Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Bevollmächtigten
Leitsatz (NV)
Wer im Inland als (General-)Bevollmächtigter eines unter der Firma einer Anstalt liechtensteinischen Rechts mit Sitz in Liechtenstein geführten Unternehmens auftritt, haftet für die Erfüllung der steuerlichen Verpflichtungen dieses Unternehmens.
Normenkette
AO §§ 103, 108-109; AO 1977 § 34 Abs. 1, §§ 35, 69
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), seine Ehefrau sowie V und N trafen im Februar 1972 eine Vereinbarung über die Gründung eines . . . unternehmens. N war bisher als . . . nichtselbständig tätig gewesen. Als Ausländer war ihm die selbständige unternehmerische Tätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) untersagt worden. Deshalb sollte für ihn ein liechtensteinischer Firmenmantel erworben werden, damit er als Arbeitnehmer einer ausländischen Firma in Erscheinung treten könnte. Am Gewinn des Unternehmens sollte N mit 52 v. H. und die übrigen Partner mit je 16 v. H. beteiligt sein. N. sollte Inhaber des Unternehmens und für die unmittelbare . . . tätigkeit zuständig sein. Der Kläger sollte als Generalbevollmächtigter des unter dem Firmenmantel einer liechtensteinischen Anstalt handelnden N die Verhandlungen und den Schriftverkehr mit den Behörden und insbesondere mit dem Finanzamt (FA) abwickeln.
Im Februar 1972 erwarb der Kläger für N von einem in Liechtenstein ansässigen Rechtsanwalt den Firmenmantel einer mit einem Anstaltskapital von 20 000 sfr unter der Firma P gegründeten Anstalt liechtensteinischen Rechts. Der liechtensteinische Rechtsanwalt blieb nach außen weiterhin Verwaltungsrat dieser Firma, übte aber keinen Einfluß auf das Unternehmen und dessen Geschäftstätigkeit aus. Die P stellte N im Februar 1972 eine von ihrem Verwaltungsrat unterzeichnete Vollmacht aus, wonach er berechtigt war, in deren Namen rechtsgültig zu handeln und alle Rechtsgeschäfte abzuschließen. N wiederum erteilte verabrechnungsgemäß dem Kläger Generalvollmacht, für ihn und die P unter Befreiung von § 181 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zu handeln.
Im Frühjahr 1972 nahm N die selbständige . . . tätigkeit auf. Der Kläger befaßte sich - dem von ihm übernommenen Aufgabenbereich entsprechend - seit dem Beginn der Unternehmenstätigkeit mit der Abwicklung der behördlichen Angelegenheiten. Er erkundigte sich zunächst bei einem FA, ob und welche Steuern die P als ausländische Firma in der Bundesrepublik zahlen müsse. Dabei wurde ihm erklärt, daß Lohnsteuern der Mitarbeiter und Umsatzsteuer wie bei einem inländischen Unternehmen abzuführen seien. Gegenüber dem FA trat der Kläger im Zusammenhang mit den Fragen zur Neuaufnahme der Firma in seinen Schreiben vom Mai und Juli 1972 und anläßlich einer persönlichen Vorsprache im Juni 1972 als Bevollmächtigter bzw. Generalbevollmächtigter der Firma ,,P . . ." in Liechtenstein auf. Das FA behandelte ihn daraufhin als Zustellungsbevollmächtigten und wandte sich in steuerlichen Fragen betreffend die Firma ausschließlich an ihn.
Die ihm vom FA übersandten Formulare für die Lohnsteueranmeldungen gab er an V weiter, der aufgrund der zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen ab Frühjahr 1972 die Lohnkonten führte und auch für die Abgabe der Lohnsteueranmeldungen intern zuständig war. V füllte bis einschließlich Dezember 1973 die Lohnsteueranmeldungen im wesentlichen entsprechend den einbehaltenen Lohnsteuern aus. Er reichte sie aber dem FA nicht ein. In der Folgezeit füllte er auch die Lohnsteueranmeldungsformulare nicht mehr aus. Bei dem FA E ging lediglich im zweiten Quartal 1972 ohne Erklärung ein Lohnsteuerbetrag von 8 536,67 DM von der P ein.
