Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung für beim Steuerschuldner verwirkte Säumniszuschläge bei Zahlungsunfähigkeit des Haftenden
Leitsatz (NV)
- Hebt das FA einen beim Steuerschuldner verwirkte Säumniszuschläge betreffenden Haftungsbescheid in der rechtsirrigen Annahme auf, die Gesellschafterhaftung erfasse nicht die steuerlichen Nebenleistungen, muss es die als falsch erkannte Rechtsauffassung aufgeben und für nachfolgende Zeiträume die dann verwirkten Säumniszuschläge durch weiteren Haftungsbescheid geltend machen, es sei denn, dass das FA dem Haftungsschuldner eine bestimmte rechtliche Behandlung zugesagt oder durch sein früheres Verhalten außerhalb einer Zusage einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat.
- War dem Haftungsschuldner die rechtzeitige Zahlung der Haftungsschuld wegen seiner eigenen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich und hatte deshalb die Ausübung eines Druckes zur Durchsetzung der Zahlung ihren Sinn verloren, darf der Haftungsschuldner nicht oder nur teilweise wegen der beim Hauptschuldner verwirkten Säumniszuschläge in Anspruch genommen werden.
Normenkette
AO 1977 §§ 4, 191 Abs. 1, 5 S. 1 Nr. 2, § 240 Abs. 1
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war mit zwei weiteren Personen Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Nach Zwangsversteigerung der von der GbR erworbenen Grundstücke war diese vermögenslos. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) nahm den Kläger sowie die beiden anderen Gesellschafter jeweils durch Haftungsbescheid vom 21. Februar 1986 wegen Grunderwerbsteuerschulden der GbR in Höhe von 196 433 DM zuzüglich Säumniszuschlägen in Höhe von 17 676 DM für die Zeit vom 4. Juni 1985 bis zum 3. März 1986 in Anspruch. Der vom Kläger eingelegte Einspruch hatte hinsichtlich der Säumniszuschläge Erfolg. Hierzu führte das FA in der Einspruchsentscheidung vom 3. Dezember 1986 Folgendes aus:
"Für die angeforderten Säumniszuschläge wird die Haftung nicht aufrechterhalten, da § 191 Abs. 1 AO in diesem Fall nur die Inanspruchnahme hinsichtlich der Steuer deckt (vgl. Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 26. Februar 1982 VI 74/82, EFG 1982, 600). Der Haftungsbetrag verringert sich daher auf 196 433 DM."
Über den Betrag in Höhe von 196 433 DM schloss der Kläger mit dem FA eine Ratenzahlungsvereinbarung, wonach er monatlich einen Betrag von 1 000 DM zahlen sollte. Dementsprechend zahlte der Kläger in den Jahren 1986 bis 1991 auf die Haftungsschuld ca. 70 000 DM, so dass diese sich auf 124 212 DM reduzierte.
Am 21. Januar 1992 mahnte die Vollstreckungsstelle des FA gegenüber dem Kläger neben der ausstehenden Haftungsschuld Säumniszuschläge für die Zeit ab dem 4. März 1986 in Höhe von 128 599 DM an. Der Kläger legte daraufhin seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse gegenüber dem FA dar. Mit Schreiben vom 7. April 1992 teilte das FA dem Kläger mit, dass nach Prüfung der vorgelegten Unterlagen eine weitere Beschränkung der Vollstreckung der Haftungsschuld nicht mehr zugestanden werden könne. Nach Einwendungen des Klägers setzte das FA mit Schreiben vom 8. Mai 1992 gemäß § 258 der Abgabenordnung (AO 1977) die Vollstreckung der Rückstände unter der Bedingung der Einhaltung eines festgelegten Zahlungsplans bezüglich der Grunderwerbsteuer-Haftungsschuld aus. Das FA wies darauf hin, dass während des Vollstreckungsaufschubs weitere Säumniszuschläge verwirkt würden. Über die Tilgung der Säumniszuschläge werde nach Tilgung der Hauptschuld entschieden werden. Der Kläger tilgte die Grunderwerbsteuer-Haftungsschuld bis Ende 1992 ratenweise nahezu vollständig.
Am 22. Januar 1993 mahnte das FA Säumniszuschläge in Höhe von 134 942 DM an. Nachdem der Kläger u.a. vorgetragen hatte, die Geltendmachung der Säumniszuschläge sei unbillig, weil er über die vereinbarten Raten hinaus keine weiteren Zahlungen hätte leisten können, hob das FA mit Schreiben vom 26. Februar 1993 die Mahnung wieder auf und teilte mit, die Vollstreckung der verwirkten Säumniszuschläge werde vorläufig nicht durchgeführt.
