Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung der Verhältnisse i.S. des § 15a UStG: Änderung der rechtlichen oder tatsächlichen Umstände, keine verfassungsrechtlichen Bedenken und keine Vorlagepflicht zum EuGH wegen der BFH-Rechtsprechung - Fortsetzung eines Zwischenmietverhältnis nur zur Vermeidung einer Vorsteuerberichtigung rechtsmißbräuchlich - erstmalige Verwendung eines Wirtschaftsguts als rückwirkendes Ereignis für den in einem Vorjahr vorgenommenen Vorsteuerabzug
Leitsatz (amtlich)
Eine Änderung der für eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a Abs.1 UStG 1980/1991 "maßgebenden Verhältnisse" tritt auch dadurch ein, daß bei tatsächlich gleichbleibenden Verwendungsumsätzen die rechtliche Beurteilung der Verwendung im Erstjahr, die der Gewährung des Vorsteuerabzugs im Abzugsjahr zugrunde lag, sich in einem der Folgejahre als unzutreffend erweist, sofern die Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr bestandskräftig und unabänderbar ist. Der Senat führt die Rechtsprechung in den Urteilen vom 16. Dezember 1993 V R 65/92 (BFHE 1973, 270, BStBl II 1994, 485) und vom 19. Februar 1997 XI R 51/93 (BStBl II 1997, 370) fort.
Orientierungssatz
1. Die Vermeidung einer Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG ist kein Grund, der es rechtfertigen könnte, die Fortsetzung einer gewerblichen Zwischenvermietung nicht als rechtsmißbräuchlich zu beurteilen.
2. Die Verhältnisse ändern sich i.S. des § 15a Abs.1 UStG, wenn die Umsätze in den Folgejahren aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen anders als im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung zu qualifizieren sind. Gegen diese Auslegung der Norm bestehen weder verfassungsrechtliche Bedenken noch eine Verpflichtung zur Vorlage an den EuGH zur Einholung einer Vorabentscheidung nach Art. 177 EWG-Vertrag (Hinweise auf die EuGH-Rechtsprechung zu Art.20 Abs.1 der Richtlinie 77/388/EWG, der den Mitgliedstaaten für die Umsetzung in nationales Recht einen Ermessensspielraum läßt).
3. Werden Vorsteuerbeträge für ein Wirtschaftsgut abgezogen, das erst in einem späteren Kalenderjahr erstmalig verwendet wird und sind die Verhältnisse für den Vorsteuerabzug im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung anders zu beurteilen als im "Abzugsjahr", so kann der Umsatzsteuerbescheid für das Abzugsjahr nach § 175 Abs.1 Satz 1 Nr.2 AO 1977 geändert werden.
4. Parallelentscheidung: BFH, 12.6.1997, V R 15/94, NV.
5. Parallelentscheidung: BFH, 10.7.1997, V R 100/93, NV.
6. Parallelentscheidung: BFH, 19.6.1997, V R 57/92, NV.
7. Parallelentscheidung: BFH, 12.6.1997, V R 49/92. NV.
Normenkette
AO 1977 § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 42; EWGRL 388/77 Art. 20 Abs. 1; EWGVtr Art. 177; UStG 1980 § 15 Abs. 2, § 15a Abs. 1, § 4 Nr. 12 Buchst. a; UStG 1991 § 15 Abs. 2, § 15a Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) vermietete eine von ihr im Rahmen einer Bauherrengemeinschaft hergestellte Eigentumswohnung in M ab Oktober 1983 an einen gewerblichen Zwischenvermieter, die Grundstücksgesellschaft G (G-Gesellschaft). Die 18 qm große Wohnung der Klägerin ist eine von 560 Wohnungen in einer Wohnanlage mit sog. Studentenwohnungen. Die G-Gesellschaft ist bei 530 Wohnungen als Zwischenmieter aufgetreten. Das Mietverhältnis der Klägerin mit der G-Gesellschaft war auf fünf Jahre vereinbart, und die G-Gesellschaft war zur Zahlung von 243 DM Monatsmiete, erstmals vier Monate nach Mietvertragsbeginn, verpflichtet. Die G-Gesellschaft vermietete die Wohnung an einen Wohnungsmieter.
