Leitsatz (amtlich)
Wer ein verpachtetes Unternehmen im ganzen erwirbt, haftet nicht für Betriebssteuern und Steuerabzugsbeträge, die auf die Zeit vor der Verpachtung entfallen.
Normenkette
AO § 116
Tatbestand
Der am 13. November 1961 verstorbene A betrieb auf einem ihm gehörigen Hausgrundstück eine Gastwirtschaft. Noch vor seinem Tode waren die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung des Grundstücks angeordnet worden. Nach seinem Tode betrieb zunächst seine Witwe die Gastwirtschaft. Am 27. März 1962 wurde ein Nachlaßverwalter bestellt. Er betrieb die Gastwirtschaft im April 1962; die Witwe war während dieser Zeit seine Angestellte. Schon am 30. April 1962 entschloß er sich, die Gastwirtschaft zu schließen. Daraufhin übernahm sie der Zwangsverwalter und verpachtete sie am 2. Mai 1962 an die Firma B. Das Grundstück wurde am 7. Juni 1962 zwangsversteigert. Ersteigerer waren die Revisionskläger. Sie traten als Verpächter in den Pachtvertrag mit der Fa. B ein. Sämtliche Personen, die als Erben nach A in Betracht kamen (einschließlich der Witwe), haben die Erbschaft ausgeschlagen.
Das FA (Revisionsbeklagter) erließ einen Haftungsbescheid nach § 116 AO, § 203 LAG, in dem es die Revisionskläger auf Zahlung von Umsatzsteuer 1961/62, Lohn- und Lohnkirchensteuer 1961/62 und Kreditgewinnabgabe (fällig gestellte Raten 49-1) in Anspruch nahm. Die Steuerschulden stammten teilweise aus der Betriebsführung des A (bis 13. November 1961), teilweise aus der Betriebsführung der Witwe (14. November 1961 bis März 1962) und teilweise aus der Betriebsführung des Nachlaßverwalters (April 1962).
Das FG hat die Revisionskläger von der Haftung für die Steuerschulden freigestellt, die während der Betriebsführung der Witwe entstanden waren. Insoweit fehle es an den Voraussetzungen des § 116 AO. Die Haftung erstrecke sich lediglich auf Steuern, die in der Person der veräußernden Eigentümer entstanden seien. Die Witwe sei nie Eigentümerin des Grundstücks und der Gastwirtschaft gewesen.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision, die mangelnde Sachaufklärung und Verletzung des materiellen Rechts rügt, hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur gänzlichen Freistellung der Revisionskläger von der Haftung.
Nach § 116 Abs. 1 AO haftet der Erwerber, wenn ein Unternehmen oder ein in der Gliederung eines Unternehmens gesondert geführter Betrieb im ganzen übereignet wird, neben dem früheren Unternehmer in einem begrenzten zeitlichen Umfang für Steuern, bei denen sich die Steuerpflicht auf den Betrieb des Unternehmens gründet, und für Steuerabzugsbeträge. Es kann dahinstehen, ob die vorgebrachten Rügen der Revision zum Erfolg verhelfen könnten. § 116 Abs. 1 AO greift schon deswegen nicht ein, weil das an die Revisionskläger durch Zwangsversteigerung übereignete Unternehmen ein anderes war als das Gaststättenunternehmen, in dem die Betriebssteuern und Steuerabzugsbeträge angefallen sind, die der Haftungsbescheid geltend macht.
Die Gaststätte wurde am 2. Mai 1962 an die Fa. B verpachtet. Die Revisionskläger haben diese verpachtete Gaststätte erworben. Das vor der Verpachtung bestehende Unternehmen war demgegenüber ein anderes Unternehmen, nämlich zuletzt eine eigenbetriebene Gaststätte. Entgegen der Auffassung des FG ist allerdings in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung, ob einkommensteuerlich weiterhin Einkünfte aus Gewerbebetrieb vorlagen (dazu Urteil des BFH Gr. S. 1/63 S vom 13. November 1963, BFH 78, 315, BStBl III 1964, 124). Der Begriff des Unternehmens in § 116 AO ist nach umsatzsteuerrechtlichen Gesichtspunkten zu bestimmen (vgl. Gesetzesbegründung zu § 116 AO, RStBl 1934, 1415). Umsatzsteuerlich ist ein Verpächter stets Unternehmer, gleichgültig ob seine Einkünfte einkommensteuerlich als Gewinn aus Gewerbebetrieb oder als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zu charakterisieren sind. Ein Verpachtungsunternehmen ist jedoch nicht die kontinuierliche Fortsetzung eines bisher in Eigenregie geführten Unternehmens.
§ 116 Abs. 1 AO enthält eine zeitliche Begrenzung der Haftung für Betriebssteuern und Steuerabzugsbeträge. Diese Haftungsbegrenzung wird weiterhin eingeengt durch die den Eingangsworten der Vorschrift zu entnehmende Voraussetzung, eine Haftung bestehe nur für Steuerschulden, die auf das übereignete „Unternehmen” oder den übereigneten „gesondert geführten Betrieb” zurückzuführen sind. Die Haftung knüpft nicht an die Person des Unternehmers oder des Betriebsinhabers an, sondern ist sachbezogen auf das übereignete Unternehmen oder den übereigneten Betrieb. Sind Unternehmer oder Betriebsinhaber während der Fristen des § 116 Abs. 1 AO gleichgeblieben, nicht aber das Unternehmen oder der Betrieb, kommt eine Haftung nur für Steuerschulden in Betracht, die auf das Unternehmen oder den Betrieb in seiner vor der Übereignung bestehenen Form zurückzuführen sind. In Anwendung dieser Grundsätze hat der Senat einen stillgelegten Betrieb nicht als Fortsetzung des lebenden Betriebs angesehen und in diesem Fall eine Haftung für Steuerschulden abgelehnt, die aus dem noch nicht stillgelegten Betrieb herrührten (Urteil V 246/60 vom 13. Dezember 1962, StRK, Reichsabgabenordnung, § 116, Rechtsspruch 20). Andererseits steht bei unveränderter Unternehmensstruktur ein Unternehmerwechsel während der Fristen des § 116 Abs. 1 AO einer Haftung des Erwerbers nicht entgegen; der Erwerber haftet auch als Zweiterwerber (BFH-Urteil V 190/58 vom 25. August 1960, HFR 1961, 256, StRK, Reichsabgabenordnung, § 116 Rechtsspruch 11).
Das Unternehmen verändert sich, wenn ein bisher in Eigenregie geführtes Unternehmen verpachtet wird. Der Verpächter bleibt zwar Eigentümer der Unternehmensgrundlagen. Er zieht sich jedoch von der Geschäftsführung und der eigenverantwortlichen Betätigung zurück und beschränkt sich auf die Nutzung seines Kapitals. Betriebssteuern und Abzugsbeträge fallen im wesentlichen bei dem Unternehmenspächter an. Der Pächter trifft die unternehmerischen Entscheidungen.
Die Revisionskläger hätten sonach lediglich für Steuerschulden haftbar gemacht werden können, die auf die Tätigkeit des Zwangsverwalters in der Zeit ab Beginn der Verpachtung an die Fa. B bis zur Grundstücksversteigerung zurückzuführen sind. Der angegriffene Haftungsbescheid führt aber ausschließlich Betriebssteuern und Steuerabzugsbeträge an, die in der Zeit vor der Verpachtung an die Fa. B angefallen sind. Er ist daher ersatzlos aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 557373 |
BStBl II 1970, 676 |
BFHE 1970, 425 |