Am 18. Dezember 1973 schrieb der Kläger an N und an den liechtensteinischen Verwaltungsrat, daß er die bestehenden Vollmachten für die P zurückgebe und er dies den Behörden und Ämtern, wie Arbeitsamt, Gewerbeaufsicht, Handelskammer, Handwerkskammer, FA, Berufsgenossenschaften, Allgemeine Ortskrankenkasse usw., mitteilen werde.Durch Urteil des Landgerichts wurden die Kläger, N und V wegen fortgesetzter Hinterziehung von Lohnsteuern zu Freiheitsstrafen verurteilt. Das Landgericht würdigte den Sachverhalt dahingehend, daß sich die Angeklagten und die inzwischen verstorbene Ehefrau des Klägers zum Betrieb eines . . . unternehmens verbunden hätten. Wenn auch die Beweisanzeichen in erster Linie auf die Gründung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) hindeuteten, sei doch eine stille Gesellschaft anzunehmen, da nicht auszuschließen sei, daß sich der Kläger, seine Ehefrau und V an den Verlusten des Unternehmens nicht hätten beteiligen wollen. Den Kläger habe als Generalbevollmächtigten des Inhabers N nach den §§ 108, 103 der Reichsabgabenordnung (AO) die Pflicht zur Abgabe der Lohnsteueranmeldungen und zur Abführung der Lohnsteuer getroffen. Er habe sich jedoch, wie er eingeräumt habe, in keiner Weise um die Erledigung der Lohnsteuerangelegenheiten gekümmert und keinerlei Vorsorge getroffen, daß die Lohnsteueranmeldungen gegenüber dem FA abgegeben und die Lohnsteuer abgeführt würde. Er habe damit zumindest billigend in Kauf genommen und daher bedingt vorsätzlich bewirkt, daß Steuereinnahmen verkürzt worden seien. Allerdings könne ihm nur bis Jahresende 1973 eine Lohnsteuerhinterziehung vorgeworfen werden, da er im Dezember 1973 seine Generalvollmacht zurückgegeben habe.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Revision des Klägers als offensichtlich unbegründet verworfen. Er ist ebenfalls davon ausgegangen, daß der Kläger am Unternehmen des N beteiligt gewesen und ihm von diesem Generalvollmacht - und zwar ohne Beschränkung der Verfügungsbefugnis - erteilt worden sei.
Das beklagte FA vertritt die Auffassung, die an der Gründung der Gesellschaft beteiligten Personen hätten sich zu einer GbR zusammengeschlossen. Mit seinem Haftungsbescheid vom Mai 1976 nahm das FA den Kläger als Mitunternehmer und Mitgesellschafter der ,,GbR N" in voller Höhe für die Lohnsteuer-, Lohnkirchensteuer-, Ergänzungsabgabe-, Stabilitätszuschlags- und Umsatzsteuerrückstände der GbR aus den Jahren 1972 bis 1974 einschließlich der Verspätungszuschläge in Anspruch.
Der Einspruch des Klägers hatte lediglich hinsichtlich der im Haftungsbescheid festgesetzten Verspätungszuschläge Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) beschränkte auf die Klage des Klägers wegen des Erlöschens der Vollmacht im Dezember 1973 dessen Haftung auf die Steuerrückstände für Januar 1972 bis November 1973. Im übrigen wies es die Klage ab. Das FG führte aus, hinsichtlich der Inanspruchnahme wegen Lohnkirchensteuer sei die Klage unzulässig, weil der Finanzrechtsweg nicht gegeben sei (§ 10 Abs. 1, § 14 Abs. 1 des Gesetzes über die Erhebung von Kirchensteuer im Lande Schleswig-Holstein vom 15. März 1968, Gesetz- und Verordnungsblatt für Schleswig-Holstein - GVOBl SH - 1968, 81 i.d.F. vom 18. August 1975, GVOBl SH 1975, 220), und hinsichtlich der übrigen verbleibenden Haftungsbeträge sei sie unbegründet.
