Entscheidungsstichwort (Thema)
Statthaftigkeit einer Revision
Leitsatz (NV)
1. Eine im Zeitpunkt der Einlegung zunächst nicht statthafte Revision wird durch den Zulassungsbeschluß des BFH nachträglich (rückwirkend) statthaft.
2. Zur Frage, wann das FG einen Beweisantrag zu Unrecht übergangen hat.
Normenkette
FGO § 120 Abs. 1, § 115
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist seit 1978 geschieden. Seine beiden Adoptivkinder leben im Haushalt der früheren Ehefrau. Mit dieser hatte der Kläger im Scheidungsverfahren vor dem Amtsgericht im Jahr 1978 einen Vergleich geschlossen und sich zu Unterhaltszahlungen an sie und seine beiden Adoptivkinder verpflichtet.
Da der Kläger trotz Aufforderung keine Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1983 abgegeben hatte, schätzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Besteuerungsgrundlagen. Der Einspruch gegen den Steuerbescheid blieb ohne Erfolg.
Im anschließenden Klageverfahren legte der Kläger seine Einkommensteuererklärung 1983 vor. Darin machte er u. a. Unterhaltsaufwendungen für seine frühere Ehefrau und seine beiden Kinder gemäß § 33a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sowie einen sog. Besucherfreibetrag gemäß § 33a Abs. 1 a EStG als außergewöhnliche Belastung geltend. Er fügte jedoch keine Nachweise über den im Streitjahr gezahlten Unterhalt bei. In der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) überreichte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers mehrere Unterlagen: Eine Abschrift des im Jahr 1978 abgeschlossenen Vergleichs, wonach der Kläger verpflichtet war, seiner früheren Ehefrau monatlich 500 DM, seiner Tochter S. monatlich 270 DM und seiner Tochter T. monatlich 230 DM Unterhalt zu zahlen, sowie die Abschrift eines Vergleichs aus dem Jahre 1983, der den Kläger verpflichtete, seiner Tochter T. ab 1. Februar 1983 monatlich einen auf 272,50 DM erhöhten Unterhalt zu zahlen. Außerdem überreichte der Bevollmächtigte des Klägers die Abschrift einer Erklärung des Klägers gegenüber der Stadt H. aus dem Jahre 1984. Danach hatte dieser sich verpflichtet, seiner Tochter T. ab 1. Januar 1985 monatlich 300 DM Unterhalt zu zahlen. In einem ebenfalls vorgelegten Schreiben der Stadt H. an den Kläger aus dem Jahre 1986 wird darauf hingewiesen, der Unterhaltsbedarf der Tochter T. erhöhe sich mit deren Volljährigkeit. Als Zeugen dafür, daß er im Streitjahr 1983 seine Unterhaltsverpflichtungen erfüllt habe, benannte der Kläger einen Herrn P. vom Jugendamt der Stadt H. Das FG hat der Klage nur hinsichtlich der vom Kläger als Sonderausgaben geltend gemachten Haftpflicht- und Unfallversicherungsbeiträge sowie der Steuerberatungskosten stattgegeben. Dagegen hat es keine Freibeträge gemäß §§ 32 Abs. 8, 33a Abs. 1 und Abs. 1 a EStG gewährt. Ebensowenig hat es eine Spende des Klägers an die Freiwillige Feuerwehr der Stadt B. gemäß § 10b EStG als Sonderausgabe anerkannt. Nach Ansicht des FG hat der Kläger nicht nachgewiesen, daß er im Jahre 1983 seinen Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seiner früheren Ehefrau und seinen beiden Adoptivkindern nachgekommen sei. Dies lasse sich weder den in den Jahren 1978 und 1983 geschlossenen Vergleichen, noch der Verpflichtungserklärung gegenüber der Stadt H. aus dem Jahre 1984, noch aus dem Schreiben der Stadt H. vom Oktober 1986 entnehmen. Soweit der Kläger als Zeugen für die erbrachten Unterhaltsleistungen Herrn P. benannt habe, sei nicht ersichtlich, inwieweit der Zeuge zu den Unterhaltszahlungen des Klägers aussagen könne. Unterhaltsberechtigte und Zahlungsempfänger seien die frühere Ehefrau des Klägers und seine beiden Adoptivkinder, nicht aber das Jugendamt der Stadt H. gewesen. Es wäre Aufgabe des Klägers gewesen, die behaupteten Unterhaltszahlungen für das Streitjahr 1983 durch Vorlage von entsprechenden Zahlungsbelegen nachzuweisen. Ihn treffe insoweit die objektive Beweislast (Feststellungslast).
Mit Schriftsatz vom 5. Mai 1987 legte der Kläger sowohl Revision als auch Nichtzulassungsbeschwerde ein. Er machte geltend, das FG habe seinen Beweisantrag, den Zeugen P. zu vernehmen, zu Unrecht übergangen. Außerdem hätte es aufgrund seiner Ermittlungspflicht die frühere Ehefrau vernehmen müssen. Die Auslegung des Vergleichs des Jahres 1983 verstoße gegen die Denkgesetze. Die Schlechterstellung von Adoptivvätern und die Anwendung der Steuerklasse I sei mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG) nicht vereinbar. Darüber hinaus begehrt der Kläger die Gewährung eines Ausbildungsfreibetrages gemäß § 33a Abs. 2 EStG und die Anerkennung von Kinderbetreuungskosten gemäß § 33a Abs. 3 Nr. 1 EStG 1981.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und der Klage in vollem Umfang stattzugeben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Die Revision ist zulässig.