Mit Haftungsbescheid vom 13. April 1993 setzte das FA gegen den Kläger und die beiden anderen Gesellschafter wegen von der GbR geschuldeter Säumniszuschläge für die Zeit vom 4. März 1986 bis zum 3. Januar 1993 jeweils eine Haftungsschuld in Höhe von 119 230 DM fest. Der vom Kläger hiergegen eingelegte Einspruch hatte teilweise Erfolg. Wegen Zahlungsverjährung der bis zum 31. Dezember 1986 fällig gewordenen Säumniszuschläge ermäßigte das FA die Haftungssumme auf 100 140 DM.
Die vom Kläger erhobene Klage führte zur Aufhebung des Haftungsbescheids vom 13. April 1993 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 4. November 1994. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, das FA sei nach den Grundsätzen von Treu und Glauben daran gehindert gewesen, den Haftungsbescheid zu erlassen. Das FA habe in seiner Einspruchsentscheidung vom 3. Dezember 1986 (betr. den ersten Haftungsbescheid vom 21. Februar 1986) zumindest aus der für deren Auslegung maßgeblichen Sicht des Empfängers objektiv zum Ausdruck gebracht, es werde gegenüber dem Kläger jetzt und in Zukunft keine Säumniszuschläge im Wege der Haftung geltend machen. Die Bezugnahme auf die damals aktuellen Säumniszuschläge sei zwischen den Beteiligten unstreitig. Der Bezug auf alle künftigen Säumniszuschläge folge aus der ausdrücklichen Nennung des Urteils des FG Hamburg vom 26. Februar 1982. Zu dieser Aussage habe sich das FA in Widerspruch gesetzt, als es im Jahre 1993 einen zweiten Haftungsbescheid über Säumniszuschläge erlassen habe.
Mit der Revision macht das FA geltend, es sei nicht an die in der Einspruchsentscheidung vom 3. Dezember 1986 vertretene, unzutreffende Rechtsauffassung gebunden gewesen; es hab diese vielmehr zum frühestmöglichen Zeitpunkt aufgeben können und müssen.
Das FA beantragt, unter Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Nach Auffassung des Klägers darf das FA ihn wegen der Säumniszuschläge nicht als Haftenden in Anspruch nehmen, weil die GbR nach Zwangsversteigerung der Grundstücke vermögenslos und überschuldet gewesen sei. Daran ändere nichts die Nachschusspflicht der Gesellschafter gemäß § 735 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), weil der Anspruch der GbR auf Nachschussleistung mangels Leistungsfähigkeit der Gesellschafter ins Leere gegangen sei. Die Säumniszuschläge hätten deshalb gegenüber der GbR erlassen werden müssen. Zudem habe das FA sein Ermessen bei Erlass des Haftungsbescheids fehlerhaft ausgeübt. Es fehlten Ausführungen zum Auswahlermessen. Außerdem enthalte der Haftungsbescheid keine nachvollziehbare Berechnung der Säumniszuschläge und sei deshalb nicht prüffähig. Schließlich sei die Zahlungsverjährung nicht durch Mahnung unterbrochen worden, weil er ―der Kläger― das Schreiben vom 21. Februar 1992 nicht erhalten habe.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet. Zwar kann der Auffassung des FG, das FA sei nach Treu und Glauben am Erlass eines Haftungsbescheids gehindert gewesen, nicht gefolgt werden. Die Aufhebung des Haftungsbescheids durch das FG stellt sich im Ergebnis jedoch als richtig dar, weil das FA sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat.
1. Das FA war entgegen der Ansicht des FG nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben daran gehindert, den Haftungsbescheid zu erlassen. Es hat sich mit dem angefochtenen Haftungsbescheid nicht in Widerspruch zur Einspruchsentscheidung vom 3. Dezember 1986 gesetzt.
