Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermessenskontrolle bei Ablehnung eines erneut und verspätet beantragten Billigkeitserweises
Leitsatz (NV)
1. Werden zur Begründung eines erneuten Antrags auf Abgabenerstattung aus (sachlichen) Billigkeitsgründen lediglich die früheren, bei (Teil-) Ablehnung des ersten Antrags bereits gewürdigten Gründe geltend gemacht, so ist die Finanzbehörde jedenfalls in der Regel nicht zu erneuter Sachprüfung verpflichtet.
2. Kein Ermessensfehler, wenn ein unverhältnismäßig spät gestellter Antrag (1.) schon mit Rücksicht auf den Zeitablauf abgelehnt wird.
Normenkette
AO 1977 §§ 227, 5; FGO § 102
Tatbestand
Die Klägerin war im Jahre 1971 von einer Dienststelle des Hauptzollamts (HZA) als haftende Zollbeteiligte nicht ordnungsgemäß erledigter Verfahren des innerstaatlichen Zollgutversands für Eingangsabgaben in Höhe von 1 633 201,69 DM in Anspruch genommen worden. Das HZA hatte die Haftungssumme durch Verfügung vom 13. Juni 1974 aus persönlichen Billigkeitsgründen auf 300 000 DM herabgesetzt und durch Einspruchsentscheidung vom 18. Oktober 1974 den hinsichtlich dieses Betrages aufrechterhaltenen Einspruch zurückgewiesen. Diese Entscheidung wurde bestandskräftig. Gegen die nicht mit Rechtsbehelfsbelehrung versehene Verfügung vom 13. Juni 1974 wurde ein Rechtsbehelf nicht eingelegt.
Im Jahre 1979 beantragte die Klägerin bei dem HZA, den gegen sie ergangenen Haftungsbescheid aufzuheben und den inzwischen gezahlten Betrag von 300 000 DM aus Rechtsgründen zu erstatten. Gesondert beantragte sie Erstattung dieses Betrages aus Billigkeitsgründen. Beide Anträge wurden abgelehnt, und zwar der Antrag auf Billigkeitserweis schon wegen Verspätung. Die nach erfolglosen Vorverfahren erhobenen Verpflichtungsklagen, die die Klägerin im wesentlichen damit begründete, ihre Inanspruchnahme als Haftende sei nach dem nunmehr festzustellenden Sachverhalt fehlerhaft gewesen, hatten gleichfalls keinen Erfolg. Das Finanzgericht - FG - führte aus, die Ablehnung des - neuen - Antrags auf Erstattung aus Billigkeitsgründen sei nicht ermessensfehlerhaft. Das Wiederaufgreifen eines bestandskräftig abgeschlossenen Billigkeitsverfahrens sei in aller Regel nur bei Vorliegen neuer Tatsachen geboten. An solchen Gründen fehle es hier. Das Strafverfahren gegen Dritte wegen Steuerhinterziehung habe entgegen der Ansicht der Klägerin keine neuen Erkenntnisse erbracht. Daß Zollbeamte am Schmuggel und an der Abwicklung der Versandverfahren mitgewirkt hätten, sei Erörterungsgegenstand schon im Einspruchsverfahren und im ersten Billigkeitsverfahren gewesen. Zudem hätte die Klägerin ihren neuen Antrag früher, vor Abschluß des Strafverfahrens im Jahre 1978, stellen können. Auch die Aufhebung des Haftungsbescheids und die Erstattung des gezahlten Betrages aus Rechtsgründen sei rechtsfehlerfrei, wegen Verjährung der Haftungsansprüche spätestens mit Ende des Jahres 1975, abgelehnt worden.
