Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerliche Betriebsprüfung Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Wenn das Finanzamt eine dem Steuerpflichtigen ungünstige Tatsache bei einer Veranlagung zwar nicht gekannt hat, aber auf Grund der eigenen Angaben des Steuerpflichtigen bei gehöriger Erfüllung der amtlichen Aufklärungspflicht hätte kennen können und müssen, so muß es diese Tatsache als im Sinne des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO bekannt gegen sich gelten lassen.
Wie weit muß ein dauernd getrennt lebender Ehegatte darüber Angaben in der Einkommensteuererklärung machen?
Normenkette
AO §§ 204, 222 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Bei der Einkommensteuerveranlagung des Bg. für 1959 setzte das Finanzamt die Einkommensteuer nach dem Splittingtarif fest, obwohl der Bg. bereits seit Mai 1958 von seiner Ehefrau getrennt lebte und von ihr im November 1959 geschieden war. In seiner Einkommensteuererklärung 1959 hatte der Bg. als Frage, ob er dauernd getrennt gelebt habe, nicht beantwortet. Zur Frage nach dem Familienstand hatte er angegeben: "Geschieden seit November 1959." In der gleichzeitig abgegebenen Einkommensteuererklärung 1958 hatte er die Fragen nach den Personalien der Ehefrau ausgefüllt und die Fragen, ob er nicht dauernd getrennt gelebt habe und ob er die Zusammenveranlagung beantrage, ausdrücklich bejaht.
Im Jahre 1962 erfuhr das Finanzamt, daß der Bg. und seine Ehefrau bereits seit Mai 1958 getrennt gelebt hatten. Daraufhin berichtigte es die Einkommensteuerveranlagung für 1959, indem es die Einkommensteuer 1959 statt nach dem Splittingtarif nach der normalen Tabelle (Grundtabelle) berechnete. Der Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen.
Die Berufung hatte Erfolg. Das Finanzgericht hob den Berichtigungsbescheid auf, so daß der ursprüngliche Bescheid wieder in Kraft trat. Das Finanzgericht stellte fest, daß das Finanzamt von der Tatsache, daß der Bg. und seine Ehefrau bereits seit Mai 1958 getrennt gelebt hätten, bei der Veranlagung zwar nichts gewußt habe. Es nahm aber an, das Finanzamt habe auf Grund der Angaben des Bg. die Splittingtabelle nicht anwenden können. Wenn das Finanzamt meine, auf Grund der Steuererklärungen für die Vorjahre habe es annehmen müssen, daß der Bg. auch im Streitjahr 1959 wenigstens noch vier Monate mit seiner geschiedenen Ehefrau zusammengelebt habe, so überzeuge das nicht. Gerade im Zusammenhang mit der Steuererklärung für das Vorjahr 1958 hätte dem Bearbeiter des Finanzamts der Unterschied bei den Angaben zur Person und Familie in der Steuererklärung für 1959 ins Auge fallen müssen. Dem Finanzamt sei auch darin nicht zuzustimmen, daß der Bg. in den Steuererklärungen hätte klar angeben müssen, daß er sie nur für sich, nicht aber auch für seine Ehefrau unterzeichne. Die Erklärungspflicht eines geschiedenen Ehemannes gehe nicht so weit, daß er noch weitere Angaben machen müsse als die Tatsache und den Zeitpunkt der Ehescheidung, zumal wenn er Angaben über Getrenntleben und Zusammenveranlagung - im offensichtlichen Gegensatz zu der gleichzeitig eingereichten Steuererklärung für das Vorjahr - unterlassen habe.
Mit seiner Rb. rügt der Vorsteher des Finanzamts unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts. Er hält die Ausfüllung der Einkommensteuererklärung 1959 für nicht so klar, daß das Finanzamt hätte erkennen müssen, daß der Bg. nicht auch noch im Streitjahr 1959 vier Monate mit seiner Ehefrau zusammengelebt hatte.
Entscheidungsgründe
Die Rb. kann keinen Erfolg haben.
Das Finanzamt kann sich, auch wenn ihm, wie das Finanzgericht feststellt, zur Zeit der Einkommensteuerveranlagung für 1959 nicht bekannt war, daß der Bg. und seine damalige Ehefrau getrennt lebten, hierauf nicht berufen. Das Finanzamt hatte, wie das Finanzgericht zutreffend darlegt, auch wenn es die von dem Bg. abgegebene Einkommensteuererklärung 1959 zugrunde legte, keinen zureichenden Anlaß, den Bg. unter Anwendung des Splittingtarifs zu veranlagen. Daß es trotzdem den Splittingtarif angewandt hat, war zwar ein Fehler, aber keine offenbare Unrichtigkeit im Sinne von § 92 Abs. 3 AO, die ohne weiteres zu einer änderung der durchgeführten Veranlagung führen kann.
Wenn der Vorsteher des Finanzamts meint, die von dem Bg. abgegebene Einkommensteuererklärung 1959 sei irreführend gewesen, so ist ihm nicht zuzustimmen. In der Einkommensteuererklärung 1959 hat der Bg. die Vorderseite des Vordrucks bis zu den Fragen nach dem Nicht-dauernd-Getrenntleben und der Zusammenveranlagung durch einen Schrägstrich deutlich durchstrichen. Das Finanzgericht stellt fest, daß auch diese Fragen von dem Schrägstrich mitbetroffen seien. Ein Strich durch die Fragen selbst wäre zwar deutlicher gewesen. Weil aber diese Fragen weder mit ja noch mit nein beantwortet wurden, während die vorangegangene Frage nach dem Familienstand klar mit "geschieden seit November 1959" beantwortet war, hat der Bg. nach Auffassung des Senats ausreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, daß die Fragen nach dem dauernden Getrenntleben und der Zusammenveranlagung nach der Auffassung des Bg. keine Bedeutung mehr hatten, weil die Zusammenveranlagung ohnehin nicht möglich war. Unter diesen Umständen konnte das Finanzamt die erwähnten Fragen nicht als mit ja beantwortet betrachten. Für die Annahme, daß der Bg. das Finanzamt hätte irreführen wollen, bietet der Sachverhalt keinen Anhalt. Wie die Dinge liegen, hatte der Bg. das Finanzamt über seine steuerlichen Verhältnisse so ausreichend informiert, wie man es von ihm billigerweise erwarten konnte. Es wäre, weil der Bg. die Scheidung von der Ehefrau deutlich angegeben und die Fragen nach dem Nicht-dauernd-Getrenntleben und der Zusammenveranlagung nicht beantwortet hatte, Sache des Finanzamts gewesen, den Fall aufzuklären, wenn es den Splittingtarif anwenden wollte.
Ohne Rechtsverstoß konnte das Finanzgericht, auch wenn es annahm, daß die maßgebenden Beamten des Finanzamts die Tatsache der dauernden Trennung der Ehegatten während des ganzen Streitjahres 1959 tatsächlich nicht gekannt haben, die Voraussetzungen des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO als nicht erfüllt ansehen, denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs muß das Finanzamt eine Tatsache, die es zwar nicht positiv gekannt hat, aber auf Grund der ausreichenden eigenen Angaben des Steuerpflichtigen bei gehöriger Erfüllung der amtlichen Aufklärungspflicht (§ 204 AO) hätte kennen können und müssen, als im Sinne des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO bekannt gegen sich gelten lassen. Die Vorentscheidung entspricht den Grundsätzen dieser Rechtsprechung.
Fundstellen
Haufe-Index 411223 |
BStBl III 1964, 390 |
BFHE 1964, 436 |
BFHE 79, 436 |