Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
§ 34 Abs. 2 Ziff. 2 EStG 1953 ist auf alle Entschädigungen im Sinne des § 24 Ziff. 1 EStG 1953 anwendbar, gleichgültig, im Rahmen welcher der Einkunftsarten des § 2 Abs. 3 EStG sie angefallen sind. Der Senat hält an der einengenden Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (vgl. z. B. Urteil VI 349/43 vom 5. Juli 1944, RStBl 1944 S. 641) nicht mehr fest.
Die Vergünstigung nach § 34 Abs. 2 Ziff. 2 EStG 1953 kann auch für eine Entschädigung gewährt werden, die an die Stelle entgangener oder entgehender Einnahmen nur eines Jahres tritt.
Normenkette
EStG § 24 Ziff. 1, § 34 Abs. 1, 2 Ziff. 2
Tatbestand
Der Bf. ist buchführender Landwirt. Er hat im Wirtschaftsjahr 1953/54 für entgangene Einnahmen 1949/50 aus Gemüsebau eine Entschädigung nach § 24 Ziff. 1 a EStG 1953 in Höhe von 12.982,68 DM erhalten. Für die Hälfte dieses Betrags in Höhe von 6.491 DM, der auf den Veranlagungszeitraum 1954 entfällt (§ 2 Abs. 6 Ziff. 1 EStG 1953), begehrt er Besteuerung nach § 34 Abs. 2 Ziff. 2 EStG 1953. Sein für den streitigen Veranlagungszeitraum veranlagtes Einkommen beträgt unstreitig 21.136 DM.
Die entgangenen Einnahmen aus Gemüsebau hatte der Bf. mit Schreiben vom 12. Dezember 1949 in Höhe von 21.000 DM angemeldet. Durch Urteil des Bundesgerichtshofs vom 31. Oktober 1952 V ZR 153/51 im Prozeß eines anderen Gartenbaubetriebs wurde die Schadensersatzpflicht der Stadt für die aus dem Gemüsebau den Landwirten entstandenen Schäden dem Grunde nach teilweise anerkannt, nachdem sie durch die Vorinstanzen in vollem Umfange abgelehnt worden war. Auf Grund Vergleichs vom 12. November 1953 hat der Bf. die obengenannte Entschädigung erhalten. Das Finanzamt lehnte mit Bescheid vom 20. März 1956 die Besteuerung nach § 34 Abs. 2 Ziff. 2 EStG 1953 ab. Einspruch und Berufung hiergegen blieben erfolglos. Das Finanzgericht führte im wesentlichen aus, der Reichsfinanzhof habe in ständiger Rechtsprechung (vgl. Urteile VI 264/41 vom 19. November 1941, RStBl 1942 S. 19; IV 206/41 vom 21. Mai 1941, RStBl 1942 S. 578; VI 249/43 vom 5. Juli 1944, RStBl 1944 S. 641) die Anwendung des § 34 Abs. 2 Ziff. 2 EStG auf Entschädigungen im Rahmen gewerblicher sowie land- und forstwirtschaftlicher Betriebe abgelehnt. Bei Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG könnten einzelne Geschäftsvorfälle aus dem einheitlich für das Wirtschaftsjahr entstehenden Gewinn keine Berücksichtigung finden. Es gehe nicht an, einzelne Betriebseinnahmen auszusondern und für einzelne Betriebsvorgänge eine steuerliche Sonderbehandlung zuzulassen. Für die Richtigkeit dieser Auffassung spreche, daß die Vergünstigung des § 34 Abs. 3 EStG 1953 nur gewährt werde, wenn ein Bestandsvergleich für das stehende Holz nicht vorgenommen werde.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist begründet.
Nach § 34 Abs. 2 Ziff. 2 EStG 1953 kommen als außerordentliche Einkünfte, für die nach § 34 Abs. 1 auf Antrag die Einkommensteuer auf 10 bis 40 vom Hundert der außerordentlichen Einkünfte zu bemessen ist, auch Entschädigungen im Sinne von § 24 Ziff. 1 in Betracht. Es ist unstreitig, daß es sich bei dem in Frage stehenden Betrag von 12.982,68 DM um eine solche Entschädigung handelt. Unstreitig ist auch die weitere Voraussetzung des § 34 Abs. 1 EStG 1953 erfüllt, wonach der Vorzugstarif nur gewährt wird, wenn das Einkommen des Steuerpflichtigen im Veranlagungszeitraum 6.000 DM übersteigt. Zutreffend führt das Finanzgericht auch aus, der Reichsfinanzhof habe in der zitierten Rechtsprechung die Anwendung des § 34 Abs. 1 EStG auf Entschädigungen abgelehnt, die ein Steuerpflichtiger im Rahmen seines land- und forstwirtschaftlichen oder seines gewerblichen Betriebes erhalten hat. Der Senat vermag dieser Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs jedoch nicht beizutreten.