Mit ihrer Revision gegen dieses Urteil verfolgt die Klägerin lediglich ihr Begehren auf Erstattung aus Billigkeitsgründen weiter. Sie führt dazu im wesentlichen aus, es sei ihr nicht zumutbar gewesen, den Antrag auf Erstattung aus Billigkeitsgründen früher zu stellen, weil sie erst nach Abschluß des Strafverfahrens von den Straf-, Ermittlungs- und Fahndungsakten habe Kenntnis nehmen können. Den Akten seien zahlreiche Hinweise über die Mitwirkung von Zollbeamten bei den Schmuggelgeschäften zu entnehmen, während früher die Möglichkeit dieses Tatbestandes nur angedeutet worden sei. Sie - Klägerin - sei durch Täuschungshandlungen, an denen Zollbeamte beteiligt gewesen seien, zur Übernahme der Haftung veranlaßt worden. Der Umstand, daß das Abgangszollamt die Täuschung auf den Rückscheinen hätte erkennen müssen, sei bei der Entscheidung darüber zu berücksichtigen, ob die Inanspruchnahme aus Haftung der Billigkeit entspreche. Die Erkenntnisse, die der Zollfahndung Ende 1970 über Zigarettenschmuggel aus H in die Niederlande vorgelegen hätten, hätten zur Überprüfung der in H vorliegenden Rückscheine und zur Warnung der Versender führen müssen; dadurch wären mindestens die letzten Lieferungen verhindert worden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Im Revisionsverfahren ist nur noch über die Behandlung des auf § 227 der Abgabenordnung - AO 1977 - gestützten Begehrens der Klägerin zu befinden, ihr aus sachlichen Billigkeitsgründen den nicht schon früher erlassenen, von ihr als Haftungsschuldnerin gezahlten Betrag von 300 000 DM zu erstatten. Das FG hat aus zutreffenden Gründen entschieden, daß die Ablehnung dieses Begehrens durch das HZA rechtlich nicht zu beanstanden ist.
Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme - hier über eine solche im Rahmen des Erhebungsverfahrens - ist ein Ermessensakt, der gerichtlich nur darauf überprüft werden darf, ob er ermessensfehlerhaft getroffen worden ist (vgl. § 102 der Finanzgerichtsordnung - FGO -, § 5 AO 1977). Richtig hat das FG erkannt, daß die Ablehnung des Antrags der Klägerin schon aus dem Grunde nicht für ermessensfehlerhaft erachtet werden kann, weil keine neuen Antragsgründe, sondern nur die für den ersten Antrag auf Abgabenerlaß aus Billigkeitsgründen angeführten Gründe - erneut - geltend gemacht worden sind. Diese Gründe sind bereits aufgrund des ersten Antrags der Klägerin gewürdigt worden und haben zum Erlaß von Eingangsabgaben in Höhe von 1,33 Mio DM geführt; die Entscheidung darüber einschließlich der Versagung einer Billigkeitsmaßnahme wegen des Restbetrages von 300 000 DM ist bestandskräftig geworden. Werden zur Begründung eines weiteren Antrags lediglich die früheren Gründe wiederholt, so mag dies die Behörde zur Prüfung veranlassen, ob ein weitergehender Billigkeitserweis angebracht ist; verpflichtet zu erneuter Sachprüfung ist sie jedoch nicht. Für ihre entgegenstehende Auffassung beruft sich die Klägerin auf Tipke / Kruse (Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 227 AO 1977 Tz. 69), die im Anschluß an Gast (ABC-Kommentar zu § 131 der Reichsabgabenordnung - AO -, 1963, S. 147) ausführen, wenn keine neuen Tatsachen vorgebracht würden, habe die Behörde zu prüfen, ob sie die ursprüngliche Ablehnung des Erlasses nachträglich für ungerechtfertigt halte. Ob damit ausgedrückt werden soll, es bestehe selbst in solchen Fällen eine Verpflichtung zu erneuter Sachprüfung, erscheint zweifelhaft. Denn wenn dies angenommen wird, bedürfte es nicht der Hervorhebung, daß der Antrag wiederholt werden könne, wenn neue Tatsachen gegeben seien (Tipke / Kruse, a.a.O.). Sollte damit indessen eine Verpflichtung zu erneuter Sachprüfung auch ohne ,,neue" Antragsgründe bejaht werden, so könnte der Senat dem nicht folgen. Die Bestandskraft der (Teil-)Ablehnung, hier eingetreten spätestens ein Jahr nach Bekanntgabe der Verfügung vom 13. Juni 1974 (vgl. § 237 Abs. 2 AO), schließt zumindest für den Regelfall eine Verpflichtung der Behörde zu neuer Sachprüfung aus. Mangels einer solchen Verpflichtung ist die erneute Ablehnung eines schon früher begehrten Billigkeitserweises - hier hinsichtlich des Betrages von 300 000 DM - regelmäßig ohne weiteres ermessensfehlerfrei. Ob ausnahmsweise eine Sachprüfung auch ohne neue Antragsgründe geboten sein kann - denkbar bei offensichtlich und eindeutig ermessensfehlerhafter Ablehnung eines Billigkeitserlasses, falls der Beteiligte den Fehler nicht hat rechtzeitig geltend machen können (vgl. für die sachliche Überprüfung bestandskräftiger Steuerfestsetzungen im Billigkeitsverfahren Bundesfinanzhof - BFH -, Urteil vom 30. April 1981 VI R 169/78, BFHE 133, 255, 257, BStBl II 1981, 611) -, braucht nicht entschieden zu werden, weil der Streitfall keinen Anhalt für die Annahme solcher besonderen Umstände bietet. Nur wenn sie vorlägen, könnte es in Betracht kommen, eine erneute Ablehnung schärferen Anforderungen bei der Ermessenskontrolle zu unterwerfen.
