Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuer Sonstiges Körperschaftsteuer
Leitsatz (amtlich)
Ist für die Frage, ob auf rechtlich selbständige Körperschaften § 4 Ziff. 16 UStG anzuwenden ist, in jedem Falle zu prüfen, ob die Körperschaft der freien Wohlfahrtspflege dient?
Zum Begriff "freie Wohlfahrtspflege" im Sinne des § 4 Ziff. 16 UStG, § 43 UStDB 1951.
Normenkette
UStG § 4 Ziff. 16; UStDB § 43; GemV § 8; UStG § 4/18
Tatbestand
Der Steuerpflichtige (Stpfl.) ist nach den Feststellungen des Finanzgerichts dem Centralausschuß für die Innere Mission der Deutschen Evangelischen Kirche (künftig mit "Centralausschuß" abgekürzt) als Fachverband für Y angeschlossen. Für die Zwecke der Körperschaftsteuer hat ihn das Finanzamt als ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienend anerkannt. Er hat im Jahre 1951 aus verschiedenen Betrieben, darunter einer Buchhandlung mit Verlag, Einnahmen erzielt, hinsichtlich deren ihn das Finanzamt zur Umsatzsteuer herangezogen hat, während das Finanzgericht durch Zwischenurteil festgestellt hat, daß der Stpfl. zu den durch § 4 Ziff. 16 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) begünstigten Unternehmen gehöre, daß ab 1. Juli 1951 von seinen Leistungen diejenigen umsatzsteuerfrei seien, die unmittelbar dem nach der Satzung begünstigten Personenkreise zugute kämen und bei denen die Entgelte hinter den durchschnittlich für gleichartige Leistungen von Erwerbsunternehmen verlangten Entgelten zurückblieben, und daß darüber hinaus ab 1. April 1951 weitere bestimmte Entgelte umsatzsteuerfrei zu bleiben hätten. Das Finanzgericht hat dabei ausgeführt, daß die Frage, ob die Tätigkeit des Stpfl. oder seine einzelnen Leistungen der freien Wohlfahrtspflege dienten, nach Wortlaut, Sinn und Zweck des § 4 Ziff. 16 UStG überhaupt nicht zu prüfen sei. Die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts greift diese Auffassung als rechtsirrig an, während der Stpfl. die Ansicht vertritt, der Bundesminister der Finanzen habe mit § 43 Abs. 2 Satz 1 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz (UStDB) 1951 entgegen dem klaren Wortlaute des Gesetzes die Steuerbefreiung unzulässigerweise eingeschränkt.
Entscheidungsgründe
Die Prüfung des Falles führt zu den folgenden Ergebnissen:
§ 4 Ziff. 16 UStG 1951 befreit von der Umsatzsteuer unter zwei Voraussetzungen, die dort unter a) und b) angeführt sind, die Leistungen der amtlich anerkannten Verbände der freien Wohlfahrtspflege einschließlich ihrer Untergliederungen, Einrichtungen und Anstalten, die ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen. § 43 Abs. 1 Ziff. 1 UStDB 1951 führt den Centralausschuß als amtlich anerkannten Verband der freien Wohlfahrtspflege an. § 43 Abs. 2 UStDB 1951 erstreckt die Steuerbegünstigung auch auf rechtlich selbständige Körperschaften, Vereinigungen und Vermögensmassen, die einem Wohlfahrtsverband lediglich als Mitglied angeschlossen sind und der freien Wohlfahrtspflege dienen.
Der Stpfl. ist eine rechtlich selbständige Körperschaft. Ob und gegebenenfalls in welcher Weise er dem Centralausschuß angeschlossen ist, kann der Senat nicht nachprüfen, da die ihm übersandten Akten darüber nichts erkennen lassen. Die Vorentscheidung muß aus diesem Grunde aufgehoben werden. Die Ausführungen, daß der Stpfl. dem Centralausschuß als "Fachverband" angeschlossen sei, geben der Möglichkeit einer weit loseren Verbindung Raum, als durch eine Mitgliedschaft begründet wird.
Im übrigen ist zu bemerken, daß eine der Voraussetzungen, die eine rechtlich selbständige Körperschaft, Vereinigung oder Vermögensmasse zu erfüllen hat, die einem Wohlfahrtsverbande lediglich als Mitglied angeschlossen ist, nach § 43 Abs. 2 Satz 1 UStDB darin besteht, daß sie der freien Wohlfahrtspflege dienen muß. Der Begriff "Wohlfahrtspflege" ist in der Dritten Verordnung vom 4. Dezember 1926 zur Durchführung des Gesetzes über die Ablösung öffentlicher Anleihen (Reichsgesetzblatt I S. 494) und in § 31 Abs. 2 UStDB 1926 in wörtlich zwar verschiedener, sachlich aber etwa gleicher Weise definiert worden. Die Gemeinnützigkeits-Verordnung (GemV) vom 24. Dezember 1953 (Bundessteuerblatt 1954 I S. 6) hat den Begriff der Wohlfahrtspflege im § 8 Abs. 2 folgendermaßen gefaßt: "Wohlfahrtspflege ist die planmäßige und zum Wohle der Allgemeinheit und nicht des Erwerbes wegen ausgeübte Sorge für notleidende oder gefährdete Mitmenschen. Die Sorge kann sich auf das gesundheitliche, sittliche, erzieherische oder wirtschaftliche Wohl erstrecken und Vorbeugung oder Abhilfe bezwecken." Der Senat trägt keine Bedenken, diese Begriffsbestimmung auch für § 4 Ziff. 16 UStG zu übernehmen. Die Wohlfahrtspflege ist dann eine freie, wenn sie nicht durch Gesetz dafür berufene Träger, sondern freiwillig ausgeübt wird.