Die Klägerin verzichtete auf die Steuerbefreiung der Vermietungsumsätze an die G-Gesellschaft und zog die ihr für die Herstellung der Wohnung berechneten Umsatzsteuern in den Steuerfestsetzungen für 1981 bis 1983 als Vorsteuer in Höhe von insgesamt 8 129,65 DM ab. Nach einer Kündigung setzte die Klägerin das Zwischenmietverhältnis ab 1. September 1988 mit der G-Gesellschaft gegen eine verringerte Miete fort. Nunmehr beurteilte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) die Zwischenvermietung als vorsteuerabzugsschädliche Verwendung. In die Vermietung der Wohnzwecken dienenden Räume sei ein gewerblicher Zwischenvermieter von der Klägerin nur zur Erlangung des Vorsteuerabzugs rechtsmißbräuchlich eingeschaltet worden. Die dafür geltend gemachten Gründe rechtfertigten diese Gestaltung nicht. Die Vermeidung von Mietausfällen werde mangels nachgewiesener erfolgloser Vermietungsbemühungen nicht berücksichtigt und die beabsichtigte Arbeitsersparnis hätte durch Beauftragung eines Hausverwalters erreicht werden können.
Das FA berichtigte in den angefochtenen Steuerfestsetzungen für 1988 bis 1991 die auf diese Besteuerungszeiträume anteilig entfallenden Vorsteuerbeträge. Die dagegen gerichteten Einsprüche der Klägerin wies das FA zurück. Mit der Klage erreichte die Klägerin die Herabsetzung der Steuerfestsetzungen für die Streitjahre. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung u.a. aus, die Klägerin habe die Wohnung seit 1983 steuerfrei vermietet (§ 4 Nr. 12 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes --UStG-- 1980/1991), weil die Zwischenvermietung an die G-Gesellschaft nur zur Umgehung des Vorsteuerausschlusses bei steuerfreier Wohnungsvermietung (§ 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG 1980/1991) vereinbart worden sei. Nach dem Gesetzesplan anerkennenswerte wirtschaftliche Gründe seien seinerzeit nicht vorhanden gewesen. Ob sie bei Abschluß des zweiten Zwischenmietverhältnisses vorhanden seien, brauche nicht geprüft zu werden, weil die Voraussetzungen für eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a Abs. 1 UStG 1980/1991 nicht erfüllt seien. Maßgebend für die danach geforderte Änderung der Verhältnisse seien Verwendungsumsätze, die von den Umsätzen, mit denen das Wirtschaftsgut erstmals verwendet werde, bei jeweils zutreffender Beurteilung dieser Umsätze abwichen. Bei gleichbleibender Verwendung reiche eine von einer Fehlbeurteilung abweichende geänderte Beurteilung dieser Umsätze nicht aus.
Das FG verminderte die Steuerfestsetzungen um die Vorsteuerberichtigungsbeträge. Wegen des entgegenstehenden Klageantrags (§ 96 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) berücksichtigte das FG auch Steuerbeträge für die von der Klägerin als steuerpflichtig angemeldeten Mietumsätze.
Mit der Revision rügt das FA fehlerhafte Anwendung von § 15a UStG 1980/1991. Das FG habe, so führte das FA zur Begründung der Revision u.a. aus, die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG 1980/1991 bei fehlerhafter, aber unabänderbarer Beurteilung des Vorsteuerabzugs im Abzugsjahr (Urteil vom 16. Dezember 1993 V R 65/92, BFHE 173, 270, BStBl II 1994, 485) nicht beachtet. Wortsinn und Zweck des § 15a UStG 1980/1991 erfaßten sowohl die Änderung der tatsächlichen als auch der rechtlichen Verhältnisse, um den materiell nicht gerechtfertigten Vorsteuerabzug für Zeiträume mit abzugsschädlicher Verwendung zu korrigieren.
