Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensfragen im Zusammenhang mit dem umsatzsteuerrechtlichen Ersatzbelegverfahren
Leitsatz (NV)
Die Frage, mittels welcher Belege - mangels zollamtlicher Original- und Ersatzbelege - die Geschäftspartner des Unternehmers Einfuhrumsatzsteuer wirksam geltend machen können, betrifft kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis zwischen diesem und dem FA.
Normenkette
FGO § 41 Abs. 1; AO 1977 § 147 Abs. 2; UStG 1967/1973/1980 § 22 Abs. 1; UStG 1967/1973/1980 § 22 Abs. 2; UStDV 1980 § 64
Verfahrensgang
Tatbestand
Im Organkreis der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) werden nach Maßgabe des § 147 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) die Geschäftsunterlagen und Belege mit Ausnahme der Bilanz mikroverfilmt.
Mit Schreiben vom 20. März 1978 an den Bundesminister der Finanzen (BMF) beantragte die Klägerin, sie von der im BMF-Schreiben vom 10. Januar 1977 IV A 1 - S 7380 - 5/76 (BStBl I 1977, 25, dort unter Nr. 2.) aufgestellten ,,Verpflichtung zur Aufbewahrung sämtlicher zollamtlicher Originalbelege über entrichtete Einfuhrumsatzsteuer bei Anwendung des sog. Ersatzbelegverfahrens zu befreien". Zur Verhinderung des Mißbrauchs zollamtlicher Originalbelege bot sie an, bestimmte Sicherheitsvorkehrungen zu beachten. Ein weitergehender Antrag bezog sich auf den Fall, daß nach der Verfilmung und Vernichtung der zollamtlichen Originalbelege über Einfuhrumsatzsteuer - z. B. anläßlich einer Außenprüfung - festgestellt werde, daß sie, die Klägerin, den Vorsteuerabzug irrtümlich in Anspruch genommen habe, und tatsächlich ein anderer Unternehmer zum Vorsteuerabzug berechtigt sei. Hierzu bat sie um Bestätigung, daß dem anderen Unternehmer bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen der Vorsteuerabzug gewährt werde, wenn dieser anstelle eines zollamtlichen Originalbelegs oder eines Ersatzbelegs eine von der Klägerin ausgestellte Bescheinigung über die entrichtete Einfuhrumsatzsteuer sowie eine Bestätigung darüber vorlege, daß der umsatzsteuerliche Organkreis der Klägerin die weiterbelastete Einfuhrumsatzsteuer entweder nicht als Vorsteuer abgezogen habe oder ein irrtümlicher Vorsteuerabzug rückgängig gemacht werde. Zur Begründung führte sie aus, daß bei einem Verfahren gemäß dem BMF-Schreiben vom 10. Januar 1977 alle zu einem Einfuhrvorgang gehörenden Unterlagen aussortiert und im Original aufbewahrt werden müßten, was wegen des großen Umfangs der Einfuhren einen hohen Kostenaufwand erfordere. Dabei wies sie darauf hin, daß etwa . . . im gesamten Bundesgebiet belegene Abteilungen Einfuhren selbst abfertigen.
Der BMF teilte der Klägerin mit, ein Verzicht auf die Aufbewahrung aller zollamtlichen Originalbelege über Einfuhrumsatzsteuer würde die Nachprüfungsmöglichkeiten der Finanzbehörden in einem nicht vertretbaren Ausmaß beschränken. Er wies die Klägerin darauf hin, daß die Umsatzsteuer von den Finanzbehörden der Länder verwaltet werde und das zuständige Finanzamt (FA) abschließend entscheiden werde.
Durch Verfügung vom 14. August 1979 lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) den Antrag ab.
Die hiergegen eingelegte Beschwerde blieb ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Sie sei zwar zulässig, aber unbegründet.