In der Entscheidung VI 381/40 vom 13. November 1940 (RStBl 1940 S. 1042) hat der Reichsfinanzhof bei Pächterlandwirten, deren Land für Wehrmachtszwecke gegen Entschädigung weggenommen worden war, die Möglichkeit der Anwendung des § 34 Abs. 2 Ziff. 2 EStG auf die Entschädigung bereits eingeräumt, allerdings nur, weil durch die Landwegnahme die Existenzgrundlage der Landwirte nahezu völlig zerstört worden war. Die Vorschrift des § 34 Abs. 2 Ziff. 2 EStG führt Entschädigungen im Sinne des § 24 Ziff. 1 EStG jedoch ohne Einschränkung auf. Das Gesetz gibt keinen Anhaltspunkt für die restriktive Auslegung des Reichsfinanzhofs. Die formale Umschreibung des Begriffs der außerordentlichen Einkünfte in § 34 Abs. 2 EStG, wonach als solche nur Veräußerungsgewinne nach §§ 14, 16, 17, 18 Abs. 3 Entschädigungen nach § 24 Ziff. 1 und Zinsen aus Auslosungsrechten in Betracht kommen, läßt eine einschränkende Auslegung nach Ansicht des Senats nur insoweit zu, als die Anwendung des Vorzugstarifs im Einzelfall ausgeschlossen sein kann, wenn sie mit Sinn und Zweck des Gesetzes nicht in Einklang stehen würde. Hingegen ist eine allgemeine Einschränkung dergestalt, daß Entschädigungen innerhalb bestimmter Einkunftsarten von vornherein von der Tarifvergünstigung ausgeschlossen seien, nicht geboten. Es ist nicht einzusehen, warum aus der Gesamtheit der Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft oder aus Gewerbebetrieb, auch wenn diese durch Vermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG ermittelt worden sind, nicht bestimmte, klar abgrenzbare Einkünfte zum Zwecke der Anwendung eines Vorzugstarifs sollten ausgesondert werden können. Unter Berufung auf seine ständige Rechtsprechung führt der Reichsfinanzhof im Urteil VI 349/43 vom 5. Juli 1944 (RStBl 1944 S. 641) zur Begründung seiner Auffassung unter anderem aus: "Es geht daher nicht an, für die Gewinnermittlung Betriebseinnahmen auszusondern, das heißt nicht in den Bestandsvergleich mit einzubeziehen". Dem ist zuzustimmen. Darum geht es aber bei der hier zu entscheidenden Frage nicht. An der Art der Gewinnermittlung, insbesondere daran, daß sämtliche Geschäftsvorfälle und die Einnahmen und Ausgaben daraus in die Gewinnermittlung einbezogen werden, wird durch die Aussonderung bestimmt abgrenzbarer Teile dieses Gewinns lediglich für die Zwecke der Anwendung eines günstigeren Tarifs nicht geändert.