a) Im Streitfall musste das FA bei jeder erneuten Inanspruchnahme des Klägers als Haftenden wegen der Säumniszuschläge die einschlägigen Rechtsgrundlagen erneut prüfen. Die Finanzbehörde hat eine als falsch erkannte Rechtsauffassung zum frühestmöglichen Zeitpunkt aufzugeben. Sie ist an eine bei einer früheren Inanspruchnahme zugrunde gelegte Rechtsauffassung auch dann nicht gebunden, wenn der Haftungsschuldner im Vertrauen darauf disponiert hat (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 21. Oktober 1992 X R 99/88, BFHE 170, 41, BStBl II 1993, 289; unter 5. a, m.w.N.). Die in der Einspruchsentscheidung vom 3. Dezember 1986 vertretene und auf die Entscheidung des FG Hamburg in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1982, 600 gestützte Auffassung des FA, die Gesellschafterhaftung erfasse nicht die steuerlichen Nebenleistungen, band deshalb das FA nicht. Nachdem der BFH im Urteil vom 24. Februar 1987 VII R 4/84 (BFHE 149, 125, BStBl II 1987, 363) der Auffassung des FG Hamburg nicht gefolgt war und die gegenteilige Ansicht vertreten hatte, durfte und musste das FA einer erneuten Inanspruchnahme des Klägers als Haftenden die Rechtsauffassung des BFH zugrunde legen.
b) Eine vom vorstehenden Grundsatz abweichende Beurteilung kann erforderlich sein, wenn die Finanzbehörde dem Haftungsschuldner eine bestimmte rechtliche Behandlung zugesagt oder durch ihr früheres Verhalten außerhalb einer Zusage einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat (vgl. BFH in BFHE 170, 41, BStBl II 1993, 289, unter 5. b). Im Streitfall hat das FA keine Zusage zu einem noch nicht verwirklichten Sachverhalt erteilt. Das FA hat lediglich die Inanspruchnahme hinsichtlich der bereits ―in der Vergangenheit― entstandenen Säumniszuschläge aufgehoben und sich hierfür auf die Rechtsauffassung des FG Hamburg in EFG 1982, 600 bezogen. Es hat keine rechtliche Behandlung für die Zukunft zugesichert, auch nicht durch die Zitierung des FG-Urteils. Es bestand kein Anlass für das FA, eine bestimmte rechtliche Behandlung in der Zukunft zuzusagen; insbesondere ist das FA nicht vom Steuerpflichtigen darum gebeten worden. Es widerspräche der allgemeinen Übung der Finanzverwaltung, unaufgefordert Zusicherungen für die Zukunft abzugeben.
2. Die Entscheidungsgründe des FG-Urteils ergeben zwar eine Verletzung bestehenden Rechts, die Entscheidung selbst stellt sich aber aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―), allerdings mit der Einschränkung, dass der Haftungsbescheid vom 13. April 1993 wegen eines Ermessensfehlers aufgehoben wird.
a) Die Aufhebung des Haftungsbescheides durch das FG war allerdings nicht deshalb richtig, weil der Kläger vorträgt, er habe die Mahnung vom 21. Januar 1992 nicht empfangen und es sei deshalb Zahlungsverjährung eingetreten. Der Kläger ist mindestens in einem weiteren Schreiben des FA, nämlich dem vom 7. April 1992, zur Zahlung der Säumniszuschläge aufgefordert worden. Dieses Schreiben hatte gemäß § 231 Abs. 1 der AO 1977 verjährungsunterbrechende Wirkung, so dass es für die Frage der Verjährung nicht auf den Zugang des Schreibens vom 21. Januar 1992 ankommt.
b) Die Aufhebung des Haftungsbescheids durch das FG erweist sich im Ergebnis als richtig, weil das FA bei der Inanspruchnahme des Klägers als Haftenden von seinem Ermessen nach § 191 Abs. 1 AO 1977 nicht in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. § 102 FGO).
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH hat die Finanzbehörde bei Anwendung des § 191 Abs. 1 AO 1977 nach ihrem Ermessen (Entschließungsermessen) darüber zu entscheiden, ob sie den Haftenden auf Zahlung des Haftungsbetrages in Anspruch nehmen will. Diese Ermessensentscheidung ist nur dann rechtmäßig, wenn das FA den entscheidungserheblichen Sachverhalt einwandfrei und erschöpfend ermittelt hat. Daraus folgt umgekehrt, dass die Ermessensentscheidung fehlerhaft ist, wenn die Behörde bei ihrer Entscheidung Gesichtspunkte tatsächlicher und rechtlicher Art, die nach dem Sinn und Zweck der Ermessensvorschrift zu berücksichtigen wären, außer Acht lässt (BFH-Urteil vom 12. Dezember 1996 VII R 53/96, BFH/NV 1997, 386).
bb) Nach dem Zweck der Ermächtigung zur Inanspruchnahme des Haftenden nach § 191 Abs. 1 AO 1977 hat die Finanzbehörde bei der Ausübung des Entschließungsermessens auch zu erwägen, ob der Inanspruchnahme des Haftenden Billigkeitsgründe entgegenstehen. Bei der Anwendung dieses Rechtssatzes ist zu differenzieren zwischen Billigkeitsgründen, die den Steuerschuldner und die Steuerschuld betreffen und solchen, die sich auf den Haftungsschuldner und die Haftungsschuld beziehen. Denn die Haftungsschuld, die durch die Verwirklichung eines eigenen gesetzlichen Tatbestandes entsteht, tritt selbständig neben die Steuerschuld (BFH-Urteil vom 25. Februar 1997 VII R 15/96, BFHE 182, 480, BStBl II 1998, 2, unter 2. a).