Die Feststellungsklage sei zulässig, weil ein feststellungsfähiges konkretes Rechtsverhältnis vorliege. Unerheblich sei, daß dieses Rechtsverhältnis teilweise Dritte - Abnehmer der Klägerin - betreffe; denn die Frage der Berechtigung Dritter zum Abzug entrichteter Einfuhrumsatzsteuer habe für die Klägerin erhebliche wirtschaftliche Bedeutung. Damit sei auch ein berechtigtes Interesse der Klägerin an einer alsbaldigen Feststellung der Rechtslage gegenüber dem FA zu bejahen.
Die Klage sei deshalb unbegründet, weil die beanstandete Verwaltungsanweisung als Billigkeitsregelung Rechtens sei.
Mit der Revision macht die Klägerin geltend, das FG habe zwar zu Recht die Klage als zulässig angesehen; es habe jedoch den nach § 147 Abs. 2 AO 1977, § 15 Abs. 1 Nr. 2 und § 22 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) maßgeblichen Umfang der Aufbewahrungs- und Nachweispflichten verkannt.
Zu Recht habe das FG die Feststellungsklage deshalb als zulässig angesehen, weil die Frage, ob sie, die Klägerin, fortlaufend zur Aufbewahrung von Unterlagen verpflichtet sei, ein ,,gegenwärtiges Rechtsverhältnis" (Bezugnahme auf das Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Juni 1970 V R 92/66, 10/67, BFHE 99, 185, BStBl II 1969, 648) berühre. Das beklagte FA sei bezüglich des gesamten Feststellungsantrags passiv-legitimiert. Der Feststellungsantrag betreffe sowohl die fehlende Verpflichtung zur Aufbewahrung zollamtlicher Belege als auch die Berechtigung zum Abzug entrichteter Einfuhrumsatzsteuer aufgrund von Belegen, welche die Klägerin ausgestellt habe.
Die Klägerin hält die Regelung in Nr. 2 des BMF-Schreibens vom 10. Januar 1977 (a.a.O.), wonach in den Fällen, in denen aufgrund eines Originalabgabenbescheides ein Ersatzbeleg ausgestellt worden sei, für den Unternehmer die Verpflichtung zur Aufbewahrung sämtlicher Zollbelege im Original bestehe und daß es nicht genüge, die zur Ausstellung von Ersatzbelegen verwendeten Unterlagen aufzubewahren, für nicht rechtens. Zur Erläuterung dieses Teils ihres Klagebegehrens weist die Klägerin auf folgenden Fall hin: Ein ausländischer Lieferant habe eine Maschine, die im Inland aufgestellt und angeschlossen werden müsse, nach Auffassung der Vertragspartner im Ausland geliefert; sie sei vom inländischen Abnehmer eingeführt worden. Umsatzsteuer werde nicht in Rechnung gestellt; der inländische Unternehmer ziehe die bezahlte Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer ab. Vertrete das FA später die Auffassung, die Maschine sei im Inland geliefert worden, werde vom Lieferanten die Umsatzsteuer nacherhoben; dem inländischen Abnehmer werde der Abzug der Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer mit der Begründung versagt, die Maschine sei für das Unternehmen des Lieferanten eingeführt worden. Bei dieser Sachlage müsse der Abnehmer versuchen, vom Lieferanten die Einfuhrumsatzsteuer erstattet zu erhalten. Solange jedoch die Finanzverwaltung generell verlange, daß der dem Grunde nach Abzugsberechtigte im Besitz des Zollbeleges oder eines Ersatzbeleges sei, werde der Lieferant dem Abnehmer die Einfuhrumsatzsteuer im allgemeinen nur erstatten, wenn er von letzterem einen dieser Belege erhalte. Habe der Abnehmer jedoch den zollamtlichen Originalbeleg - nach seiner Mikroverfilmung - vernichtet, sei er nicht mehr in der Lage, die nach Ansicht der Finanzverwaltung erforderlichen Belege zu verschaffen. Sie, die Klägerin, habe ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, daß der Lieferant den Vorsteuerabzug auch aufgrund von Belegen beanspruchen könne, die der Abnehmer ausgestellt habe.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils, der ablehnenden Entscheidung des FA sowie der Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion (OFD) festzustellen, daß sie zur Aufbewahrung mikroverfilmter zollamtlicher Originalbelege über Einfuhrumsatzsteuer nicht verpflichtet sei, und daß einem anderen Unternehmer bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen von der Finanzverwaltung der Vorsteuerabzug zu gewähren sei, wenn ihm eine Gesellschaft ihres Organkreises zusammen mit der Weiterbelastung der Einfuhrumsatzsteuer schriftlich die in § 22 Abs. 2 Nr. 4 UStG 1967/1973 geforderten Angaben machen würde.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das klagabweisende Urteil des FG stellt sich im Ergebnis als richtig dar (§ 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), da das Feststellungsbegehren (vgl. § 41 FGO) unzulässig ist.