Das FA beantragt die Aufhebung der Vorentscheidung und die Abweisung der Klage.
Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Die Vorentscheidung entspricht nicht der Auslegung des § 15a UStG 1980/1991 durch den BFH.
1. Die Klägerin hat --wie das FG zutreffend entschieden hat-- ihre Wohnung ab 1983 steuerfrei und damit vorsteuerabzugsschädlich vermietet (§ 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980/1991), weil die Zwischenvermietung als rechtsmißbräuchliche Gestaltung (§ 42 der Abgabenordnung --AO 1977--) nicht berücksichtigt werden kann. Dies ist jedoch in den Abzugsjahren (1981 bis 1983) und im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung (1983) von dem FA nicht erkannt worden, so daß der Klägerin die Vorsteuerbeträge rechtsfehlerhaft gewährt wurden. Daß die Klägerin ihre Wohnung auch in den Streitjahren (1988 bis 1991) steuerfrei und damit vorsteuerabzugsschädlich vermietet hatte, liegt nahe, muß aber noch von dem FG festgestellt werden. Das FG durfte diese Feststellungen nicht deswegen unterlassen, weil eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a Abs. 1 UStG 1980/1991 ausscheide.
2. Nach § 15a Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStG 1980/1991 ist eine Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts entfallenden Vorsteuerbeträge vorzunehmen, wenn sich bei diesem Wirtschaftsgut die Verhältnisse, die im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung (sog. Erstjahr) für den Vorsteuerabzug maßgebend waren, innerhalb des Berichtigungszeitraum --von fünf Jahren bzw. bei Grundstücken von zehn Jahren (Erstjahr und sog. Folgejahre)-- ändern. Mit den im Erstjahr für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnissen sind die Umstände gemeint, unter denen der Unternehmer mit dem bezeichneten Wirtschaftsgut die Umsätze ausgeführt hat. Aufgrund dieser Umsätze ist gemäß § 15 Abs. 2 und 3 UStG 1980/1991 zu entscheiden, ob der Vorsteuerabzug bei der Anschaffung oder der Herstellung des Wirtschaftsguts im Abzugsjahr ganz oder teilweise ausgeschlossen ist (vgl. BFH-Urteil vom 14. Mai 1992 V R 79/87, BFHE 168, 462, BStBl II 1992, 983).
3. Die Verhältnisse ändern sich i.S. von § 15a Abs. 1 UStG 1980/1991, wenn der Unternehmer mit dem Wirtschaftsgut in den sog. Folgejahren --innerhalb des Berichtigungszeitraums-- Umsätze ausführt, die für den Vorsteuerabzug anders zu beurteilen sind, als die Umsätze im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung. Die Umsätze in den Folgejahren müssen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen für den Vorsteuerabzug anders als im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung zu qualifizieren sein.
a) Der Senat hat mit den Urteilen in BFHE 173, 270, BStBl II 1994, 485, vom 16. Dezember 1993 V R 56/91 (BFH/NV 1995, 444) und V R 24/93 (BFH/NV 1995, 448), vom 27. Januar 1994 V R 31/91 (BFHE 173, 463, BStBl II 1994, 488) sowie vom 17. Februar 1994 V R 44/92 (BFH/NV 1995, 352) entschieden, die Änderung der "maßgebenden Verhältnisse" könne auch dadurch eintreten, daß bei tatsächlich gleichbleibenden Verwendungsumsätzen die rechtliche Beurteilung, die der Gewährung des Vorsteuerabzugs im Abzugsjahr zugrunde lag, sich in einem der Folgejahre als unzutreffend erweist. Voraussetzung ist aber, daß die Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr bestandskräftig und unabänderbar ist. Der Senat hat der rechtlichen Beurteilung für die Vorsteuerberichtigung nach § 15a Abs. 1 UStG 1980/1991 insoweit dieselbe Wirkung wie bei einer Gesetzesänderung zuerkannt (vgl. dazu BFH in BFHE 168, 462, BStBl II 1992, 983; vgl. Wagner in Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, § 15a Rz. 48). Dieser Rechtsprechung des Senats hat sich der XI. Senat in dem Urteil vom 19. Februar 1997 XI R 51/93 (BStBl II 1997, 370) angeschlossen. Darauf nimmt der erkennende Senat Bezug.
b) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die dargelegte Auslegung des § 15a UStG 1980/1991 bestehen nicht. Die Verfassungsbeschwerde gegen das Senatsurteil in BFH/NV 1995, 444 ist vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen worden (Beschluß vom 9. August 1994 1 BvR 592/94).
c) Entscheidungserhebliche Zweifelsfragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts, die dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zur Vorabentscheidung gemäß Art. 177 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vorgelegt werden müßten, stellen sich im Streitfall nicht, weil Art. 20 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) die Berichtigung des Vorsteuerabzugs "nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten Einzelheiten" vorsieht, diesen somit einen Freiraum bei der Umsetzung der Richtliniengrundsätze (Art. 20 Abs. 1 vor Buchst. a Richtlinie 77/388/EWG) vorbehält. Damit handelt es sich nicht um eine Richtlinienbestimmung, der Anwendungsvorrang zukommen könnte; denn sie ist nicht inhaltlich unbedingt und hinreichend genau und läßt dem Mitgliedstaat für die Umsetzung in nationales Recht einen Ermessensspielraum (vgl. ständige Rechtsprechung des EuGH, z.B. Urteile vom 17. September 1996 Rs. C-246-249/94 - Cooperativa Agricola Zootecnica, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 1997, 126; vom 26. Februar 1986 Rs. 152/84 - Marshall, Slg. 1986, 723, Neue Juristische Wochenschrift 1986, 2178).
4. Der Senat kann im Streitfall nicht abschließend entscheiden. Das FG hat aufgrund seines Rechtsstandpunkts keine Feststellungen zur Änderbarkeit der Steuerfestsetzungen in den Abzugsjahren und zur Steuerfreiheit der Vermietungsumsätze in den Streitjahren getroffen. Der Senat verweist die Sache deshalb an das FG zurück.
Unabänderbarkeit ist gegeben, wenn bei der Steuerfestsetzung für das Folgejahr, in der der Steuerberichtigungsbetrag nach § 15a UStG 1980/1991 berücksichtigt worden ist, keine Gründe (z.B. nach §§ 172 ff. AO 1977) für eine Änderung der bestandskräftigen Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr vorliegen. Wenn die erstmalige tatsächliche Verwendung (Vermietung der Objekte) nicht im Abzugsjahr, sondern in dem späteren Erstjahr erfolgt, ist für die Änderbarkeit der Steuerfestsetzung des Abzugsjahres § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 26. Februar 1987 V R 1/79, BFHE 149, 307, BStBl II 1987, 521, unter II. 2.) handelt es sich bei der erstmaligen tatsächlichen Verwendung um ein auf das Abzugsjahr zurückwirkendes Ereignis. In diesem Fall beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem das Ereignis eintritt (§ 175 Abs. 1 Satz 2 AO 1977).
Eine Rechtfertigung für die weitere Zwischenvermietung ab 1988 als steuerpflichtige Vermietung ist bisher nicht ersichtlich. Vorsorglich bemerkt der Senat, daß die Vermeidung einer Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG 1980/1991 dafür nicht ausreicht.
Fundstellen
Haufe-Index 66228 |
BFH/NV 1997, 441 |
BStBl II 1997, 589 |
BFHE 182, 462 |
BFHE 1997, 462 |
BB 1997, 2201-2202 (Leitsatz) |
DB 1997, 1549-1550 (Leitsatz und Gründe) |
DStR 1997, 1203-1204 (Leitsatz und Gründe) |
DStRE 1997, 648 (Leitsatz) |
HFR 1997, 848-849 (Leitsatz und Gründe) |
StE 1997, 476-477 (Leitsatz) |