Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Ist vom Betriebsfinanzamt ein Verlust aus Gewerbebetrieb einheitlich und gesondert festgestellt, so bindet diese Feststellung das Wohnsitzfinanzamt nicht nur für das Jahr der Entstehung des Verlustes, sondern auch für die folgenden Jahre hinsichtlich des Verlustabzugs. Wird die Feststellung vom Betriebsfinanzamt geändert, so sind auch die Einkommensteuerveranlagungen, die auf der Feststellung beruhen, zu ändern.
Normenkette
EStG § 10d; AO § 215 Abs. 2, § 216 Abs. 1, § 218 Abs. 4; StAnpG § 4 Abs. 3 Ziff. 2
Tatbestand
Der Bf. ist bis Ende 1952 als Gesellschafter an einer KG beteiligt gewesen. Entsprechend der Mitteilung des Betriebsfinanzamts, daß auf den Bf. ein Verlustanteil von 22.700 DM entfalle, hat das Wohnsitzfinanzamt den Bf. von der Einkommensteuer 1952 vorläufig freigestellt. Für die Jahre 1953 und 1954 ist der Bf. im Jahr 1955 unter Berücksichtigung des Verlustabzugs endgültig zu einer Einkommensteuer von 0 DM veranlagt worden.
Im April 1958 teilte das Betriebsfinanzamt dem Wohnsitzfinanzamt mit, daß die einheitliche und gesonderte Feststellung für die Gesellschafter der KG im Anschluß an eine Betriebsprüfung berichtigt worden sei und daß auf den Bf. nunmehr statt eines Verlustanteils ein Gewinnanteil entfalle. Das Wohnsitzfinanzamt zog den Bf. daraufhin für das Jahr 1952 zur Einkommensteuer heran und berichtigte die Veranlagungen für die Jahre 1953 und 1954, indem es den Verlustabzug strich und so zur Festsetzung einer Einkommensteuer kam.
Der Einspruch hatte insofern keinen Erfolg, als es bei der Nichtberücksichtigung des Verlustabzugs verblieb. Es wurde aber bei der Festsetzung der Einkommensteuer für das Jahr 1953 die durch den Unterhalt eines unehelichen Kindes erwachsene außergewöhnliche Belastung berücksichtigt. Bei der Festsetzung der Einkommensteuer für das Jahr 1954 war die außergewöhnliche Belastung zwar berücksichtigt worden. In der Einspruchsentscheidung wurde aber die außergewöhnliche Belastung nur noch in einer geringeren Höhe anerkannt, so daß sich insoweit eine Verböserung ergab.
Die Berufung blieb erfolglos. Das Wohnsitzfinanzamt, so führt das Finanzgericht aus, habe nicht auch die Veranlagungen für die Jahre 1953 und 1954 nur vorläufig durchzuführen brauchen. Der Bf. habe gewußt, daß der auf ihn entfallende Verlustanteil nicht endgültig festgestellt gewesen sei. Er habe nicht darauf vertrauen können, daß die Berücksichtigung des Verlustabzugs bei den Veranlagungen endgültig sei. Dadurch, daß statt des Verlustanteils ein Gewinnanteil festgestellt worden sei, sei ein Besteuerungsmerkmal weggefallen, das den Veranlagungen für die Jahre 1953 und 1954 zugrunde gelegen habe; diese seien demnach zu Recht berichtigt worden.
Mit seiner Rb. wehrt sich der Bf. gegen die Berichtigungen. Nach seiner Auffassung findet das Vorgehen des Finanzamts im Gesetz keine Stütze, weil es den Verlust wegen der Vorläufigkeit seiner Feststellung hätte gar nicht berücksichtigen dürfen und, nachdem es ihn doch berücksichtigt habe, hieran gebunden sei. Außerdem ist nach der Ansicht des Bf. die Verböserung durch die Einspruchsentscheidung sowohl sachlich als auch formell ungerechtfertigt. Die außergewöhnliche Belastung sei im angefochtenen Bescheid richtig berechnet worden. Auf jeden Fall aber hätte das Finanzamt ihn auf die Möglichkeit der Verböserung hinweisen müssen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. muß zwar zur Aufhebung der Vorentscheidung führen, ist aber im entscheidenden Punkt nicht begründet.
