Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermittlung des Veräußerungsgewinns bei Ausscheiden aus einer Anwaltssozietät
Leitsatz (NV)
Scheidet ein Anwalt aus einer Anwaltssozietät, die ihren Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt, gegen Zahlung einer Abfindung aus, so ist der hierbei erzielte Veräußerungsgewinn nach den Grundsätzen einer Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG zu ermitteln.
Normenkette
EStG § 18 Abs. 3, § 16 Abs. 2, § 4 Abs. 3, 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) unterhielt mit dem Beigeladenen eine Anwaltssozietät, die ihren Gewinn gemäß § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermittelte. Zum 31. Dezember 1967 schied der Kläger aus der Sozietät aus. Im Zusammenhang mit seinem Ausscheiden wurde für ihn aus den Außenständen der Praxis ein Abfindungsguthaben von 153 954 DM ermittelt; der Betrag wurde ihm im Jahr 1968 ausgezahlt.
Nach einer Betriebsprüfung behandelte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) diesen Betrag im Einkommensteuerbescheid des Klägers für 1968 als laufende Einnahme. Die hiergegen gerichtete Klage hatte Erfolg; das Finanzgericht (FG) entschied mit Urteil vom 23. Januar 1980 IV 196/77, daß die Abfindung als Entgelt für die Übertragung des Gesellschaftsanteils in der Gewinnfeststellung 1967 der Sozietät zu berücksichtigen sei.
Daraufhin änderte das FA im Mai 1980 diese Gewinnfeststellung unter Hinweis auf § 174 Abs. 4 der Abgabenordnung (AO 1977), indem es den Gewinnanteil des Klägers um den Abfindungsbetrag erhöhte und diesen als Veräußerungsgewinn bezeichnete. Der Kläger hält diese Änderung für unzulässig. Seine Klage wurde vom FG jedoch abgewiesen.
Mit der Revision rügt der Kläger fehlerhafte Anwendung der Reichsabgabenordnung (AO) und der AO 1977.
Der Kläger beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils den geänderten Gewinnfeststellungsbescheid 1967 vom 7. Mai 1980 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Das Ausscheiden eines Gesellschafters aus einer Mitunternehmergemeinschaft bedeutet in einkommensteuerlicher Sicht die Übertragung seines Mitunternehmeranteils auf den oder die verbleibenden Gesellschafter; eine aus diesem Anlaß erlangte Abfindung kann beim Ausgeschiedenen zu einem gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG begünstigten Veräußerungsgewinn i.S. von § 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG führen. Über die Höhe dieses nur dem Ausgeschiedenen geltenden Gewinns ist im Gewinnfeststellungsbescheid der Mitunternehmerschaft für den Veranlagungszeitraum des Ausscheidens zu befinden (§ 180 Abs. 1 Satz 2a AO 1977).
Zur Ermittlung des Veräußerungsgewinns ist nach § 16 Abs. 2 Satz 2 EStG der Wert des Mitunternehmeranteils im Zeitpunkt des Ausscheidens zu ermitteln und der Abfindung gegenüberzustellen. Diese Wertermittlung geschieht nach den Grundsätzen einer Gewinnermittlung durch Vermögensvergleich gemäß § 4 Abs. 1 bzw. § 5 Abs. 1 EStG. Hatte die Mitunternehmergemeinschaft ihren Gewinn gemäß § 4 Abs. 3 EStG durch Gegenüberstellung der Einnahmen und Ausgaben ermittelt, muß zwecks Errechnung des Veräußerungsgewinns zur Erfolgsermittlung durch Bestandsvergleich übergegangen werden, wie dies auch bei der Veräußerung eines Einzelbetriebs erforderlich ist, der seinen Gewinn bisher nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelte (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 23. November 1961 IV 98/60 S, BFHE 74, 535, BStBl III 1962, 199; vom 13. Dezember 1979 IV R 69/74, BFHE 129, 380, BStBl II 1980, 239). Dem steht nicht entgegen, daß diese Maßnahme allein der zutreffenden Ermittlung des Veräußerungsgewinns des Ausgeschiedenen dient, für den oder die verbliebenen Gesellschafter aber ohne Folgen bleibt. In vergleichbarer Weise kann auch im Fall einer Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich die Aufstellung einer Zwischenbilanz der Mitunternehmerschaft erforderlich werden, wenn ein Mitunternehmer während des Wirtschaftsjahres ausscheidet und sein Anteil am laufenden Gewinn bis zu diesem Zeitpunkt ermittelt werden muß (vgl. Schmidt, Einkommensteuergesetz, 4. Aufl., § 16 Anm. 53a m.w.N.).
