Entscheidungsstichwort (Thema)
Zinsen gemäß § 233a AO 1977 auf nachträglich festgesetzte Umsatzsteuer nicht wegen sog. „Null-Situation“ sachlich unbillig
Leitsatz (NV)
- Umsatzsteuer auf steuerpflichtige Umsätze im Rahmen einer Geschäftsveräußerung (vor 1993) entsteht unabhängig davon, ob eine Rechnung mit Steuerausweis erteilt wurde.
- Die Verzinsung der nachträglich aufgrund einer Außenprüfung festgesetzten Umsatzsteuer ist nicht deshalb sachlich unbillig, weil der Leistende von einer sog. Null-Situation ausgegangen war (keine Umsatzversteuerung durch den Leistenden, kein Vorsteuerabzug des Empfängers mangels Rechnung mit Steuerausweis).
- Die Neuregelung der Geschäftsveräußerung im ganzen als nichtsteuerbar in § 1 Abs. 1a UStG 1993 erfolgte ohne Rückwirkung. Die Frage des Erlasses gesetzlich entstandener Abgaben aus Gründen sachlicher Billigkeit kann nur anhand der bei Entstehung der Abgaben maßgebenden gesetzlichen Grundlagen getroffen werden.
Normenkette
AO 1977 § 37 Abs. 1, §§ 227, 233a; FGO § 102; UStG 1993 § 1 Abs. 1a; UStDV § 52 Abs. 2
Verfahrensgang
FG des Saarlandes (EFG 1997, 1282) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) veräußerte als Konkursverwalter der T-GmbH 1989 deren Unternehmen für einen Gesamtkaufpreis von 8 100 000 DM ohne gesonderten Ausweis von Umsatzsteuer an die damals in der Gründung befindliche T. A-GmbH. Diese Geschäftsveräußerung unterwarf der Kläger nicht der Umsatzsteuer. Nach einer im Jahre 1993 durchgeführten Umsatzsteuersonderprüfung erfaßte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) die Veräußerung und änderte demgemäß den Umsatzsteuerbescheid für 1989 und den Zinsbescheid zur Umsatzsteuer. Die Klage gegen die Zinsfestsetzung hatte keinen Erfolg.
Mit Schreiben vom 20. Januar 1994 beantragte der Kläger beim FA den Erlaß der festgesetzten Zinsen zur Umsatzsteuer wegen sachlicher Unbilligkeit. Nach erfolglosem Vorverfahren beantragte er mit der Klage, das FA zu verpflichten, die Zinsen in Höhe von 150 799 DM zu erlassen. Zur Begründung machte er im wesentlichen geltend: Er habe den Vorgang nicht der Umsatzsteuer unterworfen, weil diese bei wirtschaftlicher Betrachtung aus der Sicht des Fiskus lediglich ein durchlaufender Posten gewesen sei. Umsatzsteuer sei zwar nicht abgeführt worden, andererseits sei aber auch keine Rechnung mit Ausweis der Umsatzsteuer erstellt worden, so daß das erwerbende Unternehmen keine Vorsteuerbeträge habe geltend machen können. Der Gesetzgeber habe zwischenzeitlich den der Zinsforderung zugrundeliegenden Sachverhalt durch Neufassung des § 1 Abs. 1 a des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1993) entsprechend geregelt. Die Neuregelung beruhe auf dem Willen des Gesetzgebers, derartige Vorgänge umsatzsteuerneutral zu behandeln. Wenn also keine Umsatzsteuerpflicht bestehe, müsse dies auch für die Zinsen gelten. Die sachliche Unbilligkeit der Zinsforderung folge des weiteren daraus, daß er (der Kläger) keinerlei Zins- oder Liquiditätsvorteil erlangt habe. Er habe sogar auf einen solchen Vorteil verzichtet, denn er hätte zwar die Umsatzsteuer vom Käufer sofort erhalten, hätte aber selbst 15 Monate Zeit gehabt, bis eine Verzinsung seiner Umsatzsteuerschuld gegenüber dem FA eingesetzt hätte. Damit wäre dem Fiskus bei der letztgenannten Handhabung ein Zinsnachteil entstanden.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Das Urteil ist in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 1997, 1282 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt der Kläger einen Verstoß gegen die Wertung des Gesetzgebers, die mittlerweile durch die Regelung der Nichtsteuerbarkeit der Geschäftsveräußerung im ganzen in § 1 Abs. 1 a UStG 1993 zum Ausdruck kommt.