Wie das Finanzgericht zutreffend ausgeführt hat, wird der Verlust oder Gewinn aus Gewerbebetrieb, wenn mehrere beteiligt sind, ebenso wie der auf den einzelnen Beteiligten entfallende Anteil festgestellt (ß 215 Abs. 2 Ziff. 2 und § 216 Abs. 1 Ziff. 2 AO). Diese Feststellung erfolgt durch das Betriebsfinanzamt (ß 72 Ziff. 2 AO). Sie ist für das die Einkommensteuer-Veranlagung durchführende Wohnsitzfinanzamt (ß 73 Abs. 1, § 73 a AO) bindend; dieses muß den nach der Feststellung auf den zu veranlagenden Steuerpflichtigen entfallenden Anteil in die Einkommensteuer-Veranlagung übernehmen (ß 218 Abs. 2 AO).
Im Streitfall geht es zwar nicht um die Veranlagung des Jahres, in dem der Verlust entstanden ist, sondern um die Veranlagung von Jahren, die dem Entstehungsjahr folgen und in denen der in diesem Jahr entstandene Verlust im Wege des Abzugs zu berücksichtigen ist (ß 10 d EStG). Für die Bindung des Wohnsitzfinanzamts an die Feststellung des Verlustes kann aber nichts anderes gelten. Wenn nach ständiger Rechtsprechung die Höhe des Verlustabzugs bei der jeweiligen Veranlagung zu prüfen ist, so ist hierbei an den Normalfall gedacht, bei dem sowohl die Feststellung der Höhe des auszugleichenden Verlustes im Jahr der Entstehung als auch die Höhe des abzuziehenden Verlustes in einem Folgejahr nur einen unselbständigen Teil des für das Jahr ergangenen Steuerbescheids bildet (ß 213 Abs. 1 AO). Hat das Finanzamt bei der Veranlagung für das Jahr der Entstehung des Verlustes versehentlich einen zu hohen oder zu niedrigen Verlust zugrunde gelegt, so wird es dadurch, mag diese Veranlagung nun geändert werden können oder nicht, doch nicht gehindert, der Veranlagung für das folgende Jahr den Verlust in der richtigen Höhe zugrunde zu legen. Ist aber der Verlustanteil durch einen besonderen Bescheid festgestellt, so ist dieser eine bindende Grundlage nicht nur für das Jahr der Entstehung des Verlustes, sondern auch für die Folgejahre, die für einen Verlustabzug in Betracht kommen. Bei der Veranlagung für das Folgejahr ist dann nur zu prüfen, ob und inwieweit der Verlust bereits verbraucht ist.
Wir die Feststellung des Verlustanteils später geändert, so ist auch die Einkommensteuer-Veranlagung, der die ursprüngliche Feststellung zugrunde liegt, entsprechend zu ändern (ß 218 Abs. 4 Satz 1 AO). Mit dem Finanzgericht ist demnach davon auszugehen, daß durch diese Regelung im Streitfall die änderung des für das Jahr 1952 ergangenen Bescheids gedeckt wird. Das Finanzgericht faßt den Geltungsbereich der Regelung aber zu eng, wenn es sie nur für die Fälle angewandt wissen will, in denen Feststellungsbescheid und Veranlagungsbescheid ein und dasselbe Jahr betreffen. Handelt es sich um einen Gewinnfeststellungsbescheid, so ist zwar nur dieser vom Finanzgericht vorausgesetzte Fall denkbar. Betrifft der Feststellungsbescheid einen Verlust, so führt der - übrigens vom Finanzgericht mit Recht selbst eingenommene - Ausgangspunkt, daß nämlich das Wohnsitzfinanzamt an die Feststellung auch für die Veranlagung der Folgejahre gebunden ist, jedoch notwendig zu der Folgerung, daß diese Veranlagungen in diesem Punkt auf dem Feststellungsbescheid beruhen, mag dieser auch für das Jahr der Entstehung ergangen sein. Dann aber gilt auch für diese Veranlagungen die Regelung, daß sie, wenn der Feststellungsbescheid geändert wird, entsprechend zu ändern sind.