Das FA habe den Kläger dem Grunde nach zu Recht als Haftenden in Anspruch genommen. Zwar folge der Senat nicht dessen Auffassung von der Gründung und gewerblichen Betätigung einer GbR, sondern halte mit dem Landgericht eine stille Gesellschaft für gegeben. Der Kläger hafte aber nach den §§ 103, 108, 112, 118 AO für die bis einschließlich November 1973 entstandenen Steuerschulden, weil er als Generalbevollmächtigter des N bzw. der P aufgetreten sei und er seine Pflicht zur Abführung der entsprechenden Steuern vorsätzlich verletzt habe. Sein Vorbringen, er sei in Wahrheit nicht Generalbevollmächtigter gewesen, sei unerheblich, denn seine Haftung begründe sich gemäß § 108 AO daraus, daß er mit dem Anschein der Berechtigung dem FA gegenüber tatsächlich als Generalbevollmächtigter aufgetreten sei. Dies gelte im vorliegenden Fall um so mehr, als die ausländische Gesellschaft bezüglich ihres Handelns im Inland eines handlungsfähigen Organs, in Ermangelung eines solchen einer handlungsfähigen und vertretungsberechtigten Person bedurft habe und N hierfür wegen der Auflagen der zuständigen Ausländerbehörde nicht in Betracht gekommen sei.
Es komme nicht darauf an, ob im Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung diese Haftungsgrundlagen bereits genannt seien. Im Haftungsbescheid müßten allenfalls die tatsächlichen und rechtlichen Angaben gemacht werden, deren der Haftende bedürfe, damit er die Rechtslage übersehen könne. Eine Auswechslung der rechtlichen Begründung der Haftung sei unbedenklich, weil dem Kläger alle tatsächlichen und rechtlichen Angaben, derer er zu seiner Information und Verteidigung bedürfe, aus dem Steuerfahndungsbericht, dem Haftungsbescheid, der Einspruchsentscheidung und den Entscheidungen des Landgerichts und des BGH in Strafsachen bekannt seien.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung formellen und materiellen Rechts. Er trägt vor, sein Prozeßbevollmächtigter habe in der mündlichen Verhandlung festgestellt, daß sich nicht alle von der Steuerfahndung beschlagnahmten Unterlagen bei den Akten des FG befunden hätten. Sein Hinweis, daß die Verteidigung des Klägers dadurch erheblich erschwert sei, sei nicht zur Kenntnis genommen worden. Das FG sei auch nicht in einer Prüfung des Inhalts der bei der Staatsanwaltschaft liegenden Unterlagen eingetreten.
Es sei auch zweifelhaft, ob er - die Richtigkeit der Rechtsausführungen des angefochtenen Urteils unterstellt - Generalbevollmächtigter desjenigen Unternehmens gewesen sei, welches als Arbeitgeber der jeweiligen Arbeitnehmer deren Lohnsteueranteile wohl einbehalten, aber nicht abgeführt habe. Bereits im Strafverfahren sei vorgetragen worden, daß N seine Etablissementsbezeichnung mehrfach gewechselt habe. Zuletzt sei er, wie sich aus Arbeitsgerichtsprozessen ergebe, als natürliche Person als Arbeitgeber in Erscheinung getreten. Aus den bei der Staatsanwaltschaft verbliebenen Unterlagen und aus den Beweismittelakten, die dem FG vorgelegen hätten, gehe hervor, daß vier verschiedene Arbeitgeber aufgetreten seien. Das FG hätte aufklären müssen, wer jeweils Arbeitgeber der einzelnen Arbeitnehmer und wer hinsichtlich der verschiedenen Aufträge, die N angenommen habe, Auftragnehmer und damit Umsatzsteuerschuldner gewesen sei.
Aus den ihm vorenthaltenen Unterlagen ergebe sich ferner, daß ein Verwaltungsrat einer liechtensteinischen Anstalt keine Generalvollmacht erteilen dürfe. N sei folglich nur eine Spezialvollmacht erteilt worden, und er habe seinerseits nur Untervollmacht erteilen dürfen. Im übrigen habe N auch keine Generalvollmacht erteilt. Denn die Urkunde über die Generalvollmacht befinde sich ohne Unterschrift bei den von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmten Unterlagen.
Die Vorentscheidung verletze auch die §§ 103, 108 AO, indem sie eine Organstellung des Klägers fingiere, obwohl dieser mangels Bankvollmacht nicht in der Lage gewesen wäre, die steuerlichen Pflichten des fraglichen Unternehmens zu erfüllen. Ferner lasse das angefochtene Urteil eine Klarstellung darüber vermissen, wie die vom FG, dem Landgericht und dem BGH angenommene stille Gesellschaft im einzelnen konstruiert gewesen sei. Schließlich werde noch gerügt, daß die Lohnsteuerzahlungen vom 10. Juli und 31. August 1972 über insgesamt 8 536,67 DM dem Kläger nicht gutgebracht worden seien. Diese Zahlungen müßten auf die Lohnsteuerschulden der P, für die der Kläger in Anspruch genommen werde, angerechnet werden.