Diese Grundsätze hat das FG beachtet. Der Abfindungsbetrag ist nach den Außenständen der Praxis am 31. Dezember 1967 ermittelt worden. Der Senat kann offenlassen, ob dieser Betrag richtigerweise als sog. Übergangsgewinn zum Bestandsvergleich hätte berücksichtigt werden müssen und damit als laufender Gewinn zu versteuern gewesen wäre. Hieraus würde sich eine höhere Steuerbelastung ergeben, die vom Kläger mit seiner Klage gegen den Gewinnfeststellungsbescheid nicht angestrebt wird.
2. Das FA war auch nicht gehindert, den Gewinnfeststellungsbescheid 1967 zu ändern. Die Voraussetzungen des § 174 Abs. 4 AO 1977 sind erfüllt. Der Einkommensteuerbescheid 1968 war aufgrund rechtsirriger Beurteilung des Abfindungsvorgangs ergangen und auf den Rechtsbehelf des Klägers geändert worden; das FA konnte nunmehr durch Änderung des Feststellungsbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen ziehen. § 181 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 stellt Gewinnfeststellungsbescheide den in § 174 Abs. 4 AO 1977 erwähnten Steuerbescheiden gleich.
Die Vorschrift ist nach Art. 97 § 9 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO 1977) anwendbar, obwohl der zu ändernde Bescheid vor Inkrafttreten der AO 1977 am 1. Januar 1977 ergangen ist. Die hiergegen von der Revision geäußerten Bedenken greifen nicht durch. Die Vorschrift will gewährleisten, daß der Steuerpflichtige nach seinem Obsiegen im Ausgangsverfahren im Interesse der materiellen Steuergerechtigkeit an seiner - zutreffenden - Rechtsauffassung festgehalten wird; dieses Bedürfnis wird gerade im Streitfall deutlich. Die Bestimmung hat auch die Rechtsposition des Klägers nicht verschlechtert; denn auch vor Inkrafttreten der AO 1977 mußte der Kläger aufgrund des vorliegenden Sachverhalts damit rechnen, daß der Feststellungsbescheid gemäß § 94 Abs. 1 Nr. 2 AO geändert und die Ablehnung der Zustimmung zu einer solchen Maßnahme als treuwidrig angesehen worden wäre (vgl. Tipke/Kruse, Reichsabgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 94 AO Anm. 13 m.w.N.).
3. Die Änderung des Gewinnfeststellungsbescheids hätte allerdings unterbleiben müssen, wenn sie keine Folgen haben konnte, weil der Einkommensteueranspruch gegen den Kläger zweifelsfrei verjährt war. Das FG hat dies zu Recht verneint.
Die Verjährung bestimmt sich gemäß Art. 97 § 10 Abs. 1 Satz 2 EGAO 1977 weiterhin nach den Vorschriften der AO. In diesem Zusammenhang bestimmt § 146a Abs. 1 AO, daß im Falle der Anfechtung einer Steuerfestsetzung die Ansprüche aus dem Sachverhalt, der dem Verfahren über den Rechtsbehelf zugrunde liegt, nicht vor Ablauf von sechs Monaten verjähren, nachdem die Abgabenfestsetzung unanfechtbar geworden ist. Diese Bestimmung hindert im Streitfall die Verjährung, weil der Gewinnfeststellungsbescheid vor Ablauf der Sechsmonatsfrist geändert worden ist. Ob die Verjährung nach der die Betriebsprüfung betreffenden Vorschrift des § 146a Abs. 3 AO eingetreten wäre, hat das FG zu Recht nicht untersucht, weil beide Verjährungstatbestände unabhängig nebeneinander gelten.
Fundstellen
Haufe-Index 414563 |
BFH/NV 1988, 84 |