(1.) Dass Billigkeitsgesichtspunkte, die sich auf die Steuerschuld beziehen, bei der Betätigung des Entschließungsermessens berücksichtigt werden müssen, ergibt sich nach Auffassung des BFH aus dem Zusammenhang des § 191 Abs. 1 mit der Regelung in Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AO 1977, nach der ein Haftungsbescheid nicht mehr ergehen darf, soweit die gegen den Steuerschuldner festgesetzte Steuer erlassen worden ist. Zwar betrifft die Vorschrift des Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 ihrem Wortlaut nach nur die Fälle, in denen ein Erlass der Steuer bereits erfolgt ist. Nach der Rechtsprechung des BFH ist bei der Ausübung des Entschließungsermessens jedoch auch zu berücksichtigen, ob die Steuer, für die gehaftet wird, in Zukunft erlassen werden kann oder muss (BFH-Urteil vom 25. Juli 1989 VII R 54/86, BFHE 157, 467, BStBl II 1990, 284).
Hinsichtlich der Haftung für Säumniszuschläge ist ebenfalls eine vorhandene Erlasssituation zu berücksichtigen. Säumniszuschläge, die ohne Rücksicht auf ein Verschulden des Steuerpflichtigen mit der Nichtzahlung der Steuer zum Fälligkeitszeitpunkt verwirkt sind (§ 240 Abs. 1 AO 1977), sind dem Steuerschuldner wegen sachlicher Unbilligkeit ―jedenfalls teilweise― zu erlassen, wenn ihm die rechtzeitige Zahlung der Steuerschulden wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich war und deshalb die Ausübung eines Druckes zur Durchsetzung der Zahlung ihren Sinn verloren hatte (BFH-Urteile vom 16. Juli 1997 XI R 32/96, BFHE 184, 193, BStBl II 1998, 7; vom 7. Juli 1999 X R 87/96, BFH/NV 2000, 161, jeweils m.w.N.). Auch ohne das Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung kann die Anforderung von Säumniszuschlägen sachlich unbillig sein, wenn dem Steuerschuldner Ratenzahlung als Maßnahme i.S. des § 258 AO 1977 eingeräumt wurde, um auf die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit für eine längere Zeitspanne Rücksicht zu nehmen (BFH-Urteil vom 22. Juni 1990 III R 150/85, BFHE 161, 4, BStBl II 1991, 864). Der Haftungsschuldner kann sich im Hinblick auf die Akzessorietät der Haftungsschuld im Haftungsverfahren darauf berufen, dass der Erlassanspruch hinsichtlich der Säumniszuschläge, der dem Steuerschuldner aus sachlichen Billigkeitsgründen zusteht, auch ihm zugute kommen muss. Die Heranziehung des Haftungsschuldners gemäß § 191 Abs. 1 AO 1977 für Säumniszuschläge, die ab dem Zeitpunkt des Eintritts der nachweislichen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit des Steuerschuldners entstanden sind, ist deshalb ―zumindest teilweise― unzulässig (vgl. BFH-Urteil vom 26. Juli 1988 VII R 83/87, BFHE 153, 512, BStBl II 1988, 859, in Verbindung mit den Urteilen in BFHE 184, 193, BStBl II 1998, 7, und in BFH/NV 2000, 161).