Das FG hat - für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO), weil Verfahrensrügen insoweit nicht erhoben worden sind - festgestellt, die mögliche Beteiligung von Zollbeamten am Zigarettenschmuggel und die Fälschung der Rückscheine sei Erörterungsgegenstand im Einspruchsverfahren gegen den Haftungsbescheid und im Billigkeitsverfahren 1973/74 gewesen. Nur diese Gründe sind es, die die Klägerin auch für ihren neuen Antrag vorgetragen hat. Daß diese Gründe unter Verwertung von Erkenntnissen aus Akten, die der Klägerin 1973/74 noch nicht zur Verfügung standen, näher ausgeführt worden sind, macht sie nicht zu ,,neuen" Antragsgründen.
Der Senat ist darüber hinaus der Auffassung, daß die Versagung eines weiteren Billigkeitserweises auch deshalb nicht ermessensfehlerhaft ist, weil der neue Antrag verspätet gestellt worden ist. Zwar kommt dem Umstand, daß der Haftungsanspruch gegen die Klägerin bereits verjährt war, in diesem Zusammenhang keine Bedeutung zu, weil davon auszugehen ist, daß auch bereits verjährte Ansprüche im Rahmen von Billigkeitsmaßnahmen eine Erstattung erlauben (Koch, Abgabenordnung - AO 1977, 3. Aufl. 1986, § 227 Rz. 48; vgl. auch FG Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Januar 1984 III K 311/83, Entscheidungen der Finanzgerichte 1984, 358 f.). Es ist jedoch anerkannt, daß es im Rahmen pflichtgemäßer Ermessensausübung liegen kann, wenn ein unverhältnismäßig spät gestellter Antrag auf Erstattung aus sachlichen Billigkeitsgründen schon mit Rücksicht auf den Zeitablauf zwischen Zahlung und Antragstellung abgelehnt wird (BFH, Urteile vom 8. Oktober 1980 II R 8/76, BFHE 131, 446, 448, BStBl II 1981, 82, und vom 3. Februar 1976 VII R 47/74, BFHE 118, 3 f., im Anschluß an ältere Rechtsprechung); dabei können Anhaltspunkte für die Unverhältnismäßigkeit dieses Zeitraums den gesetzlichen Fristen entnommen werden, deren Versäumung zu Rechtsverlusten führt. Die Frist von mehr als vier Jahren, die die Klägerin bis zu ihrem neuen Antrag hat verstreichen lassen, hält der Senat für unverhältnismäßig. Es sind keine Gesichtspunkte festgestellt oder ersichtlich, die ergeben könnten, daß der Klägerin eine frühere Antragstellung nicht zumutbar war. Das FG hat zutreffend ausgeführt, daß die Klägerin nicht den Abschluß des Strafverfahrens abzuwarten brauchte, um die ihr in allen wesentlichen Punkten bekannten Antragsgründe früher geltend zu machen, gegebenenfalls vorbehaltlich einer späteren näheren Ausführung nach Kenntnis des Inhalts der einschlägigen Akten.
Da sich die (erneute) Ablehnung der Erstattung von 300 000 DM schon aus den angeführten Gründen als ermessensfehlerfrei erfolgt erweist, besteht keine Veranlassung, auf die von der Klägerin in der Sache selbst vorgebrachten Gründe näher einzugehen.
Fundstellen