Durch Klage kann die Feststellung u. a. des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der alsbaldigen Feststellung hat (§ 41 Abs. 1 FGO). Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer solchen Feststellungsklage sind im Streitfall nicht erfüllt.
1. Der Senat geht in Übereinstimmung mit dem Vortrag der Klägerin in der mündlichen Verhandlung davon aus, daß ihr Begehren nicht der Durchsetzung eines eigenen Vorsteueranspruchs dient. Ihr zweigliedriger Antrag ist auf ein anderes - einheitliches - Rechtsschutzziel gerichtet. Sie will erreichen, daß ihre Geschäftspartner in den eingangs dargestellten Fällen der nachträglichen Annahme eines inländischen Lieferungsortes die Einfuhrumsatzsteuer auch dann wirksam geltend machen können, wenn sie keine zollamtlichen Originalbelege oder Ersatzbelege vorlegen können, sondern nur die genannten (Ersatz-)Bescheinigungen und Bestätigungen der Klägerin. Darüber hinaus sieht sie die beanstandete Regelung im BMF- Schreiben vom 10. Januar 1977 (a.a.O.) als wirtschaftlich belastend an. Damit zielt die Klage aber nicht auf ein Rechtsverhältnis i. S. des § 41 Abs. 1 FGO ab.
2. Unter ,,Rechtsverhältnis" im Sinne dieser Vorschrift ist die sich aus einem konkreten Sachverhalt ergebende, aufgrund von Rechtsnormen geordnete rechtliche Beziehung zwischen Personen zu verstehen (vgl. BFH-Urteil vom 22. April 1986 VII R 184/85, BFHE 146, 302, 304). Die begehrte Feststellung braucht sich nicht auf das Rechtsverhältnis als Ganzes zu beziehen, sondern kann sich auf einzelne Berechtigungen oder Verpflichtungen beschränken, die aus einem umfassenden Rechtsverhältnis erwachsen (BFH-Urteil vom 27. Februar 1973 VII R 100/70, BFHE 109, 4, BStBl II 1973, 536). Nicht feststellungsfähig sind hingegen einzelne Vorfragen oder Elemente eines Rechtsverhältnisses (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 4. Mai 1984 V ZR 27/83, Lindenmaier/Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, § 256 ZPO Nr. 133; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 14. Aufl. 1983, § 94 II 1).
Es muß sich allerdings um ein eigenes abgabenrechtliches Verhältnis (vgl. § 33 FGO) der Klägerin handeln, dessen Bestehen oder Nichtbestehen festgestellt werden soll (vgl. für den Anwendungsbereich des § 43 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 18. Mai 1982 4 B 20.82, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 310, § 43 VwGO Nr. 69). Ein Feststellungsbegehren, das allein die privatrechtlichen Beziehungen der Klägerin zu ihren Vertragspartnern und/oder ausschließlich deren abgabenrechtliche Verhältnisse betrifft, ist unzulässig. Dabei verkennt der Senat nicht, daß die Klägerin ein erhebliches wirtschaftliches Interesse haben kann, die Frage der Verpflichtung zur Aufbewahrung zollamtlicher Belege geklärt zu haben. Dieses Interesse berechtigt aber nicht, eine Feststellungsklage als zulässig anzusehen, für welche die Voraussetzungen des § 41 Abs. 1 FGO nicht vorliegen (vgl. BFH-Urteil vom 8. April 1981 II R 47/79, BFHE 133, 308, BStBl II 1981, 581). Diese Vorschrift gestattet zudem keine Prozeßstandschaft (Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, Rdnr. 15 zu § 41).