Auch gehe das angefochtene Urteil zu Unrecht davon aus, die Festsetzung von Zinsen nach § 233a der Abgabenordnung (AO 1977) sei grundsätzlich rechtmäßig, wenn der Schuldner der Steuernachforderung Liquiditätsvorteile gehabt habe oder zumindest erlangen bzw. anderweitige Zinsbelastungen vermeiden könne. Unzutreffend sei weiter die Auffassung des FG, die Frage des Liquiditätsvorteils sei nicht aus der Sicht des Fiskus, sondern aus der Sicht des einzelnen Steuerpflichtigen zu prüfen.
Rechtsirrig nehme das FG insbesondere an, ihm, dem Kläger, sei ein Liquiditätsvorteil entstanden.
Es beachte die besondere Stellung der Gemeinschuldnerin (GmbH) im Konkurs nicht. Er, der Kläger, habe den Erlös aus dem Verkauf des Unternehmens der GmbH auf ein Festgeldkonto eingezahlt. Da der Konkurs aber auf die Gesamtabwicklung des Unternehmens gerichtet sei und eine Schlußverteilung vorsehe, sei Liquidität nicht erforderlich. Die zunächst vorhandene Liquidität werde durch Anlage der vorhandenen Geldmittel als Festgeld beseitigt.
Es bestehe daher ein "Überhang" zwischen Gesetzestatbestand und den Wertungen des Gesetzgebers, der zum Erlaß der festgesetzten Zinsen aus sachlicher Billigkeit führen müsse.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und das FA zu verpflichten, die streitigen Zinsen zu erlassen.
Das FA tritt der Revision entgegen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet.
Gemäß § 227 AO 1977 können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Zu diesen Ansprüchen gehören auch die Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen wie die hier angegriffenen Zinsfestsetzungen (§ 37 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 3 AO 1977).
Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme ist eine Ermessensentscheidung, die gerichtlich nur in den durch § 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gezogenen Grenzen nachprüfbar ist. Diese Nachprüfung der Erlaßablehnung ist darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.
Das FG hat nach diesem Prüfungsmaßstab eine Verletzung des Ermessens fehlerfrei verneint. Sachliche Billigkeitsgründe, auf die die Revision gestützt wird, sind nicht gegeben.
Wie der Senat im Urteil vom 20. Januar 1997 V R 28/95 (BFHE 183, 353, BStBl II 1997, 716) ausgeführt hat, ist die Verzinsung nachträglich festgesetzter Umsatzsteuer beim Leistenden nicht deshalb unbillig, weil sich per Saldo ein Ausgleich mit den ―später nach Erteilung einer Rechnung mit berichtigtem Steuerausweis― vom Leistungsempfänger abgezogenen Vorsteuerbeträgen ergibt. Die Umsatzsteuer des Leistenden (hier des Klägers) entsteht unabhängig von einer Rechnungserteilung mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Leistung ausgeführt wird. Daraus folgt als sog. Liquiditätsvorteil des Klägers der nicht abgeführte Betrag der bis zum Ablauf des Jahres 1989 entstandenen Jahres-Umsatzsteuer, der auf die Geschäftsveräußerung entfällt.
Der Senat hat in der vorbezeichneten Entscheidung die Rechtsprechung bestätigt, daß § 233a AO 1977 auf einen Vorteil des Steuerpflichtigen und nicht des FA abstellt. Auf die Frage der Vorsteuerabzugsmöglichkeit des Leistungsempfängers kommt es also regelmäßig nicht an. Der Kläger kann sich somit auf die von ihm herbeigeführte sog. "Null-Situation" (keine Umsatzversteuerung beim Leistenden, keine Möglichkeit des Vorsteuerabzugs für den Leistungsempfänger), für die die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorgelegen haben, nicht berufen. Für diese "wirtschaftliche Betrachtungsweise" ist in Gestaltungen wie im Streitfall ebensowenig Raum wie in anderen Fällen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 11. Dezember 1997 V R 44/96, BFHE 185, 275, BStBl II 1998, 519 - Unmaßgeblichkeit der sog. Null-Situation ohne Beachtung der Voraussetzung des § 52 Abs. 2 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung).
Das Erlaßbegehren des Klägers wird nicht durch die spätere Regelung der Geschäftsveräußerung im ganzen als nicht steuerbar durch § 1 Abs. 1 a UStG 1993 gestützt. Der Gesetzgeber hat dieser Regelung keine Rückwirkung beigelegt. Die Frage des Erlasses gesetzlich entstandener Abgaben aus Gründen sachlicher Billigkeit kann nur anhand der bei Entstehung der Abgaben maßgebenden gesetzlichen Grundlagen getroffen werden.
Fundstellen
BFH/NV 1999, 1392 |
BBK 1999, 943 |
BBK 1999, 990 |