Sie war zwar ursprünglich nicht statthaft, weil das FG die Klage abgewiesen hat, ohne die Revision zuzulassen (§ 115 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) und ein Fall der zulassungsfreien Revision gemäß § 116 FGO nicht gegeben ist. Die vom Kläger geltend gemachten Verfahrensmängel sind keine solchen i. S. des § 116 Abs. 1 FGO. Mit der Zulassung durch den Beschluß IX B 90/87 vom 1. Dezember 1988 ist die Revision jedoch nachträglich (rückwirkend) statthaft geworden. Dabei ist es unerheblich, daß zum Zeitpunkt der Einlegung die Revisionsfrist noch nicht zu laufen begonnen hatte (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28. März 1979 I R 58-59/78, BFHE 128, 135, BStBl II 1979, 650).
Die Revision war außerdem bedingungs- und vorbehaltlos erhoben.
2. Die Revision ist nicht bereits deshalb begründet, weil das FG keine Aufwendungen für Dienstleistungen zur Beaufsichtigung oder Betreuung eines Kindes gemäß § 33a Abs. 3 Nr. 1 EStG 1981 zum Abzug zugelassen hat. Unbeschadet des Umstandes, daß in dieser Hinsicht neues tatsächliches Vorbringen vorliegt, kann die Revision insoweit deshalb keinen Erfolg haben, weil die Möglichkeit des Abzugs derartiger Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung im Veranlagungszeitraum 1983 nicht mehr bestanden hat (vgl. § 53a EStG sowie Art. 1 Nr. 8 Buchst. b, Nr. 19 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 vom 20. Dezember 1982, BGBl I 1982, 1857, BStBl I 1982, 972).
Das FG hat ferner zu Recht die Spende an die Freiwillige Feuerwehr der Stadt B. in Höhe von 15 DM nicht gemäß § 10b EStG als Sonderausgaben anerkannt, weil diese Einrichtung kein begünstigter Spendenempfänger gemäß § 48 Abs. 3 und 4 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung ist. Der Kläger hat insoweit auch keine Einwendungen mehr erhoben.
3. Das FG hat jedoch zu Unrecht allein mit der Begründung, der Kläger habe nicht nachgewiesen, daß er seinen Unterhaltsverpflichtungen nachgekommen sei, einen erhöhten Sonderausgabenhöchstbetrag gemäß § 10c Abs. 4 EStG, den Kinderfreibetrag gemäß § 32 Abs. 8 Satz 2 EStG und den Unterhaltsfreibetrag gemäß § 33a Abs. 1 a EStG nicht gewährt, sowie die vom Kläger geltend gemachten Unterhaltsaufwendungen nicht gemäß § 33a Abs. 1 EStG zum Abzug zugelassen.
Die vom Kläger erhobene Rüge, das FG habe den Beweisantrag des Klägers übergangen, Herrn P. vom Jugendamt der Stadt H. zu vernehmen, ist begründet. Der Kläger hatte diesen Zeugen dafür benannt, daß er, der Kläger, im Jahre 1983 seine Unterhaltsverpflichtungen erfüllt habe. Das Nichtvernehmen des Zeugen konnte nicht damit begründet werden, es sei nicht ersichtlich, inwieweit er zu den Unterhaltszahlungen des Klägers aussagen könne. So ergibt sich aus dem dem FG vorgelegenen Beschluß des Amtsgerichts H. vom 11. Januar 1984 Az.. . ., daß das Jugendamt der Stadt H. als Beistand gemäß § 51 des Jugendwohlfahrtsgesetzes für die frühere Ehefrau des Klägers in ihrer Eigenschaft als gesetzliche Vertreterin der Tochter T. tätig war. Nach dieser Vorschrift hat das Jugendamt einem Elternteil, dem die Sorge des Kindes allein zusteht, auf Antrag bei der Ausübung der Personensorge, insbesondere beim Geltendmachen von Unterhaltsansprüchen des Kindes, zu beraten und zu unterstützen. Ebenso weisen der gerichtliche Vergleich vom Juni 1983 und die dazu erteilte Vollstreckbarkeitserklärung (Bl. 33f. FG-Akte) auf die Beistandschaft des Jugendamts der Stadt H. hin. Damit war nicht von vornherein ausgeschlossen, daß der Vertreter des Jugendamtes H., Herr P., auch Angaben über die vom Kläger im Jahre 1983 erbrachten Unterhaltszahlungen machen konnte.
Da die Verfahrensrüge begründet ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Das FG wird im zweiten Rechtsgang die erforderlichen Feststellungen nachzuholen und erneut über die vom Kläger geltend gemachten Steuervergünstigungen, insbesondere auch über den im Revisionsverfahren gestellten Antrag auf Gewährung eines Ausbildungsfreibetrages gemäß § 33a Abs. 2 EStG, zu entscheiden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 416532 |
BFH/NV 1990, 510 |