Während § 8 Abs. 1 und 3 GemV vom 24. Dezember 1953 die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes im Sinne des § 7 der Verordnung bei Einrichtungen der Wohlfahrtspflege für gegeben ansieht, die im besonderen Maße bedürftigen oder minderbemittelten Personen dienen, sprechen § 4 Ziff. 16 UStG und § 43 Abs. 2 und 3 UStDB 1951 lediglich von der freien Wohlfahrtspflege. Von der Voraussetzung, daß die freie Wohlfahrtspflege einem minderbemittelten Kreise zugute kommen müsse, ist in diesen Gesetzesvorschriften nicht die Rede. Eine Einschränkung in dem Sinne, daß von freier Wohlfahrtspflege nur dann gesprochen werden könne, wenn sie sich lediglich auf wirtschaftlich bedürftige Personen im Sinne der GemV erstreckte, ist aus den umsatzsteuerlichen Bestimmungen sonach nicht herzuleiten. Man kann also aus § 43 Abs. 2 Satz 1 UStDB nicht folgern, daß nur solche selbständigen Körperschaften, Vereinigungen und Vermögensmassen steuerlich begünstigt sein sollen, die mildtätigen Zwecken dienen. Der Grund für die besondere Hervorhebung des Dienens der freien Wohlfahrtspflege im § 43 Abs. 2 Satz 1 UStDB ist darin zu suchen, daß die rechtlich selbständigen Körperschaften, Vereinigungen und Vermögensmassen, die einem Wohlfahrtsverbande lediglich als Mitglieder angeschlossen sind, von § 43 Abs. 2 Satz 1 UStDB zu den "Untergliederungen, Einrichtungen und Anstalten der Wohlfahrtsverbände" gerechnet werden. Bei diesen ist in § 4 Ziff. 16 UStG 1951 jedoch nicht hervorgehoben, daß sie der freien Wohlfahrtspflege dienen müssen, um in den Genuß der steuerlichen Begünstigung zu kommen. Das ist dort auch nicht erforderlich, weil es sich bei den Untergliederungen, Einrichtungen und Anstalten um rechtlich unselbständige Gebilde der Verbände handelt, oder um zwar rechtlich selbständige Gebilde, die aber keine Mitglieder, sondern Glieder eines der unter § 4 Ziff. 16 UStG fallenden Verbände sind. Sie müssen infolgedessen, wenn schon ihr übergeordneter Verband der freien Wohlfahrtspflege dient, als dessen Glieder selbstverständlich ebenfalls der freien Wohlfahrtspflege dienen. Selbstverständlich ist das aber bei den rechtlich selbständigen Körperschaften, Vereinigungen und Vermögensmassen, die Mitglieder eines der unter § 4 Ziff. 16 UStG fallenden Verbände sind, nicht. Sie werden zwar von § 43 Abs. 2 UStDB zu den Untergliederungen, Einrichtungen und Anstalten der Wohlfahrtsverbände gerechnet, jedoch könnte bei ihnen zweifelhaft sein, ob sie, um der steuerlichen Begünstigung teilhaftig werden zu können, ebenfalls der freien Wohlfahrtspflege dienen müssen. Um insoweit jeden Zweifel auszuschließen, sind die Worte "und der freien Wohlfahrtspflege dienen" in § 43 Abs. 2 Satz 1 UStDB aufgenommen worden. Damit ist klargestellt, daß diese rechtlich selbständigen Körperschaften keine weitergehende umsatzsteuerliche Begünstigung genießen sollen als die in § 4 Ziff. 16 UStG genannten Verbände mit ihren Untergliederungen, Einrichtungen und Anstalten.
Sollte der Stpfl. dem Centralausschuß als Mitglied angehören, so müßten seine Leistungen, für die er Einnahmen erzielt und Umsatzsteuerfreiheit nach § 4 Ziff. 16 UStG begehrt, gefährdeten oder notleidenden Menschen zugute kommen. Eine Prüfung, ob dies tatsächlich zutrifft, ist solchenfalls erforderlich, damit darüber entschieden werden kann, ob § 4 Ziff. 16 UStG anzuwenden ist. Sollte die Eigenschaft des Stpfl. als "Fachverband" eine weit losere Verknüpfung als eine Mitgliedschaft zu dem Centralausschuß mit sich bringen, so käme § 4 Ziff. 16 UStG für den vorliegenden Fall nicht in Betracht. Sollte der Stpfl. als zwar rechtlich selbständiges Gebilde dennoch in den Organismus des Centralausschusses derart eingegliedert sein, daß er den rechtlich unselbständigen Untergliederungen, Einrichtungen und Anstalten gleichstände, dann würde er der Steuerbefreiung nach § 4 Ziff. 16 UStG teilhaftig werden, weil der Centralausschuß ihrer teilhaftig wird.
Die Vorentscheidung wird nach alledem aufgehoben. Der Fall wird zur Prüfung und Feststellung darüber, welche Eigenschaft der Stpfl. im Rahmen des Centralausschusses hat, an das Finanzgericht zurückverwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 408509 |
BStBl III 1956, 258 |
BFHE 1957, 161 |
BFHE 63, 161 |