Leitsatz (amtlich)
1. Die Verlustübernahme aufgrund eines Ergebnisübernahmevertrages unterliegt auch dann nach § 2 Nr. 2 KVStG 1959 der Steuer, wenn der Leistende im Zeitpunkt der Verlustübernahme seinen Gesellschaftsanteil bereits auf einen Dritten übertragen hat.
2. Der Wert eines Unternehmens, nach welchem sich die Überschuldung oder der Verlust am Grund- bzw. Stammkapital nach § 9 Abs. 2 KVStG 1959 bemißt, muß nicht mit dem sogenannten Substanz- oder Vermögenswert übereinstimmen.
Normenkette
KVStG 1959 § 2 Nr. 2, § 9 Abs. 2; BewG 1965 § 9
Tatbestand
1. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) hatte bis zum 31. Juli 1968 die Rechtsform einer AG. Zwischen ihr und ihrer alleinigen Aktionärin, der X-AG, bestand ein Ergebnisübernahmevertrag (EÜV). In dem Rumpfgeschäftsjahr vom 1. Oktober 1966 bis zum 31. Juli 1967 hatte die Klägerin einen Verlust von ...... DM.
Durch Vertrag vom 8. August 1967 verkaufte und übertrug die X-AG mit Wirkung vom folgenden Tage ihre oben genannten Aktien im Nennwert von 35 Mio DM für 17 Mio DM an die Y-GmbH. Der EÜV wurde mit Wirkung zum 31. Juli 1967 aufgehoben. Nach § 3 des Kaufvertrages übernahm die X-AG den vorgenannten Verlust der Klägerin. Diese Verlustübernahme geschah in der Weise, daß die X-AG einen Teilbetrag von ...... DM mit einer Darlehnsforderung gegen die Klägerin verrechnete und der Restbetrag von ...... DM in ein laufendes Konto zwischen diesen beiden Gesellschaften eingesetzt wurde. Nach den Feststellungen des FG wurde die Verlustübernahme bei der X-AG am 8. April 1968 "eingebucht".
2. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) setzte nach § 2 Nr. 2 und § 9 Abs. 1 KVStG 1959 Gesellschaftsteuer fest, soweit die X-AG einen Verlust in Höhe von ...... DM übernommen hatte. Diese angeforderte Steuer beträgt ...... DM. Soweit der Verlust mit dem Darlehen in Höhe von ...... DM verrechnet worden war, erhob das FA keine Steuer; es hatte schon vorher dieses Darlehen nach § 3 KVStG besteuert. Einspruch und Klage gegen den Bescheid, mit welchem die Steuer in Höhe von ...... DM festgesetzt wurde, hatten keinen Erfolg.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil war aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
1. Der geltend gemachte Steueranspruch ist dem Grunde nach gerechtfertigt. Die Übernahme des Verlustes der Klägerin durch die X-AG unterliegt nach § 2 Nr. 2 KVStG 1959 der Gesellschaftsteuer. Maßgebend ist hier die Fassung des Gesetzes vor dem 20. August 1969. An diesem Tage ist das Gesetz zur Änderung des Körperschaftsteuergesetzes und anderer Gesetze vom 15. August 1969 (BGBl I 1969, 1182, BStBl I 1969, 471) in Kraft getreten.
a) Die X-AG hat den Verlust aufgrund des EÜV und damit aufgrund einer im Gesellschaftsverhältnis begründeten Verpflichtung übernommen. Die Verpflichtung brauchte nicht aus dem Gesellschaftsvertrag selbst entstanden zu sein. Auch der EÜV, in welchem sie ihren Ursprung hatte, war Teil des Gesellschaftsverhältnisses. Er war Ausfluß der tatsächlichen Herrschaftsmacht, welche die X-AG als Alleingesellschafterin der Klägerin ausübte (vgl. dazu das Urteil des BFH vom 8. November 1967 II 176/61, BFHE 91, 172, BStBl II 1968, 213).
Die Klägerin macht geltend, die X-AG habe den Verlust nicht aufgrund des EÜV übernommen; maßgebend sei vielmehr die in § 3 des Kaufvertrages enthaltene Verpflichtung zu dieser Verlustübernahme gewesen. Als die Y-GmbH mit Wirkung vom 9. August 1967 sämtliche Aktien übernahm, sei die Grundlage für den EÜV entfallen. Dieser Vertrag sei deshalb zum gleichen Zeitpunkt, am 9. August 1967, aufgehoben worden.
