Urteil VIII R 74/68). Unter diese ausdrückliche Beschränkung fällt auch die vom FG angesprochene Abschreibung für außergewöhnliche Abnutzung. Der Gesetzgeber hat zwar die erhöhten Abschreibungen nach § 7 b EStG und § 82 a EStDV zugelassen, nicht aber die Abschreibung für außergewöhnliche Abnutzung, obwohl diese zwangsläufig zu einer Härte für alle betroffenen Steuerpflichtigen führt. Die Härte ist vom Verordnungsgeber in Kauf genommen worden und stellt daher keine sachliche Unbilligkeit im Sinne von § 131 AO dar. Zusätzliche, nicht in die gesetzliche Regelung einbezogene sachliche Merkmale, auf die eine Billigkeitsmaßnahme möglicherweise gestützt werden könnte, sind im Streitfall nicht ersichtlich.
Zu Unrecht beruft sich das FG zur Stützung seiner abweichenden Rechtsansicht auf das BFH-Urteil vom 30. August 1956 IV 438/55 U (BFHE 63, 275, BStBl III 1956, 303). Der - im übrigen völlig wertneutrale - Hinweis des BFH, das Gericht sei nicht zuständig, einen Erlaß aus Billigkeitsgründen auszusprechen, war erforderlich, um den im Revisionsverfahren über die Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheides erhobenen Erlaßantrag zurückzuweisen.
b) Die Gründe für die - im Ergebnis nicht zu beanstandende - Ermessensentscheidung der Ablehnung einer sachlichen Unbilligkeit kommen in der Beschwerdeentscheidung in ausreichendem Maße zum Ausdruck. Die Beschwerdebehörde konnte aus Regelungsinhalt, Sinn und Zweck der Einfamilienhaus-Verordnung und der Vorschrift des § 7 b EStG schließen, daß selbst dann, wenn die Herstellungskosten aus nicht vom Steuerpflichtigen zu vertretenden und nicht vorhersehbaren Ursachen zwangsläufig auf eine nicht eingeplante Höhe anwachsen und dadurch weitere Finanzierungskosten entstehen, ein Abzug von Werbungskosten über den gesetzlich vorgesehenen Umfang hinaus wegen sachlicher Unbilligkeit der Besteuerung allgemein - und damit auch im Falle des Klägers - ausgeschlossen ist.
4. Die Vorentscheidung muß aufgehoben werden, da sie auf anderen Rechtserwägungen beruht. Zur Frage des Erlasses aus Gründen der persönlichen Unbilligkeit hat das FG bisher noch nicht Stellung genommen. Daher ist die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 71826 |
BStBl II 1976, 394 |
BFHE 1976, 420 |