Der Erlaß der angefochtenen Bescheide (die änderung der ursprünglich ergangenen Bescheide) ist danach nicht zu beanstanden. Ob die änderung auch, wie das Finanzgericht meint, auf § 4 Abs. 3 Ziff. 2 des Steueranpassungsgesetzes gestützt werden kann, kann dahingestellt bleiben, weil, wie ausgeführt, jedenfalls die Regelung des § 218 Abs. 4 AO eingreift. § 4 Abs. 3 Ziff. 2 des Steueranpassungsgesetzes wäre dann als allgemeinere Vorschrift durch die spezielle Regelung des § 218 Abs. 4 AO ausgeschlossen.
Die Ansicht des Bf., daß das Finanzamt die Veranlagungen für die Jahre 1953 und 1954 ebenso wie die Veranlagung für das Jahr 1952 nur vorläufig hätte durchführen dürfen und daß er sich, nachdem dies nicht geschehen sei, auf die Endgültigkeit der Veranlagungen hätte verlassen können, ist, wie bereits das Finanzgericht zutreffend dargelegt hat, nicht gerechtfertigt. Die änderung eines Feststellungsbescheids zieht nach der der Richtigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung dienenden Regelung des § 218 Abs. 4 AO die änderung des auf ihm beruhenden Steuerbescheids nach sich, ohne daß dieser als vorläufiger erlassen und der Steuerpflichtige darüber, daß unter Umständen eine änderung erfolgen könne, unterrichtet sein muß. Das Finanzamt hätte auch die Veranlagung für das Jahr 1952 nicht vorläufig durchzuführen brauchen. Wenn das Finanzamt dies trotzdem tat, so ergab sich daraus nicht etwa die Pflicht, auch die Veranlagungen für die Jahre 1953 und 1954 nur vorläufig durchzuführen. Der Bf., der die Vorläufigkeit der Feststellung seines Verlustanteils kannte, hatte, nur weil die Veranlagungen für die Jahre 1953 und 1954 endgültig erfolgten, auch keinen Anlaß anzunehmen, daß das Finanzamt in bezug auf diese Veranlagungen etwa hätte darauf verzichten wollen, die Folgerungen aus einer Berichtigung des Feststellungsbescheids zu ziehen.
Die änderungen der für die Jahre 1953 und 1954 ergangenen Bescheide dürfen sich nur auf den Verlustabzug erstrecken, weil nach § 218 Abs. 4 Satz 1 AO die änderung eines Feststellungsbescheids lediglich zur änderung des auf ihm beruhenden Steuerbescheids führt, soweit dieser auf jenem beruht. Das bedeutet aber nicht, daß bei der Festsetzung der Steuer nicht auch bisher nicht berücksichtigte außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen seien (vgl. das Urteil des Bundesfinanzhofs VI 97/56 U vom 21. Februar 1958, BStBl 1958 III S. 167, Slg. Bd. 66 S. 427).
Das Finanzgericht hat die Gründe, die der Bf. gegen die Berechnung der außergewöhnlichen Belastung vorgebracht hat, nicht geprüft. Aus diesem Grunde war das Urteil aufzuheben und die nicht spruchreife Sache zur nochmaligen Entscheidung an das Finanzgericht zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 410033 |
BStBl III 1961, 427 |
BFHE 1962, 441 |
BFHE 73, 441 |
StRK, AO:218 R 12 |