Der Kläger beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Sache an das FG zurückzuverweisen bzw. den Haftungsbescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist hinsichtlich der Haftung des Klägers für Lohnkirchensteuer unbegründet. Im übrigen führt die Revision zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Das FG hat die Haftung des Klägers für die nicht angemeldeten und abgeführten Lohnsteuerabzugsbeträge und Umsatzsteuerschulden des Unternehmens, als dessen Generalbevollmächtigter er aufgetreten ist, dem Grunde nach zu Recht bejaht. Es kann dahinstehen, ob das vom Kläger, seiner Ehefrau sowie V und N gegründete . . . unternehmen in der Rechtsform einer GbR, wie das FA angenommen hat, oder einer selbständigen juristischen Person des Privatrechts - Anstalt des liechtensteinischen Rechts (vgl. Art. 534 bis 551 des Liechtensteinischen Personen- und Gesellschaftsrechts vom 20. Januar 1926; Marzer/Goop/Kieber, Gesellschaften und Steuern in Liechtenstein, Vaduz, 1982, 31) - geführt worden ist oder ob sich der Kläger und die anderen Beteiligten, wie die Vorinstanz mit dem Landgericht meint, an einem Handelsgewerbe des N als stille Gesellschafter (§ 335 des Handelsgesetzbuches - HGB -) beteiligt haben. Im Falle des Vorliegens einer stillen Gesellschaft sind auch deren Organisationsform und die Beteiligungsverhältnisse im einzelnen unerheblich. Denn das FG hat für die Haftung des Klägers nicht auf dessen Stellung als Gesellschafter oder Organ einer Gesellschaft abgestellt, sondern sie auf dessen Auftreten als (General-)Bevollmächtigter des unter der Firma P bzw. P-Anstalt im Wirtschaftsleben tätigen Unternehmens gestützt (§§ 108, 103, 109 Abs. 1 AO). Diese Haftungsgrundlage ist, wenn ihre tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind, unabhängig davon gegeben, in welcher Rechtsform das von dem Bevollmächtigten vertretene wirtschaftliche Gebilde (Steuerschuldner bzw. Primärhaftungsschuldner) organisiert ist.
Zutreffend hat das FG auch ausgeführt, daß es nicht darauf ankommt, ob im Haftungsbescheid, in der Einspruchsentscheidung und im Urteil dieselben Haftungsgrundlagen genannt sind. Wenn das angefochtene Urteil der Haftung nach den §§ 108, 103, 109 AO gegenüber der vom FA angenommenen Gesellschafterhaftung nach § 113 AO i.V.m. §§ 718, 421 BGB den Vorzug gab, so betraf dies die Begründung des Haftungsbescheids, die dessen inhaltliche Bestimmtheit und formelle Wirksamkeit nicht berührt (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 26. März 1981 VII R 3/79, BFHE 133, 163, und Beschluß vom 17. Juli 1984 VII S 9/84, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Abgabenordnung, § 69, Rechtsspruch 7). Das FG war befugt, in seiner Entscheidung die Haftung des Klägers auf eine andere Rechtsgrundlage zu stützen. Da diese mit der Begründung übereinstimmt, die bereits das Landgericht der von ihm angenommenen Steuerhinterziehung des Klägers zugrunde gelegt hat, war der Kläger nicht unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer Überraschungsentscheidung in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt. Denn das Strafurteil des Landgerichts war ihm bekannt und bereits von der Einspruchsentscheidung in bezug genommen worden.