Mit diesem Einwand hat die Klägerin keinen Erfolg. Sie behauptet nicht, daß der EÜV rückwirkend aufgehoben worden sei. Vor allem läßt aber der vom FG festgestellte Sachverhalt keine derartige rückwirkende Vereinbarung erkennen. Diese Feststellungen sind für das Revisionsgericht bindend. Eine Verfahrensrüge hat die Klägerin nicht erhoben (§ 118 Abs. 2 FGO). Nach diesem Sachverhalt blieb die X-AG verpflichtet, einen bis zum 31. Juli 1967 entstandenen Verlust zu übernehmen. Selbst wenn die Partner des Kaufvertrages vom 8. August 1967 eine zusätzliche Verpflichtung zur Verlustübernahme geschaffen hätten, würde dies nichts daran ändern, daß der Verlust auch aufgrund des EÜV übernommen werden mußte. Die Frage, ob überhaupt eine solche rückwirkend vereinbarte Aufhebung zivilrechtlich und steuerrechtlich wirksam gewesen wäre, wird durch diese Ausführungen nicht berührt.
b) Die Vorschrift des § 2 Nr. 2 KVStG verlangt weiter, daß die Leistung von einem Gesellschafter bewirkt wird. Auch diese Voraussetzung ist erfüllt.
aa) Nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt ist zwar der Verlust erst am 8. April 1968 abgedeckt worden. Schon vorher, nämlich am 9. August 1967, hatte die X-AG ihre Aktien an der Klägerin auf die Y-GmbH übertragen. Das hat aber keinen Einfluß auf die Steuerpflicht. Die X-AG hat den Verlust mit Rücksicht darauf übernommen, daß sie bis zu dem genannten Tage Gesellschafterin der Klägerin gewesen war. Sie mußte den Verlust in ihrer Eigenschaft als ehemalige Gesellschafterin übernehmen. Die Vorschrift des § 2 Nr. 2 KVStG soll bestimmte Vermögensvorteile erfassen, welche der Leistende mit Rücksicht auf seine Beteiligung an der Gesellschaft dieser gewährt. Darauf hat der Senat schon in dem Urteil vom 14. Januar 1969 II 221/65 und später ebenso zur Besteuerung nach § 3 KVStG in dem Urteil vom 3. Dezember 1969 II 162/65 hingewiesen (BFHE 95, 117, 119, 120, BStBl II 1969, 321, 322 und BFHE 98, 59, 62, 64, 65, BStBl II 1970, 279, 281, 282). Diesem Sinn und Zweck entspricht auch die Besteuerung einer Leistung, die ihren Beweggrund in einer bereits aufgegebenen Beteiligung an der Gesellschaft hat. Auch die Vorschrift des § 6 Abs. 2 KVStG hat keinen anderen Inhalt. Sie schließt lediglich aus, daß auch die Leistungen solcher Personen in den Bereich der Steuer einbezogen werden, die nur eine gesellschafterähnliche Stellung haben oder hatten. Die Möglichkeit, kraft Gesetzes oder infolge vertraglicher Beziehungen mehr oder minder stark den gleichen Einfluß wie ein Gesellschafter ausüben zu können, reicht nicht aus (vgl. z. B. die BFH-Urteile vom 14. November 1962 II 265/59 U, BFHE 76, 172, BStBl III 1963, 62 und vom 11. April 1967 II 118/64, BFHE 89, 74, BStBl III 1967, 539).
bb) Diese vorgenannte Auslegung des Gesellschafterbegriffs wird auch durch den Wortlaut des Gesetzes gedeckt. Die Vorschrift des § 2 Nr. 2 KVStG spricht von Leistungen, die von den Gesellschaftern aufgrund einer im Gesellschaftsverhältnis begründeten Verpflichtung bewirkt werden. Nach § 6 Abs. 2 KVStG gelten als Gesellschafter diejenigen Personen, denen die in Abs. 1 genannten Gesellschaftsrechte zustehen. Beide Vorschriften müssen im Zusammenhang gesehen werden. Dabei darf außerdem nicht unberücksichtigt bleiben, daß § 6 Abs. 2 nur eine Ergänzung des § 6 Abs. 1 KVStG ist, welcher für den Bereich der Gesellschaftsteuer den Kreis der Gesellschaftsrechte an Kapitalgesellschaften über den zivil- und handelsrechtlichen Rahmen hinaus erweitert. Die Auslegung des Wortlauts eines Gesetzes darf nicht an dem isoliert betrachteten wort haften. Soll der im Gesetz zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers festgestellt werden, so ist zu berücksichtigen, in welchem Zusammenhang die betreffenden Worte im Gesetz gebraucht werden (vgl. das BFH-Urteil vom 21. Oktober 1969 II 210/65, BFHE 97, 147, BStBl II 1969, 736 mit weiteren Nachweisen). Aus diesem Blickwinkel betrachtet muß man den Wortlaut der genannten Vorschriften dahin verstehen, daß der Ausdruck "Gesellschafter" hier Keine zeitliche Begrenzung bedeutet, wonach die Gesellschaftereigenschaft im vorbezeichneten Sinn mit dem Verlust der Gesellschaftsanteile endet. Das Wort "Gesellschafter" wird hier im Zusammenhang mit der im Gesellschaftsverhältnis begründeten Verpflichtung verwendet. Derartige Verpflichtungen können über den Zeitpunkt, in welchem der Inhaber von Gesellschaftsanteilen diese veräußert, hinausreichen. Den Sinnzusammenhang zwischen beiden Begriffen würde man durchbrechen, wenn man für jeden von ihnen eine andere zeitliche Grenze annehmen wollte. Als "Gesellschafter" im Sinne des § 2 Nr. 2 KVStG handelt daher auch derjenige, welcher nach Veräußerung seiner Gesellschaftsanteile noch aus diesem Gesellschaftsverhältnis herrührende Verpflichtungen hat und diese erfüllt. Auch der Wortlaut des § 6 Abs. 2 KVStG fügt sich in diesen Sinnzusammenhang ein. Ist diese Vorschrift nur ein Teil der Gesamtregelung des § 6 KVStG, so schließt sie lediglich aus, daß - wie oben unter aa) ausgeführt - auch wirtschaftlich statt rechtlich beteiligte Personen als Gesellschafter gelten.