(2.) Dies gilt entsprechend, wenn die Entstehung der Säumniszuschläge darauf zurückzuführen ist, dass die Hauptschuld deshalb nicht getilgt wird, weil der für die Hauptschuld bereits in Anspruch genommene Haftungsschuldner nicht oder ―wie im Streitfall― nur beschränkt zahlungsfähig ist. In diesem Fall hätte die Entstehung der Säumniszuschläge bei jeweils ausreichenden Mitteln sowohl vom Steuerschuldner als auch vom Haftungsschuldner ―und zwar bei diesem durch rechtzeitige Zahlung auf seine Haftungsschuld― verhindert werden können. Die Entstehung der Säumniszuschläge beim Steuerschuldner bewirkt beim Haftungsschuldner den gleichen Zahlungsdruck wie beim Steuerschuldner, wenn auch die Haftungsschuld für Säumniszuschläge auf die Steuerschuld erst noch den Erlass eines Haftungsbescheides voraussetzt; denn der Haftungsschuldner muss mit dem Erlass eines solchen Bescheides rechnen, wenn er seine Haftungsschuld nicht tilgt. War dem Haftungsschuldner nach Festsetzung die rechtzeitige Tilgung der Haftungsschuld wegen seiner eigenen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich, hat die Ausübung eines Druckes zur Durchsetzung der Zahlung keinen Sinn. Der Haftungsschuldner darf in diesem Fall wegen der beim Hauptschuldner verwirkten Säumniszuschläge (jedenfalls teilweise) nicht in Anspruch genommen werden. Eine entsprechende Einschränkung gilt, wenn dem Haftungsschuldner Ratenzahlung als Maßnahme i.S. des § 258 AO 1977 eingeräumt wurde, um auf die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit für eine längere Zeitspanne Rücksicht zu nehmen.
cc) Aufgrund vorstehender Erwägungen ist die Ausübung des Entschließungsermessen durch das FA im Streitfall fehlerhaft, weil das FA die Frage, ob die Inanspruchnahme des Klägers bezüglich der bei der GbR verwirkten Säumniszuschläge wegen dessen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unbillig ist, nicht berücksichtigt hat, obwohl sich ihm, wie auch der Einspruchsentscheidung zu entnehmen ist, diese Frage aufgedrängt hat. Das FA hat nach den Ausführungen zur Begründung seiner Einspruchsentscheidung bei der Ausübung seines Entschließungsermessens lediglich berücksichtigt, ob ein Erlass der von der Steuerschuldnerin verwirkten Säumniszuschläge wegen deren Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit aus Billigkeitsgründen in Betracht kommt. Eine eventuelle Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit des Klägers hat es aber nicht in seine Ermessenserwägungen einbezogen.
Die Prüfung dieser Gesichtspunkte im Rahmen seiner Ermessensausübung musste sich dem FA bei der Entscheidung über die Inanspruchnahme des Klägers als Haftenden bezüglich der bei der Steuerschuldnerin verwirkten Säumniszuschläge im Streitfall insbesondere deshalb aufdrängen, weil dem Kläger im Wege des Vollstreckungsaufschubs über längere Zeit die Zahlung monatlich Raten eingeräumt worden war. Dies gilt umso mehr, als die Raten so bemessen waren, dass die (zum Teil noch festzusetzende) Haftungsschuld selbst bei vollständiger Erfüllung der Ratenzahlungsverpflichtung aufgrund der Säumniszuschläge ständig angestiegen wäre. Dieser Umstand spricht dafür, dass das FA die Grenzen der Leistungsfähigkeit des Klägers bei der Festlegung der Raten zugrunde gelegt hat und deshalb die bei der Steuerschuldnerin verwirkten Säumniszuschläge als Druckmittel auf den Kläger als Haftenden keinen Sinn hatten. Das FA hätte deshalb bei seiner Entscheidung über die Haftung des Klägers bezüglich der Säumniszuschläge die wirtschaftliche Situation des Klägers im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Klägers als Haftenden für die Steuer(-haupt)schuld ermitteln müssen. Mangels dessen war die Ermessensentscheidung des FA; die nicht anhand des einwandfrei und erschöpfend ermittelten Sachverhalts ergangen ist und nicht alle Gesichtspunkte tatsächlicher und rechtlicher Art berücksichtigte, die nach Sinn und Zweck der Norm, die das Ermessen einräumt, maßgeblich sind, fehlerhaft.
Danach ist zumindest nicht auszuschließen, dass das FA sein Entschließungsermessen anders ausgeübt hätte, wenn es auch die Frage der Unbilligkeit der Inanspruchnahme des Klägers in seine Erwägungen einbezogen hätte.
c) Da der Haftungsbescheid bereits wegen eines Fehlers bei der Betätigung des Entschließungsermessens rechtswidrig ist, kann dahinstehen, ob die Aufhebung auch deshalb gerechtfertigt wäre, weil das FA keine Ausführungen zum Auswahlermessen gemacht hat und dem Bescheid keine ins Einzelne gehende, prüffähige Berechnung der Haftungsschuld beigefügt war.
Fundstellen
BFH/NV 2002, 610 |
AO-StB 2002, 141 |