2. Der Kläger hat die tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftung nach den §§ 109 Abs. 1, 108, 103 AO erfüllt. Diese Vorschriften finden auf den Streitfall Anwendung, weil der haftungsbegründende Tatbestand vor dem 1. Januar 1977 verwirklicht worden ist (Art. 97 § 11 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung - EGAO 1977 -). Wie das FG festgestellt hat, ist der Kläger dem FA und anderen Behörden gegenüber wiederholt als Bevollmächtigter und teilweise auch als Generalbevollmächtigter des unter der Firma P betriebenen Unternehmens aufgetreten. Dieses Auftreten entsprach den vertraglichen Vereinbarungen der Beteiligten bei der Gründung des . . . unternehmens, wonach der Kläger als Generalbevollmächtigter die Verhandlungen und den Schriftverkehr mit dem FA übernehmen sollte. Der Kläger hat sich auch selbst bis zum 18. Dezember 1973 als Bevollmächtigter der P angesehen, denn er hat erst an diesem Tage derem liechtensteinischen Verwaltungsrat mitgeteilt, daß er die Rückgabe der ihm von N erteilten Generalvollmacht allen Behörden anzeigen werde. Nach § 108 AO hat, wer als Bevollmächtigter oder Verfügungsberechtigter auftritt, die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters (§ 103 AO). Ob die Vollmacht tatsächlich besteht, ob sie im Innenverhältnis Einschränkungen unterliegt und ob sie im Streitfall durch N wirksam erteilt worden war und erteilt werden konnte, ist für die Haftung ohne Bedeutung, da § 108 AO allein auf das Auftreten nach außen abstellt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21. Mai 1969 I R 8/68, BFHE 96, 39, BStBl II 1969, 539). Das Gesetz sieht aber, wie sich aus der Anführung des Verfügungsberechtigten neben dem Bevollmächtigten in § 108 AO und insbesondere aus der Neufassung der Regelung in § 35 der Abgabenordnung (AO 1977) ergibt, den Haftungsgrund auch beim Bevollmächtigten in dessen Verfügungsberechtigung über die Geldmittel und Vermögenswerte des Vollmachtgebers, so daß nicht jeder Bevollmächtigte unter die Haftungsnorm fällt (vgl. Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 108 AO Tz. 2; Manke in Koch, Abgabenordnung - AO 1977, 2. Aufl., § 35 Anm. 2). Wer aber - wie der Kläger - im inländischen Wirtschaftsleben als Generalbevollmächtigter eines Unternehmens, dessen Sitz sich im Ausland befinden soll, auftritt, erweckt den Anschein, daß seine Vollmacht auch vermögensrechtliche Beziehungen umfaßt. Der Kläger kann sich deshalb, insbesondere auch wegen seines ständigen Auftretens in dieser Eigenschaft, gegenüber dem FA nicht auf die mangelnde Befugnis zur Erfüllung der steuerlichen Pflichten berufen (vgl. BFHE 96, 39, BStBl II 1969, 539; Tipke/Kruse, a.a.O., § 108 AO Tz. 2). Er war demnach bis zum Zeitpunkt der Anzeige der Niederlegung seiner Vollmacht im Dezember 1973 nach den §§ 108, 103 AO verpflichtet, dafür zu sorgen, daß die einbehaltenen Lohnsteuerabzugsbeträge und die zu entrichtenden Umsatzsteuern des von ihm vertretenen Bauunternehmens zu den Fälligkeitszeitpunkten dem FA angemeldet und an dieses abgeführt wurden.
Der Kläger haftet für die eingetretenen Steuerverkürzungen nach § 109 Abs. 1 AO, weil er die ihm obliegenden steuerlichen Pflichten schuldhaft verletzt hat. Er hat sich um die Anmeldung und Abführung der Lohnsteuer, der Ergänzungsabgabe, des Stabilitätszuschlags und der Umsatzsteuer der P bis einschließlich November 1973 nicht gekümmert. Soweit im Innenverhältnis V für die Abgabe der Lohnsteueranmeldungen zuständig war, hat der Kläger diesen nicht ausreichend überwacht, so daß auch die von ihm erstellten Lohnsteueranmeldungen dem FA nicht eingereicht wurden. Dadurch hat der Kläger für den vom FG angenommenen Haftungszeitraum die rückständigen Steueransprüche, wenn nicht bedingt vorsätzlich, wie das Landgericht in dem vom FG in Bezug genommenen Strafurteil angenommen hat, so doch mindestens grob fahrlässig verkürzt. Entschuldigungsgründe für seine Nachlässigkeit hat der Kläger nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich. Für die Erfüllung des Tatbestands der Steuerverkürzung i. S. des § 109 Abs. 1 AO kommt es nicht darauf an, ob der Kläger in der Lage war, die rückständigen Steuern aus ihm zugänglichen Mitteln des Unternehmens zu begleichen. Eine Steuerverkürzung ist bereits dadurch eingetreten, daß infolge der Nichtabgabe von Steuererklärungen (Lohnsteueranmeldungen, Umsatzsteuervoranmeldungen) die zutreffenden Steueransprüche nicht rechtzeitig festgesetzt worden sind (vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 109 AO Anm. 4; ebenso § 69 Satz 1 AO 1977: ,,. . . nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt . . . werden").
