Entscheidungsstichwort (Thema)
Zeitpunkt des Abflusses von Ausgaben bei unbarer Zahlung
Leitsatz (NV)
Eine Ausgabe, die mittels Überweisungsauftrages von einem Bankkonto geleistet wird, ist bei dem Kontoinhaber in dem Zeitpunkt abgeflossen, in dem der Überweisungsauftrag der Bank zugegangen ist und der Steuerpflichtige im übrigen alles in seiner Macht Stehende getan hat, um eine unverzügliche bankübliche Ausführung zu gewährleisten. Hierzu gehört insbesondere, daß der Steuerpflichtige im Zeitpunkt der Erteilung des Überweisungsauftrags für eine genügende Deckung auf seinem Girokonto gesorgt hat.
Normenkette
EStG § 11 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kl. hatte für die Jahre 1968 bis 1970 insgesamt ca. 7 300 DM an freiwilligen Beiträgen an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) nachzuentrichten. Am 31. Dezember 1976 erteilte er seiner Bank über diesen Betrag einen Überweisungsauftrag zugunsten der BfA. Das Girokonto des Klägers wurde am 3. Januar 1977 belastet. Das FA lehnte es im Einkommensteuerbescheid 1976 ab, die Zahlungen an die BfA als Sonderausgaben des Jahres 1976 zu berücksichtigen.
Nach erfolglosem Einspruch gab das FG der Klage statt.
Mit der vom FG zugelassenen Revision beantragt das FA, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, daß die vom Kläger durch Überweisung gezahlten Sonderausgaben grundsätzlich nicht erst im Zeitpunkt der Belastungsbuchung auf seinem Konto vom Gesamtbetrag der Einkünfte abziehbar sind, sondern bereits in dem Zeitpunkt, in dem der Kläger die Leistungshandlung vorgenommen hat. Diese Rechtsansicht entspricht zwar nicht der im BFH-Urteil in StRK, Einkommensteuergesetz, § 11, Rechtsspruch 33 vertretenen Ansicht. Der erkennende Senat teilt jedoch im Grundsatz die Ansicht des FG. Sie entspricht der gegenwärtig allgemein vertretenen Rechtsansicht. Das FG hat aber den Begriff der Leistungshandlung verkannt.
Sonderausgaben sind in dem Kalenderjahr abzuziehen, in dem sie geleistet worden sind (§ 11 Abs. 2 Satz 1 EStG). Dabei ist der Begriff ,,Leistung" in § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG wirtschaftlich zu verstehen (vgl. BFH-Urteil vom 26. September 1979 VI R 82/76, BFHE 128, 539). Sonderausgaben sind deshalb i. S. des § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG in dem Veranlagungszeitraum geleistet und damit abziehbar, in dem der Steuerpflichtige die wirtschaftliche Verfügungsmacht über den Gegenstand der geschuldeten Erfüllungsleistung verloren hat; auf den Verlust der rechtlichen Verfügungsmacht kommt es nicht an. Für den Zeitpunkt der ,,Leistung" i. S. des § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG ist die ,,Leistungshandlung" entscheidend. Sie ist abgeschlossen, wenn der Steuerpflichtige von sich aus alles Erforderliche getan hat, um den Leistungserfolg herbeizuführen. In diesem Sinne hat der BFH in Weiterentwicklung der in dem Urteil vom 1. Dezember 1961 VI 20/61 (StRK, Einkommensteuergesetz, § 11, Rechtsspruch 31) dargelegten Rechtsgrundsätze im Urteil vom 8. November 1968 VI R 81/67 (BFHE 94, 140, BStBl II 1969, 76) bei bargeldloser Zahlung mittels eines Bar- oder Verrechnungsschecks die Leistung i. S. des § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG in dem Zeitpunkt als bewirkt angesehen, in dem der Steuerpflichtige die geschuldete Leistungshandlung vorgenommen und hierdurch alles in seiner Macht Stehende getan hat. Diesen Zeitpunkt sah der BFH in Übereinstimmung mit dem Zivilrecht zur Frage der Rechtzeitigkeit einer Zahlung (s. §§ 269, 270 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB - und § 36 des Gesetzes über den Versicherungsvertrag) bereits in der Hingabe des Schecks, wenn und soweit der Leistungserfolg später tatsächlich eintritt (Urteil vom 29. Oktober 1970 IV R 103/70, BFHE 100, 501, BStBl II 1971, 94).
Der Senat geht in Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen davon aus, daß grundsätzlich unbare Zahlungen, die im Wege der Überweisung bewirkt werden, im Zeitpunkt des Eingangs des Überweisungsauftrags bei der Überweisungsbank abgeflossen und damit i. S. des § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG geleistet sind.