c) Die Klägerin meint, der vorliegende Sachverhalt sei gesellschaftsteuerrechtlich ebenso zu behandeln wie der Erwerb eines nach § 21 GmbHG eingezogenen GmbH-Anteiles. Dieser Erwerb sei nicht nach § 2 Nr. 2 KVStG steuerpflichtig, weil der Käufer des Anteiles seine Verpflichtung aus dem Kaufvertrag und nicht aus dem Gesellschaftsverhältnis erfülle. Ob diese Auslegung der §§ 21, 23 GmbHG zutrifft, kann dahingestellt bleiben. Sie hat für den vorliegenden Fall keine Bedeutung. Hier hat die X-AG eine in ihrer Person entstandene Verpflichtung aus dem EÜV und damit aus dem Gesellschaftsverhältnis erfüllt.
2. Hilfsweise beantragte die Klägerin, die Steuer nach dem ermäßigten Steuersatz des § 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG zu berechnen. Insoweit reicht jedoch der vom FG festgestellte Sachverhalt für eine Entscheidung über die Revision nicht aus.
In dem angefochtenen Urteil heißt es, der Betrieb der Klägerin habe zum 30. September 1967 nach dem Gutachten der ...... Wirtschaftsprüfungs-GmbH einen Vermögenswert von 142 Mio DM gehabt. Wegen der ungünstigen Ertragslage des Unternehmens sei aber ein Kaufpreis von 17 Mio DM für die Aktien vereinbart worden. Daraus läßt sich nicht ersehen, ob das Unternehmen der Klägerin vor der Verlustübernahme Teile seines Grundkapitals verloren hatte (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 KVStG). Maßgebend sind hierbei die wirklichen Vermögenswerte. Sie werden durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit der Güter bei einer Veräußerung zu erzielen wäre (§ 9 Abs. 1 und 2 BewG 1965). Dieser Preis muß nicht mit einem "Vermögens-" oder "Substanzwert" übereinstimmen, wie er in dem angefochtenen Urteil ohne nähere Beschreibung bezeichnet wird. Der Hinweis des FG, daß der Vermögenswert des Unternehmens der Klägerin nach dem genannten Gutachten 142 Mio DM betragen habe, genügt daher nicht. Er ersetzt nicht die notwendigen tatsächlichen Feststellungen, welche belegen, daß ein solcher Preis bei einer Veräußerung im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zu erzielen gewesen wäre. Das Gutachten, auf welches sich das FG bezieht, enthält solche tatsächlichen Feststellungen nicht. Es läßt allenfalls in groben Umrissen die Tatsachen erkennen, welche für die Berechnung des sogenannten Substanzwertes - nicht aber des Preises nach § 9 BewG 1965 - maßgebend waren.
Ebensowenig läßt sich umgekehrt dem angefochtenen Urteil entnehmen, daß der vereinbarte Kaufpreis von 17 Mio DM den tatsächlichen Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 und 2 BewG 1965 entsprach. Dieser Preis kann durch ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse beeinflußt worden sein, die hier nicht berücksichtigt werden dürfen (§ 9 Abs. 2 Satz 3 BewG 1965).
Die Sache muß daher an das FG zurückverwiesen werden. Dieses wird feststellen müssen, welcher Preis für das Unternehmen der Klägerin nach der Beschaffenheit des Betriebes bei einer Veräußerung im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zu erzielen gewesen wäre (§ 9 Abs. 1 und 2 BewG 1965). Dabei können grundsätzlich auch die Ertragsaussichten nicht außer acht gelassen werden, denn sie würden die Preisvorstellungen eines Käufers beeinflussen (Urteil des BFH vom 16. Juni 1970 II 95-96/64, BFHE 99, 413, BStBl II 1970, 690).
Fundstellen
Haufe-Index 70613 |
BStBl II 1973, 855 |