Die Ermessensentscheidung des FA, den Kläger für die eingetretenen Steuerverkürzungen in Anspruch zu nehmen (§ 118 AO), war durch die Rechtsentscheidung über die zumindest grob fahrlässige Pflichtverletzung in gewisser Weise vorgeprägt. Wegen des nicht unerheblichen Verschuldens des Klägers kann davon ausgegangen werden, daß das FA stillschweigend von seinem Ermessen sachgerecht Gebrauch gemacht hat. Einer Aufnahme der die Ermessensausübung bestimmenden Erwägungen in den Haftungsbescheid oder in die Einspruchsentscheidung bedurfte es im Streitfall nicht (vgl. BFH-Urteil vom 13. April 1978 V R 109/75, BFHE 125, 126, BStBl II 1978, 508).
3. Soweit sich der Kläger mit der Klage gegen seine Inanspruchnahme wegen Lohnkirchensteuer wendet, hat sie das FG mit der Begründung als unzulässig abgewiesen, daß nach dem Schleswig-Holsteinischen Landesrecht der Finanzrechtsweg insoweit nicht gegeben sei (vgl. auch Beschluß des Schleswig-Holsteinischen FG vom 28. Juni 1968 II 59/68, Entscheidungen der Finanzgerichte 1968, 592). Das FG war dann aber auch nicht befugt, in den Entscheidungsgründen die Änderung des Haftungsbetrags für Lohnkirchensteuer als Annexsteuer der Lohnsteuer auszusprechen. Da aber dieser Ausspruch des FG zu einer Minderung des Haftungsbetrags führt, ist der Kläger durch die angefochtene Entscheidung insoweit nicht beschwert. Die Revision ist hinsichtlich der Haftung für Lohnkirchensteuer unbegründet.
Zutreffend hat die Vorentscheidung die Haftung des Klägers wegen der übrigen Steuern auf den Haftungszeitraum bis einschließlich November 1973 beschränkt, weil der Kläger nach dem 18. Dezember 1973 das Erlöschen seiner Vollmacht dem FA mitgeteilt hatte. Der Senat ist aber aufgrund der vom FG getroffenen Feststellungen nicht in der Lage, die hinsichtlich der Lohnsteuer und der Umsatzsteuer gegenüber dem Haftungsbescheid niedriger festgesetzten Haftungsbeträge auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Hinsichtlich der Haftungsbeträge für Ergänzungsabgabe und Stabilitätszuschlag hat sich das FG darauf beschränkt, in den Entscheidungsgründen darauf hinzuweisen, daß sie entsprechend der Lohnsteuer zu ändern sind. Da der Umfang ihrer Änderung (Herabsetzung) nicht ohne weiteres ersichtlich ist, hätte das FG die neuen Haftungsbeträge auch insoweit im Tenor seiner Entscheidung festsetzen müssen (§ 100 Abs. 2 Satz 1 FGO). Da somit die Streitsache hinsichtlich der Höhe der Haftungsbeträge für Lohnsteuer, Ergänzungsabgabe, Stabilitätszuschlag und Umsatzsteuer aus den vorstehenden Gründen nicht spruchreif ist, war auf die Revision des Klägers das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Die Ausführungen des FG zur Höhe des Haftungsbetrags für Lohnsteuer sind widersprüchlich. Das FG legt seiner Neuberechnung die zahlenmäßigen Feststellungen im Steuerfahndungsbericht zugrunde. Es beruft sich aber für die Höhe der Lohnsteuerhaftungsbeträge auf die Ausführungen im Strafurteil des Landgerichts. Dieses gelangt für denselben Haftungszeitraum wie das FG zu einem Lohnsteuerhinterziehungsbetrag von insgesamt 192 000 DM, während das FG in der angefochtenen Entscheidung die Haftung für Lohnsteuer auf insgesamt 228 000 DM festgesetzt hat. Die unterschiedlichen Ergebnisse sind im wesentlichen darauf zurückzuführen, daß das Landgericht die auf die Löhne für Überstunden und Schwarzarbeit entfallende Lohnsteuer mit 12 v. H. geschätzt hat, während der Steuerfahndungsbericht die Lohnsteuer für Zahlungen an Schwarzarbeiter mit 20 v. H. ansetzt. Das FG hätte aber zur Höhe der Lohnsteuerschuld eigene Feststellungen treffen bzw. Schätzungen vornehmen müssen, wenn es sich einerseits auf die Ausführungen im Strafurteil beruft, dann aber ohne weitere Begründung seine Berechnung des Haftungsbetrags auf die davon abweichenden Feststellungen und Schätzungen der Steuerfahndung stützt.
