Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Eine Mietabfindung, die ein Steuerpflichtiger zur Erlangung einer geeigneten Wohnung an den Vormieter bezahlt, kann ausnahmsweise als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG zu berücksichtigen sein, wenn der Wohnungswechsel wegen der Krankheit eines völlig gelähmten Sohnes notwendig ist.
Normenkette
EStG § 33
Tatbestand
In der Rb. ist streitig, ob 4.500 DM, die die Steuerpflichtigen an den Vormieter ihrer jetzigen Wohnung bezahlt haben, als außergewöhnliche Belastungen gemäß § 33 EStG zu berücksichtigen sind. Die Steuerpflichtigen hatten früher eine Wohnung im 3. Stock, die sie wechseln mußten, weil sie ihren im Streitjahr 1959 20jährigen völlig gelähmten Sohn nicht mehr über die ungünstige Treppe zur Straße heruntertragen konnten. Das Finanzamt erkannte die 4.500 DM nicht als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG an, wohl aber wegen der Erkrankung des Sohnes einen Betrag von 4.474 DM, den es um die zumutbare Belastung kürzte. Der Einspruch der Steuerpflichtigen hatte in diesem Punkt keinen Erfolg.
Das Finanzgericht sah die für den Wohnungswechsel aufgewendeten 4.500 DM als außergewöhnliche Belastung an. Zur Begründung führte es aus: Zur Familie der Steuerpflichtigen hätten im Streitjahr 1959 vier Kinder, nämlich zwei Töchter im Alter von 12 und 22 Jahren und zwei Söhne im Alter von 18 und 20 Jahren gehört. Der ältere Sohn hätte infolge spinaler Kinderlähmung weder allein gehen noch stehen können. Es sei immer schwieriger geworden, ihn über die stark gekrümmte Treppe der früheren Wohnung, deren Stufen an der Innenseite sehr schmal gewesen seien, zur Straße und zur Wohnung zurückzutragen. Die Bemühungen der Steuerpflichtigen, eine günstigere Wohnung zu bekommen, seien zunächst erfolglos gewesen. Im Jahre 1959 habe sich jedoch ein Mieter in einem Haus in der gleichen Straße, in dem der Steuerpflichtige im Erdgeschoß seine Arztpraxis betreibe, bereit erklärt, den Steuerpflichtigen seine Wohnung gegen eine Abfindung von 4.500 DM zu verschaffen, die er zur Finanzierung einer Neubauwohnung benötige. Da die Treppe zu dieser im 2. Stock gelegenen Wohnung nicht gekrümmt sei und sie für den Transport des gelähmten Sohnes keine größeren Schwierigkeiten geboten habe, im übrigen die Wohnung auch eine Treppe niedriger gelegen sei als die frühere Wohnung, hätte der Steuerpflichtigen die verlangten 4.500 DM hingegeben und die Wohnung erhalten. Wenn auch die Wohnung wegen ihrer Lage im gleichen Haus, in dem sich die Arztpraxis des Ehemannes befinde, für die Familie günstiger und etwas größer sei, so sei doch die Körperbeschädigung des Sohnes der maßgebende Beweggrund für den Wohnungswechsel gewesen. Bei dieser Sachlage seien der Steuerpflichtige und seine Ehefrau durch die Abfindung, für die sie keine besonderen Gegenleistungen erhalten hätten, außergewöhnlich und zwangsläufig im Sinne des § 33 Abs. 1 EStG belastet.
Der Vorsteher des Finanzamts wendet sich dagegen, daß das Finanzgericht die Aufwendungen für die Wohnung als außergewöhnliche Belastungen anerkannt hat. Durch die Hingabe derartiger Abfindungen erlangten die Mieter einen wirtschaftlichen und nicht nur vorübergehenden Gegenwert, der eine Steuerermäßigung nach § 33 EStG ausschließe. Nach der Lebenserfahrung machten Steuerpflichtige in ähnlichen beruflichen und familiären Verhältnissen derartige Aufwendungen, zumal wenn dadurch auch ihre berufliche Tätigkeit gefördert werde. Es handle sich um typische Kosten der Lebenshaltung, die weder zwangsläufig noch außergewöhnlich seien. Das Finanzgericht hätte auch den Vormieter hören müssen, aus welchen Gründen er Ansprüche an die Steuerpflichtigen erhoben habe.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts ist nicht begründet.
Verlorene Baukostenzuschüsse sind in der Regel keine außergewöhnlichen Belastungen im Sinne von § 33 EStG (Urteil des Bundesfinanzhofs VI 200/59 S vom 20. Mai 1960, BStBl 1960 III S. 310, Slg. Bd. 71 S. 164). Da die von den Steuerpflichtigen gezahlte Abfindung der Erlangung einer Wohnung gedient hat, müssen dieselben Grundsätze gelten wie für sogenannte verlorene Baukostenzuschüsse. In dem angeführten Urteil des Senats ist aber bereits ausgeführt, daß bei Notständen der Gegenwertsgedanke, der im allgemeinen zur Ablehnung einer Steuerermäßigung nach § 33 EStG führt, unter Umständen zurücktreten muß und dann eine Steuerermäßigung gewährt werden kann. Das Finanzgericht hat diese Voraussetzungen im Streitfall bejaht. Seine Entscheidung beruht auf einer Würdigung der festgestellten Verhältnisse. Das Finanzgericht hat die Grundsätze der Rechtsprechung nicht verkannt. Der Senat ist daher hinsichtlich der Abfindung an die Würdigung des Finanzgerichts gebunden. Die neue Wohnung ist zwar etwas größer als die frühere und hat auch berufliche Vorteile für den Steuerpflichtigen, weil sie näher bei den Praxisräumen liegt. Diese vom Finanzgericht beachteten Umstände rechtfertigen indessen nicht die Aufhebung der Vorentscheidung. Die Abfindung an den Vormieter rechnet im weiteren Sinne zu den Krankheitskosten des Steuerpflichtigen für den gelähmten Sohn und ist deshalb nach § 33 EStG zu berücksichtigen.
Fundstellen
Haufe-Index 411900 |
BStBl III 1966, 113 |
BFHE 1966, 311 |
BFHE 84, 311 |
StRK, EStG:33 R 228 |
NJW 1966, 1000 |