Das Gesetz sieht offenbar in den Entschädigungen nach § 24 Ziff. 1 EStG eine besondere Art von Einkünften innerhalb einer Einkunftsart; sonst hätte es des § 24 EStG nicht bedurft. Hierfür spricht auch in § 34 Abs. 2 EStG 1953 die Aufzählung der Entschädigungen nach § 24 Ziff. 1 neben den Veräußerungsgewinnen. Für beide gilt gesetzessystematisch gleichermaßen, daß sie aus den übrigen Einkünften eines Steuerpflichtigen besonders herausgehoben sind mit dem vorwiegenden Zweck, nach § 34 Abs. 1, 2 EStG tariflich begünstigt zu werden. Im Urteil des Obersten Finanzgerichtshofs VI 3/46 S vom 16. April 1947 (Slg. Bd. 54 S. 204, Steuer und Wirtschaft 1947 II Nr. 6) ist ausgeführt: "Wenn § 34 auch keine neuen Einkunftsarten schafft, so müssen doch zum Zwecke der Besteuerung die außerordentlichen Einkünfte innerhalb ihrer Einkunftsart gewissermaßen als eine besondere Abteilung angesehen werden, für die der Gewinn bzw. der überschuß der Einnahmen über die Ausgaben besonders festzusetzen ist". Das hat in gleicher Weise sowohl für die aufgeführten Veräußerungsgewinne als auch für die Entschädigungen nach § 24 Ziff. 1 EStG zu gelten. Die Aussonderung von Gewinnteilen aus dem auf Grund Vermögensvergleichs nach § 4 Abs. 1 EStG ermittelten einheitlichen Jahresgewinn kennt das EStG auch an anderer Stelle. So kann z. B. die Steuerfreiheit der Zinsen nach § 3 a EStG, wenn die Pfandbriefe und sonstigen Wertpapiere zum Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen gehören, nur durch Aussonderung dieser Zinsen aus dem Gesamtjahresgewinn erreicht werden. Auch der vom Finanzgericht angeführte § 34 Abs. 3 EStG 1953 über die Vergünstigung außerordentlicher Holznutzungen spricht für die Möglichkeit der Aussonderung bestimmter Gewinnteile zum Zwecke der Besteuerung nach einem Vorzugstarif. Vorausgesetzt ist freilich, daß eine Abgrenzung der Gewinnteile möglich ist.
Der Gesetzeszweck gebietet keine andere Auslegung. Insbesondere ist die Beschränkung der Anwendung des § 34 Abs. 2 Ziff. 2 EStG nur auf Entschädigungen außerhalb von Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft und aus Gewerbebetrieb aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes heraus nicht erforderlich. Sinn und Zweck des Gesetzes zielen auf eine Milderung der Tarifprogression für die in § 34 Abs. 2 EStG 1953 genannten Einkünfte, soweit sie sich als außerordentliche darstellen. Das kann für alle Entschädigungen im Sinne des § 24 Ziff. 1 EStG zutreffen. Entschädigungen ist gemeinsam, daß sie in der Regel aus einer ohne oder gegen den Willen des Steuerpflichtigen eingetretenen Sachlage herrühren und im allgemeinen mehr oder weniger hinter einem vollen Ausgleich der entgangenen oder entgehenden Einnahmen zurückbleiben. Liegen hierin bereits Umstände, die eine Tarifvergünstigung für Entschädigungen rechtfertigen würden, so muß das um so mehr gelten, wenn die Besteuerung nach der Einkommensteuertabelle infolge Tarifprogression zur Wegsteuerung eines erheblichen Teils der erhaltenen Entschädigung führen würde. Der Billigkeitsgehalt des § 34 EStG muß allen Entschädigungen, gleichgültig, innerhalb welcher Einkunftsart sie Einkünfte im Sinne des § 24 Ziff. 1 EStG darstellen, zugute kommen. Der Senat tritt aus diesen Gründen der Auffassung des Finanzgerichts Hamburg im Urteil III 161/57 vom 29. April 1959 (Entscheidungen der Finanzgerichte 1959 S. 375) und der von Littmann (Finanz-Rundschau 1958 S. 316 und Einkommensteuerrecht, 6. Auflage, Tz. 5 zu § 24) bei.