Auch hinsichtlich der Umsatzsteuerhaftungsbeträge beruft sich das FG auf die Ausführungen im Strafurteil des Landgerichts, obwohl es - wie das FG dann selbst ausführt - insoweit zu einer Verurteilung des Klägers nicht gekommen ist. Das Strafurteil enthält auch keinerlei zahlenmäßige Feststellungen zur Umsatzsteuer. Auch insoweit hätte es eigener Feststellungen und einer näheren Begründung des FG zum Haftungsbetrag bedurft.
4. Da die Vorentscheidung wegen der mangelnden Überprüfbarkeit der vom FG festgesetzten Haftungsbeträge für das Revisionsgericht an einem materiell-rechtlichen Fehler leidet (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 118 Anm. 13), der zu ihrer Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das FG führt, braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob die vom Kläger geltend gemachten Verfahrensrügen - mangelnde Berücksichtigung von Unterlagen - zulässig und begründet sind. Das FG wird aber bei seiner erneuten Entscheidung den in diesem Zusammenhang vorgebrachten Einwendungen des Klägers gegen seine Haftung nachgehen müssen. Es wird neben den aus den vorstehenden Gründen nachzuholenden Feststellungen zur Höhe der Haftungsschulden auch Feststellungen darüber treffen müssen, ob sämtliche der Haftung des Klägers zugrunde liegenden Steuerrückstände auf das unter der Firma P betriebene Unternehmen entfallen. Denn die Haftung des Klägers beruht, wie oben ausgeführt, allein auf seinem Auftreten als Generalbevollmächtigter der Firma P (§ 108 AO). Soweit, wie der Kläger behauptet und wie sich aus den bei der Staatsanwaltschaft verbliebenen Unterlagen ergeben soll, der Bauunternehmer N auch unter seinem eigenen Namen oder unter anderer Firmenbezeichnung Arbeitnehmer beschäftigt und Umsätze getätigt haben sollte, könnte der Kläger für die insoweit nicht angemeldeten und abgeführten Lohnsteuern und Umsatzsteuern mangels Haftungsgrundlage nicht in Anspruch genommen werden.
Schließlich wird das FG bei der Festsetzung des Lohnsteuerhaftungsbetrags noch zu berücksichtigen haben, daß von der P am 10. Juli und 31. August 1972 ohne Erklärung Lohnsteuern in Höhe von insgesamt 8 536,67 DM an das FA abgeführt worden sind. Diese von der Arbeitgeberin und primär Haftenden vor dem Ergehen der Einspruchsentscheidung gegen den Kläger geleisteten Zahlungen auf die Steuerschuld sind auf die Haftungsschuld des Klägers anzurechnen (vgl. BFH-Urteil vom 17. Oktober 1980 VII R 136/77, BFHE 131, 449, BStBl II 1981, 138). Der Kläger wird für sämtliche dem FA nicht angemeldeten Lohnsteuern, die auf die Zeit seit Unternehmensbeginn bis zum November 1973 entfallen, als Haftungsschuldner in Anspruch genommen. Der Senat kann deshalb der Auffassung der Vorentscheidung nicht folgen, daß nicht erkennbar sei, daß sich die Zahlungen auf die Steuerschulden bezögen, die der Haftung des Klägers zugrunde lägen. Bei im Juli und August 1972 unter der Bezeichnung Lohnsteuer geleisteten Zahlungen der P ist vielmehr eine andere Zuordnung als zu den Steuerschulden, für die der Kläger haften soll, nicht denkbar.
Fundstellen
Haufe-Index 414447 |
BFH/NV 1987, 69 |