Nach der herrschenden Meinung in der zivilrechtlichen Rechtsprechung genügt es für die Rechtzeitigkeit der Leistung bei Überweisungen im Bankgiroverkehr, daß der Überweisungsauftrag vor Ablauf der Zahlungsfrist bei der Überweisungsbank eingegangen ist, weil der Schuldner damit das seinerseits für die Leistung Erforderliche getan hat, wenn und soweit für die Durchführung des Überweisungsauftrags eine genügende Deckung auf seinem Girokonto vorhanden ist und so die Bank - indem sie ihrer Verpflichtung aus der erteilten Weisung nachkomme - den eingegangenen Auftrag unverzüglich ausführen kann. Dabei kann die Deckung darin bestehen, daß der Schuldner bei der Überweisungsbank ein Guthaben unterhält oder daß ihm ein entsprechender Kreditrahmen zur Verfügung steht. Hinzukommen muß noch, daß der geschuldete Betrag später beim Gläubiger tatsächlich eingeht oder seinem Konto gutgeschrieben wird (vgl. Beschluß des Oberlandesgerichts - OLG - Hamburg vom 23. März 1959 8 W 9/59, Betriebs-Berater - BB - 1959, 507; Urteil des OLG Celle vom 11. Juli 1969 13 U 221/68, Monatsschrift für Deutsches Recht - MDR - 1969, 1007; Urteil des OLG Hamm vom 6. Mai 1983 20 U 364/82, Versicherungsrecht - VersR - 1984, 175; Beschluß des OLG Düsseldorf vom 10. September 1984 17 W 67/84, Wertpapier-Mitteilungen - WM - 1985, 585; ausdrücklich offengelassen im Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 5. Dezember 1963 II ZR 219/62, WM 1964, 113; BGH-Urteil vom 20. November 1970 IV 58/69, BB 1971, 147, am Ende, und Literatur vgl. Palandt/Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 44. Aufl., 1985, § 270 Anm. 2b; Keller in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2. Aufl., 1985, § 270 Anm. 19).
Diese zum bürgerlichen Recht entwickelten Grundsätze zur Rechtzeitigkeit der Leistung bei solchen Geldschulden, die als qualifizierte Schickschulden anzusehen sind, sind bei der Auslegung des § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG entsprechend anzuwenden. Unter Berücksichtigung der bei § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise macht es keinen Unterschied, ob die Bank den dem Überweisungsempfänger auszuzahlenden oder gutzuschreibenden Betrag durch eine Bareinzahlung erhält oder dem Girokonto des Steuerpflichtigen entnimmt. Auch im gleichzubeurteilenden Postgiroverkehr gibt es keine überzeugenden Gründe, die insoweit eine unterschiedliche Behandlung der Zahlung durch Postanweisung oder Zahlkarte und einer Postschecküberweisung rechtfertigen können (vgl. BGH-Urteil in WM 1964, 113). Beide Male hat die Bank bzw. die Post das Geld, das zur Ausführung der Überweisung benötigt wird, in den Händen (vgl. Ernst von Cämmerer, Festschrift für F. A. Mann, München 1977, 3, 13). Mit der Erteilung des Überweisungsauftrags an seine Bank verfügt der Steuerpflichtige - der Bareinzahlung vergleichbar - wirtschaftlich über den zu überweisenden Betrag, sofern der Steuerpflichtige auch im übrigen alles in seiner Macht Stehende getan hat, um eine unverzügliche Ausführung der Überweisung zu gewährleisten. Hierzu gehört insbesondere, daß der Steuerpflichtige im Zeitpunkt der Erteilung des Überweisungsauftrags für eine genügende Deckung auf seinem Girokonto gesorgt hat.
Dieser Rechtsauffassung steht nicht entgegen, daß der Steuerpflichtige seiner Bank keinen unwiderruflichen Überweisungsauftrag erteilt hatte und daß der Überweiungsauftrag infolgedessen noch bis zur Erteilung der Gutschrift auf dem Konto des Überweisungsempfängers hätte widerrufen werden können (vgl. BGH-Urteil vom 15. Mai 1952 IV ZR 157/51, BGHZ 6, 121, 124). Würde nämlich der Steuerpflichtige den Überweisungsauftrag gegenüber seiner Bank widerrufen oder würde es die Bank ablehnen, den Auftrag auszuführen, so stellt sich die Frage des Abflusses von Ausgaben ebensowenig wie die der Rechtzeitigkeit der Zahlung im Zivilrecht (vgl. BGH-Urteil in WM 1964, 113; Urteil in BFHE 100, 501, BStBl II 1971, 94, am Ende; Canaris in Großkommentar zum Handelsgesetzbuch, 3. Aufl., 1981, Bd. III/3, 2. Bearbeitung, Rdnr. 482), da dann feststeht, daß keine Ausgaben im maßgebenden Veranlagungszeitraum geleistet wurden.
2. Der Senat vermag bei Anwendung dieser Grundsätze auf den zu entscheidenden Fall nicht in der Sache zu entscheiden. Aus den vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen läßt sich nicht entnehmen, ob im Zeitpunkt, in dem der Überweisungsauftrag des Klägers bei dessen Bank eingegangen war, das Girokonto des Klägers eine ausreichende Deckung aufwies.
Fundstellen
Haufe-Index 414338 |
BFH/NV 1986, 653 |