Die in § 34 Abs. 2 Ziff. 1 bis 3 EStG 1953 aufgeführten Einkünfte genießen die Tarifvergünstigung nicht in allen Fällen. So folgt letztmalig aus der Entscheidung des Bundesfinanzhofs I 200/58 U vom 20. Januar 1959 (BStBl 1959 III S. 192, Slg. Bd. 68 S. 500), daß bei Veräußerungen gegen laufende Bezüge (Leibrenten) § 34 EStG nicht anzuwenden ist. Es muß sich bei den außerordentlichen Einkünften um einmalige Beträge handeln. Das ergibt sich aus dem Sinn des Gesetzes und seinem Wortlaut, wonach als außerordentliche Einkünfte im Sinne des § 34 Abs. 1 EStG 1953 "in Betracht kommen ..." (vgl. hierzu Kaatz, Finanz-Rundschau 1954 S. 113/114; Littmann, a. a. O., Tz. 3 zu § 34). Bei Entschädigungen im Sinne des § 24 Ziff. 1 EStG 1953 sind in Ausnahmefällen auch Zahlungen begünstigt worden, die sich auf zwei Jahre verteilt haben (Urteil des Reichsfinanzhofs IV 278/40 vom 20. Februar 1941, RStBl 1941 S. 442; Urteil des Bundesfinanzhofs VI 87/55 U vom 1. Februar 1957, BStBl 1957 III S. 104, Slg. Bd. 64 S. 271). Die Außerordentlichkeit von Entschädigungen ist sodann stets bejaht worden, wenn die Entschädigung entgangene oder entgehende Einnahmen mehrerer Jahre, nicht nur eines Jahres abgilt (Urteile des Reichsfinanzhofs IV 168/38 vom 10. November 1938, RStBl 1939 S. 170; IV 100/38 vom 8. September 1939, RStBl 1939 S. 1080; IV 87/38 vom 8. September 1939, RStBl 1940 S. 12). In diesen Fällen wirkt sich die Besteuerung der Entschädigung allein schon deshalb wesentlich ungünstiger aus als die Besteuerung der entgehenden oder entgangenen Einnahmen, an deren Stelle sie tritt, weil diese Einnahmen nunmehr in einem Betrag zusammengeballt sind. Eine Zusammenballung mit anderen laufenden Einkünften des Steuerpflichtigen ist hier keine weitere Voraussetzung für die Gewährung der Vergünstigung (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 206/53 U vom 13. November 1953, BStBl 1954 III S. 13, Slg. Bd. 58 S. 257). Die Besteuerung einer Entschädigung kann sich aber gerade auch deshalb ungünstiger auswirken, weil sie im Jahr der Zahlung oder ihres buchmäßigen Zufließens mit anderen Einkünften des Steuerpflichtigen zusammentrifft (vgl. hierzu Urteil des Reichsfinanzhofs IV 168/38, a. a. O.). Dann kann nach Auffassung des Senats die Vergünstigung des § 34 Abs. 1 EStG 1953 auch für eine Entschädigung gewährt werden, die an die Stelle entgangener oder entgehender Einnahmen nur eines Jahres tritt. Hierher gehören namentlich die Fälle, in denen der Steuerpflichtige in dem Jahr, dem die entgangenen oder entgehenden Einnahmen zuzurechnen gewesen wären, andere Einnahmen oder Einkünfte nicht oder in nur ganz geringfügiger Höhe gehabt hat, während im Jahr der Entschädigung neben dieser weitere, nicht ganz unerhebliche andere Einkünfte vorhanden waren. So liegt es im Streitfall. Der Bf. hat in den Veranlagungszeiträumen 1949 und 1950, auf die wegen des abweichenden Wirtschaftsjahrs vom 1. Juli bis 30. Juni die Einkünfte des Schadensjahres 1949/50 zu verteilen waren, nur insgesamt den geringfügigen Betrag von 1.493 DM als Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft versteuert. Im Streitjahr 1954 hingegen entfallen außer der anteiligen Entschädigung von 6.491 DM weitere 16.457 DM auf laufende Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft der Wirtschaftsjahre 1953/54 und 1954/55. Hierdurch ist für das Streitjahr eine Zusammenballung von Einkünften eingetreten, die die Gewährung der Tarifvergünstigung für die Entschädigung nach § 34 Abs. 1 EStG 1953 rechtfertigt. Dabei braucht nicht im einzelnen geprüft zu werden, ob die Besteuerung der Entschädigung nach der Einkommensteuertabelle im Streitfall ungünstiger wäre als deren Besteuerung im Jahre der entgangenen oder entgehenden Einnahmen. Eine solche Prüfung verlangt § 34 EStG 1953 nicht. Es genügt, daß die Einkünfte für das Jahr, in dem sie bezogen sind, aus den dargelegten Gründen außerordentlich sind.
Die Vorentscheidungen waren aufzuheben und der angefochtene Bescheid vom 20. März 1956 entsprechend abzuändern.
Fundstellen
Haufe-Index 409582 |
BStBl III 1960, 72 |
BFHE 1960, 195 |
BFHE 70, 195 |
StRK, EStG:34/2 R 12 |
NJW 1960, 839 |