a) Das Rechtsschutzbegehren bezieht sich jedoch nicht auf eine abgabenrechtliche Position der Klägerin. Das FA leugnet nicht schlechthin die sich aus § 147 Abs. 2 AO 1977 ergebende Befugnis der Klägerin, die zollamtlichen Originalbelege nach Mikroverfilmung zu vernichten. Im Verhältnis der Klägerin zum FA gibt es keine Rechtsfrage, für deren Beantwortung es darauf ankäme, ob sie die Zollbelege im Original aufbewahren muß oder nicht. Die Klägerin ist zudem im Anwendungsbereich des § 15 UStG nicht gehalten, die Beweisbarkeit der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen sicherzustellen. Wenn sie sich hierum bemüht, handelt sie nicht in Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten, sondern regelmäßig allein in Wahrung eigener Obliegenheiten (vgl. BFH-Urteil vom 24. April 1986 V R 110/76, BFH/NV 1987, 745).
b) Tatsächlich will die Klägerin für Dritte die Berechtigung zum Vorsteuerabzug erstreiten. Ihr Rechtsschutzziel erschließt sich - ausschließlich - aus dem Verhältnis zu dem Dritten, für dessen Unternehmen der Gegenstand eingeführt worden ist. Für diesen ist die höchstrichterlich nicht geklärte Frage, ob die umsatzsteuerrechtlichen Pflichten zur Aufzeichnung und zur Belegführung (§ 22 Abs. 1 und 2 UStG 1967/1973/1980, § 10 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Umsatzsteuergesetzes [Mehrwehrtsteuer] - 1. UStDV - bzw. § 64 UStDV 1980) die körperliche Verfügbarkeit eines zollamtlichen (Ersatz-)Beleges fordern (vgl. hierzu Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 23. September 1985 5 K 92/85, Entscheidungen der Finanzgerichte 1986, 147), eine von mehreren unselbständigen Vorfragen für die Beurteilung von Rechtsbeziehungen zwischen ihm und den für ihn zuständigen Finanzbehörden. Bedeutsam ist die Frage entweder im Zusammenhang mit dem Anspruch des Dritten auf Vorsteuerabzug oder im Rahmen des sog. Ersatzbelegverfahrens. Das eigene Interesse, das die Klägerin an der Klärung dieser Rechtsfragen hat, ist ausschließlich zivilrechtlicher Natur und kann nicht Grundlage für ihre finanzgerichtliche Feststellungsklage sein.
13. Bei der Unzulässigkeit der Feststellungsklage verbleibt es auch dann, wenn man die beiden Teile des Klageantrags als verfahrensrechtlich jeweils selbständig ansehen würde; insoweit wird auf die vorstehenden Ausführungen zu 2. Bezug genommen.
4. Der Senat hatte schon aus revisionsrechtlichen Gründen - Unzulässigkeit der Klageänderung im Revisionsverfahren (§ 123 FGO) - keine Veranlassung, auf eine Umstellung des Feststellungsantrags in ein Verpflichtungsbegehren hinzuwirken. Die Frage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen das FA verpflichtet ist, der Klägerin zu bescheinigen, daß Einfuhrumsatzsteuer entrichtet worden ist, betrifft eine Verpflichtung aus dem Steuerrechtsverhältnis, die nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits ist.
Fundstellen
Haufe-Index 415783 |
BFH/NV 1989, 54 |